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ID1006203800

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    Plenarprotokoll 10/62 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 62. Sitzung Bonn, Freitag, den 30. März 1984 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 4407 A Aktuelle Stunde betr. die aktuelle Menschenrechtslage in der Türkei angesichts der bedrohlichen Lage der Gefangenen in den türkischen Militärgefängnissen Schily GRÜNE 4407 B Dr. Pohlmeier CDU/CSU 4408 B Voigt (Frankfurt) SPD 4409 C Dr. Hirsch FDP 4410 B Genscher, Bundesminister AA 4411 A Frau Huber SPD 4411 D Graf Huyn CDU/CSU 4412 D Frau Luuk SPD 4413 D Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU . . 4414 D Hoss GRÜNE 4415 D Schwarz CDU/CSU 4416 B Bindig SPD 4417A Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1201 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1202 — 4417 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes — Drucksache 10/1108 — in Verbindung mit Erste Beratung des von den Abgeordneten Fischer (Frankfurt), Dr. Jannsen, Frau Reetz, Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes — Drucksache 10/1184 — Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 4418 B Fischer (Osthofen) SPD 4419 D Bohl CDU/CSU 4422 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 4424 D Kleinert (Hannover) FDP 4426 D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes — Drucksache 10/1189 — Dr. Kreile CDU/CSU 4429 C Dr. Mertens (Bottrop) SPD 4430 D Gattermann FDP 4432 C Krizsan GRÜNE 4433 C Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . 4434 C II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1984 Beratung des Jahresberichts 1983 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages — Drucksache 10/1061 — Frau Krone-Appuhn CDU/CSU 4435 B Heistermann SPD 4437 A Dr. Feldmann FDP 4438 C Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 4440 B Voigt (Sonthofen) fraktionslos 4442 C Nächste Sitzung 4444 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4445 *A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 4445 *C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 30. März 1984 4407 62. Sitzung Bonn, den 30. März 1984 Beginn: 8.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 30. 3. Austermann 30. 3. Bahr 30. 3. Dr. Becker (Frankfurt) 30. 3. Frau Beck-Oberdorf 30. 3. Breuer 30. 3. Brosi 30. 3. Buschbom 30. 3. Catenhusen 30. 3. Curdt 30. 3. Dörflinger 30. 3. Dr. Ehmke 30. 3. Engelsberger 30. 3. Frau Fischer 30. 3. Franke 30. 3. Gallus 30. 3. Dr. Götz 30. 3. Dr. Häfele 30. 3. Heyenn 30. 3. Jaunich 30. 3. Klein (München) 30. 3. Dr. Kübler 30. 3. Kuhlwein 30. 3. Lambinus 30. 3. Liedtke 30. 3. Link (Diepholz) 30. 3. Lutz 30. 3. Metz 30. 3. Dr. Müller* 30. 3. Nelle 30. 3. Niegel 30. 3. Offergeld 30. 3. Porzner 30. 3. Frau Reetz 30. 3. Reuschenbach 30. 3. Sauer (Stuttgart) 30. 3. Schmidt (Hamburg) 30. 3. Frau Schmidt (Nürnberg) 30. 3. Schmidt (Wattenscheid) 30. 3. Schmitz (Baesweiler) 30. 3. Frau Schoppe 30. 3. Schröder (Hannover) 30. 3. Dr. Stark (Nürtingen) 30. 3. Stücklen 30. 3. Tietjen 30. 3. Vahlberg 30. 3. Dr. Warnke 30. 3. Weiskirch (Olpe) 30. 3. Wischnewski 30. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Wissmann 30. 3. Würtz** 30. 3. Zander 30. 3. Dr. Zimmermann 30. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Nutzung der Solartechnik für die Niedertemperatur-Wärmeversorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 10/1090) zuständig: Ausschuß für Forschung und Technologie (federführend) Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. Januar bis 2. Februar 1984 in Straßburg (Drucksache 10/1096) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Konsolidierung und zum Ausbau des Europäischen Währungssystems im Rahmen der Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom März 1982 (Drucksache 10/1097) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 4. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1983 (Drucksache 10/1113) zuständig: Haushaltsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Entwicklung der mit den Verkaufserlösen und Betriebsausgaben in der Land- und Forstwirtschaft anfallenden Mehrwertsteuer (Vorsteuerbelastung) (Drucksache 10/1122) zuständig: Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Zustimmungsbedürftige Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 3/84 - Zollpräferenzen 1984 gegenüber Entwicklungsländern - EGKS) (Drucksache 10/1156) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 3. Mai 1984 vorzulegen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Roland Vogt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und, vor allem, in Solidarität: Liebe Juristinnen und Juristen in der Ausbildung! Ich beginne mit einem der wohl berühmtesten deutschen Juristen und zitiere:
    Es erben sich Gesetz' und Rechte
    Wie eine ew`ge Krankheit fort;
    Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte
    Vernunft wird Unsinn, Wohlstand Plage; Weh dir, daß du ein Enkel bist!
    Vom Rechte, das mit uns geboren ist,

