Rede von
Jürgen
Reents
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Ausführungen von Herrn Genscher im ersten Teil seiner Rede zum Weihnachtsgeschäft und zu ähnlichem mehr ein heimlicher Hinweis darauf sein sollten, daß Herr Lambsdorff nun doch geht und er sich hiermit um das Wirtschaftsministerium bewerben wollte, dann konnte man das ja noch einigermaßen ertragen. Wenn aber gleichzeitig in der Debatte um den Haushalt des Auswärtigen Amtes die Punkte vom Bundesaußenminister nicht angesprochen werden, die, wie Herrn Genscher durchaus bekannt ist, nun wirklich umstritten sind — beispielsweise die NATO-Verteidigungshilfe an die Türkei, beispielsweise die Situation im Nahen Osten, die erwähnt worden ist —, dann finde ich das in der Tat schon weniger erträglich.
Wir haben zwei Änderungsanträge zu diesem Haushalt gestellt. Der eine betrifft die Streichung der NATO-Verteidigungshilfe, insbesondere die Herausnahme der Gelder für die Türkei; denn wir sind der Meinung, daß auch nach den Scheinwahlen vom 6. November 1983 in der tatsächlichen Situation der Türkei — an Unterdrückung und Folter — keine Änderung eingetreten ist.
Der zweite Änderungsantrag, den wir gestellt haben, zielt auf die Streichung der erstmals im Haushalt 1984 veranschlagten 7 Millionen DM für sogenannte friedenssichernde Maßnahmen im Libanon. Das ist im Verhältnis zu den Gesamtausgaben dieses Haushaltsplanes nicht besonders viel. Aber es geht bei diesem Betrag offensichtlich um eine politische Wegöffnung. Weil das so ist und weil ich meine, daß es wichtig ist, an dieser Stelle etwas mehr zur Situation im Libanon und zum Nahen Osten sowie zu den Ansätzen einer neuen deutschen Außenpolitik in diesem Zusammenhang, wie sie von dieser Regierung verkörpert wird, zu sagen, will ich mich darauf konzentrieren.
Der militärische Aufmarsch der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten und ihr direktes militärisches Eingreifen gegen syrische Stellungen im Libanon am vergangenen Wochenende beschwören einen neuen großen Nahostkrieg herauf. Die Parallelen zu der Entwicklung sind unverkennbar, die vor ungefähr 20 Jahren, am Anfang der Intervention und der Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg sowie der dann folgenden Eskalation des Vietnamkrieges durch die USA, stattgefunden hat. Meines Erachtens kann es nicht beruhigen, wenn der amerikanische Präsident Reagan zu den jüngsten Angriffen auf die syrischen Stellungen nachträglich erklärt, er wolle keinen Krieg gegen Syrien führen. Solche Erklärungen — daran werden sich sicher noch alle erinnern — hat es auch vor dem Grenada-Überfall gegeben: Es werde keine militärische Intervention geben. Man hat gesehen, was man davon hat halten müssen.
Ich meine, daß die Entwicklung — damit kommen wir wieder auf die Raketenstationierung zurück; diese Debatte wird Sie auch nach dem 22. November 1983 weiter verfolgen — nicht nur für die Region selbst bedrohlich ist, sondern angesichts dessen, was in der letzten Zeit in den USA an Strategien der horizontalen Eskalation ausgebraten worden ist, auch für uns. Man stelle sich vor, das ganze Kontingent der Pershing II und Cruise missiles wäre bereits jetzt in Mitteleuropa stationiert, die Entwicklung ginge im Nahen Osten so dramatisch und konfliktträchtig weiter und die USA griffen dort in der gleichen Weise, wie sie das jetzt tun, ein. Ich weiß nicht, ob Sie dann wirklich die Versicherung abgeben wollten, daß das nicht auch irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Feuerbereitstellung und einer möglichen Ingangsetzung der hier stationierten Raketen haben könnte und damit eine Übertragung und auch Ausweitung eines Nahostkrieges auf Mitteleuropa möglich wäre.
