Ich will nicht bestreiten, daß in den Augen eines lothringischen Stahlarbeiters auch die Subventionspolitik der Bundesregierung unverfroren sein muß. Aber im Grunde genommen ist das ein Zeichen dafür, daß diese Bundesregie-
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Frau Simonis
rung als Vertreterin eines der wirtschaftlich stärksten Staaten nicht in der Lage ist, innerhalb der EG ein vernünftiges Konzept durchzusetzen.
— Das ist nicht einmal eine Erkenntnis, die ich habe, sondern die Branche trägt dem Minister ständig vor, daß er endlich einmal in Brüssel etwas machen solle.
Und es bleibt natürlich die Tatsache bestehen, daß man in der Tat durch unverfrorene Subventionspolitik, d. h. immer vorbei an den OECD-Regelungen, versucht, sich halbwegs durchzumogeln.
Wir hatten also gerade festgestellt, daß die neue wirtschaftspolitische Linie des Ministers lautet: Abwarten, Durchatmen, mindestens bis tausend zählen, Augen zu und durch, aber ansonsten nichts zu machen.
Wenn die Manager in unseren Krisenbranchen so opferbereit, anpassungsfähig, leistungsbewußt und zukunftsorientiert handelten, wie sie es vom deutschen Arbeitnehmer dauernd verlangen, wäre schon manches in diesen Krisenbranchen geheilt.
Nur ein Bruchteil dieser geforderten Fähigkeiten würde, von Ihnen eingesetzt, den Eindruck der Konzeptionslosigkeit bei der Bundesregierung ein bißchen zerstreuen helfen können.
Wie sehen denn beispielsweise die Stetigkeit und die Ausdauer in der Wirtschaftspolitik aus? Da haben wir laufend wechselnde Signale, beispielsweise in den Fragen: Großfusion der Werften in Bremen, ja oder nein — das sieht vor einer Wahl immer ganz anders aus als hinterher —, übergreifendes Stahlsanierungskonzept, j a oder nein — nachdem die Regierung erst dafür war, ist sie jetzt dagegen —, Fortsetzung bzw. Ausbau eines modernen Luft- und Raumfahrtkonzeptes, ja oder nein,
Vorrang der heimischen Kohle, j a oder nein? Man weiß es nicht immer ganz genau. Heute wird etwas anderes gesagt als morgen. Und ich frage mich, ob der Wirtschaftsminister und mit ihm der Finanzminister morgen noch wissen, was heute zu tun sie sich gestern vorgenommen haben. Das Gefühl, daß sie das wissen, habe ich leider nicht mehr.
Wie ein Hamster in seinem Laufrad rennen sie den Beweisen nach, daß Milton Friedman nicht irren kann — weil er nicht irren darf — und daß Keynes ein geschichtlicher Irrtum der Ökonomie gewesen ist, anstatt Keynes zu modernisieren und Friedman zu vergessen.
Dessen Politiksurrogat hat Chile zum Kollaps geführt, bewirkt, daß in Amerika nahezu 38 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und in
England jeder Dritte. Das ist das Ergebnis einer Politik, in der dem Staat lediglich die Rolle eines Nachtwächters zugewiesen wird. Was, um Gottes willen, brauchen Sie denn noch an Beweisen, um endlich zu begreifen, daß Sie sich auf dem Holzwege befinden, und zu handeln? Denn heute schon zahlen Arbeitnehmer, zahlen aber auch Unternehmer in Krisenbranchen schwer für die Nachtmützen-Politik der Bundesregierung.
Es ist keineswegs ein Lob für die Beteiligten, wohl aber ein Lob für den Finanzminister, wenn man feststellt: Durchgesetzt hat sich in diesem Haushalt auch bei der Wirtschaftspolitik der Finanzminister, nota bene ein Mann, der selten zukunftsweisende Visionen hat, dessen Mut zum Risiko sich im Zurückfahren von Haushaltsansätzen erschöpft und dessen Waterloo jede ausgegebene Mark ist. Der bestimmt die Richtlinien der Wirtschaftspolitik. Und so sieht die dann auch aus.
