Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Gerne, Herr Präsident. — Die offenen Stellen haben gegenüber dem Vorjahresmonat, dem November 1982, um 35,3 % zugenommen. Die Kurzarbeit — Kurzarbeit ist ja auch eine Form von Arbeitslosigkeit; sie ist eine Teilarbeitslosigkeit — hat um 539 000 Arbeitnehmer abgenommen. Eine halbe Million Arbeitnehmer weniger in Kurzarbeit! 52% weniger in Kurzarbeit! Das ist ein Erfolg unserer Politik.
Der vierte Erfolg, den ich mit großer Genugtuung vortrage: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt wieder unter der Gesamtquote der Arbeitslosen.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 4 482 Arbeitnehmer, also nicht nur relativ, sondern auch absolut zurückgegangen. Im letzten November stieg die Jugendarbeitslosigkeit noch um 8 594.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, was wäre eigentlich passiert, wenn Sie vier solcher Erfolgsmeldungen in Ihrer Regierungszeit vorgetragen hätten? Sie hätten Erntedankfeste gefeiert.
Der „Vorwärts" hätte eine Sondernummer gedruckt. Der DGB hätte Glückwunschadressen, jeden Tag eine, an Ihre Fraktion geschickt.
Es ist auch das Desaster der sozialdemokratischen Schwarzmalerei.
— Ja; Sie haben doch ganz anderes angekündigt für diesen Monat.
— Also lassen Sie mich doch Ihnen einmal Ihre eigenen Ankündigungen entgegenhalten! Man wird doch noch Sozialdemokraten zitieren dürfen, ohne daß man von Sozialdemokraten gestört wird.
3156 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. Dezember 1983
Bundesminister Dr. Blüm
Der Kollege Roth hat am 1. März 1983 im SPD-Fraktionspressedienst — ich habe alles Beweismaterial hier dabei — verkündet: Im Januar 1984 mehr als drei Millionen Arbeitslose! Und der Kollege Jens hat im Mai noch eines draufgelegt — ich zitiere wieder —:
Im Dezember oder in den Anfangsmonaten des Jahres 1984 werden wir eine saisonale plus konjunkturelle Arbeitslosigkeit von über 3,5 Millionen DM aufweisen.
— 3,5 Millionen Arbeitslose! Ja, man kommt da bei sozialdemokratischen Pressediensten immer etwas durcheinander.
Dreieinhalb Millionen Arbeitslose haben Sie uns angekündigt. Uns sind zwei Millionen immer noch zuviel. Aber Sie haben sich als Kassandra betätigt. Die alte Fortschrittspartei SPD als Kassandra! Das sind in der Tat Wandlungen. Die alte Sozialdemokratie: fortschrittsgläubig. Die neue Sozialdemokratie: untergangssehnsüchtig. Um als chicer Sozialdemokrat zu gelten, darf man nicht mehr wie noch die Großväter mit glühenden Augen die Morgenröte des Fortschritts erwarten. Man gilt als chic nur, wenn man den Untergang verkündet.
Man kann es auch anders formulieren: Die SPD auf der Flucht ins Grüne.
Die alte fortschrittsgläubige Arbeiterpartei fusioniert mit den Anhängern einer spätbürgerlichen Zivilisationskritik. Ich betrachte die Alternativen als eine spätbürgerliche romantische Bewegung. Und mit denen konfusionieren Sie jetzt. Das ist die eigentliche Wende.
— Regen Sie sich doch nun wirklich nicht auf! Das ist keine Philosophie. Ich kann es Ihnen etwas praktischer sagen. Selbst der Dachlatten-Börner mendelt jetzt zum Petersilien-Guru.
— Nein, ich trage das gar nicht mit Schadenfreude vor.