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ID1004306200

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    Plenarprotokoll 10/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 Inhalt: Verzicht des Abg. Haase (Kassel) auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . 3009A Eintritt des Abg. Stockhausen in den Deut- schen Bundestag 3009A Bestimmung der Abg. Dr. Miltner und Dr Unland als stellvertretende Mitglieder im Gemeinsamen Ausschuß 3009 B Gedenkworte für die Opfer des Flugzeugunglücks in Madrid 3099 B Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksachen 10/280, 10/534 — Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltausschusses — Drucksachen 10/690, 10/691 — Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes — Drucksachen 10/634, 10/659 — in Verbindung mit Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts — Drucksachen 10/635, 10/659 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 3009D, 3043 A Dr. Vogel SPD 3012 B, 3053 D Dr. Dregger CDU/CSU 3023 B Kleinert (Marburg) GRÜNE 3034 A Hoppe FDP 3039 B Kleinert (Marburg) GRÜNE (zur GO) . 3055 A Dr. Bötsch CDU/CSU (zur GO) 3055 C Wischnewski SPD 3056 B Genscher, Bundesminister AA 3062 B Reents GRÜNE 3069 A Dr. Althammer CDU/CSU 3071 A Dr. Mitzscherling SPD 3076 A Präsident Dr. Barzel 3023 D Namentliche Abstimmung 3079C, D Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung — Drucksachen 10/644, 10/659 — II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 und Art. 20c des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 — Drucksachen 10/335, 10/347, 10/690, 10/691 — in Verbindung mit Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte — Drucksache 10/655 — Frau Traupe SPD 3082 A Dr. Stavenhagen CDU/CSU 3086 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 3089 B Dr. Weng FDP 3091 B Leonhart SPD 3094 B Löher CDU/CSU 3097B Voigt (Sonthofen) fraktionslos 3098 C Dr. Wörner, Bundesminister BMVg . . 3099 B Namentliche Abstimmung . . . . 3102D, 3103A Nächste Sitzung 3104 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3105*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3009 43. Sitzung Bonn, den 7. Dezember 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Büchner (Speyer) * 7. 12. Cronenberg (Arnsberg) 9. 12. Fischer (Frankfurt) 9. 12. Gilges 9. 12. Dr. Glotz 9. 12. Haehser 9. 12. Frau Dr. Hartenstein 9. 12. Immer (Altenkirchen) 9. 12. Jaunich 7. 12. Dr. h. c. Lorenz 9. 12. Offergeld 9. 12. Pauli 9. 12. Petersen 9. 12. Rapp (Göppingen) 9. 12. Reddemann* 9. 12. Schmidt (Hamburg) 9. 12. Schreiner 9. 12. Schulte (Unna)* 8. 12. Dr. Stark (Nürtingen) 9. 12. Stockleben 9. 12. Stratmann 7. 12. Verheyen 9. 12. Frau Dr. Wex 9. 12. Dr. Wittmann 9. 12. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus guten Gründen hat der Gesetzgeber eine Bestimmung geschaffen, die die Unbefangenheit der am Verfahren Beteiligten durch Geheimschutz für die Dinge, die für das Strafverfahren erheblich sind, erhalten soll. Ich glaube, wir alle sind dazu aufgerufen, daran mitzuwirken, daß diese Grundsätze nicht verletzt werden. Denn auch derjenige, gegen den eine Anklage erhoben oder angekündigt ist, hat in der Tat Anspruch auf unbefangene, d. h. nicht befangen gemachte, möglicherweise gegen ihren eigenen Willen befangen gemachte Richter, Berufsrichter und Laienrichter. Hier haben wir alle eine Verantwortung, damit die jetzt erstmalig damit befaßten unabhängigen Richter in voller Unabhängigkeit meinem Kollegen Graf Lambsdorff Gerechtigkeit angedeihen lassen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Darum geht es doch gar nicht!)

    Dann können sie alle Ihr Urteil selbst fällen.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Kameradentreue! — Schily [GRÜNE]: Sagen Sie etwas zu Herrn Tandler!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute eine Darbietung über die Vorstellungen der sozialdemokratischen Opposition zu den Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik bekommen. Ich hätte Ihnen geraten, Herr Abgeordneter Dr. Vogel, daß Sie sich vor Abfassung Ihrer Rede mit dem vertraut gemacht hätten, was eben das Sachverständigengutachten über die Lage und die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gesagt hat. Es ist bezeichnend, daß Sie bei den Antworten, die Sie auf die wirtschaftlichen Herausforderungen geben — und die sind groß genug, die sind drückend genug angesichts einer Millionenzahl von Arbeitslosen, wo bei jedem einzelnen die Arbeitslosigkeit ein Einzelschicksal ist —, als erstes „Arbeitszeitverkürzung" sagen und daß Sie sich zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit bekennen.
    Herr Kollege Dr. Vogel, wir werden die strukturellen Probleme unserer Wirtschaft, die konjunkturellen Probleme, die Probleme unserer Konkurrenzfähigkeit nur lösen können, wenn wir die Produkte, die in diesem Land hergestellt werden, die exportiert werden müssen, die im eigenen Land mit den Importen aus anderen Ländern konkurrieren müssen, in der Qualität und im Preis konkurrenzfähig halten und dort, wo das verlorengegangen ist, konkurrenzfähig machen. Wer jetzt Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich verlangt, verteuert unsere Produktion, gefährdet Arbeitsplätze. Das sagen wir in aller Offenheit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir wollen uns nicht in die Tarifhoheit einmischen. Aber wenn das Gegenstand der wirtschaftspolitischen Diskussion ist,

    (Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

    dann ist es notwendig, daß wir den Bürgern unseres Landes offen sagen: Wer die Lohnstückkosten erhöht, indem er Arbeitszeitverkürzung mit. vollem Lohnausgleich verlangt, der gefährdet vorhandene Arbeitsplätze

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    und die sich abzeichnende Erholung unserer Volkswirtschaft.

