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ID1006204200

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    Plenarprotokoll 10/62 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. März 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4407 A Aktuelle Stunde betr. die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei angesichts der bedrohlichen Lage der Gefangenen in den türkischen Militärgefängnissen Schily GRÜNE 4407 B Dr. Pohlmeier CDU/CSU 4408 B Voigt (Frankfurt) SPD 4409 C Dr. Hirsch FDP 4410 B Genscher, Bundesminister AA 4411 A Frau Huber SPD 4411 D Graf Huyn CDU/CSU 4412 D Frau Luuk SPD 4413 D Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 4414 D Hoss GRÜNE 4415 D Schwarz CDU/CSU 4416 B Bindig SPD 4417A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1201 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1202 — 4417 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes — Drucksache 10/1108 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Fischer (Frankfurt), Dr. Jannsen, Frau Reetz, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes — Drucksache 10/1184 — Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 4418 B Fischer (Osthofen) SPD 4419 D Bohl CDU/CSU 4422 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 4424 D Kleinert (Hannover) FDP 4426 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes — Drucksache 10/1189 — Dr. Kreile CDU/CSU 4429 C Dr. Mertens (Bottrop) SPD 4430 D Gattermann FDP 4432 C Krizsan GRÜNE 4433 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 4434 C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1984 Beratung des Jahresberichts 1983 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1061 — Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 4435 B Heistermann SPD 4437 A Dr. Feldmann FDP 4438 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 4440 B Voigt (Sonthofen) fraktionslos 4442 C Nächste Sitzung 4444 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4445 *A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4445 *C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1984 4407 62. Sitzung Bonn, den 30. März 1984 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 30. 3. Austermann 30. 3. Bahr 30. 3. Dr. Becker (Frankfurt) 30. 3. Frau Beck-Oberdorf 30. 3. Breuer 30. 3. Brosi 30. 3. Buschbom 30. 3. Catenhusen 30. 3. Curdt 30. 3. Dörflinger 30. 3. Dr. Ehmke 30. 3. Engelsberger 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Franke 30. 3. Gallus 30. 3. Dr. Götz 30. 3. Dr. Häfele 30. 3. Heyenn 30. 3. Jaunich 30. 3. Klein (München) 30. 3. Dr. Kübler 30. 3. Kuhlwein 30. 3. Lambinus 30. 3. Liedtke 30. 3. Link (Diepholz) 30. 3. Lutz 30. 3. Metz 30. 3. Dr. Müller* 30. 3. Nelle 30. 3. Niegel 30. 3. Offergeld 30. 3. Porzner 30. 3. Frau Reetz 30. 3. Reuschenbach 30. 3. Sauer (Stuttgart) 30. 3. Schmidt (Hamburg) 30. 3. Frau Schmidt (Nürnberg) 30. 3. Schmidt (Wattenscheid) 30. 3. Schmitz (Baesweiler) 30. 3. Frau Schoppe 30. 3. Schröder (Hannover) 30. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 30. 3. Stücklen 30. 3. Tietjen 30. 3. Vahlberg 30. 3. Dr. Warnke 30. 3. Weiskirch (Olpe) 30. 3. Wischnewski 30. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wissmann 30. 3. Würtz** 30. 3. Zander 30. 3. Dr. Zimmermann 30. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Nutzung der Solartechnik für die Niedertemperatur-Wärmeversorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 10/1090) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. Januar bis 2. Februar 1984 in Straßburg (Drucksache 10/1096) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Konsolidierung und zum Ausbau des Europäischen Währungssystems im Rahmen der Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom März 1982 (Drucksache 10/1097) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 4. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1983 (Drucksache 10/1113) zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Mehrwertsteuer (Vorsteuerbelastung) (Drucksache 10/1122) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/84 - Zollpräferenzen 1984 gegenüber Entwicklungsländern - EGKS) (Drucksache 10/1156) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 3. Mai 1984 vorzulegen
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    Rede von Dr. Reinhold Kreile


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsdient! Meine Damen und Herren! Der Große Senat des Bundesfinanzhofs hat im Februar 1984 zwei bemerkenswerte und für die Fortentwicklung des Steuerrechts, insbesondere des Bilanzsteuerrechts, bedeutsame Entscheidungen veröffentlicht. Anlaß für diese Entscheidungen war die Frage, ob eine im Zusammenhang mit dem Betrieb stehende Geldbuße als Betriebsausgabe abgezogen werden kann. Der Große Senat hat diese Frage auf Grund des derzeit geltenden Steuerrechts bejaht, gleichzeitig aber den Gesetzgeber darauf hingewiesen, daß es seine Sache sei, die Gesetzeslage in Ordnung zu bringen.
    Dies tun wir nunmehr durch Vorlage eines von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragenen Gesetzes,

