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ID1008105300

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    Plenarprotokoll 10/81 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 81. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Inhalt: 35 Jahre Deutscher Bundestag 5855 A Genesungswünsche für Vizepräsidentin Frau Renger 5855 C Verabschiedung von Direktor a. D. Dr Schellknecht und Einführung von Direktor Dr. Bäcker 5855 D Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Schulze (Berlin) 5855 D Begrüßung einer Delegation beider Häuser des japanischen Parlaments . . . . 5868 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 5856 A Dr. Apel SPD 5869 A Dr. Waigel CDU/CSU 5880 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 5889 B Hoppe FDP 5893 B Brandt SPD 5896 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 5902 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 5915 D Genscher, Bundesminister AA 5920 C Stobbe SPD 5929 C Dr. Barzel CDU/CSU 5933 B Bahr SPD 5939 D Rühe CDU/CSU 5942 D Büchler (Hof) SPD 5945 D Nächste Sitzung 5948 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 5949* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5949* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 5855 81. Sitzung Bonn, den 12. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 79. Sitzung, Seite 5806*: Der Name „Schulte (Unna)" in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ist zu streichen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 13. 9. Antretter** 14. 9. Dr. Ehmke (Ettlingen) 12. 9. Eigen 14. 9. Dr. Enders** 12. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel** 14. 9. Dr. Holtz** 13. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski** 14. 9. Dr. Müller** 14. 9. Reddemann** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schwarz** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg* 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 7. bis 11. Mai 1984 in Straßburg (Drucksache 10/1570) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum Oktober 1983 bis März 1984) (Drucksache 10/1622) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Berichten der fünf an der Strukturberichterstattung beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute (Strukturberichte 1983) (Drucksache 10/1699) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß Fünftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1982/1983 (Drucksache 10/1791) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine vierte Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 74/651/EWG über Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art innerhalb der Gemeinschaft (Drucksache 10/1711) zuständig: Finanzausschuß Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu den Beschlüssen von Fontainebleau (Drucksache 10/1840) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf (Drucksache 10/1716) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzende Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen (Drucksache 10/1771) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzender Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Darlehensförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) (Drucksache 10/1734) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Sondersitzung der Nordatlantischen Versammlung am 28. Mai 1984 in Luxemburg (Drucksache 10/1785) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den 1. Teil der 30. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 18. bis 21. Juni 1984 in Paris (Drucksache 10/1786) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die künftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", hier: Rahmenplan 1985 bis 1988 (Drucksache 10/1832) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und Aufhebbare Dreiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste (Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung) (Drucksache 10/1860) 5950* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 6. Dezember 1984 vorzulegen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 28. Juni 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehende Vorlage absieht: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Mandat vom 30. Mai 1980 (Drucksachen 9/1835, 10/358 Nr. 47) Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 3. September 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehenden Vorlagen absieht: Bericht über die tatsächlich entstandenen Kosten des Fünften Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (Drucksachen 9/1209, 10/358 Nr. 63) Weiterer Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des § 12a des Tarifvertragsgesetzes — TVG — (Artikel II § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes) (Drucksachen 9/993, 10/358 Nr. 62) Die in Drucksache 10/1510 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über Maßnahmen zur Deckung des Ausgabenbedarfs des Haushaltsjahres 1984 in Anbetracht der völligen Ausschöpfung der eigenen Mittel — KOM (84) 250 endg. — ist als Drucksache 10/1792 verteilt. Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 27. Juli 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Behandlung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat: Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM, EGKS, EWG) des Rates zur Angleichung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind — KOM (84) 257 endg. — (Drucksache 10/1691 Nr.2) Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Anpassung des Berichtigungskoeffizienten, der auf die Bezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften in Varese anwendbar ist (Drucksache 10/1510 Nr. 9) Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 13. Juli 1984 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 nebst Anlagenband und den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Wirtschaftsplan, Anlagenband und Stellenplan liegen im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 17. Juli 1984 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1982 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Jahresabschluß liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 3. September 1984 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Geschäftsbericht liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rainer Barzel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit großer Mühe weiß ich der naheliegenden Versuchung zu widerstehen, jetzt
    etwa einen Beitrag über unsere Arbeitsweise hier zu halten. Ich habe den Auftrag, im Namen der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, die bekanntlich die stärkste Fraktion im Hause ist, als erster Redner zur Deutschlandpolitik zu sprechen. Es ist kurz vor 18 Uhr. Ich danke, daß wir schon jetzt das Wort bekommen haben.

    (Heiterkeit und Beifall)

    Ich habe die Absicht, zur Sache in fünf Punkten zu sprechen. Zuerst ein Wort an uns selbst. Ich fand in der Vordebatte und heute manches unvernünftig und unwürdig — mit Schuldzuweisungen eine öffentliche Debatte, gar noch polemisch, zu führen über die Absage des Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Honecker, eine Absage, die doch hierzulande niemand verantwortet.

    (Zurufe von der SPD: Na, na!) — Niemand verantwortet!


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Stobbe, statt daß Sie eben die große Chance genutzt hätten, auf Grund der Anregung des Herrn Außenministers sofort — er hat Sie dazu aufgefordert — etwas zu der Rede der Frau Kollegin Vollmer von den GRÜNEN zu sagen, statt sich da abzugrenzen, haben Sie sich — es tut mir leid, Herr früherer Regierender Bürgermeister — da angenähert, und darüber wird im einzelnen wohl noch folgenschwer zu sprechen sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und meine Herren, ich weiß, daß der Parteivorsitzende der SPD aus guten Gründen jetzt verhindert ist. Trotzdem muß ich ihm natürlich die eine oder andere Antwort geben, weil er Fragen gestellt hat. Ich will nicht, wie das andere vorgeschlagen haben, Debatten von früher wiederholen; aber Erinnerungen wachzurufen, wird doch noch erlaubt sein.
    Ich erinnere jetzt an den 19. März 1970, an den Tag von Erfurt. Die Kolleginnen und Kollegen, die damals schon hier waren oder die das alles bewußt miterlebt haben, erinnern sich an die emotionale Situation. Das waren Wälle; hier hieß es „Verrat", und da hieß es „Erwartung". Es war eine wirklich spannende Situation. Am Tag zuvor — ich sehe dort hinten Herrn Bahr; vielleicht hat er das gehört — hatten wir hier eine Bundestagsdebatte. Ich bin dann zu Bundeskanzler Brandt gegangen und habe ihm unter vier Augen gesagt — ich habe das inzwischen niedergeschrieben, das ist nicht bestritten, also ist es so —

    (Heiterkeit)

    — ja, Herr Duve, ein Autor sollte da immer vorsichtig sein —:

    (Heiterkeit)

