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ID1004408900

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    Vokabeln: 10
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/44 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 44. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 Inhalt: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 —Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 08 Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksachen 10/638, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 32 Bundesschuld — Drucksache 10/653 — in Verbindung mit Einzelplan 60 Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 10/657 — in Verbindung mit Einzelplan 20 Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/647, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksachen 10/686, 10/716 —Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/687 — Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksachen 10/281, 10/535, 10/723 — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 Einzelplan 09 Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft — Drucksachen 10/639, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 —Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses — Drucksache 10/677 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/696 — in Verbindung mit Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksachen 10/640, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 10/641, 10/659 — dazu Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 10/724, 10/733 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/725 — Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der unmittelbaren Kostenbeteiligung der Versicherten an der Krankenhaus- und Kurbehandlung (Selbstbeteiligungs-Aufhebungsgesetz) — Drucksache 10/120 — Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 10/675 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/676 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Fraktion der SPD Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit — Drucksachen 10/189, 10/704 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag des Abgeordneten Hoss und der Fraktion DIE GRÜNEN Sofortmaßnahme: Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung — Drucksachen 10/205, 10/698 — Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Mutterschaftsurlaub — Drucksachen 10/358 Nr. 64, 10/706 — in Verbindung mit Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksachen 10/645, 10/659 — in Verbindung mit Haushaltsgesetz 1984 — Drucksachen 10/658, 10/660 — Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU . 3109B, 3205 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 3109C Wieczorek (Duisburg) SPD 3118A Carstens (Emstek) CDU/CSU 3123 D Stratmann GRÜNE 3128 B Dr. Weng FDP 3133 B Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 3136 D Frau Simonis SPD 3144 B Glos CDU/CSU 3150 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 3154 D Vizepräsident Stücklen 3156 C Frau Fuchs (Köln) SPD 3165A Dr. Friedmann CDU/CSU 3171 D Frau Potthast GRÜNE 3175A Frau Seiler-Albring FDP 3176B, 3248 B Roth SPD 3178C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 III Wissmann CDU/CSU 3183 D Hoss GRÜNE 3186 A Dr. Haussmann FDP 3189 D Sieler SPD 3191 D Präsident Dr. Barzel 3194A Jagoda CDU/CSU 3195A Vizepräsident Frau Renger 3195 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 3198 D Gobrecht SPD 3201 B Frau Dr. Vollmer GRÜNE 3208 B Dr. Faltlhauser CDU/CSU 3210 C Grünbeck FDP 3212 B Wolfram (Recklinghausen) SPD . . . 3213C Schulhoff CDU/CSU 3218 D Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 3220 D Frau Zutt SPD 3223 C Bredehorn FDP 3226 A Kiechle, Bundesminister BML 3227 D Hauck SPD 3230 B Dr. Hoffacker CDU/CSU 3232 C Eimer (Fürth) FDP 3236 B Jaunich SPD 3237 A Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 3239 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 3244 A Roth (Gießen) CDU/CSU 3245 D Walther SPD 3249 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 3250 B Vizepräsident Wurbs 3258 C Namentliche Abstimmungen . 3254 B,C, 3256 B,C Nächste Sitzung 3258 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3259* A Anlage 2 Erklärung des Abg. Heyenn (SPD) nach § 31 Abs.1 GO 3259* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3107 44. Sitzung Bonn, den 8. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 12. Cronenberg (Arnsberg) 9. 12. Fischer (Frankfurt) 9. 12. Gerstl (Passau) * 9. 12. Gilges 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Haase (Fürth) * 9. 12. Haehser 9. 12. Handlos 9. 12. Frau Dr. Hartenstein 9. 12. Immer (Altenkirchen) 9. 12. Dr. Kreile 8. 12. Lemmrich* 9. 12. Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Dr. Müller* 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Reddemann* 9. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. von Schmude 9. 12. Schreiner 9. 12. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 9. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Verheyen 9.12. Voigt (Frankfurt) 9. 12. Weiskirch (Olpe) 9. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung des Abg. Heyenn (SPD) nach § 31 Abs.1 GO Zur Abstimmung über den Einzelplan 11 erkläre ich hiermit, daß ich aus den von Sprechern meiner Fraktion dargelegten Gründen nicht zustimmen kann. Ich begrüße jedoch, daß es auf Betreiben meiner Fraktion eine interfraktionelle Einigung darüber gegeben hat, wie sichergestellt werden kann, daß die drei im Hamburger Verkehrs-Verbund einbezogenen Linien der Eisenbahngesellschaft Altona, Kaltenkirchen, Neumünster (AKN) auch künftig von Behinderten unentgeltlich in Anspruch genommen werden können. Ich begrüße weiter, daß die Fraktionen von CDU/CSU und FDP verbindlich erklärt haben, eine gesetzliche Regelung vorzunehmen, wenn der jetzt gemeinsam vorgesehene Weg nicht zum Ziel führt. Die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD haben sich darauf geeinigt, im Rahmen der Aussprache zum Einzelplan 11 folgende Erklärung zu Protokoll zu geben: Die Fraktionen gehen übereinstimmend davon aus, daß die obersten Landesbehörden in Hamburg und Schleswig-Holstein die drei in den Hamburger Verkehrsverbund einbezogenen Linien der Eisenbahngesellschaft Altona, Kaltenkirchen, Neumünster (AKN) als S-Bahnen im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3 Schwerbehindertengesetz anerkennen. Durch diese Entscheidung der zuständigen Landesbehörden soll sichergestellt werden, daß Behinderte auch künftig diese Linien, die eine Reihe von S-Bahnmerkmalen aufweisen, unentgeltlich in Anspruch nehmen können.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich danke Ihnen für den Hinweis, Herr Präsident.
    Ich finde, die härteste Disziplinierung, die die Industriegesellschaft in das Arbeitsleben gebracht hat, ist das Korsett starrer Arbeitszeiten. Das war in früheren Zeiten ganz unbekannt. Früher, in agrarischen Zeiten, hatte man sehr viel mehr Gelegenheit, Leben und Arbeit miteinander zu versöhnen.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Wir sind doch aber in einem Stadium des technologischen Fortschritts, wo der Individualisierung wieder mehr Spielräume gegönnt werden, wo wir Arbeit und Leben wieder miteinander versöhnen können. Ich bin auch ganz sicher, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer die selbstbestimmte Altersgrenze einer 35-Stunden-Woche, die als Befehl gegeben wird, vorzieht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die scheiden sowieso vorher schon krank aus!)

