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ID1008103000

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    Plenarprotokoll 10/81 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 81. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Inhalt: 35 Jahre Deutscher Bundestag 5855 A Genesungswünsche für Vizepräsidentin Frau Renger 5855 C Verabschiedung von Direktor a. D. Dr Schellknecht und Einführung von Direktor Dr. Bäcker 5855 D Glückwünsche zum Geburtstag des Abg Schulze (Berlin) 5855 D Begrüßung einer Delegation beider Häuser des japanischen Parlaments . . . . 5868 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksache 10/1800 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 — Drucksache 10/1801 — Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 5856 A Dr. Apel SPD 5869 A Dr. Waigel CDU/CSU 5880 B Verheyen (Bielefeld) GRÜNE 5889 B Hoppe FDP 5893 B Brandt SPD 5896 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 5902 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 5915 D Genscher, Bundesminister AA 5920 C Stobbe SPD 5929 C Dr. Barzel CDU/CSU 5933 B Bahr SPD 5939 D Rühe CDU/CSU 5942 D Büchler (Hof) SPD 5945 D Nächste Sitzung 5948 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 5949* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 5949* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 5855 81. Sitzung Bonn, den 12. September 1984 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 79. Sitzung, Seite 5806*: Der Name „Schulte (Unna)" in der Liste der entschuldigten Abgeordneten ist zu streichen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 13. 9. Antretter** 14. 9. Dr. Ehmke (Ettlingen) 12. 9. Eigen 14. 9. Dr. Enders** 12. 9. Haase (Fürth) ** 14. 9. Dr. Hackel** 14. 9. Dr. Holtz** 13. 9. Jaunich 14. 9. Junghans 14. 9. Dr. Klejdzinski** 14. 9. Dr. Müller** 14. 9. Reddemann** 14. 9. Frau Renger 14. 9. Reuschenbach 14. 9. Sauermilch 14. 9. Schäfer (Mainz) 14. 9. Schmidt (Hamburg) 14. 9. Schmidt (München) ** 14. 9. Frau Schoppe 14. 9. Schwarz** 14. 9. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 9. Graf Stauffenberg* 14. 9. Weiskirch (Olpe) 14. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 7. bis 11. Mai 1984 in Straßburg (Drucksache 10/1570) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften (Berichtszeitraum Oktober 1983 bis März 1984) (Drucksache 10/1622) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Berichten der fünf an der Strukturberichterstattung beteiligten Wirtschaftsforschungsinstitute (Strukturberichte 1983) (Drucksache 10/1699) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß Fünftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1982/1983 (Drucksache 10/1791) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zum Abschluß des Verfahrens der Konsultation des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine vierte Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 74/651/EWG über Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Waren in Kleinsendungen nichtkommerzieller Art innerhalb der Gemeinschaft (Drucksache 10/1711) zuständig: Finanzausschuß Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung zu den Beschlüssen von Fontainebleau (Drucksache 10/1840) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zur Sicherung der Zukunftschancen der Jugend in Ausbildung und Beruf (Drucksache 10/1716) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzende Stellungnahme zum Bericht der Bundesregierung zur zukünftigen Entwicklung der Großforschungseinrichtungen (Drucksache 10/1771) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Ergänzender Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Darlehensförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) (Drucksache 10/1734) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung über die Sondersitzung der Nordatlantischen Versammlung am 28. Mai 1984 in Luxemburg (Drucksache 10/1785) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den 1. Teil der 30. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 18. bis 21. Juni 1984 in Paris (Drucksache 10/1786) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die künftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", hier: Rahmenplan 1985 bis 1988 (Drucksache 10/1832) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und Aufhebbare Dreiundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste (Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung) (Drucksache 10/1860) 5950* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 6. Dezember 1984 vorzulegen. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 28. Juni 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehende Vorlage absieht: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Mandat vom 30. Mai 1980 (Drucksachen 9/1835, 10/358 Nr. 47) Der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 3. September 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Berichterstattung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung über die nachstehenden Vorlagen absieht: Bericht über die tatsächlich entstandenen Kosten des Fünften Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (Drucksachen 9/1209, 10/358 Nr. 63) Weiterer Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des § 12a des Tarifvertragsgesetzes — TVG — (Artikel II § 1 des Heimarbeitsänderungsgesetzes) (Drucksachen 9/993, 10/358 Nr. 62) Die in Drucksache 10/1510 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über Maßnahmen zur Deckung des Ausgabenbedarfs des Haushaltsjahres 1984 in Anbetracht der völligen Ausschöpfung der eigenen Mittel — KOM (84) 250 endg. — ist als Drucksache 10/1792 verteilt. Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 27. Juli 1984 mitgeteilt, daß der Ausschuß von einer Behandlung der nachstehenden EG-Vorlagen abgesehen hat: Vorschlag für eine Verordnung (EURATOM, EGKS, EWG) des Rates zur Angleichung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind — KOM (84) 257 endg. — (Drucksache 10/1691 Nr.2) Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Anpassung des Berichtigungskoeffizienten, der auf die Bezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften in Varese anwendbar ist (Drucksache 10/1510 Nr. 9) Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 13. Juli 1984 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 nebst Anlagenband und den Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1984 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Wirtschaftsplan, Anlagenband und Stellenplan liegen im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundeskanzler hat mit Schreiben vom 17. Juli 1984 gemäß § 32 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Jahresabschluß der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1982 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Jahresabschluß liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 3. September 1984 unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 6 des Postverwaltungsgesetzes den Geschäftsbericht der Deutschen Bundespost über das Rechnungsjahr 1983 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Geschäftsbericht liegt im Parlamentsarchiv zur Einsicht aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans Verheyen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen
    für den Beifall, den Sie mir schon im voraus haben zukommen lassen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ha, ha, ha! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das war Erbschleicherei!)