Es wäre Aufgabe des Wirtschaftsministers gewesen, jene Mittel freizubekommen, die er braucht, um die Modernisierungsprozesse in der Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze zu sichern und zu vermehren und soziale Sicherheit zu garantieren. Hat der Wirtschaftsminister gekämpft? O ja, er hat. Sein Kampf in Sachen ARBED-Saarstahl bestand darin, Massenentlassungen zu fordern. Sie sind weiß Gott der erste Wirtschaftsminister, den ich kennengelernt habe, der Massenentlassungen auf seinem Programm hat. Ich kenne sonst nur Wirtschaftsminister, die für Beschäftigung kämpfen.
Das ist wirklich ein Novum.
Gleichzeitig mit der Massenentlassung haben Sie allerdings etwas anderes vorgehabt, als nur die Arbeitslosenzahl nach oben zu treiben. Sie wollten im Saarland zwischen die Gewerkschaften einen Keil treiben. Sie wollten, daß Tarifverträge aufgelöst werden können und daß die Existenzgrundlage von Tausenden von Arbeitnehmern nahezu an eine Grenze heruntergefahren wird, von der ich behaupten möchte, daß sie ein menschenwürdiges Leben auf Dauer nicht garantieren kann.
Wie sah sein Kampf in der Kohlepolitik aus? Hat der Wirtschaftsminister irgend etwas getan, um sicherzustellen, daß Kohle bei uns verstärkt eingesetzt wird? Nein, kann man nur sagen. Das einzige, was ihm eingefallen ist, sind Freischichten und Kapazitätsanpassung auf Kosten der Bergleute.
Wenn in diesem Zusammenhang im übrigen immer wieder von Ökonomie und Ökologie gesprochen und die für mich verblüffende These aufgestellt wird, Kohle laufe den Zielen der Ökologie zuwider, deswegen brauche man Kernenergie, dann muß ich sagen: Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie selbst Großfeuerungsanlagen-Verordnungen herausgegeben haben, die bei konsequenter
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und schneller Befolgung durchaus den wirtschaftlichen und umweltschonenden Einsatz von Kohle erlauben würden.
— Wissen Sie, lieber Herr Stratmann, ich würde an Ihrer Stelle nicht so herumspektakeln; denn der Sexismus, der vorhin bei Ihrem Vergleich mit der alten Frau, die sich liften läßt, durchgeschlagen ist, hätte in Ihrer Fraktion eigentlich zum Aufschrei führen müssen.
Ich kenne Männer, die zu sehr viel — sagen wir einmal — unerfreulicheren Mitteln greifen, um ihre mangelnde Schönheit aufzupolieren.
Richtig ist, daß es in der Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit — da schließe ich die SPD nicht aus
— durchaus Irrungen und Wirrungen gegeben hat.
Daß Sie von Geburt an alles besser wissen, ehrt Sie, freut mich für Sie, freut mich für Ihre Eltern. Aber daß es so ist, halte ich für unwahrscheinlich.
— Nein, es spricht nur für die gute Familie, aber nicht für die Wirtschaftspolitik, die Sie vorgetragen haben.
Der Minister, dem von Amts wegen eigentlich zuzutrauen wäre, daß er in gesamtwirtschaftlichen Kategorien denkt, befleißigt sich — das kam auch vorhin in seiner Rede wieder zum Ausdruck — im wesentlichen einzelwirtschaftlicher Überlegungen. Das wird dann auch noch wirtschaftswissenschaftlich abgefedert durch das Institut für Weltwirtschaft, das sich zur Verdeutlichung seiner Sparpolitik nicht entblödet hat, uns im Haushaltsausschuß das Modell einer geschlossenen Wirtschaft vorzuführen. Auf die Frage, warum er das tue, hat er geantwortet, das sei für uns didaktisch und pädagogisch vernünftiger.
In solchen Modellen — das will ich j a gerne zugeben — gibt es natürlich, so didaktisch und pädagogisch vernünftig sie sind, keine sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit. Darin gibt es auch keine sozialen Kosten für aussterbende Regionen und Branchen. Darin gibt es lediglich Kosten und Gewinne. Die letzteren gilt es zu maximieren, die ersteren gilt es zu minimieren. Das Ganze um nahezu jeden Preis, vor allen Dingen um den Preis, daß die sozial Schwächsten es zu bezahlen haben.
