Rede von
Dr.
Gerhard
Stoltenberg
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am dritten Tag der Debatte werden jetzt Fragen des Bundeshaushaltes und der Finanzpolitik im Mittelpunkt unserer Erörterungen stehen. Ich halte es auch für richtig, daß wir heute mit diesen Themen beginnen. Natürlich ist der Bundeshaushalt nach der klassischen Parlamentstradition Anlaß zu einer Generaldebatte über alle Bereiche der Politik, aber der Haushalt selbst als in Zahlen geprägter Ausdruck der politischen Willensrichtung und Entscheidungen, auch der Kontroversen, sollte demgegenüber nicht aus dem Blickfeld kommen.
Im Rahmen der politischen Aussprache der letzten zwei Tage haben wir bereits viele Anmerkungen zu wichtigen Einzelpositionen gehört, kritische Auseinandersetzungen und positive Würdigungen. Ich will hier mit einer kurzen Gesamtbewertung beginnen.
In meinem Verständnis ist der Bundeshaushalt 1984 ein Markstein auf dem Wege zur Gesundung der Bundesfinanzen und ein wichtiger Beitrag zur Lösung der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Aufgaben, die im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.
Die uns vorliegenden Berichte der Ausschüsse, vor allem des Haushaltsausschusses, zeigen, daß wir, Parlament und Regierung, dabei eine bemerkenswerte Leistung erzielt haben. Das gilt um so mehr, wenn wir das jetzt vorliegende Zahlenwerk in der Entwicklungslinie der vergangenen Jahre sehen und bewerten. Der Haushaltsvollzug 1982 war bestimmt durch das Jahr der Talfahrt, der Rezession, rückläufiger Steuereinnahmen, sprunghaft steigender Ausgaben für die Arbeitslosigkeit. Dies spiegelte sich 1982 in der Notwendigkeit wider, immer erneut in Regierungsentscheidungen die einzelnen Werte nach unten zu korrigieren und immer wieder in Nachtragshaushalten vom Deutschen Bundestag Milliarden zusätzlich an Kreditaufnahme zu verlangen.
Der Haushalt 1983, über dessen Zwischenbilanz nach zehn Monaten ich hier noch einiges sagen möchte, ist geprägt durch die beginnende Trendwende nicht nur in den schon gestern erörterten Daten der wirtschaftlichen Entwicklung und ersten Zeichen leichter Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch im Bild der Steuereinnahmen und der Ausgaben des Bundes von Januar bis Okto-
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ber. In Steuereinnahmen und vielen Ausgabetiteln spiegelt sich gleichsam seismographisch die aktuelle wirtschaftliche und soziale Entwicklung deutlicher wider als in manchen Reden, meine Damen und Herren, die wir auch im Deutschen Bundestag gehört haben.
Das Jahr 1984 ist das Jahr, von dem wir erwarten und mit vielen Bürgern hoffen, daß die Früchte einer Stabilitäts- und Gesundungspolitik geerntet werden können.
Das gilt nicht nur für den Haushalt selbst, im Soll und im Haben, sondern auch für vieles, was sich für die Wirtschaft abzeichnet, für gewisse, etwas positivere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt, wie wir zuversichtlich erwarten, dann auch für die Erlebnis- und Erfahrungswelt der meisten Bürger der Bundesrepublik Deutschland über die Ansätze des Jahres 1983 hinaus.
Ich möchte an dieser Stelle — nicht, weil es traditioneller Brauch ist, sondern weil es begründet ist — den Kollegen des Haushaltsausschusses sehr herzlich für ihre Arbeit danken. Ich beziehe alle anderen Ausschüsse in diesen Dank ein, denn fast alle Ausschüsse des Deutschen Bundestages haben intensiv und verantwortungsbewußt im Rahmen der umfassenden Begleitgesetze mitgewirkt.