    Herr Bundeskanzler, Sie fahren morgen nach Erfurt, Sie machen einen Besuch, den wir in nichts behindert haben. Was wir erwarten, wissen Sie, auch konkret. Ich suche Sie auf, um Ihnen zu sagen: Fühlen Sie sich morgen in nichts unter Erfolgszwang. Wenn man Ihnen morgen irgend etwas Un-
    5934 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984
    Dr. Barzel
    zumutbares sagt oder wenn Sie gar im Krach — wir wußten es ja nicht; es war ja ein Versuch — oder mit leeren Händen zurückkommen, so verspreche ich Ihnen: Die Opposition wird kein Wort der Häme sagen, sondern für diesen Fall wird unser erster Satz sein: Der Bundeskanzler hat etwas versucht, wir haben es nicht behindert, er hat leider keinen Erfolg gehabt.
    Wie gut hätte es Deutschland und den Deutschen angestanden, jetzt einen solchen Satz von dem früheren Bundeskanzler Brandt zu hören, der doch besser als alle anderen hier weiß, wie schwierig so etwas ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Statt dessen, meine Damen und Herren, hat er — im Ton heute gemäßigt, nicht so schrill wie andere vorher — folgende Worte gesagt — und wenn man als Debattenredner, der frei zu antworten hat, zuhört, schreibt man sich natürlich auf, was da gesagt wird —, all diese Worte: „geschwätzig", „denunziatorisch", „Dilettantismus" und „Hetze". Eines davon kann man ja noch durchgehen lassen, aber diese Summe ist eigentlich ein bißchen viel, nicht wahr?
    Was er dann über den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Dregger, gesagt hat, ist, meine Damen und Herren, eine Erfindung, die auch durch Wiederholung nicht besser wird. Ich wende mich an diejenigen unter den Sozialdemokraten — dort vorn sehe ich einige sitzen, so den Obmann im innerdeutschen Ausschuß —, die sich noch daran erinnern, wie wir damals, als ich nach dem Regierungswechsel die Ehre hatte, Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen zu sein, es miteinander zur Überraschung vieler geschafft haben, hier eine einstimmige Politik herzustellen. Das wäre mir natürlich ohne den Kanzler nicht möglich gewesen, aber sicherlich auch nicht ohne Alfred Dregger. Wer so etwas wie hier heute gegen ihn sagt, tritt ihm deshalb zu nahe. Das sollte man nicht wieder tun, meine sehr verehrten Damen und Herren!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Er hat doch diese Gemeinsamkeit aufgekündigt!)

    — Aber Herr Voigt, nun lassen Sie einmal! Ich komme zu all diesen Dingen. Nur mit der Ruhe!

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ich bin ja ganz ruhig! — Lachen bei der CDU/CSU)

    — Ich habe Sie im Ausschuß schon viel ruhiger erlebt, nämlich auch schweigend, wenn ich geredet habe.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Aber nicht immer! Und die Gemeinsamkeit haben doch Sie aufgekündigt, nicht wir!)

    Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Willy Brandt, hat uns gefragt, ob die Kontinuität auch des Kommuniqué vom Dezember 1981 umfasse. Gemeint ist das Kommuniqué vom Werbellinsee über das Treffen Bundeskanzler Schmidt/Staatsratsvorsitzender Honecker. Nach dieser Frage habe ich mir den Text kommen lassen, habe ihn noch einmal durchgesehen und habe mich beim Kollegen Marx vergewissert, daß ich das noch richtig lese.

    (Zuruf von der SPD: Kann der lesen? — Dr. Marx [CDU/CSU]: Eine dumme Frage!)

    Ich muß da wirklich zurückfragen. Sie können doch — in einer intellektuell redlichen Diskussion — so gar nicht fragen, denn in diesem Kommuniqué — abgesehen von dem, was darin an allgemeinen Vorsätzen usw. alles steht, worin wir uns leichter als andere wiedererkennen können — ist die Basis doch die, in dem Kommuniqué auch beschriebene, Kontroverse zwischen Helmut Schmidt und Erich Honecker in der Frage der Nachrüstung. Da haben doch Sie, die Opposition die Position verlassen. Deshalb sind Sie es doch, die hier aus der Kontinuität gegangen sind und die deshalb auch bestimmte bündnispolitische Voraussetzungen der Deutschlandpolitik berührt haben. Dies muß gesagt werden.
    In dieser Abteilung des an uns Gerichteten würde ich mich dann gern noch an den besonders geschätzten Kollegen Egon Bahr — er wird das erwartet haben, denn wie sollte es anders sein, wenn wir hier über Deutschlandpolitik debattieren — wenden, und zwar nur in der Frage, daß er sich — Sie werden verstehen, wenn ich sage: erneut — bemüht, Statusfragen doch eher herunterzuspielen.
    Da will ich Ihnen, Herr Kollege Bahr, eine Erinnerung nennen. Wir hatten gestern und vorgestern die Sitzung unserer Bundestagsfraktion in Berlin. Sie wissen sehr gut, daß bei den Beratungen der vier Mächte das Recht der Fraktionen, sich aus eigenem Recht im Deutschen Reichstag zu versammeln, strittig und schon beinahe weg war. Sie wissen, daß es den Vorschlag gab, die Parteien in Berlin sollten selbständige Gliederungen sein, die natürlich freundschaftliche Beziehungen zu ihren Freunden im Bundesgebiet hätten halten können, und auf deren Einladung hätte man dann vielleicht auch einmal in Berlin arbeiten können. Dies war Absonderung und das Gegenteil von der von uns erwünschten und zu erstreitenden Zusammengehörigkeit. Man war damals dabei, hier nachzugeben.
    Ich bin damals, Herr Kollege Bahr, wie manche wissen, nach Washington gefahren und habe wegen dieses und eines anderen Berlin-Punktes den Präsidenten der USA Nixon besucht. Soeben war die Rede von einem Brief, den der damalige Kanzler an Breschnew geschickt hat. Ich akzeptiere das. Wir haben damals alle versucht, für Berlin zu kämpfen. Wenn wir das nicht zurückgeholt hätten, wäre dieses Stück, scheinbar Statusfrage, weggewesen. Wenn wir schon nicht mehr mit der Bundesversammlung und dem Bundestag in Berlin tagen können, so ist es eines der Essentials der Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins, daß es ungestört zum Rechts-, Wirtschafts- und Finanzgebiet des Bundesgebiets gehört. Da müssen wenigstens Ausschüsse und Fraktionen aus eigenem Recht für alle Fragen in Berlin tagen können. Dies haben wir damals erreicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Dr. Barzel
    Dies sage ich nur, meine Damen, meine Herren, um noch einmal deutlich zu machen, was Statusfragen sind. Das sind Lebensfragen, keine Zwirnsfäden, und es ist Ausdruck vitaler Interessen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Wer hat das verhandelt, Sie oder Bahr? War das nicht Egon Bahr, der das ausgehandelt hat?)

    — Das kann man doch nachlesen, Herr Voigt, seien Sie ganz vorsichtig!

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Es war doch unsere Regierung!)

