Ich möchte es nicht, und ich glaube, der Kollege wird es nicht als Unfairneß auslegen.
Wer auf europäischer Ebene Erfolge haben will, muß auf nationaler Ebene glaubwürdig sein.
Was heißt das? Mit dem Tempolimit können wir bis 1990 ca. 1,6 Millionen t Stickoxid vermeiden — mit den halbherzigen Regierungsmaßnahmen bis 1990 allenfalls 400 000 t. Wenn bis 1995 ca. 5 Millionen Kraftfahrzeuge umgerüstet wären, hätten wir erst die Menge erreicht, die ich eben genannt habe. Diese Rechnung werden uns die Europäer aufmachen, wenn wir sie auf die abgasfreie Technik bringen wollen. Auch aus diesen Gründen müssen wir für einheitliche Geschwindigkeitsverhältnisse in Europa sorgen.
Tempolimit ist also auch ein politischer Schritt zur unerläßlichen technischen Umrüstung, zur ökologischen Modernisierung unseres gesamten Fahrzeugparks. Da dieser Schritt zu langsam getan wird,
muß der technischen Umrüstung die Verhaltensänderung vorausgehen.
Tempolimit ist kein Thema für Selbstgerechtigkeit, allemal nicht für uns Politiker. Hören Sie gut zu, meine Herren Minister! Auch wir Kollegen, wir Politiker, die sich häufig genug in letzter Minute — mich eingeschlossen — zum Flugplatz rasen lassen, sollten uns mit diesem Gedanken befassen. Wenn Tempolimit die rascheste Maßnahme gegen die Stickoxid-Verseuchung unserer Luft ist, dann müssen wir selbst damit anfangen.
Ein Wort also an uns selbst!
Wir alle gehören zur Nomenclatura der dekorierten Bedeutung und der chauffierten Elite —
und der chauffierten Eile. Ich muß hier sagen: Ich
habe mich eben versprochen. Ich hatte „Eile" sagen
wollen, und „Elite" ist mir gekommen. Sie können das deuten, wie Sie mögen.
Wenn wir uns nicht ändern — Sie wollen sich wohl nicht ändern; das ist Ihre Sorge und Ihre Sache —, wer will es dann von den Bürgern verlangen? Darum ein Wort an die Berufsfahrer und an unsere Bundestagsfahrer, die für die Sicherheit and Pünktlichkeit ihrer Insassen oft hohe Verantwortung tragen, indem sie uns tagtäglich Hunderte von Kilometern über Landstraßen und Autobahnen fahren.
— Ich sehe Ihre Empörung. — Wir selbst treiben sie häufig an, damit wir den Flug nicht verpassen
und rechtzeitig zur Veranstaltung erscheinen. Wir müssen gemeinsam lernen, uns als Politiker mit ihnen zusammen umzustellen. Es wird ein schwieriger Prozeß sein. Wir wollen doch ein bißchen ehrlich sein. Auch wenn Sie jetzt lachen, Sie wissen genau, was ich meine, und Sie wissen genau, daß dies auch ein Problem des Bundestages ist.
Es ist für uns Politiker unvermeidlich. Unsere Verantwortung für den Wald ist größer als unsere Verantwortung für unsere allzu vollgestopften Terminkalender.
Tempolimit hat keine Chance, wenn sich Politiker nicht daran halten.
Ein Wort an die Leitungen der Automobilfirmen in Stuttgart, Wolfsburg, München und anderswo: Nehmen Sie, meine Herren von der Automobilindustrie, das Argument der hohen Geschwindigkeit aus Ihren Werbekampagnen heraus! Nutzen Sie Ihre millionenfach erprobte Überzeugungskunst für diesen gemeinsamen Feldzug! Setzen Sie sich an die Spitze und zeigen Sie solchen Angstmachern wie Herrn Bangemann, der heute morgen wieder die Arbeitslosen für seine Argumente mißbraucht hat, zeigen Sie dem Kabinett-Azubi,
wie verantwortungsbewußte Produkt- und langfristige Arbeitsplatzsicherung wirklich aussieht!
Sagen Sie in Ihren Anzeigen, warum Porsche seinen größten Absatz in den USA des Tempolimits hat! Zeigen Sie diesem Wirtschaftsminister, was Verantwortung heißt!
