Rede von
Brigitte
Traupe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die aktuelle innenpolitische Steuerentlastungsdebatte veranlaßt mich, mich zuerst an den Bundesfinanzminister zu wenden. Mit ihm freue ich mich darüber, daß die Nettokreditaufnahme schon für 1983 niedriger ausfällt, als wir dies ursprünglich befürchten mußten.
Für ein sinnvolles Sparen werden Sie deshalb, Herr Bundesfinanzminister Dr. Stoltenberg, auch unsere Unterstützung erhalten. Aber ich möchte Ihnen, ähnlich wie der Kollege Hoppe heute morgen, doch mitteilen, wie sehr es uns Haushälter aller drei Fraktionen die Sprache verschlagen hat, als der damalige steuerpolitische Sprecher der CDU/CSU-Opposition, Herr Dr. Häfele, in der Sommerpause 1979 für eine baldige Steuerentlastung beim Lohn- und Einkommensteuertarif eintrat. Leider sprang damals wie heute der Wirtschaftsminister zu schnell auf den Zug, gegen den Widerstand seiner FDPHaushaltskollegen Gärtner und Hoppe.
Fast ist es nun eine zu spät kommende ausgleichende Gerechtigkeit, wenn der jetzige Parlamentarische Staatssekretär, eben der Dr. Häfele, beim Bundesminister der Finanzen seinen Koalitionspartner FDP darauf hinweist, daß Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer frühestens 1988 vorgenommen werden können.
Meine Damen und Herren, damit trifft der Kollege Häfele auf meine Zustimmung. Damals hat er sehr unverantwortlich dabei mitgewirkt, daß die Verschuldung von Bund und Ländern steigt.
Nun, meine Damen und Herren, mit dem Amt wächst die Einsicht. Ähnliches trifft auch für seinen
baden-württembergischen Landsmann Dr. Wörner zu. Konnte er als Oppositionspolitiker nicht müde werden, seinem Vorgänger als Bundesminister der Verteidigung, nämlich Hans Apel, zuviel Nachgiebigkeit vorzuwerfen,
weil er für den Verteidigungsetat keine kräftigere Ausgabensteigerung gegenüber dem Parlament und dem Finanzminister durchsetzen konnte, so könnten wir Sozialdemokraten in der Opposition nun mit der Retourkutsche kommen. Wir sozialdemokratischen Haushälter denken gar nicht daran.
Im Gegenteil.
Zunächst möchte ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Wörner, Ihrem Parlamentarischen Staatssekretär, allen Mitarbeitern, dem Generalinspekteur und den Inspekteuren der Teilstreitkräfte für die sachliche und faire Zusammenarbeit in den letzten zwölf Monaten bedanken.
Wir haben es als positiv empfunden, daß Sie bei Ihrem gewiß komplizierten Etat immer sehr früh den Haushaltsausschuß informieren.
Dies allerdings hindert mich nicht, für meine Fraktion erhebliche Kritik an dem von Ihnen präsentierten Verteidigungsetat 1984 und den Veränderungen durch die Regierungskoalition vorzubringen und dem Plenum zu empfehlen, unseren Änderungsanträgen zuzustimmen.
Vor 200 Jahren wirkte in Rußland ein tüchtiger Soldat und angesehener Staatsmann, Grigorij Alexandrowitsch Potemkin. Er besaß wie Sie, Herr Bundesverteidigungsminister Dr. Wörner, ein starkes Engagement für die staatliche Gemeinschaft, aber leider auch die Neigung zum Bluff.
Es gefiel den Soldaten und zivilen Bediensteten schon gut, daß Sie ihnen nach Ihrem Amtsantritt immer wieder verkündeten, der Mensch habe nun in der Bundeswehr Vorrang vor der Technik und dem militärischen Gerät. Nichts ist jedoch ein besserer Maßstab für den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen als die nüchternen Haushaltsansätze:
Schon der Regierungsentwurf vom September sah Steigerungen von 6 % bei den verteidigungsinvestiven Ausgaben und nicht einmal 0,7 % bei den Personalausgaben vor. Doch auch diese minimale Steigerungsrate wird nach den Beschlüssen der Haushaltsausschußmehrheit nicht mehr existieren. Zwar werden 520 neue militärische Planstellen — davon 250 zum Abbau des Verwendungs- und Beförderungsstaus genehmigt — denen wir ausdrücklich zustimmen. Aber tatsächlich bedeutet die halbjährige Stellenbesetzungs- und Beförderungssperre für 1984, daß davon auch — jetzt zitiere ich —
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3083
Frau Traupe
„Planstellen von Soldaten ab einschließlich Besoldungsgruppe A 15 aufwärts" betroffen sind.