    (Helmrich [CDU/CSU]: Am „Wohlstand" hängt er! „Wohltat Plage" heißt es! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Erstmalig in der leidvollen deutschen Juristengeschichte ist 1971 der Versuch gemacht worden, mit Jahrhunderten starrer Rechtsanwendungstradition schon in der Ausbildung des angehenden Juristen



    Vogt (Kaiserslautern)

    zu brechen, und zwar durch eine Verschränkung von Theorie und Praxis, durch den Versuch, dem jungen Juristen schon in einer frühen Phase seiner Ausbildung die gesellschaftlichen Bezüge des Rechts zu vermitteln. Willkommene Nebenwirkung dieser sogenannten einphasigen Juristenausbildung war und ist noch, in all den Fällen, wo sie weiterhin praktiziert wird, die Verkürzung der Ausbildungszeit, Herr Engelhard. So sagt der jetzige Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg in einem durchaus kritischen Rückblick auf seine Bielefelder Erfahrungen mit der einstufigen Juristenausbildung: Ich zitiere — ich hoffe, diesmal ist das Zitat für Sie eine Wohltat —:
    Soweit man das zur Zeit erkennen kann, sind die Absolventen der Bielefelder Ausbildung in der beruflichen Ausbildung und in der beruflichen Praxis keineswegs schlechter als vergleichbare Assessoren.

    (Kleinert [Hannover] [SPD]: Das ist schon mal was!)

    — „Sie sind allerdings durchweg fünf Jahre jünger", heißt es weiter in dem Zitat, Herr Kleinert.
    Was hinzugefügt werden muß: Sie können sich bei einer solchen Ausbildung auch in bezug auf das Lebensalter mit der Kollegin und dem Kollegen aus EG-Ländern wie Frankreich und Italien messen. Der frühvergreiste, innerlich gebrochene, durch die unendliche Stoffülle verunsicherte Jurist deutschen Typs, der sich in seiner Verängstigung als Vielzweckwaffe einer jeden Obrigkeit einsetzen ließ, schien durch die Reform von 1971 tendenziell der Vergangenheit anzugehören.
    Erstmals hätte Justitia das von Goethe in dem eingangs gewählten Zitat beklagte Krankhafte abstreifen können. Erstmals keimte die Hoffnung, der Alptraum eines Volksgerichtshofsrichters Rehse oder des ihn freisprechenden Nachkriegsrichters Oske könne der Vergangenheit angehören. Das Bild vom fürchterlichen Juristen à la Filbinger hätte vielleicht verblassen können. Der sich bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit als Volljurist rühmende und so Kritik in Schach haltende Bürokrat höherer Weihe von der Spezies, wie sie soeben in mannigfacher Verkörperung vom Ministerialrat bis zum Minister durch den Untersuchungsausschuß Kießling gestelzt und gestolpert ist, wäre vielleicht nach und nach einem demütigeren, praxisnäheren Typus Jurist gewichen. Denn hinter den Reformbestrebungen von 1971 stand doch auch der Verdruß über einen Juristen, der nur stur Gesetze anwendete, welche Gesetze er auch immer anwendete.