    — Die war doch dabei, das wegzugeben.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist unwahr! — Zuruf des Abg. Duve [SPD])

    — Herr Duve, seien Sie ganz vorsichtig, dies stimmt alles. Wir werden darüber debattieren können.
    Meine Damen, meine Herren, manchmal wird der Satz, den Konrad Adenauer gesagt hat, mißverstanden: Wir sind bereit, über vieles — das haben wir alle dann abgewandelt — mit uns reden zu lassen, wenn für die Menschen und für Deutschland etwas Besseres zu erreichen ist. Das ist alles richtig, aber das betrifft Geld, das betrifft Termine, das betrifft auch Protokollfragen. Darüber kann man immer reden. Über eines kann man dagegen nie reden: über den Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das sage ich jetzt an die Adresse des Kollegen Apel in seiner neu erstrebten Eigenschaft — er wird sie wohl nicht erreichen —:

    (Zuruf von der SPD: Er wird sie erreichen!)

    Hierzu gehört — das ist nicht „juristischer Kram" —, daß die deutsche Frage offen ist, daß wir uns in der völkerrechtlichen Sphäre — worüber wir uns einig waren, Herr Kollege Bahr, als Sie zu verhandeln begannen — wegen der alliierten Hoheitsrechte, wegen der Freiheit Berlins zurückzuhalten haben. Deshalb wiederhole ich: Unsere Beziehungen zur DDR sind von besonderer Art. Wir sind füreinander nicht Ausland. Das ist nicht ein Staat wie jeder andere auch, sondern der zweite Staat in Deutschland. So haben wir hier noch am 9. Februar 1984 in der Bundestagsdrucksache 10/914 gemeinsam beschlossen. Wer davon runter will, der soll das hier sagen.
    Meine Damen, meine Herren, nun ist der Herr Bundeskanzler — zwischen den Zeilen mehr als direkt — wegen der Gemeinsamkeit mißverständlich angegriffen worden. Ich bin ein Zeuge dessen, was er in unserer Fraktion gesagt hat, und ich habe ihn hier heute gehört. Es war dasselbe. Er hat gesagt: Wenn sich in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands die Zustimmung zu den Geraer Forderungen als ihre Position in der Deutschlandpolitik durchsetzen sollte, dann ist dies das Ende von Gemeinsamkeit — nicht weil wir dies so wollen,
    sondern weil Sie das herbeigeführt hätten. Also bitte keinen Popanz!

    (Beifall bei der CDU/CSU — Westphal [SPD]: Sie interpretieren den Kanzler! Er hat das selber anders gesagt!)

    — Herr Bundeskanzler, habe ich Sie falsch interpretiert? — Nein. Ich glaube, ich habe Sie richtig zitiert.
    Meine Damen, meine Herren, warum erwähne ich diese beiden Dinge im Zusammenhang mit der völkerrechtlichen Sphäre? Wenn man sich die Ge-raer Forderungen ansieht, stellt man fest, daß ihr politischer Gehalt doch ist, einige Fragen, die beim Abschluß des Grundlagenvertrages unlösbar schienen, nun durch Druck nachzuschieben und von den besonderen Beziehungen in die völkerrechtliche Sphäre zu kommen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich würde die Verantwortlichen der DDR gern auch einladen, sich das alles noch mal zu überlegen! Denn die besonderen Beziehungen liegen im Interesse aller Deutschen und Deutschlands. Die DDR sollte sich auch überlegen — ich sage dies ganz schlicht und deute es mehr an —, daß natürlich bestimmte Zahlungen und bestimmte Zutrittsrechte zum Gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaft einem Staat wie jedem anderen wohl nicht möglich sein könnten! Wer im Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 unterschreibt — ich zitiere —: „unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage" und das in die Präambel nimmt, darf uns jetzt nicht „Revanche" zurufen, wenn wir an unserer Vorstellung von der Lösung der nationalen Frage festhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen, meine Herren, es ist leider wahr, daß bei Übernahme der Regierung durch diese Koalition die Deutsche Frage für die allermeisten, auch draußen, zusammengeschrumpft war auf die Frage nach der Auskunft über den Zustand der Beziehungen zwischen zwei deutschen Staaten. Wir haben dann wieder von Deutschland und auch von zwei Staaten in Deutschland gesprochen. Wir werden dies weiter tun.
    Nur so ist Kontinuität gemeint. Wir meinen die Kontinuität mit Geschichte und Grundgesetz und mit dem, was Adenauer begonnen hat und was in West- und in Ostverträgen steht — auch die Westverträge gelten; wenn ich das noch mal in Erinnerung rufen darf.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte gern, Frau Vollmer, ganz wenige Sätze noch zu Ihnen sagen. Ich habe mich bemüht, vor Ihrer Rede das Programm Ihrer Partei zu lesen. Ich habe da eine Passage über Deutschlandpolitik nicht gefunden. Ich finde in Ihrer Politik hier, auch in Ihren programmatischen Äußerungen, viel Sensibilität für menschliche Probleme rund um den Glo-



    Dr. Barzel
    bus. Ich finde nichts an Sensibilität für die Lage der Menschen in Deutschland.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr!)

    Ich lese in Ihrem Programm — ich zitiere —: „Nur wenn das Recht an die Stelle der Gewalt tritt, kann die Menschheit überleben." Ein schöner Satz! Was ziehen Sie für eine Konsequenz für Deutschland daraus, Frau Kollegin Vollmer?
    Sie sagen, die Westpolitik habe nichts Gutes gebracht. Nun, zum Beispiel dies: Ihren Freimut und Ihre Freiheit, hier zu sein und zu reden, Frau Vollmer. Das wollte ich doch sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, in dem zweiten Punkt möchte ich ein Wort an einige sagen, die es angeht
    — es sind nicht alle —, zunächst im befreundeten Ausland. Da hat uns ja Rudolf Augstein dieser Tage einen ganzen Dornenstrauß von Zitaten aus dem Ausland zusammengeflochten, die belegen sollen, daß man draußen die deutsche Einheit nicht wolle. Und da ist zwischen den Zeilen, vor allem wenn man mehr als nur diese Auszüge kennt, — ich sage das offen — viel Ressentiment zu lesen. Freundschaft gebietet Offenheit. Deshalb sage ich dazu zwei Sätze.
    Erstens. Wir stehen endgültig auf der Seite derer, die Menschenrechte und Menschenwürde so wie wir auffassen und Politik als Dienst an Menschenrechten und Menschenwürde sehen. Da gibt es überhaupt kein Vertun.
    Deshalb das zweite. Meine Damen, meine Herren, wer noch mit vorgestrigen Ressentiments arbeitet, trotz einer nun 40jährigen deutschen Politik und Wirklichkeit, die demokratisch, verläßlich, friedfertig und berechenbar ist, der produziert nicht Fragezeichen gegen die deutsche Politik, sondern Fragen an sich selbst.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Vor allem aber — und das gehört in so eine Debatte
    — verkennen die, die so denken — ich richte es immer nur an die, die es angeht —, die Substanz der deutschen Frage.
    Aus guten Gründen haben sich in den 50er Jahren die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die USA im Artikel 7 des Deutschlandvertrags auf eine Politik der Wiedervereinigung im freiheitlichen Sinne geeinigt. Daß die Wiedervereinigung Deutschlands alle Nachbarn angeht und Sicherheitsfragen aufwirft und einschließt, war und ist allen bekannt. Ich komme darauf noch zurück. Ich sage aus guten Gründen — Herr Duve, da könnten wir uns doch vielleicht verständigen, weil die deutsche Frage sowohl eine — —

