Rede von
Alwin
Brück
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zu Beginn ausdrücklich erklären: Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt das Treffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft, Spaniens und Portugals, Mittelamerikas und der Contadora-Staaten. Es war gut, daß die Europäische Gemeinschaft hier die Initiative ergriffen hat, gut deshalb, weil damit vielleicht ein Beitrag zur Lösung der Probleme in Zentralamerika geleistet werden kann, gut aber auch, weil ein einheitliches Auftreten der EG auch uns Europäern in unserem Selbstverständnis helfen kann. Auch daß neben den jetzigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft Spanien und Portugal an dieser Konferenz teilgenommen haben, muß aus europäischer Sicht begrüßt werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im April dieses Jahres in ihrem Konzept für die Selbstbehauptung Europas gefordert: umsichtige und behutsame Hilfestellungen Westeuropas für die friedliche Lösung der außen- und innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme in Zentralamerika und der Karibik durch die politischen Kräfte der Region selbst.
Ich halte den Beitrag der Europäischen Gemeinschaft für die Lösung der Probleme in Zentralamerika deshalb für so wichtig, weil wir Europäer nicht in den Verdacht geraten können, daß wir hier die Probleme in einem unserer Hinterhöfe oder Vorgärten regeln wollten. Ich bin übrigens überhaupt nicht bereit, irgendwelche Regionen in dieser Welt zu Vorgärten oder Hinterhöfen irgendwelcher Großmacht zu erklären.
Noch so berechtigte Sicherheitsinteressen einer
Großmacht legitimieren diese nicht, in kleineren
Staaten in ihrer Nachbarschaft zu intervenieren, sei
es durch militärische Aktionen oder durch wirtschaftlichen Druck.
Das gilt für Zentralamerika, so wie es für Afghanistan gilt.
— Wissen Sie, Herr Kollege, ich wäre da vorsichtig mit den Unterschieden; Intervention ist Intervention.
Deshalb, Herr Bundesaußenminister, unterstütze ich nachdrücklich das, was Sie — Zeitungsberichten zufolge — zu den Lateinamerikanern beim Abschluß der Konferenz gesagt haben. Sie sagten:
Wir wollen hier keinen Einfluß bei Ihnen ausüben. Wir wollen im Gegenteil Ihre Selbständigkeit politisch und ökonomisch unterstützen.
Ich hoffe, daß dies nicht nur Floskeln waren.
Wehren müssen wir uns gemeinsam gegen Versuche unserer amerikanischen Freunde, uns Europäern vorzuschreiben, was wir in Zentralamerika zu tun und zu lassen haben. Wir wollen in Zentralamerika nicht als Konkurrenz gegenüber den USA auftreten. Wir würden uns sicherlich auch übernehmen.
Aber wir haben dort europäische Interessen zu vertreten. Im europäischen Interesse liegt es, zu einer friedlichen Konfliktlösung in Mittelamerika beizutragen, ohne Intervention von außen, in welcher Form auch immer.
Deshalb habe ich auch mit Erstaunen gelesen, daß der amerikanische Außenminister Shultz am 9. September Briefe an alle EG-Außenminister gesandt hat, in denen er sich — so steht es in den Zeitungen — höflich und wohlwollend über die Absicht der Europäer, Mittelamerika zu helfen, geäußert hat, aber nachdrücklich verlangt hat, daß jede wirtschaftliche Hilfe und politische Unterstützung der Sandinisten in Nicaragua unterlassen werden sollte.
Es wäre töricht, diesem amerikanischen Verlangen zu folgen.
Mit Erstaunen habe ich gestern in der „Süddeutschen Zeitung" den Satz gelesen:
Um den Friedensplan der Contadora-Staaten für Mittelamerika, dessen Unterzeichnung durch die fünf Konfliktparteien gesichert schien, hat auf Druck der Regierung der Vereinigten Staaten eine neue Kontroverse begonnen.
Ich habe das mit Erstaunen gelesen; eigentlich hätte ich sagen müssen: mit Unverständnis.
6428 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Oktober 1984
Brück
Es ist gut, daß die Europäische Gemeinschaft keine Ausgrenzung Nicaraguas vorgenommen hat.
Ich will nicht verhehlen, daß ich selber manche Entwicklung in Nicaragua mit Sorge verfolge, weil nicht immer deutlich wird, ob Nicaragua die selbstgesetzten Ziele wie Blockfreiheit, Pluralität, gemischte Wirtschaftsform in aller Eindeutigkeit anstrebt.
— Das vorausgeschickt, Herr Kollege Pinger, frage ich mich aber doch, warum wir an die jetzige Regierung in Managua andere Maßstäbe anlegen, als wir sie an andere Regierungen in dieser Region anlegen.
— Doch dies ist leider so. — Was immer man an Kritik gegenüber der jetzigen sandinistischen Regierung üben kann: Das, was jetzt in Nicaragua geschieht, ist um vieles besser als das, was vorher unter Somoza in Nicaragua geschehen ist.