Rede von
Georg
Bamberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einigen Beiträgen heute ist mir wieder einmal der Unterschied zwischen Bayern und Preußen aufgefallen, auch beim letzten. Ich hoffe nicht, daß ich der Vorrednerin zu nahe trete. In Bayern gibt es ein Sprichwort: Die Preußen müssen immer ihren ganzen Denkvorgang runterplappern, während die Bayern nur das Ergebnis bekanntgeben.
Was Sie gesagt haben, das gibt es: Das Panaschieren und Kumulieren ist in Bayern doch längst verwirklicht. Aber wir haben ein anderes Thema.
Einer der Vorredner heute hat gemeint, das wäre auch eine Profilierungsmöglichkeit für einige, die sonst nie zum Reden kommen. Ich gehöre zu denen. Nur habe ich anfangs eine ganz andere Überlegung angestellt. Ich habe mir überlegt, ob es einem, der hier relativ neu ist, noch dazu einem, der nicht in den vorderen Reihen sitzen darf, überhaupt zusteht, bei einer so anspruchsvollen Debatte um Selbstverständnis und Selbstdarstellung des Parlaments mitzureden, wo doch offensichtlich 30 Jahre lang Erfahrungen angesammelt werden mußten, bis es überhaupt einmal zu einer solchen Selbstverständnis-Debatte kommen konnte. Aber nach einigen Beiträgen sind meine Skrupel ein bißchen geringer geworden, und darum habe ich mich dann doch gemeldet.
Ich glaube, es wäre der Debatte sehr schädlich, wenn der Eindruck entstünde, daß hier nur ein Domestikenaufstand stattgefunden hätte. Jeder muß sich darüber seine Gedanken machen. Ich fühle mich nicht so sehr — wie ich gestern gelesen habe — behindert, wenngleich manches geändert werden müßte. Mir geht es vielmehr um den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der draußen entsteht. Ich meine auf der einen Seite insbesondere die Würde des Parlaments, von der ich immer gehört habe. Das hat mich tief beeindruckt — bis ich drin war. Seitdem bin ich von der Würde des Parlaments nicht mehr so sehr beeindruckt. Auf der anderen Seite meine ich die Möglichkeit des einzelnen, sich überhaupt zu Wort zu melden. Jeder hier weiß, wie schwierig das ist, welche Kämpfe im Grunde genommen dafür erforderlich sind.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1984 6239
Bamberg
Mir ist vor ein paar Tagen eine nette Karikatur in die Hände gefallen. Ich hoffe, daß ich niemandem zu nahe trete. Ich erkläre die Karikatur: Zwei Gruppen von Abgeordneten stehen beisammen, auf der einen Seite Kollegen von den GRÜNEN — bis dahin war der Habitus mit Bluejeans und Turnschuhen sowie offenen Hemden im Parlament nicht üblich; wir kennen das alle — und auf der anderen Seite aus allen Parteien die getragenen Abgeordneten mit den blauen Anzügen und dunklen Krawatten, so, wie es sich gehört. Die haben auf die erste Gruppe gedeutet und gesagt: Schaut einmal die an! Die Würde des Parlaments. — Nun hat die ganze Sache aber einen Haken gehabt. Als die letztgenannte Gruppe aufgestanden war, sah man, daß hinten im Jackett ein Fleck herausgemodert war. Auf dem stand: Flick-Spenden-Affäre. Die Unterschrift: „Wer hat der Würde des Parlaments mehr geschadet?" hat mich sehr nachdenklich gemacht.
Vor kurzer Zeit sind in einer Zeitschrift unter „Bonner Rede" die „stummen" Abgeordneten aufgeführt worden, süffisant und ohne einen Grund zu nennen, warum sie denn so stumm seien. Ich glaube, da stellt sich die Demokratie-Frage. Und in der Öffentlichkeit — auch bei mir war das so — hat sich der Eindruck festgesetzt: Das Sitzen und Diskutieren im Parlament ist die einzige Arbeit des Abgeordneten. Wenn die Fernsehnation dann aber leere Bänke, zeitunglesende Abgeordnete sieht und immer dieselben Redner hört, dann wird, glaube ich, in fleißige Abgeordnete und in faule Abgeordnete eingeteilt. Das geht in die Richtung überflüssige. — Ich kriege schon ein Zeichen, weil ich nur fünf Minuten reden darf.
Ich glaube, daß das Ganze so lange nicht funktionieren kann, wie die Mächtigen oder die, die es werden wollen, bei ihren Botschaften an die Nation den Bundestag als Vorlese-Tribüne benutzen und sich nie die Frage stellen: Warum sind keine oder so wenige Abgeordnete hier?
Es ist von der freien Rede gesprochen worden. Das ist doch gar nicht so einfach. Es gibt sicherlich Naturtalente. Der Schöfberger ist eines. Aber auch die freie Rede will gelernt sein. Und wenn ich nie im Parlament zum Reden komme, dann werde ich mich mit der freien Rede schwerer tun als derjenige, der jede Woche redet. Auch das ist doch eine Tatsache.
Naturgemäß werden diejenigen, die nicht mehr bereit sind, diese Rituale hinzunehmen, an Zahl immer mehr — denn es gibt andere Aufgaben der Abgeordneten. Ich glaube, das Absitzen im Parlament, die notwendige Selbstdarstellung der Demokratie, macht höchstens 10 % der gesamten Arbeit eines Abgeordneten aus. Ich stelle fest — und auch viele Vorredner haben das gesagt —: Je fleißiger der einfache Abgeordnete ist, je ernster er seine Arbeit, auch die für den Wahlkreis, die in den Ausschüssen, die in Sachen Bürgernähe, die wir immer praktizieren wollen, nimmt, desto weniger wird er
diese unsinnigen Vorlesungen und Rituale hier mitmachen.
Ich glaube — auch das ist gesagt worden —, wenn man ernstlich etwas ändern will — und es hat den Anschein —, dann könnte man daran auch etwas ändern. Aber dann müssen die Regierenden einen Beitrag dazu leisten. Mein Fazit ist: Geändert hat sich seit einer Rede von Thomas Dehler am 4. Februar 1952 — ich habe nachgeschaut — nichts. Er sprach von dem geringen Ansehen des Bundestages und seiner Arbeit. So ähnlich hat Dr. Barzel heute auch gesprochen. Dehler hat ein Gespräch zwischen Ludendorff und Max Weber wiedergegeben. Max Weber hat seine Ansicht über die Demokratie kundgetan:
„In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ,Nun haltet den Mund und pariert; Volk und Parteien dürfen mir nicht hineinreden. Nachher kann das Volk richten.' Hat der Führer" — so sagt Max Weber — „Fehler gemacht, dann an den Galgen mit ihm!"
Ich glaube, vor einer solchen Demokratie, Herr Bundeskanzler — jetzt ist er nicht mehr da —, müßte man warnen.
Herzlichen Dank.