    (Burgmann [GRÜNE]: Wer hat denn bisher die Arbeitsplätze gefährdet?)

    Darüber müssen wir unsere Mitbürger informieren.

    (Burgmann [GRÜNE]: So was ist doch Quatsch!)

    Denn politische Führung, die Sie vermissen, Herr Dr. Vogel, heißt auch: die Kraft, das Notwendige zu sagen, auch dort dafür zu werben,

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Wie Tandler!)

    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3065
    Bundesminister Genscher
    wo es nicht bei der ersten Darlegung eingesehen und akzeptiert wird. Das ist ein ständiger offener Meinungsbildungsprozeß. Und da stellen wir uns unserer wirtschaftspolitischen Verantwortung.
    Sie sprechen von der Notwendigkeit, die Mittel-und Kleinbetriebe zu fördern. Da haben Sie recht, Herr Kollege Dr. Vogel. Nur, gehen Sie mal in die Mittel- und Kleinbetriebe hinein, vor allem in die lohnintensiven Betriebe. Da werden Sie hören, wie dort über Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gedacht wird.

    (Zuruf des Abg. Duve [SPD])

    Sie kritisieren, Herr Kollege, daß wir mit Begleitgesetzen dabei sind, zusätzliche, sicher für manchen belastende Maßnahmen vorzunehmen.

    (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Wir müssen sie vornehmen, weil es dringend geboten ist, die Lohnstückkosten nicht noch stärker steigen zu lassen, weil wir erkennen müssen, daß neben den Lohnkosten die Lohnnebenkosten eine drückende Last sind, wenn wir darangehen wollen, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

    (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [SPD])

    Ich empfehle Ihnen, wenn Sie unsere Sparpolitik kritisieren, folgendes. Da sagen Sie in Ihrer zweiten Forderung: Pfleglicher Umgang mit der Massenkaufkraft. „Ihre Wirtschaftspolitik", werfen Sie dem Bundeskanzler vor, „vernachlässigt konstant die Nachfrageseite." Meine verehrten Kollegen von der SPD, lesen Sie einmal, was dazu das Wirtschaftsgutachten sagt.

    (Jungmann [SPD]: Die haben sich schon oft geirrt!)

    Dort heißt es:
    In der Bundesrepublik Deutschland hat die Wirtschaft 1983 ein Stück des Weges aus der Talsohle zurückgelegt.

    (Dr. Soell [SPD]: Weil die Sparkonten geplündert worden sind!)

    Die Inflation ist eingedämmt, wenn auch nicht überwunden. Die unerwartet starke Senkung der Inflationsrate hat für die Umkehr zum Besseren eine zentrale Rolle gespielt, und zwar über den günstigen Einfluß auf die Entwicklung der Kaufkraft des Geldes. Eine wichtige Stütze erwuchs der Wirtschaft aus dem veränderten Verhalten der Konsumenten.
    Wissen Sie, was das bedeutet, wenn sich Konsumenten wieder zum Verbrauch entschließen, wenn sich Investoren wieder zu Investitionen entschließen? Das heißt, sie bringen der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung Vertrauen entgegen. Das ist das Echo in der Öffentlichkeit.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie haben monatelang die Öffentlichkeit mit der Behauptung verunsichert, wir wollten uns totsparen, kaputtsparen. Gehen Sie einmal hin, erkundigen Sie sich einmal im Einzelhandel, was jetzt im Weihnachtsgeschäft geschieht. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine breite Vertrauenskundgebung der
    Bürger dieses Landes für unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN — Jungmann [SPD]: Kommen Sie mal zur Außenpolitik!)

    — Zur Außenpolitik werden Sie auch noch voll informiert werden.
    Das Gutachten der Sachverständigen sagt weiter:
    Die hohe Kaufbereitschaft der Verbraucher wird auch im kommenden Jahr eine der Stützen für die konjunkturelle Erholung sein.
    An anderer Stelle wird gerühmt, daß die Verbraucher sogar bereit seien, Ersparnisse aufzulösen, um wieder in den Verbrauch zu gehen. Es gibt überhaupt keine bessere Vertrauenskundgebung für eine Wirtschaftspolitik als den Willen des Investors zu investieren, als die Entschlossenheit des Verbrauchers zu verbrauchen. Das haben wir geschafft, weil wir den notwendigen harten Entscheidungen, denen Sie sich in der alten Regierung und in der Opposition versagt haben, nicht ausgewichen sind, sondern weil wir sie getroffen haben. Monat für Monat werden Sie erleben, wie die wirtschaftliche Entwicklung uns und unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik bestätigt.
    Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ja — und da ist es etwas ruhiger geworden — sich in der Vergangenheit sehr kritisch mit der Wirtschaftspolitik in anderen Ländern auseinandergesetzt, z. B. in England, z. B. in den Vereinigten Staaten. Auch wir sind mit der amerikanischen Hochzinspolitik gar nicht einverstanden. Das hat gestern abend noch eine große Rolle gespielt. Ich kann Ihnen aber sagen: eine Reihe von Staaten, die mehr eine Wirtschaftspolitik machen, so wie Sie sie möchten, wären sehr froh, wenn bei ihnen ein solcher Konsumentenaufbruch da wäre wie in den Vereinigten Staaten und hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Soell [SPD])