    Das ist nach dem Marschmuster: im Gleichschritt marsch! Wir bevorzugen die zivile Gangart und die eigene Entscheidung des Arbeitnehmers.

    (Burgmann [GRÜNE]: Das müssen Sie einmal einem Fließbandarbeiter erzählen, Herr Blüm!)

    Wo Freiheit sich mit Freiheit stößt, muß man sich freilich vereinbaren. Die Freiheit hat größere Spielräume, wenn wir die Vereinbarungen den Partnern und den Tarifvertragsparteien überlassen und die Entscheidungen nicht durch Gesetz treffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen den Staat!)

    Damit komme ich auch zu dem dritten Vorteil. Solcher Ausgleich wird nur im Kompromiß möglich sein. Im Unterschied zu den Liebhabereien der Klassenkämpfer halte ich den Kompromiß für die größte Erfindung der Sozialgeschichte. Er zwingt uns, mit dem Kopf des anderen zu denken, er zwingt uns zur Rücksichtnahme, er zwingt uns zu Vereinbarungen, die man gegenüber der eigenen Anhängerschaft auch vertreten muß, er zwingt uns in dieser Frage auch zu einem Ausgleich zwischen Lohn-, Einkommen- und Arbeitszeitinteressen. Auch das gehört zur Vernichtung einer Lebenslüge. Man könnte neue Arbeitszeitverkürzungen und alte Lohnerhöhungen haben — das ist eine Lebenslüge; man kann den Kuchen nicht zweimal essen. Was von der Produktivität für Lohn weggenommen wurde, das steht nicht mehr für Arbeitszeit zur Verfügung. Hier müssen Kompromisse und Ausgleich gefunden werden.
    Der vierte Vorteil: Dieses Vorruhestandsangebot funktioniert im Sinne eines Beschäftigungspaketes. Drei müssen mitspielen: Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Wenn nur einer nicht mitspielt, kommt nichts zustande.

    (Zuruf von der SPD: Arbeitnehmer!)

