Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beginnen möchte ich mit einem Wort aus dem sozialdemokratischen Schatzkästlein, vielleicht sollte ich heute besser sagen, aus dem sozialdemokratischen Giftschränklein:
Einige haben bemängelt,
— so wurde eines Tages im Jahre 1982 gesagt —
daß in diesem Pakt nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen: Dieses ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen wurde. Von den
beiden Möglichkeiten scheiterte die eine, es nämlich durch höhere Kreditaufnahme zu finanzieren, an mir. Ich kann das nicht verantworten. Die zweite scheiterte an Euch. Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als Ihr in die Sozialleistungen reinschneiden.
Ich nehme an, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, Sie wissen zumindest noch, wer das gesagt hat. In dieser Kontinuität wollen wir unsere Sozialpolitik weiter fortführen.
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte kann nur Hand in Hand gehen mit der gleichzeitigen Sanierung der sozialen Sicherungssysteme. Dies bedeutet, daß die soziale Sicherung nicht zu Lasten des Steuerzahlers finanziert werden kann. Der richtige Weg ist vielmehr, bei gleichmäßiger Verteilung der Sanierungslasten auf alle Beteiligten die Gesundung der Sondervermögen aus eigener Kraft vorzunehmen.
Ich halte eine Stabilisierung der Sicherungssysteme für eine unerläßliche Voraussetzung für eine dauerhafte Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und für die Wiederherstellung des Vertrauens der Rentner und der Versicherten in die Systeme ihrer Alterssicherung. Sanierung bedeutet Konzentration auf die eigentlichen Aufgabenbereiche, bedeutet die Abkehr vom Umverteilungsdenken und verlangt eine Stärkung des Gedankens der Eigenverantwortlichkeit.
In Zeiten der Finanznot der öffentlichen Hände ist Umverteilung in der Sozialpolitik Vergangenheit. Meine Damen und Herren, was heute gefordert ist, ist eine Umverteilung im volkswirtschaftlichen Sinn: in der Struktur des Sozialprodukts, zugunsten von Arbeitsplätzen und die sie sichernden Investitionen. Unsere sozialen Sicherungssysteme können nur dann leistungsfähig sein, wenn auch . unsere Volkswirtschaft insgesamt leistungsfähig ist.
Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Konsolidierung der Staatsfinanzen, Finanzierbarkeit der Sozialleistungen — mit diesen Stichworten sind die Probleme bezeichnet, die besonders im Haushalt des Arbeitsministers, im Einzelplan 11, ihren Niederschlag finden. Es ist ein altes Spiel, fast schon eine ehrwürdige Tradition in diesem Hause, daß Sparpläne und notwendige Konsolidierungsmaßnahmen von der jeweiligen Opposition als unsozial und nicht beschäftigungswirksam bezeichnet werden. In dieser Kontinuität befinden wir uns offensichtlich auch heute.
Zugegeben, der Bundeshaushalt sieht auch in diesem Teilbereich zahlreiche Maßnahmen vor, die sich für den Bürger schmerzlich auswirken werden. Aber, meine Damen und Herren, diese Abstriche an Leistungen entspringen doch nicht purer Lust am
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Frau Seiler-Albring
Sparen, sondern sind notwendig, um den eingeschlagenen Weg der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte fortzusetzen.
Nur so kann der verhängnisvolle Kreislauf durchbrochen werden: steigende Steuern, steigende Soziallasten, Staatsverschuldung, Gefährdung und Vernichtung von Arbeitsplätzen; die daraus resultierenden Beschäftigungsprobleme wiederum stellen ihrerseits die Finanzierung der Systeme unserer sozialen Sicherheit in Frage.
Daß sich die Koalition auf dem richtigen Weg aus diesem Kreislauf befindet, bestätigt eindrucksvoll das Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Daß der Opposition dies nicht gefällt, ist verständlich, weil offenbar nicht sein kann, was nicht sein darf, daß nämlich die angeblichen Kaputtsparer dabei sind, ein solides Fundament zu legen, auf dem sich getrost aufbauen läßt.
Wir müssen sicherstellen, daß wir das Netz der sozialen Sicherung nicht überbelasten, mit anderen Worten, daß wir das System der sozialen Sicherheit den geänderten wirtschaftlichen, finanziellen und auch demographischen Gegebenheiten anpassen.
Zu Recht hat der Kollege Lutz Anfang 1982 auf die Problematik hingewiesen. Er sagte:
Wirtschaftliche Probleme strahlen auch auf den Sozialstaat aus und bringen seine verschiedenen Sicherungskreise in Bedrängnis. Sie zwingen zur Zurücknahme von Zusagen und zum gezielteren Einsatz von Leistungen. Das ist so. Wer will das bestreiten'?