    Als diese Bundesregierung vor rund zwei Jahren ihr Amt antrat, hatte sie zwei Nachrichten für das Volk parat, eine gute und eine schlechte. Die gute Nachricht hieß: Mit der Gesundung der Staatsfinanzen wird ein neuer Aufschwung, eine neue dynamische Wachstumsphase eingeleitet, die eine Überwindung der Massenarbeitslosigkeit und Wohlstand für alle bringen wird. Die schlechte Nachricht: Hierfür müssen vor allem die sozial Schwachen, also Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und andere einkommensschwache Gruppen, drastische Opfer bringen.
    Heute nun wendet sich der Bundesfinanzminister erneut mit zwei Nachrichten an die Bevölkerung. Die gute Nachricht heißt heute, daß die Neuverschuldung des Bundes erfolgreich reduziert wurde. Die schlechte Nachricht: Es gibt nicht die geringsten Anzeichen dafür, daß die Massenarbeitslosigkeit noch in diesem Jahrzehnt überwunden und die soziale Schlechterstellung gerade der ärmsten Teile der Bevölkerung wieder rückgängig gemacht werden kann.
    Die Einsparungen im Sozialbereich der Jahre 1982 bis 1984 belaufen sich für Bundeshaushalt und abhängige Sozialversicherungen auf weit mehr als 100 Milliarden DM. An Opfern für Ihre Aufschwungpolitik hat es also nicht gefehlt.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wann kommt denn die gute Nachricht von der niedrigen Preissteigerungsrate?)

    Dennoch liegt nach Berechnungen des Ifo-Instituts die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen heute bei mehr als 3,5 Millionen.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie können ja noch nicht einmal rechnen!)

    Denn über eine Million, Herr Kollege, haben schon resigniert und melden sich bei den Arbeitsämtern schon gar nicht mehr. Über 600 000 Arbeitslose zählen mittlerweile zu den Dauerarbeitslosen, die länger als ein Jahr vergeblich Arbeit suchen.
    Das wirtschaftspolitische Credo dieser Bundesregierung besagt, daß die Rückführung der Neuverschuldung die Investitionstätigkeit des privaten Sektors belebt und damit den Aufschwung einleitet. Selbst wenn es so wäre — was wir bezweifeln —: Wo bleibt eine plausible Perspektive, wie die Massenarbeitslosigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraums abzubauen ist? Bei einer erwarteten Zunahme der Arbeitsproduktivität von jährlich 2 % wäre eine durchschnittliche Wachstumsrate des Sozialprodukts von mindestens 6 % erforderlich, um bis 1990 einen nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit zu erreichen.
    Nach Überzeugung der GRÜNEN führt dieses Konzept des Wachstums zu einer weiteren Verschärfung des Problems. Unter realistischen Annahmen errechnet sich bis 1990 eine weitere drasti-



    Verheyen (Bielefeld)

    sche Steigerung der Arbeitslosenzahlen. Arbeitslosigkeit und Abbau sozialer Sicherungen ergeben dann Zustände, die wir nur als Amerikanisierung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse bezeichnen können.

    (Kolb [CDU/CSU]: Die haben aber mehr Arbeitsplätze geschaffen!)

    In den USA Ronald Reagans ist es derzeit möglich, daß der größte Aufschwung der Nachkriegsgeschichte mit dem größten Anwachsen der Armut verbunden ist.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wer zahlt die meiste Entwicklungshilfe?)

    Ein solcher Aufschwung ist in Wirklichkeit ein gesellschaftlicher Abstieg und ein historischer Rückschritt.
    Die GRÜNEN haben angesichts des zentralen Problems der Massenarbeitslosigkeit Arbeitszeitverkürzungen befürwortet, weil dies der einzige Weg ist, mit den Produktivitätszuwächsen vernünftig umzugehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Bundesregierung dagegen fällt zu diesem Thema nichts anderes ein als die blinde Vertretung von Unternehmerinteressen.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Unternehmer und Arbeitnehmerinteressen!)

    Die Bundesregierung rühmt sich, ihre Sparpolitik habe, wie sie es nennt, neue finanzpolitische Handlungsspielräume geschaffen. Wir GRÜNE fragen: wofür eigentlich? Für die geplanten Steuergeschenke an Besserverdienende im Rahmen der angekündigten Einkommensteuerreform, die Sie fälschlich auch noch als Familienförderung bezeichnen? Oder für die Förderung von Modernisierung und Rationalisierung, einzig darauf ausgerichtet, auf den Weltmärkten erfolgreich zu konkurrieren, und zwar ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Folgen?