    (Zuruf des Abg. Duve [SPD])

    — Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Ich kann das nicht so schnell. Ich muß eines nach dem anderen aufbauen. Ich habe fünf Punkte. Am Schluß können wir sehen, wo wir miteinander oder gegeneinander stehen.
    Meine Damen, meine Herren, aus guten Gründen sagte ich, daß die deutsche Frage eine Frage von Menschlichkeit, eine Freiheitsfrage und eine Friedensfrage ist. Ich wiederhole: Uns stört nicht so sehr der zweite Staat in Deutschland. Die geschichtlichen Erfahrungen der Deutschen reichen aus, um mit solchen Wirklichkeiten zu leben, wenn sie für die Menschen annehmbar sind. Was uns stört und alle Gutwilligen rund um den Erdball ernsthaft stören sollte, ist die unannehmbare Lage für die Menschen in der DDR.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

    In Weimar, meine Damen und Herren, sind „Gedanken nicht frei" und „Männerstolz vor Königsthronen" ist auch literarisch nicht erlaubt. Sagen wir es darum ganz deutlich, — —

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Hickel [GRÜNE])

    — Wo sind sie auch nicht frei? Hier?

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Nein, Frau Hickel meinte, wo der Frauenstolz denn bleibt!)

    — Das war damals literarisch noch nicht vorgesehen, meine Damen, meine Herren.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Sagen wir es ganz deutlich: Die deutsche Frage, Frau Hickels, ist nicht eine Macht —, nicht eine Grenz- und auch nicht eine Territorienfrage. Sie ist zuerst eine Freiheitsfrage.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)

    Deutschlandpolitik heißt deshalb Freiheit, Menschenwürde, Freizügigkeit. Sie heißt für uns ganz bestimmt nicht — wie unsere Politik ausweist — Glanz und Gloria und bestimmt nicht hipp hipp hurra.
    Aber wir fragen die Welt: Warum eigentlich können die Deutschen in Dresden nicht leben wie die in Köln? In den Tagen vor dem Volksaufstand in der DDR, der am 17. Juni 1953 seinen Höhepunkt erlebte — ich habe das hier kürzlich bei unserer besonderen Sitzung zum Gedenken dieses Tages zitiert — rief der Arbeiter Eichhorn den Funktionären zu: „Wir wollen leben wie die Menschen — weiter wollen wir nichts!" Wer das nicht versteht und dagegen mäkelt — verzeihen Sie —, der sitzt nicht in demselben Boot wie wir!
    Die deutsche Frage ist, wie die Dinge liegen, auch eine Friedensfrage. Wir haben zumindest in meiner Generation erfahren, daß Krieg nur möglich ist, wo Volksverhetzung möglich ist. Und die ist nur möglich, wo Grenzen zementiert sind. Bei offenen Grenzen, bei Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Meinungen ist Volksverhetzung nicht möglich und ist deshalb Frieden gesichert. In dieser Frage, meine Damen und Herren, schuldet die DDR der deutschen Nation wie dem europäischen Frieden noch das allermeiste.
    Wenn wir schon eine solche Grenze mitten durch Deutschland ertragen sollen und müssen, muß diese erträglich und fair für die Menschen sein. Was ist, ist unerträglich, unannehmbar und nicht zumutbar. Diese Realität stellt nicht nur gute Nachbar-



    Dr. Barzel
    schaft in Frage, sie ist zugleich immer wieder eine Gefahr für das gewollte friedliche Mit- und Nebeneinander. Die deutsche Politik ist deshalb gut beraten, alles zu tun, um diese Grenze erträglicher und durchlässiger zu machen. Der Herr Bundeskanzler konnte in diesen Fragen ja eine erstaunlich erfolgreiche Bilanz vorweisen.
    Aber ich füge gleich hinzu: Mehr als Freizügigkeit ist von der DDR zu erwarten, allem voran, daß sie die Militarisierung des öffentlichen Lebens, die Erziehung zum Haß und den Druck auf die Gewissen einstellt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, Qualität und Substanz der deutschen Frage als Friedensfrage und als Entspannungschance zu begreifen, erhellt auch, wenn man diesem Gedanken folgt: Wir dürfen doch nicht so weit kommen, die erstrebte Entspannung allein oder vorwiegend von dringend notwendigen und erwünschten Abrüstungsgesprächen und -vereinbarungen zu erwarten. Waffen sind zunächst tote Werkzeuge — freilich von unterschiedlicher Gefahr, Herr Voigt. Wer ihre Zahl mindert, hat viel — und wir wünschen dies; der Kanzler hat es heute wieder gesagt —, aber er hat nicht alles erreicht. Wer politische Spannungsursachen abbaut — so ist Reykjavik, so ist der Harmel-Bericht aus der Zeit des Außenministers Willy Brandt und der Großen Koalition zu verstehen —, also vom Gegeneinander zur Zusammenarbeit kommt, mildert auch die militärische Gefahr. Solche Fortschritte in Deutschland können den Frieden stabilisieren. Wo — wie hier — die Waffen gefährlich geballt starren, ist doch jeder Schritt zu Verständnis, Verabredung und Gemeinsamkeit ein hoher Gewinn. Die auswärtigen Kritiker einer aktiven Deutschlandpolitik sollten auch deshalb ihre Position noch einmal überdenken.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Gäbe es hier in Deutschland Freizügigkeit — die Welt sähe anders aus, die Entspannung hätte eine Chance, und den Waffen wäre etwas von ihrer Gefahr genommen.
    Meine Damen, meine Herren, nicht daß wir uns hier falsch verstehen — deshalb wiederhole ich es noch einmal —: Natürlich muß die Zahl der Waffen vermindert werden. Ich glaube, etwas anderes wird mir keiner unterstellen wollen.
    Das, was wir früher sagten, ist, glaube ich, durch den Zeitablauf nicht falsch geworden: Man sollte Schritte zur Abrüstung mit Schritten zur Lösung der deutschen Frage, also dem schrittweisen Abbau von Spannungsursachen koppeln. Niemand soll aus dieser Lösung einen „einseitigen militärischen Vorteil ziehen". Nun wird wieder manch einer sagen: Das ist j a Avantgardismus. Nein, das steht bereits in einem Kommuniqué zwischen Adenauer und Eisenhower vom 18. Mai 1957. Es ist dann konkret in dem Herter-Plan vom 14. Mai 1959 ausgeführt. Ich möchte das nicht weiter zitieren.
    Wer den deutschen Status quo für immer erhalten will, fordert von uns nicht nur das Unmögliche,
    sondern verzichtet zugleich auf einen möglichen Baustein gesicherten Friedens in Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, das war — auf den Zuruf von eben — die Ziffer 2, die ich auch als solche bezeichnet zu haben glaube.
    Für alle Fälle sage ich jetzt: drittens. Ich beziehe mich auf die erneute Polemik aus östlichen Hauptstädten — ich weiß in diesem Zusammenhang den Hauptsatz des ersten Redners der Sozialdemokraten zu schätzen, weniger die dann folgenden einschränkenden Halbsätze — mit dem Vorwurf des Revanchismus. Dies zeigt doch für den, der das seit Jahrzehnten verfolgt, zum einen die konsequente Beharrlichkeit kommunistischer Westpolitik und zum anderen, daß die deutsche Frage ungelöst, also offen ist. Meine Damen, meine Herren, ich erinnere mit Bedacht und mit Betonung an die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion im Jahre 1955. Ministerpräsident Bulganin richtete an Bundeskanzler Adenauer unter dem 13. September ein Schreiben, in dem es heißt — ich zitiere aus dem amtlichen Schriftwechsel; das muß hier wieder einmal ins Protokoll —:
    Hierbei geht die Sowjetregierung davon aus, daß die Herstellung und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zur Lösung der ungeklärten Fragen beitragen wird, die das ganze Deutschland betreffen, und somit zur Lösung des nationalen Hauptproblems des gesamten deutschen Volkes — der Wiederherstellung der Einheit eines deutschen demokratischen Staates — verhelfen wird.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Die Sowjetunion wußte also und weiß, wer dieser deutsche Partner „Bundesrepublik Deutschland" ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es ist unfair, uns „Revanchismus" vorzuwerfen, weil wir in der deutschen Frage unverändert so denken, wie wir im Jahre 1955 bei dieser Verabredung dachten.
    Ich erinnere dann an die Bemühungen der Großen Koalition um Gewaltverzicht. Der Kern der damaligen Meinungsverschiedenheiten läßt sich doch in zwei Sätzen zusammenfassen: Die Bundesrepublik Deutschland erklärte sich zum Verzicht auf Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele bereit. Die Sowjetunion verlangte mehr: den Verzicht auf diese politischen Ziele. Das ist der Kern des händefüllenden Notenwechsels. In der Note vom 5. Juli 1968 verstieg sich die Sowjetunion dazu, uns wegen dieser friedlich verfolgten Ziele — ich zitiere — „friedensgefährdende Tendenzen" vorzuwerfen. Da wir hier — wir waren damals alle dieser Meinung — nicht nachgeben konnten und wollten, ging das nicht weiter.
    Dann kam 1969 Bundeskanzler Brandt. Sie wissen, was für eine Änderung kam: die DDR sei ein zweiter deutscher Staat, und er erklärte, von Wie-