    — Ich habe Gewerkschaften mit Arbeitnehmern identifiziert. Mein Gott, ist das für einen Sozialdemokraten ungewöhnlich? Wenn einer nicht mitspielt, kommt die ganze Regelung nicht zustande. Ich bin davon überzeugt: Wir werden aus der Arbeitslosigkeit nur herauskommen, indem Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammenarbeiten. Wenn einer glaubt, er schafft es allein, überschätzt er seine Kräfte.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Sie sind also für Mitbestimmung!)

    Ein Drittes wiederum abseits jeder Theorie: Wer sind denn die Jahrgänge, die die Vorruhestandsregelung beanspruchen können? Das sind die Jahrgänge 1929 und älter. Fragen wir doch einmal, wer diese Mitbürger sind. Es sind die Mitbürger, die in Zeiten geboren wurden, in denen Inflation und Massenarbeitslosigkeit herrschten. Es sind die Mitbür-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3163
    Bundesminister Dr. Blüm
    ger, die ihre Jugendzeit in Schützengräben, bei Bombennächten zugebracht haben. Es sind die jungen Frauen und Männer, die nach dem Krieg den Schutt weggeräumt haben, wie man in meiner Heimat sagt, für „nen Appel und en Ei", und das zustande gebracht haben, was andere dann das Wirtschaftswunder genannt haben, und zwar für die Gegenleistung eines Henkelmanns mit dünner Suppe, die Sie nicht als Zahnwasser benutzen würden.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie auch nicht, Herr Blüm!)

    Dafür haben sie Schutt weggeräumt. Ich finde, daß diese Generation, die auf dem Wohlstand der eben genannten Generation aufbaut, auch in den Pflichten einer Wiedergutmachung steht. Insofern ist die Vorruhestandsregelung auch eine Anerkennung der Generation, die die schlimmsten Opfer und größten Leistungen in diesem Jahrhundert erbracht hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Burgmann [GRÜNE]: Unerhört!)

    Wir machen damit gleichzeitig Arbeitsplätze für die Jungen frei. Sie sehen, wir machen eine Politik für jung und alt, im Geben und Nehmen. Das ist genau die Zeit, in denen die geburtenstarken Jahrgänge vor der Tür stehen.
    Ich will Sie noch darauf hinweisen, daß diese Arbeitszeitregelung die einzige ist, in die ein Wiedereinstellungsmechanismus eingebaut ist. Wir machen sie flexibel, wir begrenzen sie zeitlich. Wir halten nichts von einer dogmatischen Sozialpolitik, die immer alles besser weiß und mit Jahrhundertwerken glänzen will. Was als Jahrhundertwerk angeboten wurde, waren in der Mehrzahl der Fälle nur Tagesfliegen. Wir wollen das zeitlich begrenzen. Wir glauben, daß wir es schaffen, in unserem Land wieder Vollbeschäftigung herzustellen. Deshalb finden wir uns mit dem Mangel nicht ab. Wir wollen über diese schwere Zeit geburtenstarker Jahrgänge und arbeitsmarktpolitischer Anspannung hinwegkommen. Diese Vorruhestandsregelung ist mit einem Rahmenprogramm verbunden. Wir machen Politik im Zusammenhang. Wir hopsen nicht von einer Maßnahme zur anderen. Deshalb bin ich dafür, daß wir die 59er-Regelung, so wie sie jetzt ist, nämlich daß man mit 59 Jahren in die Arbeitslosigkeit gehen kann, um dann mit 60 Jahren drei Jahre früher in Rente zu sein, zumachen. Denn bei Licht betrachtet, meine Damen und Herren, war das in vielen Fällen ein abgekartetes Spiel zwischen Betriebsräten und Geschäftsleitung.

    (Zurufe von der SPD)