In monatelanger sorgfältiger Arbeit haben sie einen, wie ich glaube, guten Entwurf der Regierung in wichtigen Positionen noch verbessert. Wenn der Finanzminister von Verbesserungen redet, wenn die Haushaltspolitiker von Verbesserungen reden, dann denken wir in erster Linie an weitere gezielte Einsparungen bei weit über tausend Einzeltiteln. So ist es möglich gewesen, zu einer noch weiteren Senkung der Nettokreditaufnahme zu kommen, obwohl es unvermeidbar war, gerade auch im Hinblick auf außenwirtschaftliche Risiken, beim Bürgschaftstitel oder im Hinblick auf die schwierigen Umstrukturierungsaufgaben bedrängter Wirtschaftszweige und ihrer Mitarbeiter einige Positionen erheblich zu erhöhen. Ich nenne die befristete Stahlhilfe, die Mittel für die Kokskohle, für Anpassungsmaßnahmen im Bergbau. Allein diese eingreifenden Veränderungen, die der Haushaltsausschuß in vollem Einvernehmen mit der Bundesregierung vorgenommen hat, sind eine Antwort auf jene völlig unbegründeten Vorhaltungen in der gestrigen Debatte, daß wir nichts oder nichts Zureichendes täten, um den hart bedrängten Wirtschaftszweigen und ihren Mitarbeitern zu helfen.
Daß es bei dieser gezielten sektoralen Hilfe für bedrängte Wirtschaftszweige und dem Thema der Subventionen auch grundlegendere Probleme gibt, will ich an einer anderen Stelle meiner Ausführungen kurz berühren.
Meine Einschätzung des jetzt zu verabschiedenden Bundeshaushalts 1984 lautet: Die Eckdaten sind günstiger als erwartet. Wenn jetzt auch durch eine gewisse Verbesserung des Bundesbankgewinns, der freilich deutlich unter dem vorigen Ansatz bleibt, wenn jetzt durch die zusätzlichen Einsparungen des Haushaltsausschusses die Nettokreditaufnahme deutlich unter 34 Milliarden DM liegt, dann erinnere ich mich an manche Gespräche im Frühjahr mit sachverständigen Finanzministern der Länder — aus beiden großen Parteien —, mit unabhängigen Experten und Finanzwissenschaftlern, die uns im April dieses Jahres sagten, es wäre bei den Ausgangsdaten eine große Leistung, wenn es gelänge, im Jahre 1984 die Neuverschuldung unter 40 Milliarden DM zurückzulegen.
Ein Zweites will ich hier hervorheben: Die Haushaltsstruktur ist deutlich verbessert. Das gilt — wir haben gestern schon einige Anmerkungen dazu gehört, Herr Kollege Walther — auch für die Investitionsausgaben. Ich will das, weil das sicher bei Ihnen eine Rolle spielt, einmal an Hand der Zahlen verdeutlichen.
— Ich komme darauf. Seien Sie doch geduldig, Herr Hoffmann. Sie dürfen unterstellen, daß ich genau auf diese kritischen Fragen eingehe.
Im Finanzplan der alten Regierung waren für das Jahr 1984 investive Ausgaben von 32,6 Milliarden DM vorgesehen. Nach dem Finanzplan der neuen Regierung mit den Ergänzungen des Haushaltsausschusses sind es jetzt 35,3 Milliarden DM, also ein Zuwachs von 2,7 Milliarden DM. Davon entfallen — das ist richtig — 0,9 Milliarden DM durch die Umstellung beim BAföG und 1,3 Milliarden DM durch höhere Bürgschaften. Aber auch unter Berücksichtigung dieser beiden Sonderfaktoren verbleibt gegenüber Ihrem Finanzplan eine Steigerung um eine halbe Milliarde.
Nun will ich an dieser Stelle zu dem Thema Bürgschaften sagen: Daß wir Vorsorge für wachsende Risiken in diesem Bereich treffen, wird unter uns nicht bestritten sein, aber ich behaupte auch, daß die Anwendung des Instruments der Bürgschaften und Gewährleistungen unter schwierigeren und risikoreicheren weltwirtschaftlichen Bedingungen eine unmittelbare und wirksame Hilfe für weite Bereiche der deutschen Exportwirtschaft und ihre Arbeitnehmer ist und daß sie die Investitionskraft der Betriebe im eigenen Lande stärkt, nicht nur die Arbeitsmarktsituation.
Im übrigen bringt es der überkommene Investitionsbegriff unserer Haushaltsordnung mit seinen Grenzen und mit seiner Problematik mit sich, daß die Steigerung wichtiger Mittelansätze für die Wirtschaftsbelebung und den Arbeitsmarkt in dieser Investitionsquote überhaupt nicht erscheint. Ich will das nur an einem Beispiel deutlich machen. Wir haben die Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gegenüber dem noch von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, zu vertretenden Haushalt
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1982 etwa verdoppelt: von damals rund 850 Millionen auf jetzt knapp 1,7 Milliarden DM. Das ist ein konkreter Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik, den wir in unserer Verantwortung leisten und den ich hier hervorheben möchte.