    Dr. Barzel
    dervereinigung nicht mehr sprechen zu wollen. Aber einen Vertrag dieses Inhalts, den die Sowjetunion wohl gerne gehabt hätte, gibt es nicht. Sie hat einen Vertrag bekommen, vor dessen Ratifikation sie ein völkerrechtlich wirksames Dokument der Bundesrepublik Deutschland unwidersprochen zur Kenntnis genommen hat. Da heißt es — ich zitiere —:
    Die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die eine friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit im europäischen Rahmen anstrebt, steht nicht im Widerspruch zu den Verträgen, die die Lösung der deutschen Frage nicht präjudizieren.
    Und im „Brief zur deutschen Einheit", der zum Vertragswerk gehört, findet das so seinen Ausdruck: Die Bundesregierung stellt gegenüber den Vertragspartnern ausdrücklich fest, „daß dieser Vertrag nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt".
    Meine Damen, meine Herren, dieser Brief ist zugleich die Perspektive, nach der hier gefragt wird: Deutsche Politik hat auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Die Sowjetunion weiß doch wie wir alle — der Kanzler hat dies heute betont, ebenso der Außenminister —, daß wir an Frieden und Zusammenarbeit interessiert sind. Ich zitiere ausdrücklich die langfristigen Kooperationsabkommen vom 6. Mai 1978 und vom 1. Juli 1980; der Außenminister hat sie auch schon in die Debatte eingeführt. Ich glaube, in der Sowjetunion sollte man überlegen, daß es doch im Interesse aller liegt, nun die Beziehungen nicht auf eine Frage zusammenschrumpfen zu lassen, in der es kein Verständnis gibt, sondern diese breite Bahn friedlicher Zusammenarbeit zu beschreiten. Wir sind dazu bereit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Viertens. Ich möchte noch ein kurzes Wort an die Bürgerinnen und Bürger, aber auch an die Verantwortlichen in der DDR richten. Ich sage nur noch einmal: Wir wollen Frieden. Wir gehören zusammen. Wir wollen Frieden durch Zusammenhalt, wir wollen Frieden durch Zusammenarbeit, und wir wollen Frieden durch Freizügigkeit. Wir wollen zusammen arbeiten, nicht bevormunden. Wir wollen über alles sprechen — offen, ohne Tabus, friedfertig und geduldig —, und ich füge hinzu: so wie es sich für Deutsche gehört.
    Wir haben nicht vergessen, daß Erich Honecker im Oktober 1983 einen Brief an den Bundeskanzler Helmut Kohl schrieb, in dem er eine Forderung „im Namen des deutschen Volkes" erhob. — Das haben wir nicht vergessen. Auch drüben weiß man, daß dieses Volk lebt, daß dieses Volk zusammenkommen will. Wäre es anders, dann bräuchten die keine Mauer.
    Meine Damen und Herren, es ist noch viel aufzuarbeiten, was bei Abschluß des Grundlagenvertrages verbindlich vorgenommen wurde. Es kann also jetzt auch keiner, der noch ein bißchen größer ist, kommen und sagen: Was macht ihr hier für neue Geschichten. — Es fehlen noch eine Reihe von Vorhaben, die nicht abgeschlossen sind. Ich nenne z. B. das Kulturabkommen; es ist dieser Bunderegierung doch unleugbar gelungen, die Sache wieder flott zu machen.
    Ich komme zu meinem fünften und letzten Punkt. Ich glaube, daß alle Deutschen wie auch alle Nachbarn das Recht haben zu fragen: Was tut ihr, um das aus dem „Brief zur deutschen Einheit" zitierte Ziel zu erreichen, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit findet? Was sind eure Bausteine für diesen Zustand? — Natürlich kann eine Bundesregierung hier nicht alle Karten auf den Tisch legen. Aber ich wiederhole: Dieser Brief ist j a nicht nur ein Rechtsvorbehalt, hinter dem es sich getrost abwarten und verweilen läßt, sondern er ist eine Aufforderung und — wie unser Grundgesetz — eine Verpflichtung zum Handeln. Er umreißt die uns menschlich, geschichtlich und grundgesetzlich auferlegte Pflicht.
    Zu diesem — wie gesagt — nicht nur zu erhoffenden, sondern pflichtgemäß herbeizuführenden Zustand des Friedens gehört zunächst die gute Nachbarschaft. Das haben wir mit der DDR im Grundlagenvertrag verabredet. Wir drängen darauf, das zu verwirklichen; nach Norden, Süden und Westen ist das lebendige Wirklichkeit. Und da soll doch draußen keiner sagen: Was wollt ihr eigentlich mit der DDR besprechen?
    Wir wollen über gute Nachbarschaft sprechen. Da ist nichts hineinzugeheimnissen, und es besteht kein Grund, die Augenbrauen zu heben.
    Gute Nachbarschaft beginnt damit — ich sage es jetzt einmal nicht mit politischen Worten —, daß man einander grüßt, daß man dem Nachbarn weder seinen Dreck vor die Tür kehrt noch seinen Zaun beschädigt oder gar schießt.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Oder gar schießt!)