    (Helmrich [CDU/CSU]: Wollen Sie zurück zum politischen Richter?)

    — Das waren doch politische Richter! Die haben's nur nicht gemerkt. Das waren die grausamen Positivisten,

    (Helmrich [CDU/CSU]: Deswegen habe ich j a gefragt! Ungeheuerlich!)

    die wegen eines Scherzes in der nationalsozialistischen Zeit Urteile mitverantwortet haben, z. B. Herr Rehse, deren Beratung Roland Freisler schon mit dem Satz eingeleitet hatte: „Rübe runter!"

    (Bohl [CDU/CSU]: Also wenn Sie von Rechtspositivisten reden, müssen Sie auch von Kelsen reden!)

    — Das ging dann in der juristischen positivistischen Anwendung j a ganz korrekt zu, Herr Kollege. Oder ich erinnere an die Erbgesundheitsgerichte, wo man sich berühmt hat, daß nun diese beiden Stände der Mediziner und der Juristen zueinander gefunden haben und wo man z. B. angeblich Erbkranke sterilisiert hat. Alles juristisch korrekt, Herr Kollege! Und Sie sagen, das waren keine politischen Urteile.

    (Helmrich [CDU/CSU]: Ist das eine Frage der bisherigen Juristenausbildung? Das sagen Sie doch!)

    — Es hat damit zu tun.

    (Helmrich [CDU/CSU]: Unerhört!)

    Die Reformen ließen sich gut an. Das 1971 einstimmig vom Bundestag angenommene Experiment der einstufigen Juristenausbildung

    (Bohl [CDU/CSU]: Von rechtsphilosophischen Entwicklungen haben Sie noch nichts gehört!)

    hat gerade in den letzten Jahren Zuspruch und Ermutigung gefunden. Noch 1977 wurden derartige einstufige Ausbildungsgänge z. B. in Bayreuth eingeführt. Die Aufnahmekapazität der meisten Einstufenmodelle konnte vergrößert werden. So nehmen z. B. zur Zeit in Bielefeld 440 Studienanfänger und -anfängerinnen ihre juristische Ausbildung auf. Der Anteil der Absolventen der einstufigen Juristenausbildung beläuft sich gegenwärtig auf etwa 10 %. Theoretiker und Praktiker stimmen weitgehend darin überein, daß sich die einstufige Juristenausbildung bewährt hat.
    Noch am 25. Januar dieses Jahres hat eine öffentliche Anhörung des Justizausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer uneingeschränkt positiven Beurteilung geführt, der sich übrigens auch Ihre CDU-Kollegen im Ausschuß angeschlossen haben.
    Ein umsichtiger Gesetzgeber würde nach der zwölf-, dreizehnjährigen Erprobungsphase sorgfältig die Ergebnisse der über das ganze Bundesgebiet gestreuten Experimente auswerten. Er würde die Berufsorganisationen der Juristen um ihre Meinung fragen — daß dies nicht geschehen ist, haben wir von dem Kollegen der SPD gehört — und schließlich zu einem wohl abgewogenen Urteil hinsichtlich der Fortschreibung und der Verankerung der neuartigen Ausbildungsform kommen.
    Ginge die Initiative vom zuständigen Bundesjustizminister aus, so hätte dieser bei sorgfältigem Abwägen des Für und Wider einen beachtlichen, wissenschaftlich vorgehenden Apparat zur Seite.
    Meine Damen und Herren, das ist aber leider nur die Bilderbuchvorstellung oder die Träumerei eines



    Vogt (Kaiserslautern)

    Erstsemesters in Staatsbürgerkunde. Denn was geschieht in Wirklichkeit? Da das Experiment Einphasenausbildung nach dem Willen des Gesetzgebers von 1971 1984 auslaufen soll, erwacht die kranke Hierarchie eines deutschen Ministeriums und produziert einen Gesetzentwurf, der von Hessens Justizminister, dem derzeitigen Vorsitzenden der Justizministerkonferenz, „ein Werk der Enkel Kaiser Wilhelms" genannt wurde.

