Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Ich habe ein Manuskript; aber ich zolle meinen ausdrücklichen Respekt all denen, die frei gesprochen haben. Damit wir das aber alle üben können, bitte ich Sie gleich jetzt, meinen Vorschlag zu unterstützen, den ich vertrete: nämlich offene Debattenrunden einzuführen.
Zweite Vorbemerkung. Ganz offensichtlich ist heute Heiterkeit sehr gefragt. Das ist ein gutes Zeichen für dieses Parlament.
Trotzdem möchte ich den, wie ich meine, doch sehr mutigen Versuch unternehmen, Sie wieder auf ein paar ernste Probleme zurückzuführen; denn das Gesamtthema, das wir behandeln, lohnt es.
Thema Nummer eins: Plenardebatte. Unsere Plenardebatten können nicht so bleiben, wie sie sind.
Mit Recht erhalten wir bissige Kommentare, nicht nur in der Presse, sondern auch in der Bevölkerung, und zwar nicht deswegen, weil nicht kluge und richtige Dinge gesagt würden, sondern deswegen, weil andauernd das übliche, altgewohnte Ritual abläuft:
Elefantenparade, abgecheckte Rednerlisten, breite Selbstdarstellung der Regierungsmitglieder und endlose Wiederholungen längst bekannter Positionen. „Bundestag zum Abgewöhnen" lautete einer der Kommentare nach unserer Haushaltsdebatte der letzten Woche. Das können wir uns hinter die Ohren schreiben.
— Das haben andere schon gesagt, Herr Repnik, Sie haben recht. Konsequenz sind nicht nur leere Bänke im Plenum, sondern auch — und das ist höchst bedenklich — viel Irritation bei den Bürgern draußen.
Worüber reden die denn eigentlich, so wird man gefragt? Reden die wirklich über unseren Haushalt, reden die wirklich über unser Geld und darüber, wie es im nächsten Jahr am vernünftigsten und gerechtesten verwendet werden soll, oder geht es nicht vielmehr um Parteienhickhack? — Täuschen wir uns ja nicht! Je verbissener die wechselseitigen Attacken ausfallen, je fremder die Sprache ist, in der wir so gekonnt aneinander vorbeireden, desto mehr verbreitet sich bei den Bürgern das dumpfe Gefühl, daß da gar nicht so unbedingt ihre Sache abgehandelt wird. Sie haben es gründlich satt, zu jedem Problem immer wieder dieselben vorgefertigten Meinungsschablonen serviert zu bekommen.
Das Ergebnis ist eine spürbare Entfremdung. Manche nennen es auch Parteien- und Parlamentsverdrossenheit. Hier muß sich einiges ändern. Es wäre schon viel geholfen, wenn im Plenum eine größere Palette der Meinungen und Individualitäten
sichtbar würde, wenn also offene Debattenrunden stattfinden könnten.
Wir leben nun einmal in einer pluralistischen Gesellschaft. Was ist da natürlicher, als daß der Bürger auch mehr Pluralität von seinem Parlament erwartet! Es glaubt doch keiner im Ernst, daß es in 520 verschiedenen Köpfen nur 20, am Ende gar nur drei verschiedene Meinungen gäbe. Natürlich müssen klare Entscheidungen fallen. Sie fallen in den Fraktionen und in den Ausschüssen. Sie müssen auch vertreten werden. Sie müssen auch durchgehalten werden. Das steht aber keineswegs im Widerspruch zu der Forderung, auch im Plenum mehr Vielfalt zu zeigen, die Aspekte und Positionen offenkundiger zu machen, als dies heute geschieht.
Ein Weg dazu ist eben das individuelle Rederecht für den Abgeordneten. Vorgeschlagen wird von der interfraktionellen Initiative, einen Teil der Redezeit — mindestens aber 30% — für offene, von den Fraktionen nicht verplante Redezeiten freizuhalten, d. h. für spontane Wortmeldungen direkt aus dem Plenum.
Damit könnte gleichzeitig dem einzelnen Abgeordneten auch wieder ein Stück Bewegungsfreiheit zurückgegeben werden, ein Recht, das er heute nicht selten schmerzlich vermißt.
Das Plenum würde mit Sicherheit auch spannungsreicher, interessanter, lebendiger. Man könnte noch einmal auf den vorherigen Redner eingehen, Argument gegen Argument setzen. Je intensiver alle Aspekte ausgeleuchtet werden, je komplexer Entscheidungen begründet werden, desto überzeugender würde das Parlament auch gegenüber dem sehr kritischen und aufmerksamen Bürger erscheinen. Das sollten wir nicht geringschätzen.