Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Nein.
— Sie brauchen j a nicht damit einverstanden zu sein. Sie können j a eine ganz andere Politik vorschlagen. Dann treten wir vor die Wähler, und dann werden wir sehen, was die Bürger bevorzugen.
Ein letzter Punkt: Ich glaube, daß es im Arbeitsrecht nicht darum geht, uns vor Kündigung zu schützen; dieser Schutz muß erhalten bleiben. Aber
— es ist heute morgen schon davon gesprochen worden — der Arbeitsmarkt hat zwei Seiten: die Wiedereinstellungschance ist so wichtig wie der Kündigungsschutz. Wir müssen vor Entlassungen geschützt werden. Wer aber nur auf diesen Schutz achtet, baut möglicherweise diesen Schutz zur Sperre für diejenigen auf, die wieder eingegliedert werden wollen. In Zeiten der Vollbeschäftigung steht der Schutz vor Entlassungen im Vordergrund, in Zeiten angespannten Arbeitsmarktes geht es nicht nur um den Schutz für diejenigen, die Arbeit haben, sondern auch um die Chance, wieder Arbeit zu finden für diejenigen, die draußen sind.
Deshalb wollen wir auch dem befristeten Arbeitsvertrag andere Spielräume für eine Übergangszeit geben. Die Arbeitsgerichte haben diesem befristeten Arbeitsvertrag heute schon Spielraum gegeben. Der Gesetzgeber war nämlich zu feige, dieses heiße Eisen anzupacken. Er hat die Arbeitsgerichte alleingelassen. Wir wollen Ordnung und Klarheit in die
Verhältnisse bringen und nicht alles den Arbeitsgerichten allein überlassen.
Es gibt keine befristeten Arbeitsverträge als Kettenverträge, und wir werden mit den befristeten Arbeitsverträgen nicht den Kündigungsschutz unterlaufen. Aber, meine Damen und Herren, auch wieder aus der Praxis: Was macht ein Betriebsrat, wenn ihn der Arbeitgeber fragt, ob er einen neuen Auftrag, von dem er nicht weiß, ob er von Dauer ist ader ob es nur ein Strohfeuer ist, in Sonderschichten oder durch Neueinstellungen bewältigen soll, die möglicherweise in einem halben Jahr wieder zur Kündigung führen? Ich sage Ihnen, 99 von 100 Betriebsräten antworten darauf: Sonderschichten und Überstunden. Damit sie von dieser Versuchung befreit werden, muß es gerade in diesen Zeiten die Möglichkeit geben, Arbeitslose einzustellen, auch wenn man noch nicht weiß, ob der konjunkturelle Durchbruch von Dauer oder nur vorübergehend ist.
Für eine solche Sozialpolitik brauche ich keine Lehrbücher. Da brauche ich den Karl Marx nicht und auch nicht seine Jünger. Da langen die Erfahrungen aus dem Arbeitsleben, um eine lebensnahe Sozialpolitik zu machen.
Ich frage mich auch, ob der Mutterschutz, wenn er dem Betrieb zugeordnet ist, nicht möglicherweise die Vermittlungschancen für junge Frauen behindert.
Müssen wir nicht den Mutterschutz, statt ihn dem Betrieb zuzuordnen, überbetrieblich organisieren, damit die Einstellungschancen für junge Frauen erhöht werden? Wir machen Politik für die Arbeitnehmer, und zwar für die Arbeitnehmer, die draußen sind, und nicht nur für die Arbeitnehmer, die drinnen sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich den durch Ihren Wellengang etwas hektischen Rundkurs hier beenden. Wir machen Sozialpolitik ohne Scheuklappen, eine Sozialpolitik, die sich fragen läßt: Was bringt unsere Politik den Menschen? Wir machen eine Sozialpolitik, die nicht im eigenen Saft schmort. Wir sind immer nur Mittel zum Zweck. Die Aufgabe wird sein, diese Sozialpolitik erstens finanzierungsfähig zu halten — von einer nicht finanzierbaren Sozialpolitik hat niemand etwas —und sie zweitens menschlich zu machen und zu erhalten, wobei Geld und Menschlichkeit nicht unbedingt identisch sind. Ich glaube, daß nicht nur das Denken in Umverteilungskategorien sozialpolitischen Fortschritt bringt, sondern daß wir für eine neue Sozialpolitik auch mehr Phantasie brauchen, und die hängt nicht vom Mangel an Geld ab. Phan-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3165
Bundesminister Dr. Blüm
tasie und Mut, das ist die Zukunft unserer Sozialpolitik.