    (Helmrich [CDU/CSU]: Zur Zeit ist es der Saarländer, nicht der Hesse! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Der war mal Vorsitzender!)

    — Also, meinetwegen: der ehemalige Vorsitzende.
    Der Herr Bundesminister Engelhard, der, wäre er weitsichtiger gewesen oder besser beraten worden, wirklich genügend Zeit zur Bewertung des Experiments gehabt hätte, sieht sich unter Zeitdruck und liefert ein Konstrukt, das, wie Karl-Heinz Krumm zu Recht beklagt, „aus kleinen Retuschen des Herkömmlichen und Etikettenschwindel besteht" und „auch bei großzügiger Interpretation die Bezeichnung Reform nicht verdient".

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Herr Justizminister Engelhard, Sie kommen mir vor wie ein Examenskandidat, der wie gelähmt die ersten Stunden der Klausurarbeit vertrödelt und dann in der letzten Stunde unter psychischem Druck, den Sinn der Aufgabe verkennend, eine ihm bekannte Entscheidung den an sich zu lösenden Sachverhalt aufquetscht.

    (Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: Aber der hat beide Examen bestanden! — Dr. Miltner [CDU/CSU]: Wie viele juristische Examen haben Sie denn bestanden, Herr Kollege?)

    Der Unterschied zu dem Kandidaten, der sich durch die schlechte Zeiteinteilung die Aussicht auf ein gutes Examen verbaut, ist freilich der, daß Sie mit Ihrer gesetzgeberischen Tatbestandsquetsche ganzen Generationen künftiger Juristen ein Stück Zukunft verbauen und der ganzen Gesellschaft die Chance rauben, einen wirklichkeitsnäheren, dem real existierenden Mitmenschen gerecht werdenden Juristenstand zu erleben.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Ich zitiere wieder den schon erwähnten Kommentator einer Frankfurter Zeitung. Er sagt — und ich schließe mich ihm an
    Man wollte in diesem Bereich die Zukunft gewinnen und hat die Vergangenheit zementiert.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich habe hier nicht die Zeit, näher auf den SPD-Entwurf einzugehen. Aber ich schließe mich dem Befund eines sachkundigen Kritikers, nämlich Professor Dieter Hart, an. Er nennt den SPD-Vorschlag „reformorientiert, aber chancenlos", während aus seiner Sicht der Regierungsentwurf „chancenreich, aber orientierungslos" ist.
    Meine Damen und Herren, haben wir wirklich nur die Wahl zwischen diesen beiden Extremen? Die GRÜNEN versuchen, der gesellschaftlichen Pattsituation — insbesondere, wenn man die Betroffenen bedenkt — in der Beurteilung der beiden zur Zeit konkurrierenden Ausbildungskonzepte gerecht zu werden. Der entscheidende Ausgangspunkt unseres Gesetzentwurfs ist der, daß ein langfristiges Reformvorhaben wie die Juristenausbildung nicht unter dem Druck gegenwärtiger Kapazitätsprobleme gelöst weden kann. Wir alle würden unseren Beruf zur Gesetzgebung verfehlen, wenn wir, geschockt durch den zu erwartenden Andrang, in den kommenden Jahren der Juristenschwemme dadurch beikommen wollten, daß wir die Studenten durch die altbekannte Knochenmühle der zweiphasigen Juristenausbildung aus Kaiser Wilhelms Zeiten leiten würden. Wir schlagen vor, endlich die einstufige Ausbildung als gleichberechtigt anzuerkennen und dadurch im anspornenden Nebeneinander zweier Ausbildungsgänge weitere praktische Erfahrungen zu sammeln.

    (Dr. de With [SPD]: Warum so zögerlich?)

