Rede von
Helmut
Buschbom
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt vier Stunden debattiert und haben doch eigentlich vieles gesagt, was unser Anliegen ist und was uns am Herzen liegt. Ich habe ein bißchen Hemmungen, noch zu sprechen, weil ich meine, daß wir, wenn wir noch sehr lange debattieren, das, was wir in diesen vier Stunden erarbeitet haben, wieder zerreden.
Da ich aber gebeten worden bin, hier zu einem Sonderproblem zu sprechen, bin ich veranlaßt, Ihre Aufmerksamkeit noch in Anspruch zu nehmen. Ich soll mich mit Ihnen über die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages unterhalten.
— Die Kollegen im Geschäftsordnungsausschuß, dem ich angehöre, meinten, daß man sich bei dieser Debatte auch darüber unterhalten sollte, und das ist der Grund dafür, daß Sie mich hier oben sehen.
Als ich Mitglied des Bundestages wurde, bekam ich — wie Sie alle — ein Formblatt: Biographische Angaben für das Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages. Da stand vorn ein Auszug aus den Verhaltensregeln, und dann kamen Angaben nach den Verhaltensregeln. Das habe ich — wie Sie vermutlich auch — brav ausgefüllt, und dann hat es,
glaube ich, ein Jahr oder noch etwas länger gedauert, bis ich mich mit den Verhaltensregeln einmal richtig befaßt habe. Ich nehme an, Ihnen wird es ähnlich gegangen sein.
Deshalb dieser Beitrag zu der Frage, was denn nun diese Verhaltensregeln sind.
Als gründlicher Bürger versucht man dann, ein bißchen in der Historie zu forschen und nach den Rechtsquellen zu suchen. Die haben wir in der Tat. Wir haben einen verfassungsmäßigen Grundsatz; das ist Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes. Wir haben eine gesetzliche Grundlage, nämlich § 44 a des Abgeordnetengesetzes. Schließlich haben wir tatsächlich die Verhaltensregeln in der Fassung von zwei Bundestagsbeschlüssen.
Ich muß leider in mein Konzept schauen, weil all das ein bißchen formalistisch ist. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes lautet: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Das ist ein großer Satz. Was heißt das? Vertreter des ganzen Volkes zu sein, heißt, nicht nur Vertreter der Partei zu sein, der man angehört. Das ist schon sehr schwierig. Aber die Staatsgewalt geht nach unserer Rechtsauffassung in einer Republik nun einmal vom Volke aus, das von allen Mitgliedern dieses Bundestages repräsentiert wird.
Die Abgeordneten sind „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" — auch das ist ein ganz großes Wort. Wenn wir so an unsere internen Strukturen hier denken, die uns die Arbeit ermöglichen, dann kommen uns j a schon manche Zweifel. Aber immerhin, die Verfassungsnorm gibt dem Abgeordneten hier seine persönliche Unabhängigkeit und weist seine Willensentscheidung ihm ganz allein, seiner eigenen Verantwortlichkeit und seinem eigenen Gewissen zu, das dem Urteil des ganzen Volkes gegenüber bestehen muß.
Schön, das ist zwar Verfassungstheorie, aber immerhin folgt auch etwas für unser praktisches Leben daraus: Nach dieser Verfassungsnorm trägt jeder Abgeordnete die persönliche Mitverantwortung sowohl für seine Gewissenhaftigkeit als Vertreter des ganzen Volkes bei der Wahrnehmung seiner parlamentarischen Aufgaben, also etwa bei der Gesetzgebung, der Bildung der Regierung und deren Kontrolle, als auch für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des Parlaments in der Öffentlichkeit.
Diese persönliche Mitverantwortung umfaßt die gesamte parlamentarische Tätigkeit des Abgeordneten — aber nicht nur das, sondern auch seine private Tätigkeit. Das Schlagwort „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" gilt für Abgeordnete sehr eingeschränkt, weil das ganze Volk natürlich Idealvorstellungen gegenüber seinen Vertretern hegt
und vorbildliches Verhalten sowohl in der parlamentarischen Tätigkeit als auch im sonstigen gesellschaftlichen Umfeld erwartet. Der Abgeordnete
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1984 6245
Buschbom
muß daher auch in seinem privaten Bereich mit besonderer, kritischer Aufmerksamkeit rechnen; für das parlamentarische Verhalten ist das selbstverständlich.
Beim parlamentarischen Verhalten haben wir zwei Besonderheiten: Die eine liegt in der Zusammensetzung des Bundestages, der die Gesamtbevölkerung nicht angemessen widerspiegelt — jedenfalls habe ich diese Ansicht —, weil der Anteil an öffentlichen Bediensteten, Rechtsanwälten, Landwirten und Gewerkschaftlern überdurchschnittlich groß ist. Hier können Vorbehalte gegenüber der Eignung der Parlamentarier entstehen, und es kann auch allgemeine Verdrossenheit beim Betrachter wegen Fehlens angemessener Repräsentanz aufkommen.