Ich würde es auch begrüßen, wenn derartige Entscheidungen der jetzigen Mehrheit für Arbeitnehmer, Arbeitslose und Arbeitsmarktpolitik in manchen Stellungnahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes aufgeschlossener gewürdigt würden.
Ich habe den vierseitigen Brief des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Breit, aufmerksam gelesen, in dem er uns auffordert, diesen Haushalt abzulehnen. Das bleibt seiner politischen Würdigung unbenommen. Aber eine Argumentation gerade aus der Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes wird erst überzeugend, wenn man auch solche Entscheidungen im Interesse der Arbeitnehmer und der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angemessener und objektiv würdigt,
und die Würdigung beginnt damit, daß man sie jedenfalls erwähnt, wenn man an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages schreibt.
Ein dritter Punkt, der zur Bewertung dieses Haushaltes gehört, ist eine umfassendere Vorsorge für Risiken. Ich will das einmal, Herr Kollege Apel, weil das Gegenstand einiger sehr kritischer Anmerkungen — ich will den Ausdruck „Polemik" jetzt in der Würdigung vermeiden — Ihrer Partei war, am Beispiel der Vorsorge für den Arbeitsmarkt und die Arbeitslosigkeit verdeutlichen. Wir haben im Haushalt dieses Jahres 1983 Vorsorge für eine mögliche Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 2,35 Millionen getroffen. Wir können davon ausgehen — die Zahl wurde gestern schon genannt —, daß die tatsächliche durchschnittliche Arbeitslosigkeit in diesem Jahr mindestens 80 000, vielleicht 100 000 niedriger liegen wird, als wir Ende Dezember letzten Jahres in einer Schätzung, die bewußt ungünstige mögliche Entwicklungen einbezog, unterstellten.
Wir haben aus Gründen der Vorsorge in die Haushaltsansätze für 1984 zunächst eine Arbeitslosigkeit von bis zu 2,49 Millionen einbezogen. Durch das günstigere Prognosebild der letzten Wochen war es möglich, diese Vorsorge jetzt auf knapp 2,4 Millionen, auf 2,38 Millionen, zu begrenzen. Aber wenn wir, immer noch von einer denkbaren ungünstigen Entwicklung ausgehend, dies in der Haushaltsplanung tun, bedeutet das nicht, meine Damen und Herren, daß dies unsere Prognosezahl oder gar unsere Zielvorstellung wäre.
Es ist die Konsequenz aus bitteren Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren gemacht haben.
Ich halte es für richtig, sich gerade in diesen zentralen Punkten des wirtschaftlichen und sozialen Lebens mit großen Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen bei der Haushaltsgestaltung auf einen ungünstigen Trend einzustellen und in der politischen Arbeit alles zu tun, damit wir auch 1984 ein wesentlich besseres Ergebnis erzielen, wie es 1983 im Ansatz schon erreicht wurde.
Meine Damen und Herren, der Haushaltsvollzug 1983 begründet Zuversicht. Nach zehn Monaten können wir davon ausgehen, daß wir in der Gesamtbilanz für 1983 Mehreinnahmen von etwa 1,5 bis 2 Milliarden DM erreichen werden — das ist Ausdruck der beginnenden wirtschaftlichen Belebung — und daß wir weniger Ausgaben in der Größenordnung von rund 2,5 Milliarden DM — vielleicht bis zu 3 Milliarden haben werden. Das heißt — und ich sage das mit großer Befriedigung —, wir machen in diesem Jahr 4 bis 5 Milliarden DM weniger Schulden, als wir im Dezember 1982 eingeplant haben.
Meine Damen und Herren, das ist nun auch eine eindeutige Widerlegung der düsteren Prophezeiungen der sozialdemokratischen Kollegen vom Ende vergangenen Jahres und vom Beginn des Jahres 1983. Sie werden verstehen, daß ich Ihnen einige Zitate noch einmal in Erinnerung rufen möchte.
Der Herr Kollege Helmut Esters hat am 27. Dezember 1982 erklärt:
Der Bundeshaushalt 1983 wird wie die Rentenversicherung ins Rutschen kommen. Die Neuverschuldung wird auf 46 bis 47 Milliarden steigen.