    Nein, Ihre wirtschaftspolitischen Konzepte enthalten keine Perspektiven. Sie gehen damit in die Vergangenheit zurück. Sie kommen zu alten Konzepten, die längst als überholt anerkannt sind. Wir aber werden einen Kurs solider Wirtschafts- und Finanzpolitik fortsetzen. Wir werden dabei auch im Sinne der Ausführungen, die der Bundeskanzler heute zur notwendigen technologischen Entwicklung gemacht hat, dafür sorgen, daß wir mit den Möglichkeiten einer freien Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Ordnung auch im technologischen Bereich die Entwicklungen begünstigen, die wir brauchen, damit wir auch von der technologischen Seite her unsere Probleme, die unverkennbar sind, überwinden. Es würde sich für Sie lohnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, sich doch einmal mit dem vertraut zu machen, was Ihnen Sachverständige von allen Seiten sagen, denn auch eine Opposition kann ja die Kraft haben,
    3066 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
    Bundesminister Genscher
    anzuerkennen, daß die Regierung auf dem richtigen Wege ist. Ihre Forderungen von heute, Herr Kollege Dr. Vogel, das ist ein Marsch in die Vergangenheit, das ist ein Marsch in die Sackgasse. Unser Weg führt nach oben, und die breite Öffentlichkeit unseres Landes unterstützt uns auf diesem Wege.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Jungmann [SPD]: Sprechen Sie endlich mal zur Außenpolitik! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Ich sehe, meine sehr verehrten Kollegen, daß Ihr Erwartungshorizont hochgespannt ist. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen, sondern möchte nun zu den Fragen der europäischen Politik kommen.

    (Anhaltende Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — Ich finde das wirklich nett! Herr Kollege Schily, Ihre Ausführungen und auch Ihre Zwischenrufe sind immer belebend.

    (Schily [GRÜNE]: Danke schön!)

    Es wird für uns schwer sein, Sie hier nach Ablauf Ihrer zwei Jahre Rotationszeit vermissen zu müssen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Denn ich gehe ja davon aus, Herr Kollege Schily, daß Sie zu Ihren Erklärungen, die Sie Ihren Wählern gegeben haben, stehen, obwohl ich sehe, daß hier bei den GRÜNEN eine innere Entwicklung vorhanden ist.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Wende!)

    So schlecht scheint es im Deutschen Bundestag also doch nicht zu sein.

    (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Zur Rotation haben Sie kein Verhältnis! — Zuruf von der SPD: Sie rotieren im Leerlauf!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute morgen schon über den Europäischen Rat in Athen berichtet, und ich glaube, daß wir alle die jetzt entstandene Lage zum Anlaß nehmen müssen, Bilanz über die Bemühungen der letzten Monate bei der Vorbereitung dieses wichtigen Europäischen Rates zu ziehen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen)

    Diejenigen, die die Ergebnisse von Stuttgart kritisiert haben, erkennen heute, daß in Stuttgart eine bedeutsame politische Entscheidung gefallen war. Der Herr Kollege Wischnewski hat das heute ungewollt anerkannt, als er den Vorwurf erhoben hat, das Paket von Stuttgart sei aufgelöst worden. Genau das war es, Herr Kollege Wischnewski. In Stuttgart wurde ein Paket geschnürt, in dem die Notwendigkeiten der europäischen Politik in dieser Zeit zusammengefaßt waren. Aber bitte werfen Sie von der sozialdemokratischen Seite uns nicht vor, wir hätten unsere Rolle als wirtschaftlich stärkstes Land der Gemeinschaft stärker wahrnehmen müssen. Waren Sie es nicht, die immer wieder das Wort vom „Zahlmeister Europas" gebraucht haben?

    (Zuruf von der CDU/CSU: So war es!)

    Waren Sie es nicht, die glaubten, man könne unseren Gewinn aus der Europäischen Gemeinschaft nur nach der Nettozahler-Position bewerten? Dabei wissen wir doch, daß wir Vorteile aus der Europäischen Gemeinschaft haben: durch den Gemeinsamen Markt,

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    durch die gemeinsame Agrarpolitik, durch unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit.
    Trotzdem hat die Bundesregierung alles getan, um die Einsicht unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft zu fördern, die Einsicht nämlich, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler in der Europäischen Gemeinschaft sein können. Auch wenn in der Gesamtheit kein Ergebnis erzielt wurde, kann ich Ihnen sagen, daß die Einsicht, daß wir nicht der einzige unbegrenzte Nettozahler sein können, heute bei allen Mitgliedstaaten vorhanden ist. Deshalb wird es zu einer Regelung kommen, die unkalkulierbare Risiken von unserem Bundeshaushalt abwendet.
    Wir haben uns mit klaren Vorstellungen darum bemüht, die Gegensätze auszuräumen, die es im Agrarbereich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gibt. Ich stimme dem Herrn Kollegen Wischnewski zu: Für Fortschritte in der europäischen Einigung, für europäische Reformbestrebungen ist es dringend geboten, daß Deutschland und Frankreich zusammengehen können. Da ist die Frage der Währungsausgleichsbeträge, ein Problem, das zwischen Frankreich und uns steht. Da wird niemand erwarten, daß wir eine Regelung suchen, die um den Preis einer Einigung die Existenzgrundlage unserer bäuerlichen Familienbetriebe gefährdet.