    (Krizsan [GRÜNE]: Ein bißchen spät, Herr Kreile!)

    eines Entwurfs, der die steuerliche Abzugsfähigkeit von Geldbußen und Geldstrafen als Betriebsausgaben oder als Werbungskosten ausschließt. Dies ist keine Korrektur der Entscheidung des obersten deutschen Finanzgerichts, des Bundesfinanzhofs, sondern wir respektieren den Hinweis des Bundesfinanzhofs, daß es Sache des Gesetzgebers sei, hier zwischen dem steuerrechtlichen Betriebsausgabenprinzip und dem strafrechtlichen Zweck der Geldbuße abzuwägen. Diese Abwägung nimmt der Gesetzgeber nunmehr vor und entscheidet sich dafür, daß der strafrechtliche Zweck der Geldbuße, ein unlauteres Gewinnstreben präventiv zu bekämpfen, den Vorrang hat.
    Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist deswegen so bedeutsam, weil sie bei dieser schwierigen und höchst unpopulären Frage mit einem der Grundprinzipien unseres Rechtsstaates Ernst machte, nämlich dem Prinzip der Gewaltenteilung. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung klar herausgearbeitet, was Sache der Rechtsprechung ist, und ebenso klar herausgearbeitet, was Sache der gesetzgebenden Gewalt ist, und daß eine Vermischung beider Gewalten das Recht nicht fördert, sondern zerstört.
    Es scheint mir deswegen wichtig zu sein, einige der Grundüberlegungen des Bundesfinanzhofs hier noch einmal festzuhalten.
    Das Gericht weist zunächst auf den auch im Einkommensteuerrecht verankerten Grundsatz hin,



    Dr. Kreile
    daß Betriebsausgaben Aufwendungen sind, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Sie sind dann durch den Betrieb veranlaßt — sagt der Bundesfinanzhof —, wenn sie objektiv mit dem Betrieb zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb zu dienen bestimmt sind. Betriebsausgaben mindern den Gewinn — so die klare, am Bilanzsteuerrecht orientierte weitere Feststellung des Bundesfinanzhofs —, es sei denn, daß das Gesetz einzelne Betriebsausgaben vom Abzug ausdrücklich ausschließt. Genau das aber tut das geltende Gesetz nicht.
    Der Bundesfinanzhof arbeitet das mit folgenden Überlegungen heraus — ich darf zitieren —:
    Steuerrechtlich ist der Abzug der Geldbuße bei der Ermittlung des Gewinns eine notwendige Folge des steuerrechtlichen Nettoprinzips. Der Steuerpflichtige erfüllt durch Zahlung der Geldbuße den Tatbestand einer Betriebsausgabe. Diese ist bei der Ermittlung des Gewinns abzuziehen. Das BVerfG hat das steuerliche Nettoprinzip, das ein Ausfluß der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist (...), grundsätzlich anerkannt, dem Gesetzgeber aber zugestanden, einzelne Betriebsausgaben vom Abzug auszuschließen (...).
    In der bisweilen recht hitzig geführten Debatte um diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs wurde der Begriff der „Einheit der Rechtsordnung" beschworen, wonach es nicht vertretbar erscheine, Straf- und Geldbußen durch Zulassung der steuerlichen Abziehbarkeit teilweise auf die Allgemeinheit zu überwälzen. Der Bundesfinanzhof hat hier die Dinge mit einer interessanten Bemerkung zurechtgerückt, wenn er darauf hinweist — ich darf nochmals zitieren —:
    Von „Überwälzen auf die Allgemeinheit" könnte man nur dann sprechen, wenn durch den Abzug der Betriebsausgaben ein bestehender Steueranspruch des Staates gekürzt würde. Das aber ist nicht der Fall; der Abzug der Betriebsausgaben dient der Feststellung des Steueranspruchs, ... Der Abzug von Betriebsausgaben ist daher kein „Steuervorteil", ..., sondern eine notwendige Folge des steuerlichen Nettoprinzips.
    Es ist deswegen Sache des Gesetzgebers, die Einheit der Rechtsordnung zu gewährleisten. Deswegen ist es auch Sache des Gesetzgebers, Geldbußen und — insoweit klarstellend — auch Geldstrafen durch gesetzliche Regelung vom Betriebsausgabencharakter auszunehmen. Der Gesetzgeber hat sich dieser seiner Aufgabe durch die nunmehr vorgelegten Gesetzentwürfe in der größtmöglichen Schnelligkeit angenommen.
    Der von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragene Gesetzesvorschlag zielt darauf ab, daß nicht nur für die Zukunft das bisher insoweit unvollständige Gesetz vervollständigt wird, sondern auch die noch offenen Fälle der Vergangenheit demselben Abzugsverbot unterworfen werden. Hier wird man jedoch sicherlich noch einige Überlegungen darüber anstellen müssen, ob es sich um eine im steuerlichen Bereich nicht zulässige Rückwirkung des Gesetzes handelt oder um eine steuerlich zulässige Gestaltung der noch offenen Fälle. Dabei geht es nicht um die Frage, ob bei einer Änderung der Rechtsprechung ein Vertrauensschutz besteht oder ein Vertrauensschutz behauptet werden kann. Vielmehr geht es darum, ob Steuerpflichtige darauf vertrauen können, daß ein bestehendes Gesetz bei ihnen angewendet wird, und zwar in der Auslegung, die das höchste Steuergericht diesem bestehenden Gesetz gibt.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Unsere Begründung, eine Rückwirkung sei deshalb zulässig, weil die Betroffenen nicht hätten damit rechnen können, daß der Bundesfinanzhof das Gesetz in einer bestimmten Weise auslegt, bedarf deswegen noch einer recht vertieften verfassungsrechtlichen Betrachtung, die wir in den Ausschüssen mit Sicherheit vornehmen werden.
    Ich sagte zu Beginn, daß die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, die Anlaß zu unserer heutigen Gesetzgebung sind, nicht nur bemerkenswert, sondern in vielerlei Hinsicht grundlegend sind. Ich wiederhole: Diese Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, diese Beschlüsse des Großen Senats haben das Verhältnis zwischen Gesetzgebung einerseits und Rechtsprechung andererseits erneut deutlich gemacht, vor Grenzüberschreitungen zwischen den verschiedenen Gewalten des Staates gewarnt. Die Klarheit, welche der Richter von dem Gesetz erwartet, das er anwenden soll, werden wir nunmehr durch unsere gemeinsame Gesetzesinitiative schaffen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Mertens (Bottrop).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Franz-Josef Mertens