Die multinationalen Friedenstruppen, die durch den Bundeshaushalt mit 7 Millionen DM unterstützt werden sollen, haben sich in den letzten Monaten als ein wohletikettiertes Unternehmen erwiesen, das in der Tat nicht Frieden in den Nahen Osten bringt, hinter dem aber mit grandioser Täuschung der Öffentlichkeit ein militärischer Interventionsplan der USA abläuft. Sie konnten heute in der Presse die Information finden, daß das britische Unterhaus gerade wegen der amerikanischen Angriffe auf die syrischen Stellungen den Beschluß gefaßt hat, das britische Kontingent im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe zurückzuziehen. Man konnte weiter lesen, daß auch der italienische Ministerpräsident Craxi darüber nachdenkt, inwieweit sich Italien noch weiter an den multinationalen Friedenstruppen beteiligt. Ich meine, das sollte in bezug auf diesen Punkt in der Haushaltsberatung eine Rolle spielen.
Die Bundesregierung sollte meines Erachtens schleunigst die beabsichtigte Finanzierung des amerikanischen Krieges im Nahen Osten durch den Bundeshaushalt aufgeben und das Geld statt dessen lieber in die humanitäre Hilfe für den Libanon stecken.
Es gibt ohnehin schon eine ganze Reihe von Staaten — Kanada, Saudi-Arabien, Großbritannien, Japan und sogar die USA —, die, was die Leistung gegenüber der Flüchtlingshilfeorganisation der
3070 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
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Vereinten Nationen betrifft, mit sehr viel positiveren Zahlen dastehen als die Bundesrepublik.
Ein zweiter Punkt, weshalb ich gesagt habe, daß es nicht nur um die 7 Millionen DM geht, sondern auch um eine Wegöffnung, offensichtlich um eine neue Wende in der deutschen Außenpolitik herbeizuführen, ist folgender: Es gibt in der letzten Zeit sehr beunruhigende Äußerungen aus dieser Regierung, auch Äußerungen, die schon weiter zurückliegen, die belegen, daß man hier Schlimmes erwarten muß.
Man muß Hajo Hoffmann von der SPD-Fraktion dankbar sein, daß er kürzlich in einer Presseerklärung ein etwas älteres Zitat des jetzigen Weltinnenministers Zimmermann aus dem „Bayernkurier" vom April 1982 ausgegraben hat, in dem — ich bitte, das ganz aufmerksam anzuhören — Herr Zimmermann folgendes geschrieben hat:
Unsere westlichen Partner USA, Großbritannien und Frankreich sehen dort
— im Nahen Osten —
lebenswichtige Interessen für uns, stationieren Schiffe und Soldaten in dieser Region, nur die Bundesregierung leistet sich den Luxus, gar nichts zu tun. Hinter einem Schutzzaun pseudodemokratischer Phrasen drückt sich die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung für unsere Zukunftssicherung.
So Herr Zimmermann im „Bayernkurier".
Viele von Ihnen werden aus der Debatte, die es hier im Bundestag im Mai 1981 gegeben hat, wissen, — wir mußten es nachlesen —, daß der jetzige Bundeskanzler Kohl in ähnlicher Weise davon gesprochen hat, daß es auf die Dauer nicht anginge, daß die USA die Hauptlast des militärischen Gegengewichts in der Golfregion trügen. Er hat in diesem Zusammenhang von einer verstärkten Arbeitsteilung gesprochen.
Was steht uns eigentlich ins Haus, wenn man diese Äußerung aus der Vergangenheit kennt und jetzt weiß, daß erstmals in diesem Bundeshaushalt für 1984 die Kriegsfinanzierung für den Nahen Osten mit beschlossen werden soll?
Ich hätte es als sehr wohltuend empfunden, wenn dazu einmal etwas vom Bundesaußenminister gesagt worden wäre, ob das, was von Herrn Zimmermann und Herrn Kohl programmatisch hierzu geäußert wurde, tatsächlich auch die Zustimmung in der gesamten Regierung findet.
