Aus Ihrem lauten Aufschreien kann ich nur schließen, daß Sie ein schlechtes Gewissen haben.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3173
Dr. Friedmann
Zweimal haben unsere älteren Mitbürger diesen Staat wieder in Ordnung bringen müssen, und sie haben dies getan durch mehr Fleiß und Arbeit.
Nun kommen Sie und sagen: Das ist ja richtig, wir haben viele Probleme, aber wir haben jetzt die Lösung; wir Sozialdemokraten, die Opposition, haben diese Lösung, und zwar indem wir künftig einfach weniger arbeiten.
Was ist denn das für ein Rezept, angesichts von Schwierigkeiten zu sagen: „Wir arbeiten weniger, dann ist diese Welt wieder in Ordnung!?"
Ich muß hier einmal an die Adresse der Opposition insgesamt folgendes sagen: Auch ich war ja jahrelang in der Opposition. Aber wenn Sie hier eine Welt an die Wand malen, die nur aus Schmutz und Dreck und Fusel besteht, dann verzerren Sie die Dinge einfach ins Unerträgliche hinein!
Kritik muß immer so angelegt sein, daß sie sinnvoll und vor allen Dingen auch konstruktiv ist.
Ich möchte hier auch ein Wort an die Adresse der GRÜNEN sagen. Hier von diesem Podium aus haben die GRÜNEN vor zwei Sitzungswochen erklärt, sie fordern die Mitbürger auf, ihre Guthaben bei Banken abzuheben, um auf diese Art einen Zusammenbruch des Geldkreislaufs herbeizuführen.
Wer so argumentiert, wer dies zum Ziel macht, will den Zusammenbruch dieses Staats, will das Chaos.
Sie haben nach Schluß der Nachrüstungsdebatte hier an dieser Stelle erklärt, sie wollten den Bürger jetzt zum zivilen Ungehorsam auffordern, auch dazu, keine Steuern mehr zu zahlen. Wer dies will, will den Zusammenbruch des Staates.
Haben Sie schon einmal bedacht, was bei Befolgung Ihres Aufrufs die Konsequenz wäre? Sie verwehren dem Staat seine Einnahmen, d. h. dieser Staat könnte dann nicht einmal mehr das Geld an die Ärmsten der Armen bezahlen.
Sie nehmen also das Fiasko, das Chaos in Kauf. Wenn Ihr Herr Schily hier hinsteht und sagt, er wolle die Verfassung schützen, er wolle dieses Land verfassungsgemäß durchbringen, dann ist das vor diesem Hintergrund einfach nicht glaubhaft.
Meine Damen und meine Herren, es wird von Ihnen immer wieder gesagt, diese Sparmaßnahmen hätten zur Folge, daß Kaufkraft fehle; wer weniger auf die Hand bekomme, könne weniger ausgeben, und damit trudele die Wirtschaft nach unten ab. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die positiven Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen, nämlich der Effekt einer gedämpften Inflation und die mäßigende Wirkung auf die Zinsen, kompensieren den negativen Effekt der Sparmaßnahmen um mehr als das Doppelte. Sicher ist es negativ zu bewerten, wenn Einkommen wegfällt, aber die Auswirkung dessen, was damit insgesamt positiv verbunden ist, ist mehr als doppelt so hoch zu bewerten. Das ist der eigentliche Grund dafür, warum gerade wegen unserer Sparmaßnahmen vieles jetzt wieder so nach oben geht.
— Das ist kein Zweckoptimismus, Herr Kollege Sieler, das sind nüchterne Zahlen, die sich bereits in den Büchern unserer Unternehmen niederschlagen.
Nun sind in diesem Haushalt auch die Zuschüsse für Nürnberg etatisiert. Wir haben die Zuschüsse für die Bundesanstalt in Nürnberg auf 1,7 Milliarden DM begrenzt. Dabei sind 2,38 Millionen Arbeitslose unterstellt. Alle Prognosen, die wir heute haben, sind günstiger; sie liegen teilweise bei 2,25 Millionen. Wir haben das Risiko bewußt hoch eingeschätzt, sind also mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes vorgegangen. Wir gehen davon aus, daß von 100 Arbeitslosen 43,5 Arbeitslosengeld beziehen und weitere 22 % Arbeitslosenhilfe beanspruchen werden. Aber im Gegensatz zu früheren Jahren — darüber hatten wir die Auseinandersetzung — haben wir die Risiken des Arbeitsmarktes in diesem Haushalt reichlich abgesichert. Negative Überraschungen wie in den vergangenen Jahren sind im nächsten Jahr nicht zu erwarten; es können nur Wenden zum Besseren eintreten.
In diesem Zusammenhang hat Frau Fuchs zur Rentenversicherung vorhin wieder den alten Vorschlag gebracht, man solle doch die Wertschöpfung als Grundlage für Sozialbeiträge einführen. Frau Fuchs, Sie kennen sicherlich das, was dagegen spricht. Wenn man dies täte, wäre die logische Folge, daß wir unsere Unternehmen daran hindern, zu rationalisieren. Die Folge wäre ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das heißt zu deutsch: Unser Land, das weitgehend vom Export lebt, würde auf dem Weltmarkt zurückfallen. Dies spricht schlechterdings gegen Ihren Vorschlag.
Wir haben diesem Haushalt zugrunde gelegt, daß die Löhne und Einkommen im nächsten Jahr um 3,4 % steigen werden. Das war zunächst nicht ganz unstrittig. Denn wir müssen ja sehen, daß es im öffentlichen Dienst zwar Zuwächse geben wird, aber doch unter diesem Durchschnitt. Darüber hinaus wird in Verbindung mit der 35-Stunden-Woche
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Dr. Friedmann
manches in Richtung Arbeitszeitverkürzung gehen und eben nicht in Richtung Lohnerhöhungen. Trotzdem, die 3,4% sind als Durchschnitt sorgfältig überlegt. Sie haben Einfluß auch auf die Beitragseinnahmen der Bundesanstalt und der Sozialversicherung. Daher sind die Einnahmen dieser Einrichtungen sorgfältig kalkuliert und etatisiert.
