Rede von
Horst
Jaunich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich kann das leider nicht bei den acht Minuten, die mir zur Verfügung stehen.
— Das lassen Sie mal meine Sache sein, wie schnell ich rede. Sie sollen das auch verstehen können. Ich weiß, daß das bei Ihnen ein bißchen schwierig ist, daß Sie das nicht so gerne begreifen, vor allen Dingen nicht gern hören wollen.
Dies ist ein ausgesprochener Wendehaushalt — das können wir feststellen —, und zwar nicht nur, weil mit ihm eine andere Richtung anvisiert ist. Nein, diese Wende manifestiert sich in besonderer Weise in der Abkehr von all dem, was Sie in der Vergangenheit gefordert, hier im Deutschen Bundestag postuliert haben.
Noch im Jahr 1980 haben Sie in Ihr Wahlprogramm hineingeschrieben: „Eine Politik, die jetzt an der Familie spart, wird uns alle teuer zu stehen kommen." Nun, meine Damen und Herren, was tun Sie? Sie führen die Einsparungen herbei auf dem Rükken, auf dem Buckel der Familien.
— Na, Sie waren doch immer dabei. Sie haben doch auf dem Familiensektor immer noch weitergehende Forderungen gestellt. Das haben Sie wohl vergessen? Das können Sie doch nicht alles verdrängen, Herr Kollege.
Der verehrte Kollege Kroll-Schlüter schreibt am 6. Dezember dieses Jahres im Deutschland-UnionDienst: „Die Union ist eine Partei der Familie. Das wird gerade in dieser Legislaturperiode deutlich."
Meine Damen und Herren, wir merken, was hier deutlich wird. Was hier deutlich wird, ist Zynismus
angesichts der von mir beschriebenen Situation beim Kindergeld,
angesichts der Kürzungen beim Mutterschaftsurlaub. Da lassen Sie sich von allen Wohlmeinenden nicht anraten, Ihren Kurs zu ändern. Da lassen Sie sich nicht beeindrucken von dem Wort der katholischen Bischöfe. Da lassen Sie sich nicht beeindrukken von Ihren Ihnen doch sicherlich freundschaftlich zugetanen Kollegen der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, die Ihnen doch klipp und klar ins Stammbuch geschrieben hat: „Die Absichtserklärung des Bundeskabinetts, ab 1. Januar 1987 dieses Mutterschaftsurlaubsgeld auf alle Mütter auszudehnen, wird von uns als Ablenkungsmasche empfunden, weil dies keine Verbindlichkeit hat."
3238 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Jaunich
Genau zutreffend beschrieben! Müssen wir uns dann noch vor Augen halten, in welche Zeit das Jahr 1987 fällt, wenn man einmal in Legislaturperioden denkt?
Sie schreiben alle Warnungen in den Wind. Sie werden auch unsere Anträge hier abbügeln; davon gehen wir aus.
Aber wie muß Ihnen denn eigentlich zumute sein angesichts all Ihrer vollmundigen Ankündigungen auf dem familienpolitischen Gebiet in den hinter uns liegenden Jahren, wenn jetzt, im November dieses Jahres, alle Familienverbände dieser Bundesrepublik ein Notprogramm beschlossen haben, das sich als Forderung an uns richtet? Meine Damen, meine Herren, auch dies beeindruckt Sie in keiner Weise.
— Na, sehen Sie, dann stimmen Sie doch gleich, wenn die Anträge aufgerufen werden, in diesem Sinne! Dann zeigen Sie, daß Sie lernfähig sind. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß das von Ihnen zu erwarten wäre.
Meine Damen und Herren, Sie werden Gelegenheit haben, durch Ihr Abstimmungsverhalten zu beweisen, ob Sie denn wenigstens bereit sind, einen Schritt zu gehen. Wir übernehmen nicht alle Forderungen der Familienverbände, weil wir sie derzeit nicht finanzieren könnten, aber die von uns vorgelegten Änderungsanträge sind finanzierbar. Ich habe die Möglichkeiten hierzu soeben aufgezeigt.
Dies ist ein erster Schritt, um der besonderen Situation der Familien in der heutigen schwierigen Zeit entgegenzukommen.
Wir handeln hier. Sie aber lassen Hochglanzbroschüren drucken mit dem Motto „Reden ist Silber, Handeln ist Gold". Meine Damen und Herren von der Union, wo sind denn Ihre Handlungen? Nichts davon! Der Bundesfinanzminister lacht; das muß ihm also höllischen Spaß bereiten, worüber wir hier verhandeln.
Herr Kollege Hoffacker hat uns hier soeben etwas von einer Stiftung gesagt, die in diesem Haushalt mit 25 Millionen DM ausgestattet wird. Diese Mittel nimmt man sich ebenfalls beim Kindergeldansatz weg. Herr Kollege Hoffacker tut dann so, als sei damit die Not der Familien gelindert. Herr Kollege Hoffacker, dies ist angesichts dessen, um was es geht, eine Beleidigung, wenn man hier diesen Eindruck zu erwecken versucht.