Natürlich glaubt im Ernst niemand an eine geschlossene Wirtschaft. Im Gegenteil: Der Jubel bricht über jeden Prozentpunkt oder Viertelprozentpunkt aus, um den der Export gesteigert wird. Das Ganze wird dann als ein Erfolg der Regierung dargestellt. Dieser Erfolg hat lediglich damit etwas zu tun, daß sich der Dollar in geradezu atemberaubende Höhen hinaufgeschraubt hat. Dann noch zu behaupten, daß wir eine feste Währung hätten, erfordert auch wieder Mut; denn wenn der Dollar, gemessen an der Mark, auf 2,78 DM gestiegen ist, kann man nur sagen, daß zwischen diesen beiden Währungen irgend etwas nicht in Ordnung ist.
Als Folge davon steigen natürlich unsere Exporte. Das ist wie bei einem aufgeblasenen Luftballon, der jederzeit sofort in sich zusammensinkt, wenn man mit der Nadel hineinpiekt, sprich: wenn der Dollar sinkt. Darauf würde ich keine längerfristige Wirtschaftspolitik aufbauen. Sie haben den Mut dazu. Ich kann nur sagen: à la bonne heure!
Im übrigen verlieren Sie, wenn Sie Ihre Exporte bejubeln, auch kein Wort über zunehmende Auslandsabhängigkeit. Und die steigenden Importe, die sich bei Ihrer mittelfristen Finanzplanung in steigenden Importsteuereinnahmen niederschlagen, finden bei Ihnen auch kaum eine Erwähnung. Es ist ungefähr so, als gingen Sie davon aus: Alle unsere Handelspartner sind hoch befriedigt, im Handel mit der Bundesrepublik Zahlungsbilanzdefizite zu bekommen, und werden es auch noch zehn Jahre lang so fortsetzen.
Von Protektionismus ist keine Rede. Das scheinen Sie nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Aber genau dort setzt der Widerstand unserer Handelspartner ein, indem man gegenüber deutschen Produkten protektionistisch handelt. Das richtet sich im übrigen ausgerechnet gegen jene Produkte, bei denen wir es sowieso schon schwer haben, zum Beispiel beim Stahl.
Außerdem wird kein Wort darüber verloren, daß wir in der Zwischenzeit selbst nach Protektionismus schreien, im übrigen mit Hilfe der Regierung. Das Ganze heißt aber nicht „Protektionismus", sondern wird vornehm umschrieben als „Selbstbescheidung der Exporte aus Japan".
Damit gestehen Sie der deutschen Wirtschaft einen Freiraum zu, in dem sie sich nicht mehr bewegen muß, in dem sie nicht mehr innovativ werden muß, sondern in dem sie sich darauf verlassen kann, daß die nach außen gerichteten Schutzzölle, Schutzzäune und Schutzbarrieren so hochgesetzt werden, daß man sich geruhsam hinsetzen und warten kann, ob ihr nicht eines Tages, wenn es doch schiefgegangen ist, mit einer Subvention ein bißchen über die Runden geholfen wird.
Bei Ihnen findet keinerlei Nachdenken darüber statt, welche alternativen zukunftssichernden Produktionen alte Strukturen ersetzen können. Hier wird so munter von strukturellen Defiziten, von strukturellen Schwierigkeiten gesprochen.
Ist jemand von Ihnen überhaupt in der Lage, zu
definieren, was eine Struktur ist? Ich fürchte, Sie
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können es nicht einmal buchstabieren, geschweige denn können Sie eine Politik dagegen einleiten.
Es gibt keine vorausschauende Strukturpolitik, ganz zu schweigen von einer Industrie- und Technologiepolitik. Sie sind nicht einmal in der Lage, im Haushaltsausschuß eine Antwort darauf zu geben, ob Sie beim Airbus, einem der wenigen Produkte, das Sie zu Recht mit Stolz vorführen können, die Zelle — sprich: den Körper des Flugzeugs —, die Ausrüstung — sprich: die Leitwerke — und die Motoren, die Turbinen, in gleichem Maße fördern wollen oder nicht. Sie halten vielleicht die Zelle für wichtiger als die Turbinen, aber das kann man auch genau anders sehen. Man erhält jedesmal Leerantworten, wenn man Sie danach fragt. Mit anderen Worten: Sie haben nicht die geringste Ahnung, wohin die Reise eigentlich gehen soll.