Meine Damen und Herren von der Opposition, an diese Worte sollten Sie sich heute erinnern, denn das, was wir heute machen, ist doch genau das, was der Kollege Lutz
seinerzeit als notwendig bezeichnet hat. Von den noch eindeutigeren Äußerungen Ihres ehemaligen Kanzlers will ich jetzt schweigen; damit würde ich Sie wahrscheinlich tatsächlich überfordern.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 11 — Arbeit und Soziales — ist mit rund 60 Milliarden DM in diesem Jahr wiederum der größte Einzelplan des Bundes. Sicherlich ist Quantität nicht unbedingt ein Ausweis von Qualität. Wir alle wären doch viel froher, wenn dieser Einzelplan kleiner sein könnte; dann wären nämlich auch die Probleme im Bereich der Beschäftigungspolitik geringer.
Einige Worte zu den im Haushaltsbegleitgesetz beschlossenen Maßnahmen im Bereich der Arbeitsförderung: Schwerpunkt der Oppositionsforderung ist hier das Verlangen nach energischen Beschäftigungsanstrengungen des Staates. Aber wir haben doch in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht,daß dies die Finanzkrisen der öffentlichen Haushalte mit heraufbeschworen hat. Die jetzt vorgeschlagenen Beitragserhöhungen auf insgesamt 5,4 % bei der Bundesanstalt für Arbeit und die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze um 20% sind die Vorstellungen der Sozialdemokraten zur Finanzierung. Diese Vorschläge würden unserer Ansicht nach letztlich zu zusätzlichen Belastungen für Arbeitnehmer und Wirtschaft führen und würden zusätzliche Arbeitsplätze, auf die wir angewiesen sind, nicht sichern, sondern im Gegenteil gefährden.
Wir halten es dagegen für viel sinnvoller, dort, wo notwendig, Einsparungen in den Sozialhaushalten vorzunehmen. Ohne entsprechende gesetzliche Maßnahmen würden das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitslosenhilfe den Bundeshaushalt 1984 mit mehr als 14 Milliarden DM gegenüber heute belasten. Eine differenzierte Senkung beim Arbeitslosengeld, beim Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeld ebenso wie bei der Arbeitslosenhilfe mit 5 % trägt den Notwendigkeiten ausgewogener Einsparungen Rechnung. Damit werden die Leistungsbezieher auch nicht auf Sozialhilfeniveau hinabgedrückt, wie von der Opposition immer wieder fälschlich behauptet.
Denn, meine Damen und Herren, das Niveau bei Leistungsbeziehern mit Kindern bleibt beispielsweise als Familienkomponente unverändert bei 68 %
Die jetzt einsetzende wirtschaftliche Belebung wirkt sich — wenn auch langsam — auf die Beschäftigungssituation positiv aus. Als ganz erfreuliche Entwicklung hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit die Entwicklung im Bereich der jugendlichen Beschäftigten vor wenigen Tagen charakterisiert. Die Zahl arbeitsloser Jugendlicher liegt erstmals seit Mai 1980 deutlich unter dem Niveau des Vorjahres, und zwar um 5 %. Ebenso lag die Arbeitslosenquote in dieser Altersgruppe wieder unter der Gesamtquote.
Dies kann für uns zwar noch kein Anlaß zum Frohlocken sein, und für meine Fraktion kann ich festhalten, daß jeder arbeitslose Jugendliche ein Arbeitsloser zuviel ist. Wir müssen zukünftig noch mehr für Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendliche zur Verfügung stellen. Ein so unverdächtiger Zeuge wie der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen, der, wenn ich mich nicht täusche, Ihrer Partei angehört, meine Damen und Herren von der SPD, hat nicht nur ausdrücklich die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft lobend hervorgehoben, sondern auch auf den besonderen Einsatz des Bundeskanzlers in diesem Bereich hingewiesen.
Wir müssen für die Zukunft auch festhalten, daß private und öffentliche Unternehmen im eigenen Interesse ausbilden. Nur sie können Praxisnähe
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und Qualifikation ihres Fachkräftenachwuchses am besten und kostengünstigsten sicherstellen.
Ausbildungsleistungen — das sollten wir nicht vergessen — sind unerläßliche Investitionen in unsere Zukunft. Ausbildung auf Vorrat, meine Damen und Herren, sichert die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft im Hinblick auf die geburtenschwachen Jahrgänge Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre und schafft für Handel und Industrie, die dies erkennen, erst die Voraussetzung dafür, auch zukünftig auf einen qualifizierten Facharbeiterstamm zurückgreifen zu können.