    Ein entscheidender Vorteil unseres Vorschlages ist, daß sich unter dem Eindruck der in der Praxis um fast ein Drittel kürzeren Dauer der einphasigen Juristenausbildung eine Entwicklung hin zu einer Verkürzung auch der herkömmlichen zweiphasigen Juristenausbildung ergeben wird. Ich kann im übrigen auf die Ihnen schriftlich vorliegende Begründung verweisen.
    Wenn den künftigen Jurastudenten eine Wahl zwischen einstufiger und zweiphasiger Ausbildung erhalten bleibt, dann haben wir als Gesetzgeber all denen eine Entfaltungschance gelassen, die — wie die Reformatoren des Jahres 1971 — erkannt haben, daß Praxis ohne Theorie blind, Theorie ohne Praxis aber leer ist. Die Verschränkung von Theorie und Praxis, wie sie die einstufige Ausbildung anstrebt, hilft, diesem Dilemma zu entgehen. Wer dies auf der Grundlage der bisherigen Experimente skeptisch sieht, hat das Wahlrecht und kann sein Heil im altvertrauten Ausbildungsmodell suchen, wenn er meint, dies unbedingt tun zu müssen. Ich meine, liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre ein ehrlicher Kompromiß, und ich bitte Sie, sich damit zu befreunden.
    Danke schön.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Detlef Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich verstehe jetzt etwas besser, warum sich die GRÜNEN bei Abstimmungen so häufig erst erheben, wenn Enthaltung aufgerufen wird. Ihr Vorschlag entspricht völlig dieser Grundtendenz, die mir übrigens menschlich sehr sympathisch ist, die aber unsere Gesellschaft nicht weiterbringen kann.
    Sie sagen: Laßt doch jeden machen, wie er will, und jedes Land, wie es will. — Und dann haben wir, weil Sie nämlich die Praxis nicht bedenken, die



    Kleinert (Hannover)

    Situation, daß die Leute noch mehr als bisher in folgender Weise — so ähnlich wie beim Einzugsgebiet einer Molkereigenossenschaft — studieren: möglichst nahe an zu Hause, Beine unter Vaters Tisch strecken. Hinterher wundert man sich dann und schiebt es auf die Anlage des juristischen Studiums, daß die Leute nicht die geringsten Lebensbezüge in ihren Beruf einbringen. Das fängt schon einmal damit an, daß sie nicht in jungen Jahren einmal eine Reihe möglichst weit von zu Hause entfernter Universitäten aufgesucht und sich anderen Leuten und anderen Gebräuchen und Sitten gestellt haben. Außerdem glaube ich, daß ein ganzes Rudel von Psychologen und Soziologen an einer juristischen Fakultät nicht halb so viel Nützliches stiften können wie die Betätigung im Studentenschnelldienst,

    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    wo man nämlich ganz einfach und klar noch einmal etwas mit der Hand anfaßt, bevor man sich der reinen Theorie zuwendet. Ich halte das für viel besser.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Das war ein Plädoyer für die einphasige, praxisorientierte Ausbildung!)

