Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Konjunkturhimmel für 1984 hellt sich auf, zumindest auf dem Papier. Die Gutachter, die Bundesbank, die Bundesregierung melden uns für 1984 verbesserte wirtschaftliche Erwartungen. Wir Sozialdemokraten wünschen eine kräftige Belebung der Wirtschaftstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Es wäre wichtig, wenn der wirtschaftliche Aufschwungprozeß weltweit vorankommen würde und die Armut in der Dritten Welt wenigstens nicht weiter zunähme.
Wir befürchten jedoch — und dafür gibt es gute Gründe —, daß es sich bei diesen Prognosen um Zweckoptimismus handelt. Aber, meine Damen und Herren, ich werde mich in der dritten Lesung mit diesem Streit nicht aufhalten. Die Bundesregierung erklärt die prognostizierte Entwicklung als Ergebnis ihrer Politik. Herr Dr. Stoltenberg hat gestern gesagt, man werde im Jahre 1984 die Früchte der Politik ernten. Im übrigen eine Fußnote, Herr Dr. Stoltenberg: An ihren Früchten wird man Sie erkennen, insbesondere bei der unsozialen Umverteilungspolitik Ihrer Koalition.
Der Bundesregierung sind die internationalen Risiken für den Fortgang der Wirtschaftsentwicklung bekannt: das weiterhin überhöhte Zinsniveau, die Krise der internationalen Verschuldung, die ge-
3268 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 45. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Dezember 1983
Dr. Apel
fahren wachsenden Protektionismus. Die Bundesregierung kennt die nationalen Problemfelder. Sie hat das zentrale Problemfeld selbst geschaffen, indem sie im nächsten Jahr wirksame kaufkräftige Nachfrage rigoros wegstreicht. Sie kennt die schweren Verwerfungen bei Kohle, Stahl, Werften, die anhaltende Arbeitslosigkeit, die Unsicherheit bei der weiteren Entwicklung der privaten Investitionen, und die Bundesregierung ist maßgeblich mitverantwortlich für den Zusammenbruch der gemeindlichen Investitionen.
Meine Damen und Herren, nun ist die Bundesregierung in der Verpflichtung, im Obligo. Die Bundesregierung, Herr Dr. Stoltenberg, muß nun das an Wirtschaftsaufschwung bringen, was sie in diesen Tagen selbst triumphierend verkündet hat. Sie kann sich nicht im Laufe des kommenden Jahres auf die Ausrede zurückziehen, nun sei doch alles ganz anders gekommen. Die Fakten und die Risiken sind bekannt. Wenn die Bundesregierung dennoch nicht handelt, trägt sie die Verantwortung. Gesundbeten kann aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht ersetzen.
Meine Damen, meine Herren, wir alle zusammen dürfen vor allem die großen Risiken nicht übersehen, die sich für unser Land aus der weltweiten Krise ergeben, die durch die Überschuldung vieler Länder entsteht. Die internationalen Institutionen weisen darauf hin, daß die Industrieländer Jahr für Jahr mindestens ein wirtschaftliches Wachstum von real 2,5 % haben müssen und daß die Industrieländer den Entwicklungsländern ihre Märkte öffnen müssen. Ferner sagen die Experten, daß die Zinsen weltweit deutlich sinken müssen.
Da habe ich allerdings große Zweifel, ob wir diese Bedingungen zur Eindämmung der weltweiten Verschuldungskrise so ohne weiteres als gegeben ansehen dürfen. Im Gegenteil, die unvernünftige US-Haushaltspolitik wird auch weit über das Jahr 1984 hinaus das internationale Zinsniveau hochhalten. Deswegen muß die Bundesregierung, muß der Bundesminister der Finanzen viel entschiedener als bisher auf eine Änderung dieser folgenschweren und verfehlten US-Politik drängen.
Nun werden Sie, meine Damen, meine Herren, fragen: Was können wir denn tun? Herr Dr. Stoltenberg, lesen Sie die „Financial Times" von heute morgen; dort wird eine Unterhausdebatte wiedergegeben. Da können Sie nachlesen, wie die britische Premierministerin, Frau Thatcher, mit aller Härte und mit aller Deutlichkeit die US-Politik kritisiert und für die fehlende Investitionsbereitschaft in ihrem Land, die durch den Abzug von Sparkapital aus England in die USA zur Finanzierung einer verfehlten Überrüstungspolitik verursacht wird, verantwortlich macht. Sagen Sie hier Ähnliches, und Sie tun Ihre Pflicht!
