Rede von
Dr.
Antje
Vollmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gerade auf Ihr Beispiel komme ich gleich noch. Das habe ich nämlich bedacht.
Selbst wenn die Betriebe ihr eigenes Getreide verfüttern wollen, ist es für sie von großem Vorteil, es wenigstens buchmäßig über den Zwischenhandel in der Genossenschaft laufen zu lassen. Genau das ist nämlich der Fall. und genau dies machen auch große Betriebe, die bei den Genossenschaften besondere Bedingungen aushandeln können. Sie wissen alle, daß das in der Praxis passiert.
Es ist in der Vergangenheit sogar passiert, ohne daß das Getreide überhaupt einen Zentimeter vom Platz bewegt worden ist, indem das einfach mit der Genossenschaft abgemacht worden ist.
Insbesondere haben sich die Genossenschaften bei den Betrieben auf diese Geschäfte eingelassen, die bei ihnen einen besonderen Einfluß hatten. Damit ist hier eine Möglichkeit geschaffen, völlig legal mit Staatsgeldern Schindluder zu treiben.
Wer aber hat den Nachteil davon? Es sind vor allem die Betriebe — das ist uns sehr wichtig —, die eine Kreislaufwirtschaft betreiben wollen, die also nicht nur und vorrangig für den Markt wirtschaften, vor allem die Kleinbetriebe, die ihr eigenes Getreide direkt verfüttern, vor allem die Futterbaubetriebe ohne Marktfrüchte. Das heißt, alle diejenigen, die sich nicht voll auf den Markt konzentrieren, haben den Nachteil.
So entpuppt sich diese Regelung der Mehrwertsteueranhebung gleichzeitig als eine Gesetzesvorlage zur strengeren Anbindung der Bauern an die Genossenschaften und an den Markt. Die Bauern werden zum Handel mit der Genossenschaft regelrecht gezwungen, ein Handel innerhalb von bäuerlichen Betrieben und ebenso die Nutzung eigener Mahl- und Mischanlagen, bei denen man diesen Vorteil nicht in Anspruch nehmen kann, werden damit unrentabel.
Ganz besonders negativ sind auch die Auswirkungen auf die Direktvermarkter. Bei ihnen müßte
sich die Erhöhung des Mehrwertsteueranteils in direkten Preiserhöhungen auswirken, die sie dann vom Verbraucher direkt einfordern. Während die Genossenschaften, wenn sie mehr Getreide in das Mischfutter einmischen, den erhöhten Mehrwertsteueranteil direkt vom Staat zurückbekommen, muß der Bauer, der seine Produkte direkt an den Mann oder — häufiger — an die Frau bringt, von diesem oder dieser direkt einen erhöhten Preis fordern, was sicher nicht ganz einfach ist, weil es ihm dann angekreidet wird.
Fassen wir zusammen. Diese Gesetzesvorlage gibt an, sie nutze der gesamten deutschen Landwirtschaft. Wenn wir näher hinsehen, verläuft es aber genau nach der Devise: Wachsen, Produzieren, Verkaufen, Umsatzmachen, denn nur der Umsatz wird honoriert. Diese Gesetzesvorlage begünstigt die Betriebe, die sich voll auf den Markt eingestellt haben, die im rein betriebswirtschaftlichen Sinn nach Unternehmerkriterien perfekt funktionieren. Sie benachteiligt die Betriebe, die noch bäuerlichen Kriterien verpflichtet sind, nämlich die kleinen Futterbaubetriebe ohne Marktfrüchte, die Kleinbetriebe, die nicht gewohnt sind, bei den Genossenschaften Handelsvorteile auszunutzen, die ökologischen Betriebe mit Kreislaufwirtschaft und die Bauern, die von alters her gewohnt waren, untereinander Handel zu treiben, die Direktvermarkter, die den Direktverkehr zum Verbraucher aufrechterhalten oder neu aufbauen wollen.
Diese Maßnahme — das sollten Sie ehrlich zugeben — wird zwar ab September einen Einkommenszuwachs, wenn auch sehr ungleich verteilt, in die bäuerlichen Betriebe bringen, dieser wird aber, wenn der Grenzausgleichsabbau von 5 % voll durchschlägt, ab 1. Januar 1985 durch die Preissenkungen mehr als aufgefressen, die dann zu erwarten sind. Wir haben jetzt schon Briefe von Genossenschaften aus dem Süden Deutschlands bekommen, die ihren Bauern Preissenkungen bei der Milch um 10 Pfennig angekündigt haben.
Daher können wir diesem Programm nicht zustimmen, selbst wenn wir gern jeder Hilfe zustimmen würden, egal, von wem sie käme, die den Bauern in ihrer schwierigen Einkommenssituation Erleichterung schaffen würde.
Ich will enden, wie ich angefangen haben, mit einem Spruch von Franz Josef Strauß. Dieser hat mal gesagt: „Wenn der Zug in die falsche Richtung fährt, ist jede Station falsch". Ich will dem ausnahmsweise einmal zustimmen, denn dieser Zug fährt in die falsche Richtung.
Ich danke Ihnen.