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Auch auf die sozialen Folgen, Herr Kollege Friedmann, in der Dritten Welt? — Oder für die Verkabelung und das Kabelfernsehen, mit der Folge, daß der Vereinzelung der Menschen Vorschub geleistet wird ohne jede wirtschaftliche Perspektive? Oder für die Kommerzialisierung der Gentechnologie, für die Sie im Verein mit der SPD Märkte der Zukunft erobern wollen, ohne vorab ausreichende Sicherheitsstandards festzuschreiben? Oder für eine Wiederaufarbeitungsanlage für Kernbrennelemente, deren Gefährlichkeit sich derzeit ja vor aller Augen zeigt, wenn man die Tatsache bedenkt, daß der französische Atomfrachter vor der belgischen Küste gestern zerbrochen ist?
    Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung bietet Wirtschaftswachstum aber nicht nur als Allheilmittel gegen Arbeitslosigkeit an. Auch für den Umweltschutz erklären Sie es zur Voraussetzung. Nur bei ausreichendem Wachstum — so lautet das Argument — könnten wir uns Umweltschutz überhaupt leisten. Für diese Regierung sind Umweltschutzmaßnahmen nichts anderes als ein Kostenfaktor, eine negative Größe. Der Haushaltsansatz für Maßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes erreichte 1984 gerade die Größenordnung von 0,4 % des Gesamtetats.
    In keinem Verhältnis dazu steht das Ausmaß der Zerstörung, das die natürlichen Grundlagen unseres Lebens — Luft, Wasser und Boden — ergriffen hat. Bereits heute sind mehr als 50 % unserer Wälder unrettbar verloren. Die rasche Zerstörung greift derzeit in großem Umfang auch auf andere Pflanzen über, so daß wir heute schon von Natursterben statt von Waldsterben sprechen müßten. Schäden in der Landwirtschaft sind bereits heute absehbar. Die Fruchtbarkeit unserer Ackerböden geht zurück. In zunehmendem Maße leiden Menschen unter Umweltkrankheiten: Allergien, Pseudo-Krupp und chronische Lungenkrankheiten sowie Leber- und Nierenschäden nehmen in bedrohlichem Maße zu.
    Wie wollen Sie eigentlich Menschen, die an umweltbedingtem Krebs erkrankt sind, Herr Stoltenberg, Ihre Sparpolitik in Sachen Umweltfürsorge plausibel machen?

    (Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

    Daß der Krebs heute schon die zweithäufigste Todesursache bei Kindern ist, wirft ein bezeichnendes Licht auf den Grad der Vergiftung der Umwelt.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Hier helfen auch die beliebten Ausreden der Politiker nichts, die die Zunahme des Krebses gerne auf das Rauchen und auf den Alterskrebs zurückführen. Gerade die letzten Monate haben diese Problematik für alle Zeitungsleser unübersehbar gemacht. Meldungen über Dioxinverseuchungen reißen nicht ab. Keine Region und keine Gegend der Bundesrepublik ist vor Krebsgiften sicher. In Kindergärten und Wohnungen, in Stadtbezirken wie in Erholungsgebieten, in der Kleidung und in der Nahrung haben Wissenschaftler lebensgefährliche Giftkonzentrationen aufgespürt.
    Giftmülldeponien wurden sogar als Baugrundstücke verkauft, wie Beispiele in Dortmund oder in meiner Heimatstadt Bielefeld belegen.

    (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Unglaublich!)

    Neben den mangelhaft abgesicherten Giftmülldeponien gefährden zirka 50 000 Altmüllplätze das Trinkwasser. Hinzu kommen zahlreiche Müllverbrennungsanlagen, die als Giftbeseitigungsanlagen konstruiert waren, sich aber heute als Giftverbreitungsanlagen erwiesen haben.
    Trotz dieser Hypothek geht die chemische Produktion immer neuer, zum Teil noch völlig unbekannter Gifte weiter. Hinzu kommt der Atommüll des angeblich sauberen Atomstroms, für den es bis heute noch keine sichere Entsorgung gibt.
    Die Bundesregierung macht — und das ist das eigentliche Problem — keinerlei Anstalten — sie nimmt nur Ankündigungen vor —, dieses gigantische Giftproblem in den Griff zu bekommen. Sie ist



    Verheyen (Bielefeld)

    weder gewillt, die Produktion von weiteren Giften zu stoppen, noch bereit, ein umfassendes Entsorgungsprogramm durchzuführen, das weiteren Schaden von der Bevölkerung abwenden könnte.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn eigentlich?)