    (Zustimmung des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU])

    Wir haben in Athen in Gesprächen mit dem französischen Präsidenten und seinem Außenminister eine so weitgehende Annäherung in dieser Frage erreichen können, daß ich davon ausgehe, daß dieses Problem den Europäischen Rat, der sich das nächste Mal mit dem Gesamtproblem befaßt, nicht mehr entscheidend behindern wird. Ich halte das für einen bedeutsamen Fortschritt. Dazu müssen wir auch Beiträge leisten, aber wir werden sie nicht auf dem Rücken unserer bäuerlichen Familienbetriebe leisten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, da wir eine Einigung wollen, werde auch ich wie der Bundeskanzler der Versuchung widerstehen, mit dem Finger auf diesen und jenen Partner zu zeigen. Aber wir haben uns dafür eingesetzt, daß in der Überproduktion, die weder finanziell tragbar noch gegenüber den Bürgern vertretbar ist, maßgebliche Einschnitte erfolgen. Wir glauben, daß wir auch zunehmendes Verständnis — und hier sind wir von Frankreich besonders unterstützt — dafür bekommen, daß es nicht
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    Bundesminister Genscher
    Sinn einer gemeinsamen Agrarpolitik sein kann, die Überproduktion von solchen Milchfabriken zu fördern, die nun wirklich mit Landwirtschaft nichts und mit Geldverdienen alles zu tun haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir wollen den bäuerlichen Familienbetrieb fördern, aber nicht die industriell betriebene Landwirtschaft.
    Meine Damen und Herren, da müssen wir erkennen, es gibt Staaten, für die die Landwirtschaft eine volkswirtschaftlich noch größere Bedeutung hat als für unsere Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Grund, warum wir bereit gewesen wären, bei bestimmten Einschränkungen zum Beispiel eine Ausnahme für Irland zu machen. Was aber nicht gehen kann, ist, daß wir bei der Milcherzeugung und bei der Getreideproduktion Garantieschwellen einrichten, die eine Überproduktion verhindern und abbauen sollen, und daß gleichzeitig die Gefahren von Überproduktion bei anderen Produkten, vor allen Dingen den Mittelmeerprodukten, entstehen. Es wird also notwendig sein, hier auch ein inneres Gleichgewicht zwischen den Süd- und den Nordprodukten zu schaffen. Niemandem ist im Süden geholfen, wenn im Norden bäuerliche Existenzen gefährdet werden. Das zeigt die ganze Breite der Aufgaben, die hier zu lösen sind.
    Mit Recht ist schon von verschiedenen Rednern die Frage des Beitritts Spaniens und Portugals erwähnt worden. Als ich am Freitag — vor dem Europäischen Rat — in Spanien war, hat die dortige Regierung u. a. an unserer Haltung anerkannt, daß wir die Erhöhung der Eigenmittel mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft verbunden haben. Das heißt, wir sind realistisch genug, zu sagen, die Erweiterung durch den Beitritt von Spanien und Portugal ist nicht möglich ohne Erhöhung der Eigenmittel; aber wir sind auch fest genug, zu sagen, nur wenn diese beiden Staaten Mitglieder der Gemeinschaft werden, werden wir uns zur Erhöhung der Eigenmittel bereit finden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist eine bedeutsame Garantie für diese beiden Länder. Das ist für sie mehr wert als politische Erklärungen, in denen steht: Es ist beabsichtigt, schnellstmöglich Ihren Beitritt herbeizuführen. Sie wissen jetzt, zur gleichen Zeit werden die Eigenmittelerhöhung und der Beitritt in Kraft treten.
    Es hat ja manche öffentlichen Erklärungen und Vermutungen gegeben, es könne Frankreich sein, das sich diesem Beitritt entgegenstellt. Es war für uns eine Bestätigung dessen, was wir wußten, daß der französische Staatspräsident erklärt hat, daß er nicht nur das Ziel habe, in seiner Präsidentschaft die Beitrittsverhandlungen zu Ende zu führen, sondern daß er möchte, daß das schon in den ersten Monaten der französischen Präsidentschaft geschieht. Er kann sich dabei auf unsere Unterstützung verlassen, wie wir überhaupt dazu beitragen wollen, daß die französische Präsidentschaft mit der großen Erfahrung dieses Landes und seiner tiefen europäischen Gesinnung das große Werk der Agrar- und Finanzreform der Europäischen Gemeinschaft bewältigen kann, denn das wäre ein französischer Erfolg genauso wie ein europäischer und dàmit auch ein deutscher Erfolg.
    Für uns, meine Damen und Herren, ist die europäische Einigung und sind die Anstrengungen dafür ein Eckpfeiler unserer Außenpolitik. Wir wissen dabei, daß diese europäische Einigung ein Gewinn für den ganzen Westen ist. Für uns ist europäische Einigung Interessenwahrnehmung der Europäer und auch Stärkung der Gemeinschaft der westlichen Demokratien. Für uns ist europäische Einigung nicht das Mittel, sich von den Vereinigten Staaten abzusetzen, sondern mit den Vereinigten Staaten zusammen das Gewicht der Demokratien in der Welt zu verstärken für die Ziele, die uns verbinden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir werden dieses Zusammenwirken brauchen. Wir werden es für die Phase der internationalen Politik brauchen, die vor uns liegt. Der Artikel, Herr Kollege Wischnewski, auf den Sie abgehoben haben, formuliert, mit welchen Erwartungen wir in die Konferenz des westlichen Bündnisses gehen, wie sich unsere Politik darstellt. Diese Politik wird unter Beweis stellen, daß die gefundene Geschlossenheit des westlichen Bündnisses sowie seine Fähigkeit, das in die Tat umzusetzen, was sicherheitspolitisch als notwendig erkannt wird, der Beginn neuer Bemühungen um Zusammenarbeit und Ausgleich sind und daß es nicht eine Politik der Stärke ist, die einen neuen Kalten Krieg einläuten soll.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir werden durch die Art unserer Politik zeigen, daß diese Entscheidung, die wir — gegen Ihren Widerstand — im Deutschen Bundestag bekräftigt haben, richtig war. Entgegen Ihrer Darstellung, Herr Kollege Wischnewski, war im November nicht über die Stationierung zu entscheiden. In der Regierungserklärung vom Dezember 1979 habe ich — unwidersprochen, von Ihnen unterstützt — sinngemäß gesagt: Drei Länder, das Vereinigte Königreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland, haben sich jetzt schon zur Stationierung bereit erklärt; „jetzt", d. h. im Dezember 1979. Wir haben doch lange darüber diskutiert, was dieser Beschluß bedeutet. Wir waren uns einig, daß er unter der auflösenden Bedingung gefaßt worden ist, daß von der Stationierung nur dann abgegangen werden kann, wenn ein Verhandlungsergebnis vorliegt, das es rechtfertigt, von der Stationierung ganz oder teilweise abzugehen.