    Im übrigen, damit Sie mich bloß nicht mißverstehen: Für mich gibt es kein Problem mit der einphasigen und zweiphasigen Ausbildung. Ich habe schon mehrfach an dieser Stelle versucht, das deutlich zu machen. Ich bin ganz weit weg von der hier zu Recht schon beklagten ideologischen Verhärtung in dieser Frage. Ich würde es sehr begrüßen — Herr Fischer hat mich aufgefordert, das noch einmal zu bestätigen, und ich tue es gern —, wenn wir zu einer praxisorientierten, moderaten einstufigen Ausbildung kommen könnten. Das wäre eine Konsequenz aus den Experimenten der zurückliegenden Jahre, die ich sehr begrüßen würde.
    Nun ist es natürlich nicht so, wie Sie meinen, nämlich daß Herr Justizminister Engelhard jetzt hier irgend etwas unter Zeitdruck machen würde; Zeit war vielmehr satt da. Man hat j a diese Experimentierphase begonnen, um in Ruhe zu überlegen und auszuprobieren. Das haben sowohl Herr Vogel als auch Herr Schmude getan. Sie haben die Zeit genutzt, und sie haben durchaus vernünftige Entwürfe unterbreitet, die ja jetzt nur wieder vorgelegt worden sind. Aber sowohl Herr Vogel als auch Herr Schmude sind natürlich an den gleichen Länderjustizministerien — übrigens weitgehend ohne Ansehen der politischen Couleur; machen wir uns da nichts vor — gescheitert wie jetzt Herr Engelhard auch. Wir haben mit den Kollegen der CDU/CSU im Deutschen Bundestag bei Gesprächen über das, was in der jetzigen Koalition hier sinnvollerweise zu tun wäre, sehr rasch Einigkeit über eine dem, was schon früher vorgelegt worden ist, verhältnismäßig entsprechende — bei der Namensgebung will ich vorsichtig sein — einstufig moderierte, zweistufige Ausbildung erzielt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eineinhalbstufig!)

    Damit hat man sich auch früher schon gequält, und darauf kommt es gar nicht an. Es kommt auf eine möglichst gute Durchdringung von Theorie und Praxis an, und diese Durchdringung wird in dem jetzigen Entwurf nicht so erreicht, wie wir uns das wünschen. Das scheitert daran, daß man einfach nicht bereit ist, das Risiko einzugehen, das man verwaltungsmäßig eingehen müßte, wobei man dem insbesondere — das muß man als mildernden Umstand wohl gelten lassen — wegen der dramatisch angeschwollenen Zahl der Studierenden organisatorisch nicht gewachsen ist. Ich wäre dafür gewesen, dies zu wagen; die Länderjustizministerien wagen es nicht.

    (Helmrich [CDU/CSU]: Die Finanzminister!)

    Dann hätten wir in der Tat jetzt nur die Möglichkeit, auf den Entwurf der GRÜNEN zurückzugreifen, um aus dem Dilemma herauszukommen, wobei wir dann jedes Land machen lassen würden, was es gern möchte. Dann hätten wir eine völlig uneinheitliche Ausbildung, dann hätten wir keine freie Wahl des Studienplatzes mehr, und dann hätten wir keine Vergleichbarkeit, keine Versetzungsmöglichkeiten zwischen den Bundesländern. Das wäre die Alternative.
    Angesichts dieser zugegebenermaßen sehr, sehr unerfreulichen Alternative haben wir uns nun mit dem Bundesjustizminister dafür entschieden, einen zweifellos nicht befriedigenden, aber den einzigen, wie Sie selbst zitiert haben, aussichtsreichen Weg zu gehen, um wenigstens die Einheitlichkeit zu bewahren.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Denn zum Schluß wird es nicht so sehr auf die Ausbildung ankommen, was hier heute schon mehrfach angeklungen ist. Der Frankfurter Richter, der diesen Rollstuhlfahrerfall entschieden hat, hätte eine anständige Kinderstube gebraucht. Man braucht überhaupt nicht zu studieren, um zu wissen, daß eine solche Entscheidung unmöglich ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich brauche keine zusätzlichen Momente in der juristischen Ausbildung, um zu wissen, daß so ein Urteil nicht geht.
    Wir können uns hier natürlich Urteile besonderer Art reihenweise erzählen. Ich kann Ihnen auch sagen, daß es nicht sehr erfreulich ist, daß es ein im übrigen in anderer Richtung sehr verdienter und auch sehr temperamentvoller Senatspräsident aus Stuttgart kürzlich fertiggebracht hat, mit seinem Senat zu entscheiden, daß der Ehemann, der seiner Frau zu Hause die Bankunterlagen zum Mitunterschreiben hinlegt, nach § 56 der Gewerbeordnung als reisender Vertreter der Bank tätig gewesen und daß deshalb der Vertrag nichtig ist.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ CSU)