    Kurz und schlecht: Diese Bundesregierung ist dabei, den kommenden Generationen eine Gifthypothek unvorstellbaren Ausmaßes zu hinterlassen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Deshalb meinen wir, es muß schnell, ja, sehr schnell gehandelt werden. Daher fordern wir Sofortmaßnahmen zur umfassenden Entgiftung der Umwelt. Die wichtigsten möchte ich Ihnen hier kurz vorstellen:
    Erstens. Maßnahmen zur Entgiftung der Luft und zur Rettung des Waldes: Unverzüglich und nicht erst in den 90er Jahren ist mit dem Bau von Entschwefelungs- und Entstickungsanlagen für alle Kohlekraftwerke zu beginnen. Parallel dazu muß eine rationellere Energieverwendung, z. B. durch Wärmedämmung und Nutzung der Abwärme, gefördert werden. Biogas, Solarzellen und Windenergie sind schnellstmöglich weiterzuentwickeln.
    Außerdem geht es um eine drastische Verringerung der Autoabgase: durch Tempolimit, und zwar auf Autobahnen 100 km/h und auf Landstraßen 80 km/h, durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme und durch die Einführung des Abgaskatalysators für alle Kraftfahrzeuge, nicht nur für Neuwagen.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre Fahrräder?)

    Zweitens. Maßnahmen zur Lösung der Giftmüllprobleme: Wir halten ein Sonderprogramm des Bundes zur Sanierung alter Giftmülldeponien und zur Einführung neuer Müllentsorgungsmethoden für dringend erforderlich.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Hierzu gehören die bundesweite Einführung der Müllvorsortierung nach giftigen und ungiftigen Bestandteilen sowie die Förderung des Recycling, insbesondere bei Papier, Glas und Metallen. Außerdem gehört hierzu die Sanierung der mehr als 50 000 Altmüllanlagen und Giftmülldeponien. Schließlich treten wir für eine Verstaatlichung des gesamten Bereichs der Giftmüllentsorgung ein. Denn die Erfahrungen haben gezeigt, daß die Durchführung derart gefährlicher Aufgaben nicht von privaten Wirtschaftlichkeitserwägungen abhängig gemacht werden darf.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Also kostet das doch was! — Kolb [CDU/CSU]: Darüber reden die nicht!)

    Drittens. Wir fordern ein Sonderprogramm zur Umstellung der Landwirtschaft auf biologischen Landbau. Es ist durch Umfragen zweifelsfrei erwiesen, daß die Mehrheit der Verbraucher durchaus
    bereit ist, für höherwertige, biologisch angebaute Nahrungsmittel höhere Preise zu bezahlen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Na, und wen trifft das? Den kleinen Mann!)

    Auch gibt es viele Landwirte, die ihren Betrieb gerne auf biologischen Landbau umstellen würden, wenn sie in der schwierigen Übergangsphase finanzielle Hilfestellung erhalten könnten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Angesichts der Überlastung der landwirtschaftlichen Böden mit chemischen Stoffen und der dadurch drohenden Gefährdung des Trinkwassers ist ein solches Programm mehr als überfällig.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Viertens. Wir fordern eine bundesweite Informationskampagne über Gifte in Haushalt und Wohnung.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und in der Literatur!)

    Jeder von uns muß täglich mit chemischen Stoffen umgehen, deren Gefährlichkeit kaum jemand einschätzen kann. Die jüngsten Skandale im Zusammenhang mit Dioxin und Formaldehyd haben diese Tatsache sehr eindrucksvoll belegt. Deshalb fordern wir ein 100-Millionen-DM-Programm, das den Verbraucherschutzverbänden für eine bundesweite Aufklärung zur Verfügung gestellt wird. Nur hier können wir sicher sein — im Gegensatz zur Bundesregierung —, daß Verbraucheraufklärung nicht zur Verbraucherberuhigung mißbraucht wird.
    Fünftens. Wir fordern ein Sonderprogramm zur Untersuchung giftiger Stoffe am Arbeitsplatz.

    (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Nur noch Forderungen!)

    Gerade Arbeitnehmer sind in besonders hohem Maße den Giften in besonders hohen Konzentrationen ausgesetzt. Hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf, da viele verdächtige Stoffe in ihrer Wirkungsweise nur ungenügend untersucht sind.
    In diesem Zusammenhang begrüßen wir das von den Gewerkschaften geforderte Forschungsprogramm zur Untersuchung krebserzeugender Stoffe. Gerade diese Substanzen sind besonders tückisch, da sich ihre Krankheitswirkungen oft erst nach zehn oder mehr Jahren feststellen lassen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sechstens fordern wir ein Sonderprogramm „sanfte Chemie". Wir meinen, daß die Zeit reif ist für einen Einstieg in den Umbau der chemischen Industrie.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Chemiekonzerne zählen zu den größten und wachstumsintensivsten Betrieben in der Bundesrepublik. Somit geht es hier um einen Kernbereich unserer Industriegesellschaft, dessen Umbau ebenso notwendig wie schwierig ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Verheyen (Bielefeld)

    Niemand kann zur Zeit sämtliche hierfür notwendigen Schritte exakt vorhersagen. Dazu ist dieses Problem zu vielschichtig. Techniker, Wirtschaftler, Gewerkschaftler und Politiker müssen hier mit den Beschäftigten der Chemieindustrie Hand in Hand arbeiten und nach neuen Wegen suchen. Das von uns geforderte Programm soll es ermöglichen, daß in jedem Chemiebetrieb ein Konversionskomitee finanziert werden kann, das eigenständig Forschungsmittel vergeben und Modellversuche zur Umstellung auf umweltverträgliche Produktionen durchführen kann.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu dem bekannten Argument sagen, derartige Sofortmaßnahmen seien nicht zu bezahlen. Wir sind davon überzeugt, daß dieses Programm auch bei einer strengen Sparpolitik relativ einfach zu finanzieren wäre.