Meine Damen und Herren, vor allen Dingen braucht die Weltwirtschaft Vertrauen. Der Zusammenbruch einer deutschen Privatbank, der SMHBank, hat beträchtliche nationale und internationale Besorgnisse ausgelöst. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion fordert deswegen den Bundesfinanzminister auf, endlich — endlich! — sein Versprechen einzulösen und dem Parlament ohne Zeitverzug eine Novelle zum Kreditwesengesetz vorzulegen.
Dabei müssen die Konsequenzen aus dem letzten Bankenkrach voll berücksichtigt werden.
Herr Dr. Stoltenberg, die SPD-Bundestagsfraktion sichert Ihnen eine schnelle und sachgerechte Beratung zu, denn wir können uns in dieser nervösen Zeit keinen Schwund des Vertrauens in unser Kreditgewerbe leisten.
Es wird wahrscheinlich ein bescheidenes Wirtschaftswachstum geben. Aber wird es zu einem selbsttragenden Aufschwung kommen? Hat die Bundesregierung für diesen selbsttragenden Aufschwung die nötigen Daten gesetzt? Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kommt zu dem Ergebnis, daß sie das nicht getan hat. Der Bundesregierung fehlt doch — dies wurde in den Debatten in der zweiten Lesung deutlich — jede Vorstellung davon, wie es weitergehen soll.
Sie selbst, Herr Dr. Stoltenberg, rechnen doch im Finanzplan des Bundes von 1983 bis 1987 mit einer anhaltend hohen Massenarbeitslosigkeit von weit mehr als 2 Millionen Menschen. Damit wird doch deutlich, vor welcher Herausforderung unser Land steht. Die wirtschaftspolitische Debatte in diesem Lande ist doch schon so degeneriert, daß bereits eine geringere Zunahme der Arbeitslosigkeit als Wende, als großer Sieg der Wirtschafts- und Finanzpolitik, gefeiert wird.
Mit Wende und mit aktiver Wirtschaftspolitik hat das allerdings überhaupt nichts zu tun.
Hans Mundorf bezeichnet das im „Handelsblatt" so — ich zitiere —:
Wer einen toten Fuchs gefunden hat und ihm das Fell abzieht, muß deswegen noch kein großer Jäger sein.
Hans Mundorf fährt fort:
Man stelle sich vor, die amerikanische Konjunktur wäre nicht angesprungen. Die OPEC-Länder befänden sich nicht in dem jetzigen desolaten Zustand und könnten die Erdölpreise
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erhöhen. Die internationale Zinsentwicklung wäre weiterhin ungünstig verlaufen. Dann gäbe es auch nicht die zu erwartenden Konjunkturkeime in der Bundesrepublik.
— und Mundorf sagt —: Wende hin, Wende her.
Das Urteil der wirtschaftswissenschaftlichen Institute ergänzt doch diese Analyse. Sie weisen darauf hin, daß in diesem Jahre eine überreichliche Geldversorgung durch die Bundesbank gewährleistet wurde. Die Sachverständigen weisen darauf hin, daß jetzt die Investitionszulage wirksam wird, die die sozialliberale Koalition beschlossen hat. Sie weisen darauf hin, daß das zeitlich begrenzte Wohnungsbauprogramm wirksam ist. Nur, meine Damen und Herren: Diese Elemente des Anstoßes — um auf den Zwischenruf einzugehen — verlieren zwangsläufig an Wirkung. Neue Daten setzt die Bundesregierung nicht, um die bescheidenen Ansätze wirtschaftlicher Besserung zu stabilisieren und zu stärken.
Nach der gestrigen Rede von Herrn Dr. Stoltenberg habe ich auch den Eindruck, daß Selbstgerechtigkeit und tatenloses Hoffen auf bessere Zeiten an die Stelle aktiver Wirtschafts- und Finanzpolitik treten.
Wir Sozialdemokraten wissen, daß die Haushaltskonsolidierung unabdingbar ist. Herr Dr. Stoltenberg, Sie sollten aufhören, wider besseres Wissen zu behaupten — so gestern geschehen —, die Sozialdemokraten wollten die Beschäftigung in diesem Lande durch neues Schuldenmachen bessern.
Dies ist unwahr. Sie haben gestern die Unwahrheit gesagt.