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß für unsere heutigen Beratungen sind zwei Entscheidungen des Bundesfinanzhofs, veröffentlicht am 20. Februar 1984. In diesen Urteilen hat der Große Senat, abweichend von der bisherigen ständigen Rechtsprechung, Geldbußen, die wegen betrieblich veranlaßter Ordnungswidrigkeiten festgesetzt worden sind, als steuerlich abziehbare Betriebsausgaben anerkannt. Diese Entscheidung hat spektakuläre Schlagzeilen gemacht.
    Zum besseren Verständnis: Hintergrund dieser Entscheidung waren Klagen einer Hamburger Kosmetikfirma und der Stadtsparkasse Hildesheim. Im ersteren Fall wurde ein Bußgeld von 10 000 DM wegen Verstoßes gegen Wettbewerbsbestimmungen und im zweiten Fall ein Bußgeld von 800 000 DM deshalb verhängt, weil die Sparkasse ohne die erforderlichen Genehmigungen Wertpapiere ins Ausland verkauft hatte.
    Der Senat hat es für zulässig gehalten, diese Geldbußen steuerlich abzusetzen, und hat zur Begründung erstens ausgeführt, es gebe im Einkommensteuerrecht keine Sondervorschrift über die



    Dr. Mertens (Bottrop)