    (Kolb [CDU/CSU]: Was kostet es denn?)

    — Ich komme darauf. — Die Maßnahmen zum Stopp des Waldsterbens würden bis 1990 ungefähr 20 Milliarden DM kosten. Davon können in dem entsprechenden Zeitraum allein 14 Milliarden DM durch den Abschied von den Verkabelungsplänen dieser Regierung aufgebracht werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die restliche Summe könnte aus einer Schadstoffabgabe der Energiewirtschaft finanziert werden, die dazu dient, daß der Umstellungsprozeß noch schneller vorangeht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die politische Alternative lautet für uns also: Rettung des Waldes statt Verkabelung der Republik.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zustimmung des Abg. Bindig [SPD])

    In die Maßnahmen zur Lösung der Giftmüllprobleme sollen nach unseren Vorstellungen vom Bund jährlich 1 Milliarden DM fließen, zusätzlich zu den Mitteln, die von der Chemieindustrie aufgebracht werden müssen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das wären bis 1990 für den Bundeshaushalt 6 Milliarden DM. Allein 7 Milliarden DM steckt die Bundesregierung in demselben Zeitraum in die Atomtechnologie.
    Hier lautet der politische Entscheidungsspielraum: Giftmüllentsorgung oder Produktion weiteren zusätzlichen Atommülls.
    Für die Maßnahmen zur Umstellung auf biologischen Landbau sollen jährlich 2 Milliarden DM vom Bund eingestellt werden. Diese können aus einem Teil jener Zusatzsubventionen finanziert werden, welche diese Bundesregierung erst kürzlich für die Landwirtschaft bereitgestellt hat;

    (Zuruf der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

    denn diese Mittel kommen zu mehr als der Hälfte nur den Großbauern und den industriell produzierenden Betrieben zugute.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir wollen, daß ein Teil dieser Ausgaben den klein-
    und mittelbäuerlichen Betrieben zugute kommt. Der andere Teil soll der Umstellung auf biologischen Landbau dienen.
    Unsere Alternative lautet also: Umstellung auf biologischen Landbau statt weitere Subventionierung der Großbauern!

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der FDP: Sie wollen doch Grund und Boden enteignen!)

    Für das Sonderprogramm „sanfte Chemie" fordern wir die Bereitstellung von jährlich 2 Milliarden DM.

    (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

    Die Subventionen für den Ausbau von Flugtechnologien, für Airbus, Spacelab und bemannte Raumstation verschlingen in den nächsten Jahren fast 10 Milliarden DM. Diese Mittel können von den interessierten Industrien selbst aufgebracht werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Gegen die bemannte Raumstation hat sich sogar der Forschungsminister persönlich ausgesprochen.

    (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Wir empfinden es als einen riesigen Skandal, daß diese 2 Milliarden DM nur deshalb ausgegeben werden, weil sich Herr Kohl von seinem Freund Ronald Reagan hat beschwatzen lassen, ein im Grunde amerikanisches Programm mitzufinanzieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Sie müssen sich vorstellen, daß diese 2 Milliarden DM viel mehr als den Betrag ausmachen, den Sie beim Mutterschaftsgeld gekürzt haben.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wieviel haben Sie denn schon selber zu den 2 Milliarden DM beigetragen?)

    Für uns lautet die Alternative auf jeden Fall: statt überflüssiger und kostspieliger Raumfahrt Entgiftung der Schlüsselindustrie Chemie.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Schließlich würde eine Informationskampagne über Gifte im Haushalt rund 100 Millionen DM kosten, das Sonderprogramm zur Untersuchung giftiger Stoffe am Arbeitsplatz 300 Millionen DM. Allein der Verzicht auf die geplante Volkszählung würde uns 371 Millionen DM ersparen. Weitere 15 Millionen DM könnte man aus der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien abzweigen; denn mit diesen Titeln wird j a bekanntermaßen alles andere gemacht als eine sachgerechte Informierung der Öffentlichkeit.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Alternative lautet hier: Volksaufklärung statt Volksauszählung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Verheyen (Bielefeld)