    Großbetriebe haben auf diese Weise ihre Personalprobleme gelöst; bezahlt haben es der Mittelstand und die Arbeitnehmer im Mittelstand.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Das hat die Rentenversicherung 1,7 Milliarden DM gekostet, 700 Millionen DM die Bundesanstalt für Arbeit. Jeder zweite Großbetrieb hat davon Gebrauch gemacht, aber nur jeder 14. Kleinbetrieb. Dabei habe ich die Betriebe mit weniger als 50
    Beschäftigten noch nicht einmal mitgezählt. Das ist eine Sozialpolitik mit eingebauten Privilegien. Eine solche Sozialpolitik machen wir nicht. Wir machen nicht die Sozialpolitik für die Cleveren, wir machen die Sozialpolitik für Herr und Frau Jedermann, nicht für die Cleveren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit dem Ausblick auf die vor uns liegende Sozialpolitik schließen. Ich glaube, daß man für eine verläßliche Sozialpolitik Orientierungen braucht, daß man nicht im Versicherungsgestrüpp hängenbleiben darf.
    Die erste Orientierung für mich ist: Leistung muß sich lohnen. Deshalb müssen leistungsbezogene Ansprüche, durch Beitragszahlung erworbene Ansprüche immer Vorfahrt haben. Auch in der Sozialpolitik hat Leistung ihren Platz. Die selbsterworbene Rente ist immer tabu gegenüber allen Zumutungen durch Verteilungspolitiker. Wer etwas durch Beitrag erworben hat, empfängt seine Sozialleistungen mit einem anderen Selbstbewußtsein; er empfindet sie nicht als Zuteilung der Obrigkeit, wie immer sie aussieht.

    (Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren, ich kann auch darauf noch antworten. Ich habe gesagt: Leistung hat einen Platz in der Sozialpolitik; ich habe nicht gesagt, daß die Sozialpolitik nur aus Leistung bestehen wird. — Ich füge allerdings zweitens hinzu, daß Sozialleistungen auch einen Abstand zu dem Lohn haben müssen, von dem sie abhängen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Lohnersatz kann nicht so hoch sein wie der Lohn, den er ersetzt, sonst würde dieser Begriff Lügen gestraft. Auch das ist ein Grund dafür, warum wir das Krankengeld beitragspflichtig gemacht haben; es war ja in der Mehrzahl der Fälle mit dem Nettolohn identisch.
    Ich nenne den dritten Grundsatz: Solidarität muß durch Subsidiarität gegliedert werden. Meine Damen und Herren, wir unterscheiden uns nicht durch das Bekenntnis zur Solidarität. Ich kann mir keine Gesellschaft ohne Solidarität vorstellen. Keiner kommt ohne den anderen aus. Der Unterschied liegt nicht im Ob der Solidarität; der Unterschied liegt darin, wie die Solidarität aussieht. Die sozialistische Solidarität ist die nivellierte Gleichheitssolidarität, die kollektivistische Solidarität.

    (Lachen bei der SPD — Lutz [SPD]: So ein Quatsch!)

    Unsere Solidarität ist gegliedert. Der Sozialismus wird durch eine tiefe Angst vor den Unterschieden getrieben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Ein unglaublicher Quatsch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ich bin ja kein Tiefenpsychologe.

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    3164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
    Bundesminister Dr. Blüm
    Ich fürchte, es ist die Angst vor dem anderen. Deshalb muß der andere immer der gleiche sein. Wir sehen Vielfalt als Bereicherung.

    (Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, deshalb halten wir auch mehr von einer Sozialpolitik, die nicht alles dem Staat zuschanzt. Entstaatlichen heißt für uns nicht entsolidarisieren, sondern es heißt der Differenzierung Raum geben. Nicht in jedem Unterschied liegt eine Unterdrückung. Ich sehe darin auch die Chance, den kleinen Gemeinschaften Raum zu geben, der ambulanten Versorgung.
    Es gibt die Diskussion über eine Pflegeversicherung. Ich fürchte, eine solche Pflegeversicherung ist ein Angebot, das nur neue Nachfrage schafft. Niemand redet davon, daß 80 % der Pflegefälle in den Familien, in der Nachbarschaft versorgt werden. Wir müssen Sozialpolitik nicht nur für die Apparate machen; wir müssen Sozialpolitik auch für diejenigen machen, die ihre Probleme in eigener Zuständigkeit zu lösen versuchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dreßler?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Blüm


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein.