    Man muß erst einmal darauf kommen, daß der Ehemann mit seiner Ehefrau in dieser Form nicht mehr
    zu Hause eine kleine geschäftliche Angelegenheit



    Kleinert (Hannover)

    erledigen kann, sondern daß das gegen die Gewerbeordnung verstößt.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Mit solchen Geschichten können wir uns länger erheitern, und ich erwähne es nur, weil ich der Meinung bin: Zum Schluß wird es auf die Personen und darauf ankommen, wie sie sich erst zu Hause, dann in ihrem Studium und anderwärts entwickelt haben. Da wäre es wünschenswert, auch von seiten des Studiums das Optimale zu tun, damit diese Entwicklung zu einem vernünftigen Juristen weiter begünstigt wird. Vielen ist es ohne frühzeitige Vergreisungserscheinungen gelungen — Sie haben einen anderen Weg gewählt, um der Vergreisung zu entgehen, wenn ich das richtig gelesen habe —, noch einigermaßen frisch zu bleiben. Da habe ich überhaupt keine Komplexe.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Die entscheidende Stelle Ihres Entwurfs bzw. seiner Begründung scheint mir zu sein, daß existenzbedrohende Prüfungen zur Unzeit vermieden werden müssen.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Nebensächlich! Das ist nicht entscheidend!)

    Da kommen wir an einen interessanten Punkt. Ich bin nämlich der Meinung, daß uns Wähler weglaufen, weil wir nicht den Mut haben, junge Leute zur rechten Zeit zu fordern, Leistung zu bringen,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    und weil wir nicht den Mut haben, ihnen klar zu sagen, daß es für sie allein ein ganz großer Schaden ist, wenn sie nicht in jungen Jahren und im Studium echt gefordert werden und auch die Möglichkeit haben, ihre Leistungen durch Prüfungen — wie soll das sonst gehen — unter vernünftigen Bedingungen zu überprüfen, denn das Leben ist schließlich auch eine Prüfung. Für die 77 000 Studenten, die heute Jura studieren, wird das Leben eine furchtbare Prüfung.
    Das verdanken wir u. a. Leuten wie Herrn Picht und einer großen Zahl seiner Mitstreiter, die das Marketing für den öffentlichen Dienst erfunden und als eine Verbesserung unseres Bildungswesens ausgegeben haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Äußerung ist nicht sehr beleidigend, weil die meisten dieser Menschen das Wort „Marketing" sprachlich überhaupt nicht einordnen und sich unter dem Begriff nichts vorstellen können.
    Ich bin der Meinung, daß wir den Studenten ganz dringend helfen müssen, die durch ein verkehrt angelegtes Schulsystem und durch die Feigheit anderer Leute, eine klare Entscheidung über die zu einem Numerus-clausus-Verfahren führenden Gründe zu treffen, in das Jurastudium als ein Überlaufbecken für all diejenigen gedrängt werden, die das Abitur haben, aber nicht recht wissen, was sie damit machen sollen. Dies ist eine Zumutung an die jungen Leute, deren tragische Bedeutung diese erst erkennen werden, wenn sie versuchen, in diesem Beruf hinterher ihren Gelderwerb zu finden.
    Wir haben jetzt die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß das wenigstens einigermaßen gutgeht, nachdem es schon katastrophal angelegt ist. Ob man für sein Studium einen Schönfelder, einen Vorlesungssaal oder ein kompliziertes Instrumentarium braucht, kann für die Anwendung von Zulassungsbeschränkungen in der einen oder anderen Richtung überhaupt nicht entscheidend sein.