    Was wir zeigen wollen, ist nichts anderes als die Tatsache, daß Alternativen möglich sind. Auch zu den Problemen sozialer Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit könnten wir hier Alternativen darstellen, wenn wir dazu die Zeit hätten.
    Zeigen Sie endlich Mut und Bereitschaft zu einer grundlegend anderen Politik, die der Erhaltung der sozialen Substanz und der Natur absolute Priorität einräumt. Machen Sie eine Politik, die die Langzeitfolgen der Industrieproduktion zum zentralen Kriterium macht, und wälzen Sie die Entsorgungs- und Deponieprobleme nicht auf kommende Generationen ab.
    Wir haben nicht die Hoffnung, daß diese Bundesregierung zu einer so grundsätzlich neuen Orientierung bereit ist. Im Gegenteil: Sie gibt dem Druck nach, der von bestimmten Industrieinteressen auf sie ausgeübt wird, wie die Beispiele Buschhaus und Abgaskatalysator zur Genüge gezeigt haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Deshalb begrüßen wir es auch, daß die Umweltschutzverbände zum Boykott von Neuwagen aufrufen wollen, solange die Autoindustrie keine Abgaskatalysatoren einbauen will.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Genauso wichtig sind die für den Herbst geplanten großen Demonstrationen gegen das Waldsterben; denn der wachsende Widerstand in der Bevölkerung ist die einzig realistische Hoffnung für eine Änderung der Politik dieser Regierung.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Günter Hoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Haushaltsentwurf 1985 wird der im Herbst 1982 eingeschlagene Weg der Gesundung der Staatsfinanzen und der schrittweisen Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft konsequent fortgesetzt.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wenn ich den Kollegen Apel richtig verstanden habe, hat er sich als förderndes Mitglied derjenigen Institutionen angemeldet, die diesen Konsolidierungskurs konsequent und noch besser als bisher zum Erfolg führen wollen. Wir sollten für jede Unterstützung dankbar sein; denn hier brauchen wir noch einen langen Atem und Geschlossenheit. Auch wenn Sie, Herr Kollege Apel, künftiger Oppositionsführer in Berlin sind, werde ich dabei nie von einer Quantité négligeable sprechen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Apel [SPD]: 1:0! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der hat eine grüne Brille auf!)

    Bei der Konsolidierungspolitik wird mühsam Stein auf Stein gesetzt. Die Erledigung dieser Aufgabe bereitet mehr Last als Lust. Und doch haben die finanzpolitischen Entscheidungen der Koalition aus den Jahren 1982, 1983 und 1984 den Haushalt wieder auf ein solides Fundament stellen können.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Begleitet von der Kritik der Opposition und verständlicherweise der Betroffenen drängt sich hier und da schon wieder der Wunsch auf, den unbequemen Rotstift aus der Hand zu legen und wieder zum freudespendenden Füllhorn zu greifen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Viel zu früh!)

    Wir haben aber allen Anlaß, uns zur Konsolidierungspolitik zu bekennen und ihr auch weiter Priorität zu verschaffen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, dieses Schmuckstück unserer Politik ist sicher auch nicht ohne Makel. Aber mir scheint, wir haben hier einen Stein, aus dem man Funken schlagen kann, auch Funken der Begeisterung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es geht ja schließlich um mehr als nur um den Budgetausgleich. Letztlich hat die Konsolidierung, recht verstanden, eine ordnungspolitische Dimension. Die ordnungspolitische Aufgabenstellung lautet doch wohl, den Anteil des Staates an der von der Volkswirtschaft erbrachten Gesamtleistung wieder auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Es gilt sorgfältig abzuwägen, wo die Grenzen des staatlichen Fürsorgeprinzips mit ausgeuferten Ansprüchen an den Staat kollidieren und wo ein größeres Maß an Selbsthilfe nicht nur zugemutet werden kann, sondern im Sinne von mehr Eigenverantwortung, von mehr Liberalität auch zugemutet werden muß. Ob uns das gelingt, läßt sich an der Staatsquote messen.
    Bisher haben wir trotz der Anfangserfolge bei der Konsolidierung noch keine nachhaltige Absenkung der Staatsquote bewerkstelligen können. Deshalb dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. „Sparsamkeit ist eine gute Einnahme", sagte schon Cicero.
    Der Haushaltsentwurf 1985 und die mittelfristige Finanzplanung basieren auf realistischen Annahmen. Ich will deshalb jetzt auch nicht darüber spekulieren, in welchem Maße der Streik bei der Auseinandersetzung über die 35-Stunden-Woche die konjunkturelle Entwicklung beeinträchtigt hat. Ich will auch dahingestellt sein lassen, ob die durchgesetzten Tarifabschlüsse die Arbeitsmarktsituation tatsächlich begünstigt oder erschwert haben. Allerdings sollten wir darüber einig sein, daß die Form der Auseinandersetzung wahrlich nicht Modellcharakter haben sollte. Ideologisch und dogmatisch geführte Auseinandersetzungen sind in der Politik genauso unbekömmlich wie im Tarifstreit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Da es doch letztlich um die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht, sind Vernunft und Einigungswille gefragt und immer wieder Vernunft. Möge das Verhalten also abschrecken und keine Nachahmung finden.



    Hoppe
    Offene Fragen und zusätzliche Belastungen liefert aber nicht nur die noch ausstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst, sondern auch Europa. Der Jubel in Fontainebleau hat seinen finanziellen Ausdruck noch nicht gefunden. Die Stagnation aber kann nur überwunden werden, wenn der Kollaps vermieden wird. Dazu werden wir uns sicher noch in diesem Jahr beim Nachtrag für Europa wiedersehen.
    Schon jetzt erkennbar sind die Mehrkosten für die verabredete Erhöhung der Eigenmittel der EG aus der Mehrwertsteuer von derzeit 1 % auf 1,4 % ab 1986 und nach dem Eintritt von Spanien und Portugal von 1988 an auf 1,6 %. Wir wissen, daß die Anhebung der Grenze jeweils um 0,1 Prozentpunkte 1 Milliarde DM Steuermindereinnahmen für den Bund bedeuten.
    Darüber hinaus haben die getroffenen Entscheidungen für die Landwirtschaft, wie berechtigt sie auch immer gewesen sein mögen, doch das Mißverständnis entstehen lassen, daß man nur richtig gegenhalten muß, um auch in der Konsolidierungsphase für einzelne Gruppen etwas nach Hause holen zu können.