    (Zurufe von der SPD)

    — Sie brauchen j a nicht damit einverstanden zu sein. Sie können j a eine ganz andere Politik vorschlagen. Dann treten wir vor die Wähler, und dann werden wir sehen, was die Bürger bevorzugen.
    Ein letzter Punkt: Ich glaube, daß es im Arbeitsrecht nicht darum geht, uns vor Kündigung zu schützen; dieser Schutz muß erhalten bleiben. Aber
    — es ist heute morgen schon davon gesprochen worden — der Arbeitsmarkt hat zwei Seiten: die Wiedereinstellungschance ist so wichtig wie der Kündigungsschutz. Wir müssen vor Entlassungen geschützt werden. Wer aber nur auf diesen Schutz achtet, baut möglicherweise diesen Schutz zur Sperre für diejenigen auf, die wieder eingegliedert werden wollen. In Zeiten der Vollbeschäftigung steht der Schutz vor Entlassungen im Vordergrund, in Zeiten angespannten Arbeitsmarktes geht es nicht nur um den Schutz für diejenigen, die Arbeit haben, sondern auch um die Chance, wieder Arbeit zu finden für diejenigen, die draußen sind.

    (Burgmann [GRÜNE]: Zurück zum Tagelöhner!)

    Deshalb wollen wir auch dem befristeten Arbeitsvertrag andere Spielräume für eine Übergangszeit geben. Die Arbeitsgerichte haben diesem befristeten Arbeitsvertrag heute schon Spielraum gegeben. Der Gesetzgeber war nämlich zu feige, dieses heiße Eisen anzupacken. Er hat die Arbeitsgerichte alleingelassen. Wir wollen Ordnung und Klarheit in die
    Verhältnisse bringen und nicht alles den Arbeitsgerichten allein überlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Lutz [SPD])

    Es gibt keine befristeten Arbeitsverträge als Kettenverträge, und wir werden mit den befristeten Arbeitsverträgen nicht den Kündigungsschutz unterlaufen. Aber, meine Damen und Herren, auch wieder aus der Praxis: Was macht ein Betriebsrat, wenn ihn der Arbeitgeber fragt, ob er einen neuen Auftrag, von dem er nicht weiß, ob er von Dauer ist ader ob es nur ein Strohfeuer ist, in Sonderschichten oder durch Neueinstellungen bewältigen soll, die möglicherweise in einem halben Jahr wieder zur Kündigung führen? Ich sage Ihnen, 99 von 100 Betriebsräten antworten darauf: Sonderschichten und Überstunden. Damit sie von dieser Versuchung befreit werden, muß es gerade in diesen Zeiten die Möglichkeit geben, Arbeitslose einzustellen, auch wenn man noch nicht weiß, ob der konjunkturelle Durchbruch von Dauer oder nur vorübergehend ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Für eine solche Sozialpolitik brauche ich keine Lehrbücher. Da brauche ich den Karl Marx nicht und auch nicht seine Jünger. Da langen die Erfahrungen aus dem Arbeitsleben, um eine lebensnahe Sozialpolitik zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich frage mich auch, ob der Mutterschutz, wenn er dem Betrieb zugeordnet ist, nicht möglicherweise die Vermittlungschancen für junge Frauen behindert.

    (Bergmann [GRÜNE]: Jeder Schutz behindert!)

    Müssen wir nicht den Mutterschutz, statt ihn dem Betrieb zuzuordnen, überbetrieblich organisieren, damit die Einstellungschancen für junge Frauen erhöht werden? Wir machen Politik für die Arbeitnehmer, und zwar für die Arbeitnehmer, die draußen sind, und nicht nur für die Arbeitnehmer, die drinnen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Urbaniak [SPD]: Sie machen Politik gegen die Arbeitnehmer!)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich den durch Ihren Wellengang etwas hektischen Rundkurs hier beenden. Wir machen Sozialpolitik ohne Scheuklappen, eine Sozialpolitik, die sich fragen läßt: Was bringt unsere Politik den Menschen? Wir machen eine Sozialpolitik, die nicht im eigenen Saft schmort. Wir sind immer nur Mittel zum Zweck. Die Aufgabe wird sein, diese Sozialpolitik erstens finanzierungsfähig zu halten — von einer nicht finanzierbaren Sozialpolitik hat niemand etwas —und sie zweitens menschlich zu machen und zu erhalten, wobei Geld und Menschlichkeit nicht unbedingt identisch sind. Ich glaube, daß nicht nur das Denken in Umverteilungskategorien sozialpolitischen Fortschritt bringt, sondern daß wir für eine neue Sozialpolitik auch mehr Phantasie brauchen, und die hängt nicht vom Mangel an Geld ab. Phan-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983 3165
    Bundesminister Dr. Blüm
    tasie und Mut, das ist die Zukunft unserer Sozialpolitik.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei der FDP — Zurufe von der SPD)