    Nichtabsetzbarkeit von Geldbußen, und zweitens stehe es dem Fiskus nicht zu, moralische Bewertungen vorzunehmen, weder bei den Einnahmen noch bei den Ausgaben. Wenn z. B. der Liebeslohn versteuert werden müsse, dann sei ein Bußgeld wegen einer verbotenen Preisabsprache als Betriebsausgabe auch steuermindernd. So der Tenor der Begründung.
    Meine Damen und Herren, in einem Rechtsstaat gebietet es die Einsicht, sich mit Kritik an der richterlichen Gewalt zurückzuhalten, weil sonst das Prinzip der Gewaltenteilung und das allgemeine Rechtsempfinden Schaden nehmen können. Ich will mich an dieses Gebot halten. Dennoch müssen einige rechtliche Anmerkungen gestattet sein.
    Die Entscheidungen des Großen Senats halte ich rechtlich nicht für zwingend. Es trifft zwar zu, daß das Steuerrecht keine ausdrückliche Regelung vorsieht, aber ich meine, Rechtslehre und Rechtsprechung haben genügend rechtstheoretische Instrumente entwickelt, um Gesetzeslücken zu schließen. Unter anderem hat im Steuerrecht der Gedanke der Rechtseinheit eine 60jährige Tradition. Dieser Grundsatz hat bisher verhindert, daß jemand, der ein Rechtsgut verletzt, die finanziellen Folgen dieser Rechtsverletzung auf die Allgemeinheit überwälzen konnte.
    Im übrigen läßt ein Blick in das Ordnungswidrigkeitengesetz erkennen, daß dort gerade die Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht Voraussetzung für die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen ist. Mit der Einheitlichkeit der Rechtsordnung aber läßt es sich nur schwer vereinbaren, gerade dieser Betriebsbezogenheit im Steuerrecht mit einer Abzugsfähigkeit ins Gegenteil zu verkehren.
    Schließlich heißt es expressis verbis in den Einkommensteuer-Richtlinien, daß Geldstrafen und Geldbußen nicht abzugsfähig sind.
    Daß es auch anders geht, hat der BFH selbst demonstriert, indem er in jahrzehntelanger ständiger Rechtsprechung entschieden hat — ich zitiere aus einem Urteil —:
    Die Rechtsordnung bildet eine Einheit, so daß es nicht angeht, Geldstrafen mittelbar dadurch zu mildern, daß ihre Entrichtung zu einer Steuersenkung führt.
    In Abkehr von dieser Rechtsprechung hat sich der BFH nun ausschließlich am Buchstaben des Gesetzes orientiert. Das gibt mir Anlaß zu einer letzten Bemerkung. Die ungute deutsche Rechtstradition des Rechtspositivismus, die nur nach dem Buchstaben, nicht aber nach dem Geist des Gesetzes fragt, sollte nicht wieder aufleben. Gerichte haben eben nicht die Aufgabe, lediglich Rezeptbuchurteile zu fällen; sonst könnte man sie auch durch Computer ersetzen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte noch einen Satz zu dem Interview sagen, das der Präsident des BFH dem „Handelsblatt" gegeben hat, in dem er das Urteil auch inhaltlich verteidigt. Herr Klein hat dort ausgeführt, bei der Versteuerung der Einkommen gelte das Prinzip „pecunia non olet", und es sei nicht verständlich, warum diese Wertneutralität bei den Ausgaben nicht gelten solle.
    Dieses Argument überzeugt mich nicht. Ich kann keinen Widerspruch zwischen einem Abzugsverbot von Geldbußen und der Besteuerung sittenwidriger Geschäfte erkennen. Beide Vorschriften haben denselben Grundgedanken. Es widerspricht der Steuergerechtigkeit, unzulässiges oder allgemein mißbilligtes Verhalten steuerlich zu begünstigen. Ich sehe jedenfalls keine doppelte Moral darin, wie Herr Klein zu meinen scheint, wenn wir als Steuergesetzgeber heute gemeinsam zu einer Gesetzesänderung antreten.
    Meine Damen und Herren, wie dem auch sei, es käme einem politischen Skandal gleich, wenn wir es bei dieser Rechtslage beließen. Die groteske Situation wird besonders deutlich, wenn man sie auf die Ebene des großen Geldes überträgt. Im September 1983 hat das Kartellamt mit 55 Millionen DM das bislang höchste Bußgeld gegen 77 Baufirmen verhängt. Im größten Bauskandal der Nachkriegszeit hatten die Unternehmen jahrelang Preise für Fabriken und Punktürme, für Kasernen und Krankenhäuser, für Brücken und Bankgebäude abgesprochen, und nach Schätzung von Experten sind dabei private Bauherren und der Staat um dreistellige Millionenbeträge geprellt worden.

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Das ist natürlich auch ein Baubehördenskandal!)

    — Sehr richtig. — Die betroffenen Unternehmen hätten jetzt allen Grund, tief durchzuatmen, wenn es bei dieser Rechtslage bliebe, denn von den verhängten 55 Millionen hätte der Steuerzahler möglicherweise 30 Millionen zu berappen.
    Aber auch Geldbußen wegen Verstoßes gegen Umweltbestimmungen können abgesetzt werden. Verklappt eine Firma ohne Erlaubnis Schadstoffe ins Meer, läßt ein Chemieunternehmen giftige Abwässer in den Rhein oder wird auf einer Mülldeponie heimlich Dioxin vergraben, Geldbußen könnten beim Finanzamt gegen die Gewinne aufgerechnet werden. Da müßten sich doch gerade die Unternehmen bestätigt fühlen, die Millionen damit verdient haben, daß sie die Kartellgesetze und die Umweltbestimmungen gar nicht erst zur Kenntnis nehmen.
    Aber auch kleine Sünden würden preiswerter. Autofahrer, die auf dem Weg zur Arbeit zu schnell gefahren sind, könnten das Strafmandat als Werbungskosten in die Steuererklärung einsetzen. Je höher das Einkommen, desto größer fiele die Steuerentlastung aus. Unternehmen könnten bis zu 70 % Steuern sparen. Ein Bußgeld von 1 Million DM könnte dann in Höhe von 700 000 DM auf die Allgemeinheit übergewälzt werden. Die kapitalkräftigsten Sünder würden also am meisten profitieren. Man müßte dann nur noch auf die sprichwörtliche Findigkeit mancher Abschreibungsfirmen vertrauen und könnte dann vielleicht sein Geld gewinnbringend in Bußgeldbescheide investieren.