Statt aktiver Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gibt es bei Ihnen nur Nichtstun. Die Folge dieses Nichtstuns ist, wie wir Ihnen vorausgesagt haben, daß — dem Gesetz der Schwerkraft folgend — der materielle Wohlstand immer dorthin wandert, wo schon eine ganze Menge ist. Es gibt dafür ein deutsches Sprichwort, das ich hier jetzt nicht zitieren möchte, weil ich mir sonst unter Umständen eine Rüge einhandeln würde.
Dies wird auf der rechten Seite des Hauses wohlwollend zur Kenntnis genommen und sogar noch dadurch gefördert, daß man im Sozialbereich kürzt, sich andererseits aber mit Ankündigungen von Steuergeschenken nur so überschlägt.
Sie haben aber den Mut, in demselben Moment ein „Anspruchsdenken" in der Bevölkerung zu beklagen und zu fordern, daß zur Gesundung der deutschen Wirtschaft dieses „Anspruchsdenken" nach unten gefahren werden muß. Kennt man bei Ihnen eigentlich Schmerzgrenzen? Tut Ihnen irgendwann auch einmal etwas weh, wenn Sie solche Sachen sagen?
Bei uns in Schleswig-Holstein verdient ein Schiffsfacharbeiter 1400 DM netto im Monat. Das bringt er mit nach Hause und hat davon eine Frau und unter Umständen zwei Kinder zu ernähren. Im Saarland verdient ein Stahlfacharbeiter fast denselben Nettobetrag. Dieses als „übertriebenes Anspruchsdenken" zu bezeichnen ist der blanke Zynismus;
erst recht dann, wenn man noch die Tatsache im Hinterkopf hat, daß sich der saarländische Wirtschaftsminister zu seinem, wie er es betrachtet, „schwachbrüstigen Salär" in Höhe von 160 000 DM im Jahr von seinem ehemaligen Arbeitgeber 100 000 DM im Jahr dazugeben läßt. Ich kann das verstehen: Wenn ich mir die saarländische Wirtschaft angucke, kommen mir auch die Tränen. Vielleicht war das der Grund, warum ihm 160 000 DM zu wenig waren.
In demselben Moment, da Sie 1400 DM netto im Monat als „übertriebenes Anspruchsdenken" zurückweisen, sehen Sie interessiert zu, wie an den normalen Grundsätzen der Anständigkeit im Beamtentum und an der Regierung vorbei sich ein Wirtschaftsminister gerade im ärmsten Land der Bundesrepublik sein persönliches Gehalt aufbessern läßt. Sie erspüren offensichtlich überhaupt nichts, und Sie wollen auch nichts begreifen. Dies ist das Kennzeichen Ihrer Wirtschaftspolitik.
In Ihrer Unbeweglichkeit ähneln Sie trotz Ihrer Wendigkeit in bestimmten Dingen den Dinosauriern. Im Gegensatz zu den Dinosauriern allerdings, die an ihrer eigenen Unbeweglichkeit zugrunde gingen, können Sie für sich nicht in Anspruch nehmen, Sie seien nicht vor den Folgen Ihres Nichtstuns, Ihrer Unbeweglichkeit gewarnt worden.
Im Gegensatz zu den Dinosauriern zahlen nicht Sie die Zeche Ihrer Untätigkeit, sondern die arbeitslosen Frauen, die Behinderten, die Jugendlichen ohne Ausbildung und Arbeitsplatz, die Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, die „freigesetzt" werden, oder wie sonst die schönen neudeutschen Worte dafür lauten.
Wir sind daher nicht in der Lage, Ihrem Haushalt zuzustimmen. Das einzige, wozu wir uns aufraffen können, ist, zu sagen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben noch einmal, und kommen Sie 1985 mit einem besseren Vorschlag!
Vielen Dank.