Wir werden nach heutiger Einschätzung eher bei 36 als bei 47 Milliarden ankommen!
Der Herr Kollege Rudi Walther, Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sagte im Wahlkampf am 10. Februar 1983:
Die Bundesregierung hat ihr Ziel verfehlt, einen soliden Haushalt einzubringen. Das Haushaltsrisiko beträgt 5 Milliarden DM.
Der damalige und heutige finanzpolitische Sprecher der sozialdemokratischen Opposition, der Herr Kollege Hans Apel, hat am 7. April 1983 dem Ganzen die Krone aufgesetzt, als er sagte:
Der Haushalt 1983 ist in weiten Teilen nur noch Makulatur.
Wegen der Haushaltslücke von mindestens 5 Milliarden DM muß die Bundesregierung unverzüglich einen Nachtragshaushalt vorlegen.
Herr Kollege Apel, als ich das las, hatten wir schon die ersten Monatsergebnisse dieses Jahres. Ich habe damals nicht gedacht, daß mich ein Pferd tritt, aber ich habe gedacht, daß Sie sich in den Finger
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geschnitten haben, und diese Beurteilung kann ich heute nur nachdrücklich unterstreichen.
Nein, meine Damen und Herren, diese Fehlprognosen — über den erlaubten Irrtum in finanzpolitischen Prognosen hinaus waren das schon krasse Fehlurteile — beruhen auf einem falschen Denkansatz, den ich auch gestern in einigen Ihrer Reden erneut empfunden habe. Das konjunkturpolitische Konzept der sozialdemokratischen Opposition läßt sich so zusammenfassen: noch mehr kreditfinanzierte Nachfragestützung, noch höhere Schulden und — auch das wird offen gesagt — noch höhere Abgaben für die sogenannten Besserverdienenden. Wenn man Ihre Konzepte genauer untersucht, stellt man aber fest, daß die Besserverdienenden bereits mit dem qualifizierten Facharbeiter beginnen.
Das, meine Damen und Herren, ist die Wiederbelebung eines Konzepts, das in unser aller Erfahrungswirklichkeit spätestens seit 1980 im Grunde gescheitert ist,
für jedermann erkennbar. Das ist eine Politik, die in den ersten Haushaltsentwurf für 1983 — noch der alten Bundesregierung — einmündete, in dem die Mittel für die Zinsen und die Bundesschulden insgesamt stärker steigen sollten als die Gesamtausgaben des Staates. Dieses Konzept hat unser Land in eine Sackgasse geführt. Diese Politik ist einer der entscheidenden Gründe für das Scheitern der alten Koalition gewesen.
Das, was wir tun, das, was wir mit diesen Haushaltsbegleitgesetzen — teilweise auch durch empfindliche Einschränkungen — Bürgern unseres Landes zumuten, ist ja eine Politik, die uns überhaupt erst wieder den Handlungsspielraum für eine vorausschauende, dem Gemeinwohl, der wirtschaftlichen Gesundung, der sozialen Sicherung und der Beschäftigung dienende neue Politik gewährleisten und schaffen wird.
Nach diesen Erfahrungen und auch nach den Reden des gestrigen Tages frage ich mich, meine Damen und Herren von der SPD, wirklich, wann Sie aus diesen Erfahrungen die Folgerungen ziehen wollen. Die Sozialdemokratische Partei braucht ein finanz- und wirtschaftspolitisches Godesberg.
Aber bis jetzt ist im Kreis Ihrer Sprecher noch niemand erkennbar, der etwa die Rolle eines Fritz Erler aus dem Jahre 1960 übernehmen könnte.
Meine Damen und Herren, wenn wir über die Wirkungen dieser Finanzpolitik sprechen, dann kann man folgendes sagen: Die mündigen Bürger haben die ersten Entscheidungen, die Signale einer neuen Politik verstanden
und zunehmend angenommen.
— Ich rede jetzt nicht von Einzelwahlen, wobei zu Hessen ja auch die Erfahrung gehört, daß die Sozialdemokratische Partei des Ministerpräsidenten Holger Börner noch vor zweieinhalb Monaten große Wahlanzeigen schaltete, in denen behauptet wurde, daß wir Weihnachten eine Arbeitslosenzahl von 3 Millionen haben würden,
eine der schlimmsten Irreführungen, eines der schlimmsten Beispiele für Angstpropaganda und Täuschung, die wir in den letzten Monaten in der Bundesrepublik Deutschland erlebt haben.