    (Dr. Ehmke [Bonn]: Das lag vor!)

    Wir haben diese Entscheidung im November dieses Jahres deshalb nicht getroffen, aber wir haben sie bestätigt. Diese Bestätigung der Entscheidung ist eine Bestätigung der Einheit und Geschlossenheit unseres westlichen Bündnisses. Das gibt uns Selbstvertrauen und Gelassenheit, es gibt uns aber auch die Verantwortung, angesichts dieser sicherheitspolitisch gewonnenen Festigkeit im Verhältnis zur Sowjetunion und zu den Mitgliedern des Warschauer Pakts deutlich zu machen, daß die Offerte zur vertrauensvollen Zusammenarbeit in allen Be-
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    Bundesminister Genscher
    reichen — politisch, wirtschaftlich, kulturell — steht, daß wir in dieser Zusammenarbeit bereit sind, daß wir dazu bereit sind, auch in allen Abrüstungsverhandlungen zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Aber, meine Damen und Herren, die Voraussetzung für konkrete Ergebnisse ist die Mitwirkung beider Seiten. Und fest steht auch: Wir wollen keine Überlegenheit über die andere Seite, aber wir werden auch keine Überlegenheit der anderen Seite hinnehmen — im Interesse des Friedens in Europa und nicht aus Rechthaberei.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aus vielen Reaktionen ist deutlich erkennbar, wieviel Nachdenklichkeit auch in anderen politischen Lagern und anderen Teilen Europas hinsichtlich der Ziele, die wir vertreten, vorhanden ist. Ich bin der Auffassung, daß es jetzt notwendig ist, die gewonnene und bestätigte Einheit des westlichen Bündnisses als Grundlage für eine entschlossene Politik zu bewahren: entschlossen, das für die Sicherheit Notwendige auch zukünftig zu tun, entschlossen aber auch, alles zu tun, damit Abrüstung, Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit Wirklichkeit werden.
    Da hilft es nichts, Herr Kollege Dr. Vogel, wenn Sie — wie neulich in der Debatte und auch bei anderen Gelegenheiten — den Bundeskanzler rügen, er vertrete unsere Interessen gegenüber den Amerikanern nicht; da sind böse Worte gefallen, die Sie sich einmal sehr genau überlegen sollten. Sie sollten vielleicht beachten, daß der kontinuierliche Meinungsaustausch zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten zu einem Maß an Abstimmung führt, das weit über die Verhandlungsposition in Genf hinausgeht. War es nicht so, daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages die Bedeutung der europäischen Abrüstungskonferenz in Stockholm unterstrichen haben, und können wir es nicht begrüßen, daß der amerikanische Außenminister eben diese Bedeutung auch unterstreicht, daß er heute vor der Presse gesagt hat: Wenn man sich im westlichen Bündnis darauf verständigt, daß die Eröffnung der Konferenz wegen dieser Bedeutung auf der Ebene der Außenminister stattfindet, dann wird er nicht fehlen, dann wird er auch dort sein. Wenn Herr Gromyko dort sein wird, dann wird er ihn auch treffen. Meine Damen und Herren, sagen Sie doch dazu einmal etwas! Das ist auch ein Ergebnis gemeinsamer Willensbildung.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das haben wir doch gesagt! Bleiben Sie ruhig!)