    Zur guten Nachbarschaft gehört, daß man einander besucht, daß man einander beisteht, vor gemeinsamen Gefahren warnt und sie notfalls miteinander bannt oder abwehrt und so fort. Ich habe einmal diese feuilletonistische Sprache gewählt, weil sie vielleicht verständlicher ist als das harte Deutsch von Juristen und Politikern.
    Also, wenn das so ist — und es gibt da wohl keinen Widerspruch —, ist mit der DDR das meiste noch zu regeln und nachbarlich zu gestalten. Ich füge hinzu: Ohne ein Mindestmaß an Zutrauen zueinander und auch an Verläßlichkeit aufeinander wird das nicht gehen. Hier muß auch manches, wie Adenauer das schon in Moskau gemacht hat, wie unter Vollkaufleuten, einfach durch Wort und Handschlag regelbar sein. Interessenausgleich gehört ebenso dazu wie die Notwendigkeit, einander weder zu überfordern noch zu übervorteilen.
    Zu diesem Zustand des Friedens gehört ja nicht nur unsere Nachbarschaft, sondern die in ganz Eu-



    Dr. Barzel
    ropa. Das heißt: Wir müssen alle Europäer als Nachbarn begreifen, das sehen, pflegen und beleben, also z. B. unsere Nachbarn im freien Teil Europas von unserer andauernden freiheitlichen Verläßlichkeit überzeugt halten wie das Verständnis für unsere nationale Frage -entwickeln, unseren Nachbarn im anderen Teil Europas unsere beständige Friedfertigkeit nahebringen, die Kontakte ausweiten, die Zusammenarbeit vertiefen. Auf diese Weise soll also eine europäische Überzeugung heranreifen, daß alle begreifen: Die Lösung der deutschen Frage ist gegen niemanden gerichtet; sie ist gut für alle in Europa; denn dies wäre der wesentlichste Schritt zu einer europäischen Friedensordnung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der Prozeß der westlichen Versöhnung, Zusammenarbeit und einer europäischen Vereinigung gelang — ich habe dies schon einmal zitiert, aber ich muß es noch einmal bringen —, weil Monnet und Schumann im Mai 1950 ein Konzept entwickelt haben, das uns heute selbstverständlich ist, nach dem Kriege aber sensationell war und mit dem Blick auf unsere Geschichte sensationell ist. Sie haben es ganz einfach formuliert — ich zitiere —: „An die Stelle der Rivalität soll treten die Zusammenarbeit und an die der Hegemonie die Gleichberechtigung."
    Wer eine europäische Friedensordnung sucht — und auch das wird nicht von heute auf morgen gehen, aber hier war ja nach Konzepten gefragt —, sollte sich, so meine ich, an dieses Rezept halten. Wir wenigstens glauben, daß die Geschichte diesen Weg sucht, nicht den der Konfrontation, des Krieges, des internationalen Klassenkampfes oder der Weltrevolution. Die Europäer haben — täuschen wir uns nicht — längst bei sich beschlossen — wie die Deutschen und die Franzosen —, daß sie miteinander leben und nicht gegeneinander schießen wollen — und auch die Europäer in Rußland fühlen so.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Frau Nickels [GRÜNE]: Bloß die Weltmächte nicht!)

    Daran kann gar kein Zweifel sein.
    Ich füge hinzu, damit wir hier nicht einen falschen Ton hören oder eine falsche Perspektive bekommen: Die nun schon jedermann offenkundigen Risse, Spannungen und Brüche im europäischen Imperium der Sowjetunion — und sie gehören j a wohl in den Hintergrund der Betrachtung dieser aktuellen Situation — sind nicht das Werk des Westens. Diese Sprünge und Spannungen kommen aus der Natur der Sache —, und gläubige Kommunisten wissen das auch.
    Im geltenden Parteiprogramm der KPdSU werden vor allem drei Kräfte bezeichnet, die nachhaltig wider die Weltrevolution wirken, nämlich die Religion, die Vaterlandsliebe und die Sozialpolitik. Inzwischen müssen gläubige Kommunisten merken, daß diese drei Wirkkräfte, die sie nach ihrer Erkenntnis daran hindern, in der Welt weiterzukommen, stärker sind als jedwede kommunistische Indoktrination in ihrem Herrschaftsbereich: Vaterlandsliebe, Religion und Sozialpolitik sind auch dort stärker.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deshalb, meine Damen, meine Herren — ich bin ein Optimist; sonst könnte ich meinen Beruf gar nicht ausüben —, bin ich davon überzeugt, daß irgendwann die Zeit kommen wird, in der man in Moskau eine nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen wird. Da wird man fragen, ob es eigentlich mehr nutzt oder schadet, ob es mehr hindert oder fördert, alles das, was man im Zweiten Weltkrieg erobert und besetzt hat, zu halten. Man wird fragen, ob das nicht zu teuer ist, ob es da nicht bessere Lösungen gibt. Ich füge hinzu: in dieser Perspektive, nicht per heute.
    In Moskau denkt und fühlt man nicht nur als Vormacht des Kommunismus. Moskau liegt immer noch in Rußland und wird da liegen bleiben, meine Damen und Herren.
    Zum Schluß meine ich: Wer etwas für Deutschland tun will, soll nach Berlin gucken. In Berlin kann man auf vielfältige praktische Weise — aber das ist heute nicht das Thema — etwas für die Zusammengehörigkeit, für das Blühen unserer Hauptstadt tun.
    Ich sage als letztes, meine Damen und Herren: Die deutsche Frage bleibt immer eine Herausforderung. Wer glaubt, die Antwort sei leicht, ist kein Realist. Wer deshalb aufgibt, ist kein Patriot.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Lias Wort hat der Abgeordnete Bahr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Der Kollege Barzel hat am Anfang seiner Ausführungen bedauert, daß der Sprecher der CDU erst jetzt zum Zuge kommt. Ich kann mich ihm insofern anschließen, als ich bedauere, nach dem Ablauf der Debatte nicht mehr Zeit zu haben, als ich jetzt habe.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich schließen Sie sich auch sonst an!)

