Rede von
Dr.
Rudolf
Schöfberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nach dem Verlauf dieser Debatte könnte man nur wünschen, daß sie Vorbild für den Mindeststandard anderer Debatten in diesem Hause würde.
Der Drang, ins Plenum zu kommen und die andere Arbeit eher liegen zu lassen, würde bei mir größer werden.
Ich möchte aber vor der Gefahr warnen, uns in der Behandlung vordergründiger Symptome zu erschöpfen: Redezeiten, materielle und personelle Ausstattung und dergleichen mehr. Das hat j a alles seinen guten Grund, aber es sind nur Symptome.
Ich glaube, unser Zustand ist auf einen geradezu traumatischen Grundsatz des deutschen Parlamentarisums zurückzuführen, der in anderen westlichen Parlamenten keine Heimat hat: Im deutschen Parlament darf die deutsche Regierung keine Niederlage erleiden. Wir waren als Regierungspartei stolz, daß uns dies zwischen 1969 und 1981 gelungen ist. Die wenigen Niederlagen hinterher waren eine Spätzeiterscheinung.
Auch Sie versuchen sich darin. Aber das hat seine Folgen für den parlamentarischen Ablauf. Wenn man das so durchhält, muß sich eine Koalitionsfraktion stets als Verteidigungsschwadron der eigenen Regierung mißverstehen. Die jeweilige Opposition — das gilt für alle Oppositionen — wird in die Fundamentalkritik ohne jede Chance des wirklichen Einflusses verwiesen, und das Parlament insgesamt verkümmert zu einer notariellen Bewilligungsstelle für Regierungsabsichten.
Die Reden, die hier dann meist gehalten werden, sind entweder fundamental-kritische Ohnmachtsreden, oder es sind Mimikry-Reden gegen die bessere Überzeugung, nur weil man halt in der Regierungskoalition als Redner eingeteilt ist und diese Chance nicht verlieren will, schon wegen des eigenen Aufstiegs nicht. Daran krankt das Parlament.
Die Ausstattung dieses Parlaments entspricht dann genau dem Rollenverständnis, das ich hier geschildert habe. Alles, was wir sonst zu beklagen haben, ist Ableitung aus diesem Rollenverständnis mit wenig Selbstbewußtsein eines Parlaments.
6236 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. September 1984
Dr. Schöfberger
Auch die Diätendebatten, die wir jedesmal, auch bei dem bescheidensten Versuch, draußen auslösen, sind Folgen dieses eigenen Mißverständnisses.
Haben Sie schon einmal eine Protestwelle durch das Volk gehen sehen, wenn der deutsche Zahnarzt dafür sorgt, daß sein durchschnittliches Jahreseinkommen von 650 000 auf 750 000 DM steigt? Diese Grundwelle geht nicht durch das Volk, weil jeder unserer Mitbürger überzeugt ist, daß Zahnärzte nützlich sind.
Bei Bankdirektoren ist das ähnlich. Bankdirektoren erhöhen sich ihr Jahresgehalt auf 1,2 Millionen DM. Das ist 18mal soviel wie das, was einem Abgeordneten nach allen Abgaben bleibt.
— Fußballstars kann man dazunehmen.
Haben Sie da schon jemals eine Protestwelle durch das Volk gehen sehen? Man ist von der Nützlichkeit von Bankdirektoren überzeugt. Ich glaube, daß die Mehrheit unseres Volkes von unserer Nützlichkeit nicht so recht überzeugt ist, sonst gäbe es die regelmäßigen Diätendebatten draußen nicht.
— Beim Bürgermeister sind sie auch überzeugt: den braucht man.
Haben Sie schon einmal gehört oder gesehen, daß man in der Presse einem Landrat, einem Bürgermeister oder einem Ministerialbeamten seinen Dienstwagen, seine Sekretärin, die Portoausgaben der Behörde als eigenes Einkommen anrechnet? Bei uns ist es so.
Ich glaube, wir haben in dem Ansehen unserer Mitbürger genau das verdient, was wir verdienen, wenn wir hier nicht selbst für eine Änderung sorgen. Seit Perikles ist bekannt, daß die Befreiung von Sklaven nur ein Werk der Sklaven selbst sein kann.
Seit Perikles ist bekannt, daß die Mächtigen dieser Welt nicht eines Tages aufwachen und sich entschließen, den Ohnmächtigen mehr Macht einzuräumen. Ich bitte Sie also herzlich, nicht nur Mißstände zu beklagen — auch ich beklage sie, den bedauernswerten Zustand des Wissenschaftlichen Dienstes, die mangelnde Ausstattung —, sondern Hand anzulegen, Anträge einzubringen, diese Zustände zu ändern und ein neues Selbstbewußtsein zu entwickeln. Ich wünsche mir, daß es 518 selbstbewußte Abgeordnete gibt,
die dieses Verfassungsorgan als das einzige von der Volkssouveränität unmittelbar abgeleitete Verfassungsorgan verstehen und alle anderen als sekundär oder tertiär abgeleitete Verfassungsorgane.
Wenn das bei 518 nicht möglich ist, weil es auch in einem Parlament immer wieder menschelt, dann wünsche ich mir 259 selbstbewußte Abgeordnete, die das beschließen.
— 110 sind es schon.
Ich mache zum Schluß noch einen Vorschlag, wenn es jetzt zu einer Kommission kommt. Lassen Sie uns auch über das verfassungsmäßig verankerte Initiativrecht der Bundesregierung nachdenken. Es wäre vielleicht besser, wenn das Parlament zunächst eine Grundsatzdebatte über ein Regelungsbedürfnis in der Gesellschaft führen würde, am Ende dieser Grundsatzdebatte politische Leitlinien beschließen und eine Punktation aufstellen würde und es erst dann zu einem bürokratisch ausgefeilten Regierungsentwurf kommen dürfte.
Wenn wir den bisherigen Zustand aufrechterhalten, werden wir immer wieder von Anfang an auf den mit Punkt und Komma ausgefeilten Regierungsentwurf gesetzt. Es gibt keine Möglichkeit mehr, außer Kommata und das eine oder andere Wort, die Konzepte zu verändern. Vielleicht wäre dies ein Beitrag zur größeren Selbstachtung des Parlaments. Sicher bedarf das einer Verfassungsänderung.
Ich sage nur noch einen Satz zum mehr oder weniger vollen Plenum aus der Theaterwelt. Beim Theater gilt der Grundsatz: Wenn das Theater leer ist, liegt das an der Aufführung und nicht an den Leuten.