Welcher Bluff wird hier fabriziert,
wenn im Haushalt 1984 zwar neue Stellen zur Milderung des Beförderungsstaus geschaffen werden, aber durch die nun auch für Zeit- und Berufssoldaten geltende halbjährige Beförderungssperre nach dem Ausscheiden von Generälen, Obersten und Oberstleutnanten auch Hauptleute und Leutnante auf ihre Beförderung warten müssen. 1984 werden in jedem der Halbjahre etwa 90 Soldaten in den Besoldungsgruppen zwischen A 15 und B 9 ausscheiden. Diese Tatsache hätte normalerweise knapp 600 Beförderungen und Einweisungsmöglichkeiten pro Halbjahr bewirkt. Nun wird dies jedoch für wenigstens 1 000 Betroffene bedeuten, daß sie noch ein halbes Jahr länger auf ihre Beförderung warten müssen. Damit aber hebt sich der Vorteil auf, der mit den 250 neu geschaffenen Stellen zur Bekämpfung des Verwendungsstaus erreicht werden sollte.
Fast zynisch muß das Postulat „Der Mensch hat Vorrang" in den Ohren der jungen Wehrpflichtigen klingen. 1984 sollen gut 19 Milliarden DM für Personalausgaben aus dem Einzelplan 14 erbracht werden,
davon aber nur 836,7 Millionen DM, also 4,3 %, für den Wehrsold und Zulagen der Grundwehrdienstpflichtigen. Angesichts der teilweise gewaltigen Steigerungsraten bei Rüstungstiteln kämpfen wir Sozialdemokraten mit noch größerer Entschiedenheit für die Anhebung des Wehrsolds zum 1. Januar 1984 und legen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor.
Wäre dieses Parlament nicht so festgefahren in seinem Fraktionsdenken, wäre es nicht so festgefahren in seinem formierten Handeln nach Regierungs- und Oppositionsrolle, so würden Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, mit uns für die Anhebung des Wehrsolds und gleichzeitig für maßvolle Einsparungen im Rüstungsetat stimmen.
Schließlich ist es doch auch Ihr Postulat, Herr Biehle: „Der Mensch hat Vorrang."
Die zivilen Bediensteten der Bundeswehr — im Ministerium selbst, in den Wehrbereichs- und in den Standortverwaltungen oder beim Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung — haben bereits in den vorangegangenen Jahren Zweifel an der Bonner Politik gehegt. Mehr als 6 440 Arbeitsplätze werden bis zum 31. Dezember 1983 in allen Aufgabenbereichen eingespart sein. Das heißt, 6 440 Beamten-, Angestellten- und Arbeitertitel fallen weg. Allein 1983 werden es 1 712 Stellen sein, 58 im höheren, 163 im gehobenen, 611 im mittleren und 22 im einfachen Dienst.
858 Arbeiterpositionen können nicht wiederbesetzt werden.
Nun werden die verbleibenden Bediensteten zusätzlich durch die Null-Runde bei den Gehältern und durch die halbjährige Besetzungssperre voll getroffen.
Ca. 1 800 Beamte, 340 Angestellte und 640 Arbeiter werden 1984 entweder später eingestellt oder später befördert werden.
Geradezu unverantwortlich wäre die halbjährige Besetzungssperre bei den Bundeswehrhochschulen. Die bereits erfolgten Stelleneinsparungen haben dazu geführt, daß das hochschuldidaktische Zentrum in München aufgelöst wurde und Einschränkungen beim Kleingruppenkonzept vorgenommen wurden, was bei der knappen Studiendauer von drei bis dreieinhalb Jahren besonders schlimm ist. An der Bundeswehrhochschule München haben 1982 4 Professoren und 51 wissenschaftliche Mitarbeiter gewechselt. Bedenkt man, daß 75 % aller wissenschaftlichen Mitarbeiter Zeitverträge besitzen, so könnte dies bedeuten, daß bei Einführung der halbjährigen Wiederbesetzungssperre stets ein Achtel aller wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen nicht besetzt ist.
Die Bundeswehrhochschule Hamburg befürchtet, daß 1984 mehr als 60 Planstellen jeweils für ein halbes Jahr unbesetzt bleiben. Dies kann gar nicht im Interesse der studierenden Soldaten sein. Müßten sie aus diesem Grunde ihr Studium gar verlängern, sparte der Bund am Ende kein Geld, sondern zahlte noch drauf. Wollten Sie das wirklich, Herr Carstens, Herr Hoppe und Herr Dr. Riedl?
Meine Damen und Herren von der Union und von der FDP, sie bestrafen den Verteidigungsminister noch zusätzlich. Im gesamten Bundeshaushalt 1984 sollen nach Ihren Vorstellungen 60 Planstellen eingespart werden, allein 50 davon im Einzelplan 14. Es lohnt sich, den Text der Haushaltsausschußdrucksache zum Bundeshaushaltsgesetz vorzulesen: Dem Bundesminister der Verteidigung wird aufgegeben,
beim Haushaltsvollzug 1984 50 Planstellen und Stellen zu erwirtschaften und zum Jahresende in Abgang zu stellen. Die Einsparung kann anteilig auf die Organisationsbereiche des Einzelplans 14 aufgeteilt werden. Das Kapitel 14 21 ist höher zu belasten als die übrigen Bereiche.
3084 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
Frau Traupe
Ich füge an: Das Kapitel 14 21 betrifft das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz.
Leistet man dort keine gute Arbeit?