    Es ist eben nicht so, daß sich die Entwicklung der Verhandlungen gegen unseren Willen vollzogen hat, sondern die Verhandlungen sind von uns maßgeblich beeinflußt worden.
    Nun werden wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben, nicht nur im deutsch-deutschen Verhältnis, sondern auch — ich wiederhole es -- im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, zur Sowjetunion, zu ihren Verbündeten darum bemühen, daß nicht nur der Dialog weitergeht, sondern daß immer wieder verständlich gemacht wird: Wir sind es nicht, die vom Verhandlungstisch aufgestanden sind; es ist die Sowjetunion, die an diesen oder einen anderen Verhandlungstisch zurückkommen muß.
    Entscheidend ist jetzt, daß wir durch die Klarheit unserer Positionen und durch die genaue Definition unserer politischen Strategie verständlich machen, daß der Westen geschlossen darum bemüht ist, durch Zusammenarbeit, Entspannung und Abrüstung die Sorgen von den Menschen in West und Ost, aber auch die Rüstungslasten von ihren Schultern zu nehmen.
    Dabei wird nur derjenige langfristig Erfolg haben können, bei dem Berechenbarkeit seiner politischen Ziele, Absichten und Handlungen garantiert ist. Hier liegt der eigentliche Ansatzpunkt, meine Kollegen von der SPD, für Ihr Aussteigen aus dem NATO-Doppelbeschluß. Hier liegt der Ansatzpunkt für die Kritik. Niemand sollte sich dagegen stemmen, zu besseren Einsichten zu kommen, aber er muß beachten, was es für ein Land von der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland heißt, wenn in einer als zentral erkannten außen- und sicherheitspolitischen Frage eine wichtige Partei eine Kehrtwendung vollzieht.
    Nun wird man sehen, ob es bei der Kehrtwendung aus dem Doppelbeschluß bleibt, oder ob das nur eine Zwischenstufe zu mehr ist. Wir können das nicht wünschen; denn wir meinen es aufrichtig mit unserer Feststellung: Es wird notwendig sein, alles zu tun, um den sicherheitspolitischen Konsens wiederherzustellen. Es hat solche Phasen in der deutschen Außenpolitik immer wieder gegeben, wo man in konkreten Fragen unterschiedliche Punkte hatte und sich hinterher doch wieder vereint hat, um gemeinsam die außenpolitischen und damit nationalen Interessen des Landes wahrzunehmen. Sie werden selbst darüber entscheiden müssen, ob Sie denen in Ihrer Partei Gehör schenken, für die der Ausstieg aus dem Doppelbeschluß nur die Stufe zum nächsten Schritt, dem Ausstieg aus dem Bündnis, ist ober ob sich diejenigen durchsetzen, die zum westlichen Bündnis stehen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Und wie ist das mit den 25 % auf Ihrem Parteitag?)

    — Verehrter Herr Kollege Ehmke, Sie sagen: Und das mit den 25 % auf Ihrem Parteitag? Ich fand, daß wir nach einer leidenschaftlichen Diskussion eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Außen- und Sicherheitspolitik gefunden haben. Aber keiner derjenigen, die auf unserem Parteitag eine andere Position über Zeitpunkt der Verwirklichung des Doppelbeschlusses oder die Art der Verwirklichung hatte, hat wie ein Landesvorsitzender Ihrer Partei den Ratschlag gegeben, den Austritt aus der NATO zu wagen. Das ist der fundamentale Unterschied.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich kann Ihnen sagen, daß die Freie Demokratische Partei, nachdem die Entscheidungen getroffen sind, die Außen- und Sicherheitspolitik geschlossen tragen wird. Wir werden zusammen mit unserem Koalitionspartner nicht nur diesen Teil der gemein-
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983 3069
    Bundesminister Genscher
    Samen Politik verantwortlich tragen, sondern die gesamte Regierungspolitik, weil wir fest davon überzeugt sind, daß die Politik dieser Bundesregierung, die am 6. März 1983 den Auftrag bekommen hat, die Außen- und Innenpolitik unseres Landes zu gestalten, auf dem richtigen Wege ist, daß sie Erfolg haben wird und daß sie auch in Zukunft die Bestätigung durch die Bürger unseres Landes erfahren wird.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reents.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jürgen Reents