Nein, der private Verbrauch steigt trotz des von Ihnen in düsteren Farben gemalten angeblichen Nachfrageentzuges von mehr als 14 Milliarden DM durch unsere Finanzpolitik.
Die Investitionen, meine Damen und Herren, nehmen deutlich zu; ich sage das auch zu manchen anderen Bewertungen des gestrigen Tages. Die Ausrüstungsinvestitionen haben, saisonbereinigt, von Ende 1982 bis Mitte 1983 um 7,5 %,
die Bruttoinvestitionen vom dritten Quartal 1982 bis zum dritten Quartal 1983 um 7,7 % zugenommen. Auch hier ist wieder, ermutigt durch bessere Bedingungen unserer staatlichen Förderprogramme und durch die von Ihnen kritisierten Steuersenkungen, unserer Mittelstand der Schrittmacher dieser Entwicklung. Die Anträge auf Eigenkapitalhilfe im Rahmen staatlicher Förderprogramme haben im Jahresvergleich um 165 % zugenommen. Die Handwerker, die Einzelhändler, die Selbständigen, die qualifizierten Arbeitnehmer haben den Sinn dieser Steuersenkungen und der neuen Förderprogramme besser verstanden als die sozialdemokratische Opposition in diesem Hause.
Die Zahl der Existenzgründungen steigt deutlich an. Die Kurve der Konkurse weist im Jahresverlauf spürbar nach unten. Es ist nicht zulässig, wie es gestern geschehen ist, hier uns pauschal ein NeunMonats-Ergebnis vorzuhalten und zu verschweigen, daß wir im dritten Quartal dieses Jahres die Trendwende erreicht haben, daß im dritten Quartal dieses Jahres die Zahl der Konkurse erstmals seit vielen Jahren deutlich das Vorjahresergebnis unterschreitet. Dieser Trend ist ermutigend. Erstmals seit vier Jahren haben wir seit September einen Rückgang der saisonbereinigten Arbeitslosenzahlen. Die Trendwende im Export ist erreicht.
Die Reden der Sozialdemokraten und auch erstaunliche Anträge, die Sie, Herr Kollege Vogel, mit Ihrer Unterschrift hier einbringen, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Es gibt viele Anträge in diesem
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Hause. Sie fordern in einem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD den Deutschen Bundestag auf, zu beschließen:
Es ist zu befürchten, daß die leichte Konjunkturerholung nicht von Dauer sein wird ... und die deutsche Volkswirtschaft 1985 ... in eine erneute Rezession abgleitet, an deren Ende noch weit mehr Arbeitslose stehen.
Über solche pessimistischen Annahmen kann man diskutieren. Aber das in den Rang einer amtlichen Feststellung des Deutschen Bundestags zu erheben entbehrt doch nicht einer gewißen Komik, um das mal in aller Freundlichkeit zu sagen.
Ihr Vorgänger Herbert Wehner pflegte uns immer zu sagen — seit 1969; ich erinnere mich noch —: Sie müssen in der Opposition noch viel dazulernen. Das Wort kommt mir heute auch in den Sinn.
Ich sage noch einmal: Mit diesem Thema ist eine ernste Frage verbunden, auf die ich eingehe: Was ist notwendig'? Was können wir tun? Was müssen wir noch leisten, um den beginnenden Aufschwung dauerhaft zu gestalten? Das ist ein Thema legitimer Debatte. Aber das in der pessimistischsten Prognose im Widerspruch auch zu den letzten Erklärungen der Bundesbank und vieler Institute sozusagen in den Rang eines Beschlusses des Deutschen Bundestages zu erheben, das finde ich nun nicht gerade sehr sinnvoll und sehr nützlich.
Ernster zu nehmen, Herr Kollege Vogel, ist natürlich die anhaltende Diskussion über die sozialen Wirkungen der neuen Politik. Sie haben gestern in dem bewährten, allerdings nicht erfolgreichen, jedoch nicht aufgegebenen Vokabular Ihrer Bundestagswahlkampfreden erneut gesagt, das Kennzeichen dieser Politik sei die Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden.