Nun kommt immer wieder der Vorschlag, vor allem aus Ihren Reihen, man solle doch um Gottes willen im öffentlichen Bereich, beim Staat, keine Leute freisetzen, sondern dort möglichst viele Menschen beschäftigen. Sie kritisieren unsere Absicht, z. B. bei der Bundesbahn Personal abzubauen. Sie hätten gern, daß wir noch mehr Menschen über ABM beschäftigen. Es werden ohnehin 65 000 sein. Ich bin der Meinung, das wäre genau der falscheste Weg, den wir gehen können. Zuviel öffentlicher Dienst bindet zuviel Geld des Staates an Lohn- und Gehaltszahlungen und hindert den Staat daran, sinnvolle Investitionen vorzunehmen. Es ist viel wichtiger und richtig, daß der Staat nicht mehr Menschen beschäftigt, als er unbedingt benötigt, damit er Spielraum für Investitionen hat und so die Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft entstehen, wohin sie auch gehören. Alles andere ist ein Irrweg und würde uns auf Dauer in eine völlig falsche Richtung leiten.
Sie von der Opposition kritisieren immer wieder, wir hätten alle Probleme gelöst, wir könnten uns alle Sparmaßnahmen sparen, wenn wir auf den Verteidigungshaushalt verzichten würden. Vor allem bei Ihnen von den GRÜNEN ist es gang und gäbe zu sagen: Laßt doch die Ausgaben für Verteidigung sein — Sie nennen es sogar Rüstung —; dann sind wir aus allen Problemen im sozialen Bereich heraus. Das ist ein Trugschluß. Der Verteidigungshaushalt liegt bei 48 Milliarden DM. Wir haben auf allen Ebenen des Staates, nicht nur beim Bund, auch bei den Sozialversicherungen, auch bei den Ländern, auch bei den Kreisen, auch bei den Gemeinden Sozialausgaben, und so gibt die öffentliche Hand das 15fache des Verteidigungshaushalts für Sozialausgaben aus.
Das heißt: Selbst wenn wir den ganzen Verteidigungshaushalt streichen würden, um uns Probleme an anderer Stelle zu ersparen, wäre das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ich stehe auf dem Standpunkt: Ein Volk, das etwas auf sich hält, das sich seiner bewußt ist, ist auch bereit, sich im Ernstfall zu verteidigen. Ich muß ein Wort wiederholen, auch wenn Sie es nicht gern hören: Was nutzt uns der schönste Sozialstaat, wenn die Kosaken kommen?
— „Starker Tobak". Auf diese Reaktion, Herr Apel, habe ich gewartet; denn das Zitat stammt von einem Sozialdemokraten. Ich habe es wörtlich von ihm übernommen.
Frau Fuchs hat soeben die Frage aufgeworfen, die Kritik angebracht, daß die Renten möglicherweise nicht solide finanziert sein könnten. Frau
Fuchs, vor Jahren hatten wir in der Sozialversicherung 9, 10 Monatszahlungen als Rücklage;
aber durch Ihre Gesetzgebung, die Sie durchgedrückt haben, sind diese Rücklagen auf ein Minimum gesunken.
Wir haben sorgfältig gerechnet. Es wird im nächsten Jahr knapp zugehen — das ist zuzugeben —, und es wird eine Phase in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres geben, bei der es kritisch wird. Aber wir kommen über die Runden. In einer sehr kritischen Aussprache mit den betroffenen Ministern haben wir alle Fälle durchgerechnet, und ich kann Ihnen sagen: Der Finanzminister ist bereit, die Zuschüsse des Bundes, die sowieso anstehen, so vorzuziehen, daß keine Liquiditätsengpässe entstehen können. Voraussichtlich nur im November wird die Rentenversicherung an den Geldmarkt herantreten müssen.
— Das ist ein vorübergehender Zustand, den wir uns nicht eingebrockt, sondern den wir von Ihnen übernommen haben.
Im übrigen ist dieses Jahr das kritischste Jahr; denn die beschlossenen Maßnahmen führen zu einer besseren Einnahmesituation im übernächsten Jahr.
Eines möchte ich klarstellen: Wenn wir uns anschicken, da und dort so manches in der Rentenversicherung zu verbessern, wenn wir bereit sind, jeder Mutter, die ein Kind großgezogen hat, ein Beitragsjahr in der Rentenversicherung anzurechnen, wenn wir die Hinterbliebenenversorgung neu regeln — dies alles wird ja geschehen —, so ist dies nur dann machbar, wenn die Gesamtsumme der Neuregelungen zu keiner zusätzlichen Ausgabenbelastung für die Rentenversicherung führt. Es muß tatsächlich knapp gerechnet werden.
Ich möchte zum Schluß folgendes feststellen. Unser Arbeitsminister hat ein schweres Paket an unbeliebten Maßnahmen durchzuziehen. Dies erfordert ein Konzept und Durchhaltevermögen. Ich bewundere ihn immer wieder, wie er auf einem so unliebsamen Gebiet seinen Mann steht. Er macht dies vorzüglich. Verehrter Herr Minister Blüm, auch wenn wir zeitweise in der Sache verschiedener Meinung waren, muß ich Ihnen bestätigen: Sie sind ein Prachtstück in unserer Regierung.
Deshalb stimmen wir auch gern Ihrem Einzelplan 11 zu.
Schönen Dank.
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3175