Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Frau Kollegin Simonis sehr dankbar, die vorhin in ihrer un-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 44. Sitzung. Bonn. Donnerstag. den 8. Dezember 1983 3151
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nachahmlich charmanten Art zur Wirtschaft Stellung genommen hat, daß sie vor allen Dingen einmal das Verhältnis der GRÜNEN zum Sexismus klargestellt hat. In dieser Frage, Frau Kollegin Simonis, haben Sie mehr Klarheit geschaffen als beim wirtschaftpolitischen Kurs der SPD; denn was wir seit der Bundestagswahl oder seit der Wende gehört haben, waren nur alte Formeln aus der wirtschaftspolitischen Alchemistenküche der SPD. Sie haben vorher nichts getaugt, und sie taugen heute nichts mehr.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die dringend notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen bei den öffentlichen Haushalten sowie die dringend notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft werden nach wie vor hier im Bundestag und vor allen Dingen von Ihren Hilfstruppen draußen nur als Umverteilung von unten nach oben oder gar als unsozial beschimpft. Solche Beschimpfungen sind ebenso töricht, wie wenn man bei einem Großbrand die Feuerwehr beschimpft, weil sie beim Löschen etwas Wasserschaden anrichtet, statt endlich die Brandstifter dingfest zu machen.
Es ist doch unbestritten richtig, daß diese Koalition in verhältnismäßig kurzer Zeit trotz der drükkenden Erblast einen Stimmungsumschwung bei Investoren und Verbrauchern bewirkt hat. Wir sind
drauf und dran, durch diese gute Politik mit einem Befreiungsschlag der Sklaverei des Schuldenstaates endlich wieder zu entrinnen. Die deutlich abgesenkte Nettokreditaufnahme entlastet den Kapitalmarkt, sie treibt die Zinsen nicht weiter in die Höhe, sondern das Gegenteil ist der Fall. Wer allerdings geglaubt hat — das sage ich auch an die Adresse vieler eigener Freunde und Anhänger —, daß wir die tiefgreifenden Strukturprobleme unserer Wirtschaft mit einem Federstrich lösen und den Arbeitsmarkt mit einem Schlag in Ordnung bringen können, der sieht sich natürlich mit Recht getäuscht. Wir haben das nie versprochen, wir haben das nie so gesagt. Ich würde eher Professor Giersch zustimmen, der zu dieser Frage sagt: „Es wird 20 bis 30 Jahre dauern, bis die tiefgreifenden Fehlentwicklungen der 70er Jahre wieder beseitigt sind."
Trotz der gestrigen Polemik von Herrn Vogel zu dieser Frage will ich in dem Zusammenhang nachdrücklich begrüßen, daß gerade in den letzten Monaten die Diskussion über die Vielzahl von arbeitsplatzgefährdenden oder arbeitsplatzverhindernden Vorschriften wieder in Gang gekommen ist. Wir sind alle gut beraten, wenn wir unkonventionelle Denkanstöße, z. B. das Albrecht- oder das GeorgePapier in der nächsten Zeit ganz unvoreingenommen und nüchtern diskutieren. Ich bin der Meinung: Wenn es gilt, das Unrecht der Arbeitslosigkeit gerade der jüngeren Generation zu beseitigen, dann dürfen auch heilige Kühe nicht geschont werden.
Es gibt heute viele Gründe, warum die Wende noch nicht voll auf den Arbeitsmarkt durchgeschlagen ist. Es gibt viele Gründe, warum die Unternehmen zögern, Neueinstellungen vorzunehmen. Die Schutzvorschriften des Arbeitsrechts, die hohen Kosten des Sozialrechtes, die mangelnde Flexibilität im Tarifbereich sind einige davon.
— Wir müssen schon einmal die Frage stellen dürfen, Herr Zwischenrufer, ob nicht nivellierende Bundeseinheitstarife ohne Rücksicht auf die Besonderheiten einzelner Regionen oder Branchen ein gerüttelt Maß an Schuld für die Misere am Arbeitsmarkt tragen.
Wir haben es sehr oft mit einem — ich möchte es einmal so nennen — Tarifkartell zu tun, das seine Vereinbarungen oft zu Lasten Dritter trifft, nämlich zu Lasten der Beitragszahler und auch oft zu Lasten der Steuerzahler, die dies alles dann wieder mit Zuschüssen wettmachen müssen. Wir schaffen damit ein Zwei-Klassen-System auf dem Arbeitsmarkt, nämlich die einen, die Arbeit — zu komfortablen Bedingungen nach geltenden Tarifen, nach geltenden Konditionen — haben, und die anderen, die draußen stehen. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir dies beseitigen können, dann wäre es eigentlich im Interesse der Arbeitnehmer, wenn wir auch von der Seite der Opposition dazu Unterstützung erhalten würden.