Rede von
Dr.
Friedrich
Zimmermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Duve, bei Ihrer schnellen Lippe, die Sie da riskiert haben,
haben Sie nur vergessen, zu sagen, daß die SPD-Fraktion sich erst in den allerletzten Tagen nach langwährender Uneinigkeit zu diesem Weg entschlossen hat. Aber sie teilt damit das Schicksal der SPD-Regierung von 1969 bis 1982. Die hat sich nämlich 13 Jahre lang zu gar nichts entschlossen,
obwohl es die Vorbilder neuer Technik in den USA und in Japan gab und obwohl es auch damals schon eine ganze Reihe von Ländern mit Tempobeschränkungen gab.
— Einen kurzen historischen Rückblick, Herr Duve, müssen Sie auch einem Minister gestatten.
Das sind alles Dinge, die uns an der Wahrhaftigkeit Ihrer Entscheidungen zweifeln lassen.
Meine Damen und Herren, mit unseren Kabinettsbeschlüssen zum umweltfreundlichen Auto haben wir als erstes großes Durchgangsland der Welt eine Pilotfunktion wahrgenommen. Wir sind kein Kontinent und keine Insel; wir sind das bedeutendste Durchgangsland in Europa und haben als erste die Maßstäbe für das umweltfreundliche Auto gesetzt.
Wir haben trotz der jetzt vorgegebenen Daten einen schweren Weg in der Europäischen Gemeinschaft vor uns. Die ökologische Notwendigkeit und die technische Machbarkeit der Abgasreinigung bis zu 90% ist erwiesen. Wir haben die Weichen gestellt. Die Automobilindustrie hat jetzt die Chance, nicht nur mit den besten, sondern auch mit den saubersten Autos ihre Spitzenstellung zu festigen.
Wir sind uns sicher einig, daß eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Vergleich mit der Einführung umweltfreundlicher Autos allenfalls eine relativ geringfügige Verbesserung bringen kann.
— Junge, was ich schon alles vor dir kapiert habe, das möchte man hier ja gar nicht sagen.
Was die Experten gesagt haben, das ist j a auch nichts Neues. Ich hoffe, Sie haben auch die anderen Untersuchungen gelesen. Experten sagen ja oft Verschiedenes, aber eine solche Mißübereinstimmung, wie sie bei den zahlreichen vorliegenden Gutachten von Bern bis Berlin festzustellen ist, sprengt wirklich jeden Rahmen. Die Unterschiede in den Mes-
6518 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1984
Bundesminister Dr. Zimmermann
sungen betragen bis zu 400%. Jeder hat sich bestimmte Basisdaten herausgesucht und hat sie so bewertet und so hochgerechnet, wie er wollte.
Einen wirklich repräsentativen Test hat es bisher nicht gegeben.
Auch das Umweltbundesamt, das schließlich dienst- und fachaufsichtlich dem Bundesminister des Innern untersteht, bringt einen Gesamtwert bei 50 %iger Akzeptanz — und mit mehr können Sie doch überhaupt nicht rechnen — von maximal 5 % heraus. Das heißt, da sind eine ganze Reihe von Fragen, die einfach nicht geklärt werden.
Es gibt andere Gutachten, die darlegen, daß nennenswerte Reduktionen der Stickoxidemissionen nicht realisiert werden können und daß bei Kohlenwasserstoffen und Kohlenmonoxid sogar ein Anstieg nicht auszuschließen ist.
Meine Damen und Herren, angesichts dieser Sachlage — eine ganze Reihe von Rednern hat dazu schon einiges Richtiges gesagt — stelle ich für die Bundesregierung fest: Das ist heute nicht entscheidungsreif.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif, wie auch Ministerpräsident Strauß vor wenigen Tagen in einer sehr ausgewogenen Rede vor dem Bayerischen Landtag festgestellt hat.
Eine solche Entscheidung, die erhebliche wirtschafts- und verkehrspolitische Auswirkungen hat, die 30 Millionen Bürger unmittelbar und 61 Millionen mittelbar betrifft, kann nur auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse getroffen werden.
Die Bedeutung des Problems erfordert daher überlegtes Handeln und nicht blinden Aktionismus.
Daher sage ich ja zu weiteren Untersuchungen dieses komplexen Problems.
Mein Kollege Dollinger und ich sind vom Bundeskabinett beauftragt worden, einen Großtest zur Ermittlung abgesicherter Daten über die Abhängigkeit des Schadstoffausstoßes der Fahrzeuge von der Fahrgeschwindigkeit durchführen zu lassen. Die sachgemäßen Kriterien für diesen Großtest sind mit den beteiligten Institutionen festzulegen. Schon die Festlegung dieser Daten ist ein komplexes Thema. Aus meiner Sicht sollte ein solcher Großtest insbesondere in folgende Richtungen gehen.
Erstens. Ermittlung eines realistischen Verkehrsverhaltens mit und ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf ausgewählten Autobahnabschnitten und Bundesstraßen und im Stop-and-go-Verkehr, bei Schlangenbildung, das für eine statistiksichere Aussage geeignet ist.
Zweitens. Die Prüfung aller möglicher bestandsrepräsentativer Fahrzeuge auf Rollenprüfständen, z. B. beim TÜV, unter Zugrundelegung des zunächst ermittelten realistischen Fahrverhaltens.
Erst mit einem solchen Großtest wird sich beispielsweise feststellen lassen, wie Kollege Schmidbauer richtig gesagt hat, ob im Hinblick auf Fahrzeuge, die durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung gezwungen werden, im nächstniedrigeren Gang oder im ungünstigen Drehzahlbereich zu fahren, das Tempolimit aus der Sicht des Umweltschutzes nicht sogar kontraproduktiv sein kann.
Gleichzeitig — das sei an die Adresse der Automobilindustrie gerichtet — muß alles getan werden, um die nachhaltige Verbesserung der Umwelt durch beschleunigte Umstellung auf das umweltfreundliche Auto zu erreichen.