Ganz kurz ein dritter Punkt. Die Vorbedingung, um im Nahen Osten wirklich zu einem Frieden zurückzukehren, besteht in der Tat in erster Linie im Rückzug der Streitkräfte aller Nicht-Nahoststaaten aus dieser Region. Sie besteht zweitens darin, daß ein Rückzug aller staatsfremden Truppen aus dem Libanon — das betrifft sowohl Israel als auch Syrien — stattfinden muß, um dort eine Situation herbeizuführen, die auf der Grundlage eines Waffenstillstands und auf der Grundlage frei von äußeren Interventionen stattfindender Verhandlungen sowohl über den innerlibanesischen als auch über den innerpalästinensischen Konflikt tatsächlich eine Friedenssituation herbeiführen kann. Es ist bitter, wenn man heute beispielsweise aus den Worten des hiesigen PLO-Vertreters Abdalla Frangi entnehmen muß, daß die israelische Blutspur von Beirut vor Tripoli auch zu einer arabischen geworden ist. Man sollte, glaube ich, in diesem Zusammenhang, wenn man auch diese innerarabischen Auseinandersetzungen jetzt zur Kenntnis nimmt, aber eines nicht vergessen, woran der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kreisky vor ungefähr drei Wochen in einem Artikel in einer österreichischen Zeitschrift erinnert hat, daß es nämlich in erster Linie die Schuld des Westens ist, wenn die Politik Arafats im Nahen Osten gescheitert ist, daß dies nicht in erster Linie die Schuld der Palästinenser und ihrer inneren Auseinandersetzung, sondern die Schuld derjenigen Staaten ist, die die ganze Zeit die Palästinensische Befreiungsorganisation, die PLO, zu einer Annäherung, zu einer Anerkennung in Richtung auf das Existenzrecht Israels gedrängt haben, die sich gleichzeitig stark und schroff an die Seite Israels gestellt haben, aber nichts haben anbieten können, was tatsächlich das Lebensrecht der Palästinenser in dieser Region hat sichern können.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß es hier eben nicht nur um Flüchtlingsprobleme geht, sondern letztlich darum geht, ob auch die Bundesregierung — und zwar auch im Konkreten — bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, eine Politik zu betreiben, die in der Tat darauf angelegt sind, auch die nationale Unabhängigkeit und das nationale Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser mit zu sichern. Ich glaube, daß niemand heute mehr ernsthaft annimmt, daß die Utopie, die im palästinensischen Volk bestanden hat und auch noch besteht, nämlich einen säkularen demokratischen Staat von Juden und Palästinensern gemeinsam im Nahen Osten zu haben, eine Angelegenheit ist, die sich relativ kurzfristig wird verwirklichen lassen. Das macht sie aus meiner Sicht nicht falsch. Aber gerade in der PLO hat es in der letzten Zeit eine Entwicklung, eine Diskussion gegeben, die darauf hinauslief, daß die PLO zu einer Bereitschaft hin gefunden hat, einen unabhängigen palästinensischen Staat auf den West Banks und im Gaza-Streifen zu akzeptieren. Gerade dies aber ist durch die Politik der westlichen Staaten, u. a. auch der Bundesrepublik, immer mehr verunmöglicht worden.
Ich muß zum Schluß kommen. Ich meine, daß Sie unter diesem Gesichtspunkt bei der Verabschiedung dieses Haushaltes und auch bei der Beschlußfassung über unsere Änderungsanträge zu entscheiden haben, ob Sie mit der erstmaligen Zustimmung zu einer Finanzierung des Krieges jetzt im Nahen Osten von westdeutscher Seite aus weiter dazu beitragen wollen, daß die Vernichtung des palästinensischen Volkes, daß die Vorenthaltung der nationalen Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes weitergehen, ob Sie weiter daran fest-
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halten wollen, auch den israelischen Expansionismus, der unbestreitbar ist, in Räume arabischen Gebietes hinein zu unterstützen, oder ob Sie mit der Herausnahme dieser 7 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt ein gegenläufiges Zeichen zu setzen bereit sind.
Ich muß zum Schluß kommen. Ich bedanke mich, daß ich dies kurz ausführen konnte.