    Zur Sache selbst habe ich festgestellt, daß der Bundeskanzler offenbar nicht in der Lage ist, die Fragen zu beantworten, die mein Parteivorsitzender heute gestellt hat, sondern dazu waren zum Teil offenbar Sie vorgesehen oder nötig, zum Teil der Bundesaußenminister. Wenn man sich in Erinnerung ruft, was der Bundeskanzler gesagt hat, dann muß man zu dem Ergebnis kommen: Er hat es offenbar gar nicht nötig gehabt, aus dem Urlaub zurückzukommen und endlich Ordnung zu schaffen. Man hat den Eindruck, als ob die Diskussionen über die Pannenregierung gar nicht existent gewesen wären. Es war doch wohl nicht so, daß er aus dem Urlaub zurückkommen mußte, um mit den Er-



    Bahr
    folgen fertig zu werden oder die Erfolge zu stoppen, sondern er mußte die Pannen stoppen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Nach dieser Rede nun Ihre Rede, Herr Bahr? Mein Gott!)

    Aber das ist nicht der wichtigste Punkt. Der wichtigste Punkt ist, daß wir zu den Fragen, die hier aufgeworfen worden sind, keine Antworten bekommen haben, jedenfalls nicht durch den Bundeskanzler. Statt dessen hat er sich — der Kollege Barzel ebenso — über Revanchismus ausgelassen. Er hat das mit Vorwürfen gegen die SPD verbunden.
    Meine Damen und Herren, das, was hier gesagt worden ist, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es keine einzige Äußerung der SPD gibt, mit der wir die Vertriebenen angegriffen haben. Das gibt es doch gar nicht. Das, was wir gemacht haben, war, darauf hinzuweisen, daß der Bundeskanzler es für richtig hielt, am 2. September dort zu sein, daß er es aber nicht für richtig hielt, am 1. September aus anderen Gründen etwas zu sagen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist ein Skandal!)

    Wenn wir über Revanchismus reden, dann finde ich es im Grunde unglaublich, daß weder der Bundeskanzler noch der Kollege Barzel zur Kenntnis nehmen oder berücksichtigen, daß es Äußerungen von Sozialdemokraten gegeben hat, die dem Vorwurf eines undifferenzierten Revisionismus gegen die Bundesrepublik Deutschland entgegengetreten sind.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Was heißt denn „undifferenziert"!)

    Herr Kollege Barzel, der Brief zur deutschen Einheit, über den Sie eben so ausführlich geredet haben,

    (Boroffka [CDU/CSU]: War Ihnen das zu ausführlich?)

    ist doch nicht eine Erfindung der CDU gewesen.

    (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)

    Das ist doch eine Erfindung gewesen, von der der Kollege Mertes sagt, es sei meine gewesen. Wie kommen Sie denn dazu, so zu tun, als müßten Sie heute den Brief zur deutschen Einheit gegen die Sozialdemokraten verteidigen?

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen wissen Sie doch — die beiden Herren, die dort hinten sitzen — genauso wie alle anderen,

    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Die hören gerade nicht zu! Herr Bahr gibt eine Antwort, und er hört nicht zu!)

    daß ich zur Mitte dieses Jahres in Moskau durchaus die Gelegenheit genutzt habe, um Gesprächspartner kompetenter Art darauf hinzuweisen, daß vor dem Brief zur deutschen Einheit gegenüber dem sowjetischen Außenminister von mir darauf aufmerksam gemacht worden ist: In der Perspektive des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion ist es nicht möglich, das legitime Recht und den natürlichen Anspruch auf Selbstbestimmung unter den Vorwurf des Revisionismus zu stellen. Wer das tut, schließt die Perspektive eines vielleicht sogar freundschaftlichen Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion aus. Als Ergebnis dieser von ihm akzeptierten Darlegungen ist dann der Brief zur deutschen Einheit geschrieben und auch angenommen worden.
    Ich habe darauf hingewiesen und wiederhole das vor dem Deutschen Bundestag: Wer diese Frage mit Revisionismus gleichsetzt, legt die Axt an die Wurzeln des Moskauer Vertrages.
    Auch der Kollege Barzel hätte feststellen können — entgegen dem, was er hier gesagt hat —, daß seit dieser Diskussion dieser unqualifizierte Vorwurf des Revisionismus, verbunden mit dem Brief zur deutschen Einheit, aus Moskau nicht mehr zu hören ist. Das, was heute aus der Sowjetunion an Revisionismusvorwürfen erhoben wird, richtet sich allein und ausschließlich gegen das Infragestellen bestehender Grenzen in Europa. In diesem Punkte sind wir, hoffe ich, einer Meinung.
    Ich habe vorhin sehr genau beachtet, daß es in den Ausführungen des Bundesaußenministers Passagen gegeben hat, denen die FDP-Mitglieder und die SPD-Mitglieder in diesem Hause applaudiert haben, aber leider nicht die Mitglieder der CDU/ CSU.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das ist doch auch ein Punkt, Herr Bundeskanzler, wo Sie nicht so tun können, als gäbe es gar nichts an unterschiedlichen Meinungen in der Koalition. Ich möchte ausdrücklich unterstreichen: Das, was der Bundesaußenminister vorhin gesagt hat zur Verbindlichkeit der Grenzen, zur Gültigkeit der Verträge, zum Nichterheben von Ansprüchen, auch in Zukunft nicht, findet die uneingeschränkte Billigung der SPD. Das entspricht übrigens auch den Verträgen. Wer das in Frage stellt und etwas anderes sagt, stellt im Grunde auch die Verträge in Frage.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Grenze des Jahres 1937 kann jeder in der Diskussion fordern; denn wir sind ein freies Land. Aber wenn man das tut, muß man wissen, daß man jedenfalls gegen Geist und Buchstaben der Verträge handelt.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn das ein Kabinettsmitglied tut und das ungeahndet durchgeht, darf man sich nicht wundern, wenn man das in Moskau und vielleicht auch anderswo wahrnimmt.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn der Bundeskanzler sagt, es gibt keinen Revisionismus, so sage ich: Das finde ich ja fabelhaft.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Es wäre gut, wenn es so wäre! Es gibt ihn natürlich!)

    Aber ich muß wirklich sagen, ich habe mit großen
    Bedenken gelesen — ich glaube, der eine oder an-



    Bahr
    dere von Ihnen wird das nachempfinden und vielleicht genauso lesen können —, daß der Kollege Dr. Hennig als Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen zur Feder gegriffen hat, wie es hier heißt — er ist immerhin Parlamentarischer Staatssekretär dieser Regierung und wird übrigens auch daran gemessen —,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Auch er ist ein guter Mann! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das tun Sie lieber nicht bei dem, was der sagt!)

    und zu den Ausführungen des Kardinals Glemp Stellung genommen hat. Zu denen ist ja in der Tat eine ganze Menge zu sagen. Darüber sind wir uns sicher einig. Aber die Formulierungen, die er dort benutzt hat, sind so nicht akzeptabel, finde ich. Er sagt:
    Übersieht der Oberhirte der katholischen polnischen Kirche wirklich, daß die so charakterisierten Menschen
    — die Vertriebenen —
    Betroffene eines völkerrechtlichen Verbrechens sind, das auf dem Gewissen des polnischen Volkes lastet wie die Verbrechen Hitlers auf dem unseren?
    Waren die Polen mit völkerrechtlichen Verbrechen so belastet wie wir durch Hitler?