    (Beifall bei der SPD)

    Dabei können wir es uns wahrlich nicht leisten, schon wieder mit Bastelarbeiten an neuen Forderungskatalogen zu beginnen. Wir sparen j a schließlich nicht aus Jux und Tollerei, und es ist deshalb schon verwunderlich, daß das Wort vom Totsparen selbst in den Reihen der Koalition wieder Einzug hält.

    (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

    Nein, Sparen ist nicht Selbstzweck. Wir schaffen dadurch nur mühsam den Handlungsspielraum, um den Würgegriff der heimlichen Steuererhöhungen langsam lockern zu können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Grenzsteuerbelastung erdrosselt schließlich den Leistungswillen. Aber Steuersenkung und Familienlastenausgleich müssen in den durch Einsparung finanzierbaren Grenzen gehalten werden. Eine Finanzierung über eine neue Verschuldung ist ausgeschlossen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Maßnahmen sind andererseits als ordnungspolitische Klarstellung zur Erneuerung und Belebung der Marktwirtschaft unumgänglich. Sie gehören ebenso dazu wie künftige Schritte zur Entbürokratisierung und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Entfaltung wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Energien.
    Die Opposition setzt hier ihre Kritik an. Ihr ist die Haushaltspolitik zu statisch, sie vermißt gestaltende Maßnahmen. Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, nicht zuletzt der Jugendarbeitslosigkeit, und die Ausbildungsproblematik liefern die Stichworte für die Kritik und die Forderung nach Beschäftigungsprogrammen.

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist eine sehr gute Zusammenfassung!)

    Die Not der zwei Millionen Arbeitslosen kann in der Tat niemanden unberührt lassen. Die Gewährleistung einer qualifizierten Berufsausbildung ist für die Chancen der Jugendlichen gleichermaßen wichtig wie für die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft.

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sehr gut!)

    Darum ist es in der Tat die Pflicht aller verantwortungsbewußten Kräfte, in einer Phase des industriellen Umbruchs nach Lösungen zu suchen. Der kritische Dialog ist sicher geboten, und auch durch den politischen Meinungsstreit können wir zur bestmöglichen Lösung kommen. Aber ein wenig mehr Selbstkritik und etwas weniger Selbstgerechtigkeit sollten doch am Anfang dieser Diskussion stehen. Die Probleme und der Jammer am Arbeitsmarkt sind nun wahrlich nicht wie eine Sturzgeburt über uns gekommen. Wenn es denn Fehler und Mängel zu registrieren gibt, dann haben wir sie doch wohl alle gemeinsam zu verantworten.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP — Dr. Apel [SPD]: Da ist etwas Wahres dran!)

    Auch angesichts der gemeinsam gemachten Erfahrungen der Vergangenheit wirkt es wenig überzeugend, wenn die alten Rezepte neu aufpoliert wieder auf den Markt kommen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Peinlich ist in diesem Zusammenhang immer wieder das Schlagwort von der sozialen Demontage. Auch auf diesem Feld waren in der Vergangenheit kritische Ansätze vorhanden, die politischen Konsequenzen wurden aber nie gezogen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

    Ich darf in diesem Zusammenhang an die bohrenden Fragen erinnern, die Hans Matthöfer bei seinem Ausscheiden aus dem Amt als Finanzminister sich und der Öffentlichkeit gestellt hat.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Und Helmut Schmidt!)

    Er hat damals gefragt — das war im Mai 1982 —:
    Sind heute Rentenbezieher noch die Unterprivilegierten unserer Gesellschaft, die — weitgehend befreit von Sozialabgaben und direkten Steuern — oft genug neben ihrer bruttoangepaßten Rente weitere Einkünfte kulminieren können? Wie groß müßte eigentlich der Anreiz sein, damit es attraktiv bleibt, sich auch unter schwierigen Bedingungen um eine Arbeit zu bemühen und dann motiviert zu werden, die besten Arbeitsergebnisse zu erzielen?
    Und er hat weiter gefragt:
    Und wie hoch ist heute noch das Differential zwischen der Nettoposition eines Facharbeiters nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben und der Nettoposition derer, die soziale Versorgung mit Nebeneinkünften und Nebentätigkeit kombinieren können?