Im übrigen: Noch kennen wir nicht die Grundzüge dieser Stiftung. Da gibt es eine vage Absichtserklärung. Aber dieser Bundesminister ergeht sich j a pausenlos in Ankündigungen. Handlungen von ihm haben wir bisher nicht feststellen können.
Aber er hat ja den „Wanderpreis" an Herrn Tandler abgeben müssen.
Der Widerspruch zwischen Reden und Handeln wird doch permanent deutlich. „Die Bundesregierung hat zum 1. Januar 1983 die Kindergeldregelung gerechter gestaltet und Einkommensgrenzen eingeführt. Die besser Verdienenden erhalten weniger Kindergeld. Alle einkommensschwächeren Familien erhalten es in voller Höhe." So tönt Herr Geißler in einer Kundmachung an seine Landes- und Kreisverbände der Union.
Erinnern wir uns doch, was der Herr Kollege Kroll-Schlüter im August 1981 zu demselben Thema gesagt hat: „Eine Verständigung von SPD und FDP auf Einkommensgrenzen beim Kindergeld wäre die Totalkapitulation der FDP vor den Kräften in der SPD, die eine Nivellierung der Einkommen der Familien wünschen."
Die Kollegin Geiger hat am 30. August 1979 dazu ausgeführt: „CDU und CSU werden die Vorschläge aus der SPD, die auf ein einkommenabhängiges degressives Kindergeldsystem hinauslaufen, auf das Entschiedenste bekämpfen. Die Kehrseite eines nivellierenden Familienlastenausgleichssystems nach den Vorstellungen der SPD würde für die Ernährer und Familien die Teilhabe an der Leistungsgesellschaft uninteressant machen und außerdem die Bereitschaft zum Kind in den leistungsorientierten Bevölkerungsgruppen lähmen."
In jenen Zeiten haben Sie also so darüber gedacht. Nachdem Sie in gleicher Weise vorgegangen sind, stellen Sie dies als eine Verbesserung des Kinderlastenausgleiches dar. Es ist doch unübersehbar, in welcher Glaubwürdigkeitskrise Sie sich hier befinden.
Ich könnte Ihnen auf dem familienpolitischen Sektor noch eine Fehlleistung nach der anderen vorhalten. Die Zeit reicht allerdings nicht dafür.
Ich möchte daher wenigstens noch wenige Sätze zu dem Kapitel Jugend — bei diesem Minister ganz besonders schlecht aufgehoben — sagen.
Mit großer Sorge müssen wir die Entwicklung betrachten, daß Bemerkungen des Bundesrechnungshofes von dem Bundesminister begierig aufgenommen und im Haushaltsausschuß Äußerungen gemacht werden, die darauf hindeuten, daß man künftig nur noch jene Jugendverbände finanziell för-
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dern will, die sich wohl und regierungskonform verhalten.
Das ist das Ende einer vernünftigen Jugendförderung. Denn Jugendförderung ist immer auch emanzipatorisch angelegt.
Dieser Bundesjugendminister läßt keinerlei Initiativen erblicken. Er muß die Fraktionen vorschikken, wenn es um die Novellierung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit geht. Zur gleichen Zeit stellt er sich aber irgendwohin und läßt sich einen Bierorden um den Hals hängen, weil er ja auch für das Reinheitsgebot des Bieres ist. Dafür bin ich auch.
Es ist aber eine peinliche Fehlleistung und eine Geschmacklosigkeit, wenn der für Jugendfragen zuständige Minister sich ausgerechnet einen Bierorden umhängen läßt.
Zum Thema Gesundheit müßten diesem Minister und diesem Ministerium gegenüber auch noch ein paar Bemerkungen gemacht werden. Am gestrigen Tage hat die Vollversammlung des Ortskrankenkassentages 1983 gesagt, daß man bei dieser Bundesregierung ein schlüssiges Konzept der Gesundheitspolitik vermisse. Ich kann mich dieser Bewertung nur voll und ganz anschließen.
Das einzige, was auf diesem Felde stattgefunden hat, ist, daß man vor wenigen Tagen Aufklärungsmaterialien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Betrage von über einer Million DM eingestampft hat.
Dies, obwohl sich sogar eine wissenschaftliche Vereinigung angeboten hat, diese Materialien zu übernehmen, weil sie sie für gut und gelungen hält. Dieser Regierung aber paßten sie nicht. Da wird eine Million Mark in den Sand gesetzt, wohl wissend, was man damit alles machen kann.
Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Diese Gesellschaft schreibt, dies sei in einer Nacht- und Nebelaktion passiert. Ich kann mich dem nur anschließen. Ich muß hinzufügen: Nacht und Nebel sind über all den Feldern zu finden, für die dieser Herr Bundesminister Geißler zuständig ist.