    (Zuruf von der SPD: Ein schlimmer Satz!)

    Diese Gleichstellung kann man nicht akzeptieren.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Verbrechen sind Verbrechen! — Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Kohl wird es schon richten!)

    Ein paar Absätze später fügt er hinzu:
    Wie sollen sich Deutsche, wie soll sich gar eine deutsche Bundesregierung nach dieser unbegreiflichen Entgleisung für das Projekt einer groß angelegten kirchlichen Hilfe einsetzen?

    (Duve [SPD]: Hört! Hört! Das ist christliche Solidarität! Klein [München] [CDU/ CSU]: Eine Frage!)

    — Die Frage zu stellen heißt schon, die Hälfte der Antwort zu geben.
    Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß in dieser Revanchismus-Debatte außerdem klar sein muß, wo wir auf der Basis der Verträge stehen und stehen bleiben und wo wir aufpassen müssen, die Verträge nicht zu verletzen. Wenn das der Fall ist, gäbe es in der Tat keine Gemeinsamkeit.
    Jetzt möchte ich ein paar Bemerkungen zu dem machen, was der Kollege Genscher vorhin gesagt hat: „Übringens sollte niemand der Kampagne Vorschub leisten. Nicht alles, was aus dem Osten kommt, ist Propaganda." Diese Auffassung des Bundesaußenministers teile ich. Sie ist übrigens auch zu manchen Äußerungen zu sagen, die drüben vielleicht mißverstanden wurden und zu dem Vorwurf des Revanchismus geführt haben. Ich finde, daß seine Forderung, sich behutsam zu äußern, weniger an Sozialdemokraten gerichtet war als vielmehr an
    andere. Aber, Herr Bundeskanzler, hier hatten wir es doch mit der Größtkoalition zu tun, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Die Kritik an dem „Gerede", an den „Quatschereien", an dem „unqualifizierten Gerede" oder an dem „Affentheater" hat man aus Ost-Berlin, von Sozialdemokraten, von Herrn Strauß, von Herrn Jenninger gehört. Da gibt es doch eine Größtkoalition. Sie können doch nicht so tun, als gäbe es das gar nicht.
    Herr Genscher hat sehr interessant auf das reagiert, was die Kollegin Vollmer vorhin gesagt hat, und hat darauf aufmerksam gemacht, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland in unseren Vorstellungen davon ausgehen müssen, was ist. Das heißt, daß wir in Bindungen sind, aus denen wir nicht herauskommen, und daß andere in Bindungen sind, aus denen sie auch nicht herauskommen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]:... wollen!) Diese Auffassung teile ich uneingeschränkt.

    Ich glaube, Frau Kollegin Vollmer, daß die Vorstellungen, die Sie heute von einem eigenständigen und neutralen deutschen Weg entwickelt haben, für Sozialdemokraten nicht gangbar sind. Ich möchte dies auch noch mit einem Wort der Begründung versehen. Wir sind der Auffassung, daß es Sicherheit in dieser Zeit nur gemeinsam gibt. Das heißt, ich glaube nicht, daß, wie groß auch immer unsere Anstrengungen der Verteidigung sein mögen, wir in der Lage sein werden, einseitig Sicherheit vor dem Gegner zu bekommen.

    (Boroffka [CDU/CSU]: Welchem Gegner?)

    — Dem potentiellen Gegner, dem Warschauer Pakt, Sir. — Ich glaube, daß es nur möglich sein wird, gemeinsam mit dem Gegner Sicherheit zu bekommen. Das bedeutet aber gleichzeitig, wenn es nur gemeinsam Sicherheit gibt, daß es den Weg des Aussteigens nicht gibt. Das heißt, daß wir nur mit unseren Verbündeten und mit den Bündnissen Sicherheit bekommen werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit anderen Worten: Der Weg aus der Gemeinschaft in die Vereinzelung oder in die Neutralität wird nicht gehen. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht groß genug — nicht einmal ein wiedervereinigtes Deutschland wäre groß genug —, Sicherheit außerhalb der Bündnisse zu erreichen. Das ist vorbei.
    Der Bundesaußenminister hat im übrigen darauf hingewiesen, daß die Bilanz des Jahres 1984 noch nicht so schlecht ist. Ich bin der Auffassung, wir sollten in der Tat darauf zurückkommen. Ich fürchte, daß die Hoffnungen, die im Augenblick gemacht werden, sich nicht erfüllen werden. Aber bitte, wir werden darauf zurückkommen.
    Ich möchte nur auf eines noch hinweisen. Kollege Barzel hat sich darüber beklagt, daß die Opposition kritisiert und nicht eigentlich ihr Bedauern ausgedrückt hat über das, was dieser Bundesregierung nicht geglückt ist. Kollege Barzel, da Sie hier schon so 'oft und gerne zitiert haben, möchte ich Ihnen mit einem eigenen Zitat antworten, daß Sie einmal als Vorsitzender der Opposition in einer gleichfalls in-
    5942 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984
    Bahr
    teressanten Debatte im Februar 1972 gesagt haben:
    Allein diese Bundesregierung — ihre Fehler und ihre Unterlassungen — ist Gegner in dieser Debatte; allein diese Bundesregierung, nicht die Verantwortlichen in den Hauptstädten des Auslands, auch nicht in Moskau.
    Auch dies gilt, Herr Kollege Barzel, heute.

    (Dr. Barzel [CDU/CSU]: Aber Herr Bahr, das ist ein anderer Zusammenhang! Jetzt wirft er Nüsse und Birnen und Weihnachtsbäume, alles auf den Markt!)

    Jetzt komme ich auf die Situation der Jahre 1971 und 1972, jetzt komme ich auf das, was Sie gesagt haben, zum Thema Berlin. Zunächst einmal: Herr Kollege Barzel, hier ist völlig klar und muß auch völlig klar sein, daß das Ergebnis der Viermächteverhandlungen und das, was erreicht worden ist, das Ergebnis der Bemühungen der damaligen Bundesregierung gewesen ist. Auch ein Zweites muß völlig klar sein. Was Sie vorhin gesagt haben, war die Erinnerung an einige Wünsche und Forderungen des Ostens. Das ist völlig richtig. Die haben in der Tat eine viel stärkere Einschränkung der Aktivitäten des Deutschen Bundestages gewünscht. Die haben in der Tat auch gewünscht, was Sie vorhin gesagt haben, daß es nämlich selbständige Parteien in Berlin geben soll. Das stimmt. Bloß hätten Sie hinzufügen sollen und können,, daß wir in diesem Punkte völlig einer Meinung waren und daß es nicht akzeptiert werden kann, derartigen Forderungen nachzugeben, sie zu akzeptieren. Und, um das noch hinzuzufügen, wir haben ja auch erreicht, was wir gewollt haben.