    (Beifall bei der FDP)

    Genau dieser Fehler ist hier gemacht worden, und zwar auf dem Rücken junger Leute und ihrer Zukunftsaussichten. Darüber müssen wir nachdenken.
    Unabhängig von der Frage „einstufig oder zweistufig?" möchte ich erreichen, daß es eine Unterweisung gibt in der Technik der geistigen Arbeit, in der Büroorganisation, im Umgang mit einem Computer, im Abrechnungswesen. Hier nenne ich beispielsweise auch den Umgang mit der Gebührenordnung der Anwälte. Die Leute werden j a alle Anwälte; denn die öffentliche Hand, die an dem jetzt über uns hereinbrechenden Überfluß an Juristen nicht ganz unbeteiligt war, hält sich sorgfältig frei und wird keinen zusätzlich einstellen. Es werden also Scharen von Rechtsanwälten in die Welt gebracht. Das wird große Probleme mit sich bringen, die ich gar nicht weiter ausbreiten will.
    Ich möchte die Situation positiv sehen. Dies heißt: Dann muß man durch die Ausbildung — ich wiederhole mich: egal, ob zweistufig oder einstufig — dafür sorgen, daß die Leute für einen praktischen Beruf besser geschult sind, daß sie mit Techniken vertraut gemacht werden. Dazu brauche ich weder Psychologen noch Soziologen, sondern Betriebswirte, Praktiker, die den Leuten beibringen, was auf sie hinterher im Leben zukommt und wie sie in ihrem Beruf etwas werden können. Wenn man so verfährt, zeichnet sich die Möglichkeit ab, daß wenigstens einige mehr in diesem Beruf später auch Geld verdienen und für unser Land nützlich tätig werden können, eine Möglichkeit, die ich zur Zeit jedoch überhaupt nicht sehe.
    Die aufgezeigte Möglichkeit wird dadurch erschlossen, daß der Beruf des Anwalts wesentlich erweitert wird. Nicht nur im Bereich der Steuerberatung, sondern auch im Bereich der Unternehmensberatung kann in der Rolle als Vertrauensmann gegenüber den Mandanten auch auf Gebieten, die über das rein Rechtliche hinausgehen, nämlich eine Leistung erbracht werden, die es dem einen oder anderen Unternehmen erspart, dafür jemand mit fester Besoldung einzustellen, sondern es dem Unternehmer angezeigt erscheinen läßt, dafür lieber zu seinem Anwalt zu gehen, um sich mit ihm zu beraten. Zu diesem Zweck darf aber der werdende Anwalt im Studium nicht irgendwelche zusätzlich verblasenen Theorien, sondern muß er viel mehr Wissen von der Wirklichkeit unserer Welt und unserer Wirtschaft aufnehmen, damit er dadurch mehr Berufschancen erhält. Das ist etwas, was wir jetzt in einer verfahrenen Situation nur noch tun



    Kleinert (Hannover)

    können, um den jungen Leuten zu helfen: die Chancen durch eine bessere und praxisnähere Ausbildung breiter machen.

    (Beifall bei der FDP)

    Ein Blick in die Vereinigten Staaten zeigt, daß dort im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung etwa dreimal so viele Anwälte tätig sind wie bei uns. Das geht darauf zurück, daß die Ausbildung dort derart praxisbezogen ist und die Anwälte offensichtlich so viel tüchtiger und lebensnäher sind, daß es den Unternehmern geraten erscheint, in viel stärkerem Maße den Freiberufler in Anspruch zu nehmen, als fest besoldete Leute für die gleichen Tätigkeiten einzustellen. Wenn wir dies nicht erreichen, dann werden die ganzen Bildungspolitiker um uns Juristen herumstehen und sagen: Das haben wir nicht gewollt, wir haben uns das mit dieser Juristenschwemme alle ganz anders vorgestellt. Dann wollen wir uns als Juristen vernünftigerweise darum bekümmern. Wir haben bedauernswerterweise zwar nur die klassische Ausbildung gehabt — ich würde den jungen Leuten gern eine viel bessere Ausbildung gönnen —, aber wir sind mit unserer Ausbildung immer noch in der Lage, zu erkennen, daß das, was Sie wollen, nicht annähernd so gut ist wie das, was ich soeben ein wenig anzudeuten versucht habe und was den jungen Leuten helfen wird — im krassen Gegensatz zu anderen Ideen.
    Danke schön.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)