— Ich fange gerade an. Die vernünftige Methode einer ernsthaften Diskussion ist, zunächst zu zitieren und sich dann damit auseinanderzusetzen.
Genau das beabsichtige ich jetzt zu tun. — Ich möchte einmal diesen fundamentalen Einwand an Hand einiger Tatsachen und einiger Trends kritisch beurteilen.
Wir sind der Überzeugung, daß es eine soziale Politik ist, mit dem Kurs der ständig steigenden Schulden zu Lasten der kommenden Generation Schluß zu machen.
Wir glauben, daß eine Politik in den Wirkungen
sozial ist, die die Investitions- und Wirtschaftskraft
der privaten Unternehmen nachhaltig stärkt, auch
wenn das in den Augen mancher nicht als mechanistische mathematische Verteilungsgerechtigkeit in der aktuellen Situation erscheint.
Wir sind überzeugt, daß eine Finanzpolitik sozial ist, die zu einem drastischen Rückgang der Inflationsrate geführt hat. Darüber ist gestern schon eingehend gesprochen worden.
Wir halten eine Politik auch für sozial, die mit bestimmten Härten — das ist nicht zu bestreiten — durch Eingriffe und Kürzungen die sozialen Sicherungssysteme wieder langfristig verläßlich macht.
Und nun will ich etwas über einige Einzelpunkte sprechen. Wenn Sie jetzt konkret über die Belastungswirkung für verschiedene soziologische Gruppen sprechen, dann dürfen Sie doch nicht übersehen, daß die leider unvermeidbare Beitragserhöhung in der Sozialversicherung vor allem durch die Einbeziehung der Sonderzahlungen mit einer Mehrbelastung von 4,5 Milliarden DM zur Hälfte die Unternehmen trifft und auf der Seite der Arbeitnehmer in erster Linie jene, die ein höheres Einkommen haben, die zu den Mittelschichten oder den Besserverdienenden gehören.
Sie dürfen, bevor Sie, meine Damen und Herren, Ihre Anklagereden wiederholen, nicht übersehen und sollten nicht vergessen, daß Sie im Jahr 1982 das Kindergeld für alle gekürzt haben, für die alleinstehende Frau mit einem Monatseinkommen von 800 oder 1 000 DM genauso wie für den vielzitierten Gutverdienenden mit 80- oder 100 000 DM Jahreseinkommen, während wir bei der leider unvermeidbaren Kürzung des Kindergeldes die Bezieher der kleinen und der unteren mittleren Einkommen durch eine Einkommensgrenze völlig freigestellt haben.
Wir halbieren den steuerlichen Ausbildungsfreibetrag mit Wirkung vom 1. Januar 1984.
— Ich würde gern im Zusammenhang sprechen, Herr Kollege Westphal. — Natürlich trifft dies auf Grund der Progressionswirkung der Einkommensteuer in erster Linie die höherverdienenden Alleinstehenden oder Familien.
Schließlich erinnere ich Sie daran, daß die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen durch die Progressionswirkung der Einkommen- und Lohnsteuer einen maßgebenden Beitrag zur Konsolidierung leisten.
Hier kommen Steuerprogression, Geldentwertungsraten, Erhöhung von Sozialversicherungsbei-
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trägen und Kürzungen bei den Einkommensübertragungen zusammen.
— Aber, Herr Apel, nehmen Sie das alles doch einmal zur Kenntnis!
Wir haben eine Situation, in der von einem Einkommenszuwachs von 100 DM bei einem Bruttoeinkommen von 2 000 DM 53 DM verbleiben; bei einem Bruttoeinkommen von 4 000 DM sind es 31 DM, bei einem Bruttoeinkommen von 6 000 DM nur noch 15 DM. Natürlich haben wir mit dieser starken Progressionswirkung unseres Einkommensteuerrechts eine soziale Korrektur, die man auch in aktuellen Umverteilungsdiskussionen nicht einfach unterschlagen darf.
— Herr Kollege Apel, es geht nicht darum, daß Ihnen die Tränen kommen sollen, sondern darum, daß Sie bestimmte Tatbestände zur Kenntnis nehmen. Die Tränen sollten Ihnen eher kommen, wenn Sie an Ihre falschen Zitate aus der Zeit von April 1983 zurückdenken.
Im übrigen muß man auch über positive soziale Wirkungen sprechen.