Die zweite Besonderheit bietet die Begleitung, die wir da links und rechts haben, die das Fernsehen dem öffentlichen Auftreten des Abgeordneten — nicht nur hier, sondern auch außerhalb des Hauses — angedeihen läßt und dadurch natürlich Wirkungen auf das Verhalten des Abgeordneten erzielt. In den Ausschüssen, die im allgemeinen nicht öffentlich tagen, ist die interfraktionelle Zusammenarbeit kollegial. Ich habe da also immer ordentlich arbeiten können.
Im Plenum, wenn das Fernsehen läuft, glaubt nahezu jeder Redner, seinem Wähler beweisen zu müssen, daß er es den andern aber so richtig zeigen kann. Da herrscht der schwere Säbel, obgleich das Florett ausreichte. Dem Wähler, also dem vertretenen Volk, mißfällt das, weil sein Verständnis wenn auch nicht unbedingt auf Harmonie, so doch auf Sachlichkeit ausgerichtet ist. Das sollten wir uns hin und wieder zu bedenken geben. Der Wähler sieht das „interfraktionelle Bier", das wir ja zum Glück miteinander trinken, und den gemeinsamen Skat, den wir hin und wieder spielen, leider nicht. Nun, das war die Verfassung.
Wir kommen nun zu § 44 a des Abgeordnetengesetzes.
— Dazu kommen wir ja gleich. — Das ist also die Norm, nach der unsere Verhaltensregeln verankert worden sind. Nach diesem Gesetz — Herr Kollege, Sie haben es offenbar nicht gelesen, sonst könnten Sie diese Frage nicht stellen; ich muß Ihnen aber ehrlich sagen, mir ist es lange Zeit auch so gegangen — hat sich der Bundestag für seine Abgeordneten Verhaltensregeln zu geben, die Bestimmungen über die Angabe der beruflichen Tätigkeit, die Offenlegung von Interessenverknüpfungen, die Rechnungsführung und die Anzeige von Spenden, die Anzeige besonderer Einnahmen und die Unzulässigkeit der Annahme bestimmter Zuwendungen sowie das Verfahren bei Verstößen gegen die Verhaltensregeln enthalten müssen. Solche Verhaltensregeln sind, wie gesagt, vom Bundestag am 21. September 1972 und am 25. Juni 1980 beschlossen worden. Ich kann Ihnen diese Regeln hier jetzt nicht vorlesen; ich bitte Sie, sie nachzulesen. Diese Regeln zerfallen in drei Gruppen: Anzeigepflichten,
zwei Verbotstatbestände und das Verfahren bei Nichtbeachtung dieser Pflichten oder Verbote.
Die Anzeigepflichten bestehen gegenüber dem Präsidium. Darüber wird zum Teil etwas veröffentlicht, wie man aus dem Kürschner entnehmen kann. Die Anzeigepflichten betreffen den Beruf, Nebentätigkeiten, Beratungs- und Vertretungstätigkeiten, Einkünfte aus Gutachten, Veröffentlichungen oder Vorträgen und aus Vertretungen in Rechtsstreitigkeiten für oder gegen die Bundesrepublik Deutschland, sofern die jeweilige Vergütung eine im einzelnen bestimmte Summe überschreitet. Sie betreffen ferner Interessenverknüpfungen und erhaltene Spenden.
Der Zweck der Anzeige ist es, wirtschaftliche Tätigkeiten von Abgeordneten mit den damit verbundenen Einkünften und möglichen Interessen — wenn auch nur teilweise und nur präsidialintern — zu publizieren und damit eine sowohl bundestagseigene als auch öffentliche Kontrolle zu ermöglichen.
Dies geschieht nicht reibungslos. Insbesondere verfassungsmäßige Rechte wie auch standesrechtliche Bindungen von Abgeordneten schaffen Probleme und Abgrenzungsschwierigkeiten. Der Abgeordnete soll frei, unabhängig und nicht an Weisungen gebunden sein. Wird durch die geschilderte Offenbarungspflichten und Kontrollen nicht seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt?
Weiter: Nach dem Verfassungsverständnis unseres Grundgesetzes ist die Ausübung eines Zivilberufs nicht unvereinbar mit dem Abgeordnetenmandat. Lediglich für Beamte und Angestellte, also für Bedienstete des öffentlichen Dienstes, sowie für Soldaten, Richter und Hochschullehrer ist die Wählbarkeit eingeschränkt. Aber, wie gesagt, grundsätzlich geht das Grundgesetz davon aus, daß der Abgeordnete auch einen Zivilberuf ausübt oder ihm nachgehen kann.
Meine Redezeit läuft ab. Ich muß mich etwas beeilen.