Meine Damen und Herren, wir verhandeln hier heute über den Bericht des Innenausschusses, dessen Mehrheit unsere SPD-Vorlage zum Tempolimit und den Antrag der GRÜNEN abgelehnt hat. Nun signalisiert die Union — Sie haben es eben ge-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1984 6515
Duve
macht, Herr Schmidbauer —, daß sie gelernt habe, daß sie die Ablehnung des Tempolimits so nicht aufrechterhalte, sondern neu beraten wolle. Es wird sich rasch herausstellen, ob dies verfahrenstechnische Trickserei ist, oder ob sich hier ein ernsthafter Lernprozeß ankündigt. Die Nachrichten aus dem Buschhaus-Lager überstürzen sich, ein sichtbares Zeichen für Diskussion und Dissens. Kiechle, der Vielgescholtene, hat unsere Position und die Position der GRÜNEN übernommen. Kohl will oder kann nicht einmal die wissenschaftlichen Befunde zur Kenntnis nehmen, und des Verkehrsministers Einlassungen zum Thema werden immer doller.
Er nennt einfach eine falsche Zahl, wenn er von 4 %
Minderung des Stickoxids spricht, wo UBA und die
anderen Sachverständigen von über 11 % sprechen.
Auch in diesem Feld, meine Damen und Herren — dies nur am Rande —, hat sich der Kanzler übrigens zum einfach drauflosredenden Kabinettsmitglied degradiert wie alle anderen Kabinettsmitglieder, die mit ihren eigenen Tagesrichtlinien unbehelligt bis zum jeweiligen Abend regieren.
Wir werden im Innenausschuß sehr bald sehen, wie ernst es mit der Meinungsäußerung Ihrer eigenen Leute ist. Ich bin sicher, daß wir in der nächsten Woche noch manchen Unionsspitzenpolitiker bekommen, der mit ungeheurer Geschwindigkeit auf den Zug der Geschwindigkeitsbegrenzung aufspringen wird.
Im Innenausschuß brauchen wir nicht lange neu zu diskutieren. Die Anhörung hat eindeutige Untersuchungsergebnisse erbracht. Das UBA hat die Untersuchungsergebnisse in dieser Woche noch einmal bestätigt. Die CDU-Fraktion sollte sie endlich lesen.
Aber wenn es zu Ihrem Lese- und Lernprozeß beiträgt, sind wir bereit, im Innenausschuß noch einmal darüber zu diskutieren. Nur, hoffen Sie nicht auf eine Chance, dieser Sache ausweichen zu können; die wird es nicht geben.
Wenn jetzt die angekündigten Versuche in Bayern — ich meine den Kabinettsbeschluß von gestern — zeigen sollen, daß Sie Großversuche machen wollen, dann mögen das erste Schritte zum Handeln sein; aber wir werden nicht dulden, daß sie als Ersatz für Entscheidungen im Bundestag mißbraucht werden.
Diese Entscheidung muß rasch kommen. Wir werden im Plenum dafür sorgen.
Zum Schluß ein Wort, verehrte Kollegen von den GRÜNEN. Sie waren schon vor einem Jahr überzeugt, daß das Tempolimit starke Entlastung brächte. Ich persönlich war auch davon überzeugt. Aber dem Wald hilft es mehr, wenn wir mit dem gesammelten Sachverstand der Wissenschaftler im Rükken vor die Bürger treten und auch große Parteien, auch die Union, dazu bringen, diese Sache mitzutragen.
— Es war jedenfalls ein „fleißiger" Zwischenruf, Herr Kollege.
Ich freue mich über den großen Erfolg der mühsamen Überzeugungsarbeit in meiner Partei; das ist nicht leicht gewesen.
Ich freue mich auch über die Union, während sich die GRÜNEN in den letzten Tagen darüber zu grämen scheinen, daß jetzt alle vom Tempolimit sprechen. Ihr müßt euch nicht grämen; Sie müssen sich darüber freuen.
Ich muß jetzt zum Schluß kommen; die rote Lampe leuchtet auf. Gott sei Dank leuchten nicht die grüne und die rote zur gleichen Zeit; sonst würden Sie wieder Zeter und Mordio schreien. — Herr Minister Zimmermann, verbinden Sie sich mit Herrn Minister Kiechle — Sie beide sind in der gleichen Partei —, nehmen Sie den Kollegen Dollinger in die Mitte — auch er ist in der gleichen Partei —, und versuchen Sie, auf ihn einzureden. So, wie sich Herr Kiechle mit uns verbündet hat, verbünden Sie sich nunmehr mit ihm! Wir werden weiterhin fordern, die Richtgeschwindigkeiten in Pflichtgeschwindigkeiten für den Wald umzuwandeln. „Für den Wald" heißt: schneller handeln, langsamer fahren.