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Eine weithin noch zuwenig betrachtete, aber
    gerade in unserer gegenwärtigen Lage viel-
    Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984 5895
    Hoppe
    leicht fatale Folge von Sozialsystemen, die immer mehr Menschen erfassen, ist, daß sie vielleicht diese Menschen davon abhalten, ihre eigenen Kräfte so zur Entfaltung zu bringen, wie es ihnen eigentlich möglich wäre.
    Meine Damen und Herren, wenn wir heute versuchen, darauf eine Antwort zu geben, dann wirkt doch die Kritik der Opposition etwas fad.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was nun das „Totsparen" angeht, so hat der Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede wie schon auf der Pressekonferenz am 14. August die Fakten beim Namen genannt. Der sich aus der Schuldenlast ergebende Zinsdruck wird gleichwohl in der allgemeinen Diskussion immer wieder vernachlässigt, j a, Vergeßlichkeit wird hier geradezu kultiviert. In Wahrheit ist es uns bisher nicht gelungen, den Zinsausgaben Paroli zu bieten, im Gegenteil, der Anstieg der Zinslastquote ist ungebrochen. Im Jahre 1988 rechnen wir mit einem Anschnellen auf über 37 Milliarden DM. Das sind dann über 13 % der nach dem Finanzplan vorgesehenen Gesamtausgaben. Mit Recht hat Herr Stoltenberg darauf hingewiesen, daß von den rund 3 %, um die die Ausgaben von 1986 an steigen sollen, 1 % für die Zinsausgaben draufgeht. Wer bei diesem Zinsdruck und der Schuldenlast immer noch von „Totsparen" redet, der macht sich eigentlich lächerlich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, allein der Vergleich der jährlichen Zinsausgaben mit den Mitteln, die den einzelnen Ressorts zur Verfügung stehen, muß jedem den Handlungsbedarf einprügeln. Der Staat kann nicht unbegrenzt Schulden machen.
    Hier hat die neue Koalition den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, und die erkennbaren Erfolge geben uns recht. Sie basieren auf dem Vertrauen, das in unser Handeln gesetzt wird. Deshalb sage ich an unsere Adresse: Enttäuschen wir es nicht!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Solides Haushalten und Wirtschaften sind Mittel zum Zweck, Voraussetzung und Instrument politischen Gestaltens. Das gilt für die Innen- wie für die Außenpolitik. Die Freien Demokraten werden alles daransetzen, damit auf beiden Feldern Fortschritte erzielt werden. Daß Hans Apel der erste Sprecher der Opposition war, hat in einer gewissen Weise die Haushalts- und Finanzpolitik mit der deutschen Frage nahtlos verbunden. Beides sind wahrlich offene Fragen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, die Diskussion über den Honecker-Besuch vor und nach der Absage möchte ich nicht verlängern. Wer das erlebt hat, kann sich wirklich nur mit Eugen Roth helfen, der in einer Goethe-Betrachtung geschrieben hat:
    Nur ungern leuchten wir hinein in die Affäre Frau von Stein,
    wo sich die Welt den Kopf zerbricht: Hat er nun oder hat er nicht?

    (Heiterkeit)

    Hier lautete die quälende Frage „Kommt er nun, oder kommt er nicht?"
    Die Fixierung auf den Termin ist nun obsolet. Entscheidend aber ist, meine Damen und Herren, daß der Wille, den Dialog fortzusetzen, hüben und drüben fortbesteht und daß aufgeschoben nicht aufgehoben ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die Enttäuschung über das reichlich konfuse Theater um Honeckers Beinahe-Besuch sollte aber nicht vergessen machen, daß beide deutschen Staaten heute so etwas wie ein wärmender Hort der Hoffnung inmitten eines kalten Ost-West-Gegensatzes sind.
    Um in der Deutschland- und Außenpolitik auch künftig nachhaltig Einfluß nehmen zu können, brauchen wir weiterhin innenpolitisch stabile Verhältnisse. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik bestimmt aber nicht nur hier den Wirkungsgrad. Wir brauchen insgesamt neuen Schwung, um als gestaltende Kraft im internationalen Wettbewerb akzeptiert zu werden. Das geht in hohem Maße an die Adresse der Schulen, Universitäten und Unternehmen. Die Herausforderung, die mit der neuen technologischen Revolution zu bestehen ist, läßt sich nicht durch staatliche Direktive meistern.

    (Beifall bei der FDP)

    Der Staat muß allerdings die politischen Rahmenbedingungen verbessern, damit sich wirtschaftliche und wissenschaftliche Talente und Energien entfalten können.

    (Beifall bei der FDP)

    Bei der Umsetzung in die Tagespolitik sind Realitätssinn, Dialogfähigkeit und Kompromißbereitschaft gefragt und unverzichtbar. Es darf kein neuer Fanatismus entstehen, der demokratische Regeln nicht mehr gelten lassen will, weil die Ergebnisse ihm zuwider sind. Die Auseinandersetzungen darüber müssen offensiv, aber auch fair geführt werden, denn für die Sache der Demokratie können wir erfolgreich nicht mit Totschlagargumenten werben.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD)

    Im übrigen ist es nicht die Aggressivität der Gegner, die am Anfang eines politischen Niedergangs steht, sondern immer die Schwäche der eigenen Überzeugung.
    Meine Damen und Herren, für die anstehenden Haushaltsberatungen — und warum nur dort? — sollten wir vielleicht eine Lebensregel beherzigen, die mir auch heute noch durchaus brauchbar erscheint: Der Blick zurück im Zorn kann einem auf
    5896 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 81. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. September 1984
    Hoppe
    die Galle schlagen, der Blick voraus in Zuversicht erhöht das Wohlbehagen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)