Herr Präsident! Ich wende mich zuerst an die Fraktion der GRÜNEN, weil das, was wir eben bei der Debatte über Tempolimit erfahren haben, meines Erachtens nicht ihren tatsächlichen Zielen entsprechen kann. Ich hatte den eindeutigen Eindruck: Sie wollten hier heute eine Ablehnung haben, um sich zu profilieren.
Dabei ist das Gutachten des Bundesumweltamtes die Chance, andere im Innenausschuß rüberzuholen. Das Ziel muß sein, daß wir das erreichen, und nicht, daß Sie heute auf den Tag genau das durchzusetzen gedenken, was hier nicht mehrheitsfähig ist.
Ich schließe daran an: Es scheint Ihr Arbeitsstil zu sein. Das was der Bundesvorstand der GRÜNEN im Saarland vermittelt hat — ich weiß nicht, ob Sie das Basisdemokratie nennen —, nämlich sich nicht an Regierungsarbeit zu beteiligen, fällt in die gleiche Richtung: nicht mit anzufassen, keine harte Arbeit zu leisten, sondern nur Resolutionen zu machen. Und das geht nicht.
Herr Dr. Ehmke, Sie haben im Innenausschuß dabeigesessen, als wir in der Nordseefrage mit klaren Forderungen Einstimmigkeit hergestellt haben. Sie kommen heute herbei, um sich erneut mit einem Sonderantrag abzusetzen, der fast alles wiederholt, was im Antrag des Innenausschusses ist. Seien Sie vorsichtig im Interesse der Bürger, die Sie vertreten wollen!
Die merken sonst, daß Sie Politik spielen und nicht ernsthaft praktizieren.
Nach Buschhaus und dem Katalysator-Auto ist die Nordsee nun der dritte Versuch der Bundesregierung, den Widerspruch zwischen schönen Umweltschutzworten und effektivem Handeln für den Umweltschutz zu überspringen. Bei den beiden vorangegangenen Versuchen hat die Koalition trotz gewaltiger Muskelspiele beim Anlauf die Meßlatte politischer Glaubwürdigkeit glatt gerissen. Ein dritter Flop — in Sachen Nordsee — würde die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, aus dem engeren Kreis der ernsthaften Bewerber um eine wirksame Umweltpolitik endgültig hinauswerfen. Das könnte die politischen Konkurrenten freuen, wäre aber für die Nordsee im wahrsten Sinn des Wortes tödlich.
Deshalb fordern wir Sozialdemokraten die Bundesregierung auf: Wenn Sie schon die erforderliche Höhe der Meßlatte in Sachen Umweltschutz nicht überwinden — und die Bürgerinnen und Bürger erwarten von Ihnen noch lange keine Rekorde —, dann überwinden Sie jetzt zumindest die erste Barriere für eine bessere Umwelt. Und das ist die Überwindung des Aufschubprinzips. Kommen Sie um Gottes willen nicht von der Nordseeschutzkonferenz in Bremen mit einem Text zurück, in dem steht: „Im Bewußtsein, daß ...; in Erkenntnis ...; in der Besorgnis um ...; in der Überzeugung ...; in der Erwartung ..."; und dann kommen die Adjektive und die Handlungsanweisungen dazu: „muß geprüft werden", „soll möglichst angestrebt werden", „sollen internationale Kontakte fortgesetzt werden". Wenn das der Inhalt Ihres Entwurfs eines Textes für die Vorkonferenz ist, dann lassen Sie das Ganze sein. Für ein solches Ergebnis der Konferenz wären die Reisekosten zu schade.
Wo die Belastung der Luft für jeden spürbar ist, wo das Waldsterben sichtbar voranschreitet und das Wasser unverkennbar trüber wird, da helfen eben keine Beschwörungsformeln mehr, und da helfen auch nicht Gesetze und Verordnungen weiter, in denen die Ausnahmegenehmigung zur Regel wird und deren Wirksamkeit bis ans Ende des Jahrtausends geschoben wird.
Die Nordsee, Herr Austermann, ist akut gefährdet. Ich glaube, das kann man sagen. Die Ursachen sind bekannt, und die Verursacher haben Adressen. Spätestens nach der Nordseekonferenz Ende Oktober in Bremen muß endlich gehandelt werden. Wenn ich „endlich" sage, dann beziehe ich die Kritik nicht nur auf die jetzige, CDU-geführte Bundesregierung, sondern auch auf die Versäumnisse ihrer Vorgängerin, einer SPD-geführten Bundesregierung, und auf alle Landesregierungen, unabhängig von ihrer Couleur. Wir alle haben viel zu lange geredet, statt Handlungsprozesse einzuleiten.
Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft" steht für die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Zusammenbruch des Schreckensregimes der Nationalsozialisten. Heute steht die Natur vor dem Zusammenbruch. Wir brauchen daher eine neue Wiederaufbauphase. Wir brauchen neue Prinzipien der Wirtschaft und des Haushalts. Lassen Sie uns doch gemeinsam z. B. darüber nachdenken, wie wir zu einem ökologisch und strukturpolitisch ergänzten Stabilitätsgesetz kommen. Lassen Sie uns an alle Haushaltsentscheidungen endlich den Maßstab einer Umweltverträglichkeitsprüfung anlegen, und lassen Sie uns nicht mehr über den Abbau von Subventionen in den Haushalten reden, sondern lassen Sie uns darüber Einigkeit herstellen, daß wir Subventionsmittel, die wir frei machen, dringend umwidmen müssen, um damit Umweltschutzinvestitionen zu fördern, nicht nur wegen der Beschleunigung, sondern auch, um den Produktionsbetrieben zu helfen, konkurrenzfähig zu bleiben, und mit öffentlichen Mitteln das zu tun, was umweltschutztechnisch nötig ist.
Wenn die Bundesregierung den heute zu erwartenden gemeinsamen Beschluß des Bundestages — und ich würde die GRÜNEN dringend bitten, ihren Zusatzantrag nicht zur Abstimmung zu stellen —
6526 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1984
Jansen
ernst nimmt, muß der Bundesinnenminister mindestens folgende Punkte erfüllen. Erstens, über die Nordseeschutzkonferenz hinaus bedarf es einer europäischen Gipfelkonferenz, und dabei müssen wir den anderen Europäern klarmachen: entweder handeln alle sehr schnell und gemeinsam, oder wir handeln allein, d. h. wir lassen uns Umweltschutzmaßnahmen nicht mehr mit dem Vorschlaghammer „Handelshemmnisse und Protektionismus" abringen, sondern es muß begriffen werden: Gemeinsamkeit kann nicht heißen, auf Umweltschutzmaßnahmen zu verzichten. Zweitens, die Nordsee muß Sondergebiet werden. Drittens, die Verschmutzung der Nordsee durch die Luft, über die Flüsse und vom Land aus muß in fest umrissenen Größenordnungen Schritt für Schritt abgebaut werden.
Dabei ist ein wichtiger Punkt — Herr Austermann, da haben Sie mich sicherlich nicht richtig begriffen — die Verklappungsfrage selbst. Ab sofort — und dies ist eine Frage der Entscheidungsfreudigkeit dieser Regierung — muß mit Verklappung von Dünnsäure und anderen Schadstoffen in die flache, inzwischen stark belastete Nordsee Schluß gemacht werden.
Wir Sozialdemokraten sind bereit, ein Konzept mitzutragen, das den Titandioxidherstellern auch finanziell hilft, bis spätestens Ende 1988 Wiederaufbereitungsanlagen zu erstellen. Wir sind im Interesse des Erhalts der Arbeitsplätze bereit, auch erforderliche Hilfe bei einer sofortigen Verlagerung der Verklappung aus der Nordsee heraus mitzutragen. Aber bitte, handeln Sie von der Regierung. Wenn der Verkehrsminister noch eine einzige Verklappungsgenehmigung für die Nordseeverschmutzung erteilt, muß die Bundesregierung aufhören, so zu tun, als wolle sie wirklich der Nordsee helfen. Beides geht nicht. Entweder man handelt oder man praktiziert alte Dinge weiter. Wer die Verklappung von Dreck in die Meere beenden will, kann es. Es ist nur eine Frage des Preises, und es ist die Frage, wer den Preis bezahlt. Auch von den betroffenen Firmen kann man in Umstellungsprozessen erwarten, daß sie für den Zeitraum der Umweltschutzumstellung auf hohe Gewinne verzichten; denn wenn es so weitergeht wie bisher, zahlen wir alle, und zwar mit unserer Gesundheit, und zahlt die Nordsee mit ihrem ökologischen Tod.
Nehmen Sie unser Angebot zur aktiven Mitarbeit an diesem Problem ernst. Wir sind bereit, Entscheidungen für eine neue konsequente Umweltpolitik mitzutragen. Aber hören Sie auf, nur zu reden, und das, was Sie wirklich meinen, im Nebel stehen zu lassen! Wir müssen handeln, wenn wir Natur und Menschen in der Entwicklung der nächsten Jahre schützen wollen. Ich hoffe, daß diese Debatte zu der Nordseefrage dazu beiträgt.