    (Krizsan [GRÜNE]: Sagen Sie das nicht so laut!)




    Dr. Mertens (Bottrop)

    Dieser Zustand würde, wie der Kollege Gattermann formuliert hat, dazu führen, das gesamte System der Geldbußen ad absurdum zu führen, ja, mehr noch, meiner Meinung nach würde es regelrecht zum Rechtsbruch einladen. Verkehrs-, Wirtschafts- und Umweltsünder dürften die Kosten ihres individuellen oder unternehmerischen Fehlverhaltens der Allgemeinheit aufbürden. Der Staat honorierte per Finanzamt, was er zuvor bestraft hat. Meine Damen und Herren, das Rechtsempfinden muß vor Schmerzen aufschreien,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    aufschreien angesichts einer Situation, die vom normalen Steuerzahler und Staatsbürger als unerträglich empfunden wird. Dieser Rechtszustand darf nicht bestehen bleiben. Er ist ordnungspolitisch nicht hinzunehmen, weil letztlich die Berechtigung staatlichen Strafens in Frage gestellt wird, weil nebenbei die Moral im Straßenverkehr untergraben wird, weil damit der Devise „Der Zweck heiligt die Mittel" gefolgt würde.
    Dieser Zustand würde auch zweierlei Recht auslösen: Er stellte die Wirtschaftstätigkeit über das Privatleben und erhöbe die freie Marktwirtschaft über die Soziale Marktwirtschaft. Niemand darf sich wundern, wenn unter diesen Umständen sogar Betrügereien als Kavaliersdelikte erscheinen.
    Wir müssen die Steuergesetze so ändern, daß Ordnungswidrigkeiten im Bereich der Wirtschaft nicht länger für „in Ordnung" befunden und als reguläre Geschäftspraktiken anerkannt werden. Der steuerliche Freifahrtschein für Gesetzesübertretungen muß schleunigst eingezogen werden. Bußgelder müssen ohne Wenn und Aber weiter von den Verursachern gezahlt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat von Anfang an eine beschleunigte Gesetzesänderung gefordert. Wir begrüßen deshalb, daß auch die Regierungsfraktionen schnell gehandelt haben. Wir unterstützen auch den Nichtanwendungserlaß des Bundesfinanzministers, obwohl Sie, meine Damen und Herren von der Union, diese Meinung nicht immer vertreten haben.

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Wir vertreten die nie!)

    Sozialdemokratische Finanzminister haben deshalb herbe Kritik hinnehmen müssen.
    Wir unterstützen diesen Entwurf, halten ihn aber noch nicht für umfassend genug. Für uns ist nicht plausibel, daß Geldbußen, die von ausländischen Gerichten und Behörden außerhalb der EG verhängt werden, steuerlich absetzbar sein sollen. Uns erscheint es aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung geboten, die Nichtabzugsfähigkeit auch auf diese Fälle auszudehnen. Dabei gehen wir davon aus, daß das Abzugsverbot dann nicht gelten kann, wenn die Sanktionen wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung — im Sinne von ordre public — widersprechen würden. Wir begrüßen daher nachdrücklich die Initiative des Landes
    Schleswig-Holstein, das im Bundesrat dieselbe Meinung vertreten hat.
    Schließlich meinen wir, daß auch die mit einem Rechtsverstoß verbundenen Gerichts- und Anwaltskosten vom steuerlichen Abzug auszuschließen sind. Es ist nicht einzusehen, daß bei einer Verurteilung in einem Straf- oder Ordnungswidrigkeiten-verfahren die Allgemeinheit die Gerichts- und Anwaltskosten, die in erheblichem Umfange anfallen können, mittragen soll. Auch die Verfahrenskosten sollen den Täter persönlich treffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie diese Anregungen und diese Vorschläge der sozialdemokratischen Fraktion im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit berücksichtigen würden.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)