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GRÜNE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Ausführungen von Herrn Genscher im ersten Teil seiner Rede zum Weihnachtsgeschäft und zu ähnlichem mehr ein heimlicher Hinweis darauf sein sollten, daß Herr Lambsdorff nun doch geht und er sich hiermit um das Wirtschaftsministerium bewerben wollte, dann konnte man das ja noch einigermaßen ertragen. Wenn aber gleichzeitig in der Debatte um den Haushalt des Auswärtigen Amtes die Punkte vom Bundesaußenminister nicht angesprochen werden, die, wie Herrn Genscher durchaus bekannt ist, nun wirklich umstritten sind — beispielsweise die NATO-Verteidigungshilfe an die Türkei, beispielsweise die Situation im Nahen Osten, die erwähnt worden ist —, dann finde ich das in der Tat schon weniger erträglich.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir haben zwei Änderungsanträge zu diesem Haushalt gestellt. Der eine betrifft die Streichung der NATO-Verteidigungshilfe, insbesondere die Herausnahme der Gelder für die Türkei; denn wir sind der Meinung, daß auch nach den Scheinwahlen vom 6. November 1983 in der tatsächlichen Situation der Türkei — an Unterdrückung und Folter — keine Änderung eingetreten ist.
    Der zweite Änderungsantrag, den wir gestellt haben, zielt auf die Streichung der erstmals im Haushalt 1984 veranschlagten 7 Millionen DM für sogenannte friedenssichernde Maßnahmen im Libanon. Das ist im Verhältnis zu den Gesamtausgaben dieses Haushaltsplanes nicht besonders viel. Aber es geht bei diesem Betrag offensichtlich um eine politische Wegöffnung. Weil das so ist und weil ich meine, daß es wichtig ist, an dieser Stelle etwas mehr zur Situation im Libanon und zum Nahen Osten sowie zu den Ansätzen einer neuen deutschen Außenpolitik in diesem Zusammenhang, wie sie von dieser Regierung verkörpert wird, zu sagen, will ich mich darauf konzentrieren.
    Der militärische Aufmarsch der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten und ihr direktes militärisches Eingreifen gegen syrische Stellungen im Libanon am vergangenen Wochenende beschwören einen neuen großen Nahostkrieg herauf. Die Parallelen zu der Entwicklung sind unverkennbar, die vor ungefähr 20 Jahren, am Anfang der Intervention und der Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg sowie der dann folgenden Eskalation des Vietnamkrieges durch die USA, stattgefunden hat. Meines Erachtens kann es nicht beruhigen, wenn der amerikanische Präsident Reagan zu den jüngsten Angriffen auf die syrischen Stellungen nachträglich erklärt, er wolle keinen Krieg gegen Syrien führen. Solche Erklärungen — daran werden sich sicher noch alle erinnern — hat es auch vor dem Grenada-Überfall gegeben: Es werde keine militärische Intervention geben. Man hat gesehen, was man davon hat halten müssen.
    Ich meine, daß die Entwicklung — damit kommen wir wieder auf die Raketenstationierung zurück; diese Debatte wird Sie auch nach dem 22. November 1983 weiter verfolgen — nicht nur für die Region selbst bedrohlich ist, sondern angesichts dessen, was in der letzten Zeit in den USA an Strategien der horizontalen Eskalation ausgebraten worden ist, auch für uns. Man stelle sich vor, das ganze Kontingent der Pershing II und Cruise missiles wäre bereits jetzt in Mitteleuropa stationiert, die Entwicklung ginge im Nahen Osten so dramatisch und konfliktträchtig weiter und die USA griffen dort in der gleichen Weise, wie sie das jetzt tun, ein. Ich weiß nicht, ob Sie dann wirklich die Versicherung abgeben wollten, daß das nicht auch irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Feuerbereitstellung und einer möglichen Ingangsetzung der hier stationierten Raketen haben könnte und damit eine Übertragung und auch Ausweitung eines Nahostkrieges auf Mitteleuropa möglich wäre.

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Das trieft ja vor Antiamerikanismus!)

    Die multinationalen Friedenstruppen, die durch den Bundeshaushalt mit 7 Millionen DM unterstützt werden sollen, haben sich in den letzten Monaten als ein wohletikettiertes Unternehmen erwiesen, das in der Tat nicht Frieden in den Nahen Osten bringt, hinter dem aber mit grandioser Täuschung der Öffentlichkeit ein militärischer Interventionsplan der USA abläuft. Sie konnten heute in der Presse die Information finden, daß das britische Unterhaus gerade wegen der amerikanischen Angriffe auf die syrischen Stellungen den Beschluß gefaßt hat, das britische Kontingent im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe zurückzuziehen. Man konnte weiter lesen, daß auch der italienische Ministerpräsident Craxi darüber nachdenkt, inwieweit sich Italien noch weiter an den multinationalen Friedenstruppen beteiligt. Ich meine, das sollte in bezug auf diesen Punkt in der Haushaltsberatung eine Rolle spielen.
    Die Bundesregierung sollte meines Erachtens schleunigst die beabsichtigte Finanzierung des amerikanischen Krieges im Nahen Osten durch den Bundeshaushalt aufgeben und das Geld statt dessen lieber in die humanitäre Hilfe für den Libanon stecken.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es gibt ohnehin schon eine ganze Reihe von Staaten — Kanada, Saudi-Arabien, Großbritannien, Japan und sogar die USA —, die, was die Leistung gegenüber der Flüchtlingshilfeorganisation der
    3070 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. Dezember 1983
    Reents
    Vereinten Nationen betrifft, mit sehr viel positiveren Zahlen dastehen als die Bundesrepublik.
    Ein zweiter Punkt, weshalb ich gesagt habe, daß es nicht nur um die 7 Millionen DM geht, sondern auch um eine Wegöffnung, offensichtlich um eine neue Wende in der deutschen Außenpolitik herbeizuführen, ist folgender: Es gibt in der letzten Zeit sehr beunruhigende Äußerungen aus dieser Regierung, auch Äußerungen, die schon weiter zurückliegen, die belegen, daß man hier Schlimmes erwarten muß.
    Man muß Hajo Hoffmann von der SPD-Fraktion dankbar sein, daß er kürzlich in einer Presseerklärung ein etwas älteres Zitat des jetzigen Weltinnenministers Zimmermann aus dem „Bayernkurier" vom April 1982 ausgegraben hat, in dem — ich bitte, das ganz aufmerksam anzuhören — Herr Zimmermann folgendes geschrieben hat:
    Unsere westlichen Partner USA, Großbritannien und Frankreich sehen dort
    — im Nahen Osten —
    lebenswichtige Interessen für uns, stationieren Schiffe und Soldaten in dieser Region, nur die Bundesregierung leistet sich den Luxus, gar nichts zu tun. Hinter einem Schutzzaun pseudodemokratischer Phrasen drückt sich die Bundesregierung vor ihrer Verantwortung für unsere Zukunftssicherung.
    So Herr Zimmermann im „Bayernkurier".
    Viele von Ihnen werden aus der Debatte, die es hier im Bundestag im Mai 1981 gegeben hat, wissen, — wir mußten es nachlesen —, daß der jetzige Bundeskanzler Kohl in ähnlicher Weise davon gesprochen hat, daß es auf die Dauer nicht anginge, daß die USA die Hauptlast des militärischen Gegengewichts in der Golfregion trügen. Er hat in diesem Zusammenhang von einer verstärkten Arbeitsteilung gesprochen.
    Was steht uns eigentlich ins Haus, wenn man diese Äußerung aus der Vergangenheit kennt und jetzt weiß, daß erstmals in diesem Bundeshaushalt für 1984 die Kriegsfinanzierung für den Nahen Osten mit beschlossen werden soll?

    (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Haben Sie den Haushalt überhaupt gelesen?)

    Ich hätte es als sehr wohltuend empfunden, wenn dazu einmal etwas vom Bundesaußenminister gesagt worden wäre, ob das, was von Herrn Zimmermann und Herrn Kohl programmatisch hierzu geäußert wurde, tatsächlich auch die Zustimmung in der gesamten Regierung findet.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ganz kurz ein dritter Punkt. Die Vorbedingung, um im Nahen Osten wirklich zu einem Frieden zurückzukehren, besteht in der Tat in erster Linie im Rückzug der Streitkräfte aller Nicht-Nahoststaaten aus dieser Region. Sie besteht zweitens darin, daß ein Rückzug aller staatsfremden Truppen aus dem Libanon — das betrifft sowohl Israel als auch Syrien — stattfinden muß, um dort eine Situation herbeizuführen, die auf der Grundlage eines Waffenstillstands und auf der Grundlage frei von äußeren Interventionen stattfindender Verhandlungen sowohl über den innerlibanesischen als auch über den innerpalästinensischen Konflikt tatsächlich eine Friedenssituation herbeiführen kann. Es ist bitter, wenn man heute beispielsweise aus den Worten des hiesigen PLO-Vertreters Abdalla Frangi entnehmen muß, daß die israelische Blutspur von Beirut vor Tripoli auch zu einer arabischen geworden ist. Man sollte, glaube ich, in diesem Zusammenhang, wenn man auch diese innerarabischen Auseinandersetzungen jetzt zur Kenntnis nimmt, aber eines nicht vergessen, woran der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kreisky vor ungefähr drei Wochen in einem Artikel in einer österreichischen Zeitschrift erinnert hat, daß es nämlich in erster Linie die Schuld des Westens ist, wenn die Politik Arafats im Nahen Osten gescheitert ist, daß dies nicht in erster Linie die Schuld der Palästinenser und ihrer inneren Auseinandersetzung, sondern die Schuld derjenigen Staaten ist, die die ganze Zeit die Palästinensische Befreiungsorganisation, die PLO, zu einer Annäherung, zu einer Anerkennung in Richtung auf das Existenzrecht Israels gedrängt haben, die sich gleichzeitig stark und schroff an die Seite Israels gestellt haben, aber nichts haben anbieten können, was tatsächlich das Lebensrecht der Palästinenser in dieser Region hat sichern können.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß es hier eben nicht nur um Flüchtlingsprobleme geht, sondern letztlich darum geht, ob auch die Bundesregierung — und zwar auch im Konkreten — bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, eine Politik zu betreiben, die in der Tat darauf angelegt sind, auch die nationale Unabhängigkeit und das nationale Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser mit zu sichern. Ich glaube, daß niemand heute mehr ernsthaft annimmt, daß die Utopie, die im palästinensischen Volk bestanden hat und auch noch besteht, nämlich einen säkularen demokratischen Staat von Juden und Palästinensern gemeinsam im Nahen Osten zu haben, eine Angelegenheit ist, die sich relativ kurzfristig wird verwirklichen lassen. Das macht sie aus meiner Sicht nicht falsch. Aber gerade in der PLO hat es in der letzten Zeit eine Entwicklung, eine Diskussion gegeben, die darauf hinauslief, daß die PLO zu einer Bereitschaft hin gefunden hat, einen unabhängigen palästinensischen Staat auf den West Banks und im Gaza-Streifen zu akzeptieren. Gerade dies aber ist durch die Politik der westlichen Staaten, u. a. auch der Bundesrepublik, immer mehr verunmöglicht worden.
    Ich muß zum Schluß kommen. Ich meine, daß Sie unter diesem Gesichtspunkt bei der Verabschiedung dieses Haushaltes und auch bei der Beschlußfassung über unsere Änderungsanträge zu entscheiden haben, ob Sie mit der erstmaligen Zustimmung zu einer Finanzierung des Krieges jetzt im Nahen Osten von westdeutscher Seite aus weiter dazu beitragen wollen, daß die Vernichtung des palästinensischen Volkes, daß die Vorenthaltung der nationalen Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes weitergehen, ob Sie weiter daran fest-
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    halten wollen, auch den israelischen Expansionismus, der unbestreitbar ist, in Räume arabischen Gebietes hinein zu unterstützen, oder ob Sie mit der Herausnahme dieser 7 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt ein gegenläufiges Zeichen zu setzen bereit sind.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich muß zum Schluß kommen. Ich bedanke mich, daß ich dies kurz ausführen konnte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)