Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, im Vormittagsteil der heutigen Sitzung des Hohen Hauses war von Karl Valentin die Rede. Wir freuen uns alle über die Auszeichnung, die Sie erhalten. Aber Sie haben bei dieser Gelegenheit meinem Fraktionsvorsitzenden einen Mangel an Fröhlichkeit zugesprochen.
Dazu möchte ich Ihnen folgendes sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Bei über zwei Millionen Arbeitslosen, beim Abbau sozialer Leistungen,
bei zusätzlichen atomaren Waffen in Ost und West kann einem in der Tat das Lachen vergehen. Und das kann auch hier bei einer Rede zum Ausdruck kommen.
Das zweite. Herr Bundeskanzler, Sie haben hier Ihre Sorge über meine Partei, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, zum Ausdruck gebracht. Ich empfehle Ihnen dringend, diese Sorgen uns zu überlassen. Wenn Sie keine anderen Sorgen hätten als die, dann würde es Ihnen in der Tat außerordentlich gut gehen.
Die Voraussetzungen waren in den Fragen, um die es ging, von der ersten Stunde an klar und eindeutig:
Die Sozialdemokratische Partei hat zu keiner Zeit gesagt, daß sie in jedem Falle für die Stationierung eintritt. Sie hält sich in dieser Hinsicht an das, was im NATO-Doppelbeschluß steht, nämlich Verhandlungsergebnisse zu prüfen, danach Entscheidungen zu fällen. Wir haben in diesem Hause immer wieder gesagt, daß irgendeine Art von Automatismus für uns überhaupt nicht in Frage kommen kann. Deswegen sollte Sie das Ergebnis nicht so wundern.
Das dritte. Sie, Herr Bundeskanzler, insbesondere aber der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU haben viel über Wirtschaftsdaten gesprochen. Darüber wird es sicher morgen noch eine sehr ausführliche Debatte geben. Sie haben aber eine Zahl, die wir für ganz besonders bedeutsam halten, in keiner Ihrer Zahlenreihen genannt. Sie haben vergessen, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß von einem Rückgang der Arbeitslosigkeit natürlich überhaupt keine Rede sein kann, sondern daß während Ihrer Amtszeit innerhalb eines Jahres die Zahl der Arbeitslosen nach der Statistik der Bundesanstalt genau um 227 754 zusätzlich angestiegen ist.
Dies ist die einzige Zahl, die von entscheidender Bedeutung ist. Hier also ist eine entscheidende Verschlechterung eingetreten.
— Freuen Sie sich nicht zu früh. Seien Sie vorsichtig mit den Zahlen, die Sie nennen, sonst haben Sie sie bald.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Bilanz gezogen wird: Seit dem Amtsantritt des Herrn Bundeskanzlers haben vier wichtige internationale Konferenzen stattgefunden, haben Verhandlungen stattgefunden, die für unser Land, für die Bundesrepublik Deutschland von lebenswichtiger Bedeutung sind. Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben dort die Bundesrepublik direkt oder indirekt vertreten; denn ich gebe gerne zu, in Genf ist das selbstverständlich nur indirekt möglich gewesen. Das war erstens der Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg im Mai dieses Jahres. Das war zweitens der Europäische Rat in Stuttgart während der Zeit der deutschen Präsidentschaft, also während der Monate, als diese Bundesregierung für die Europäische Gemeinschaft ganz besondere Verantwortung zu tragen hatte. Das waren drittens die Genfer Verhandlungen über die Mittelstreckenraketen. Diese Verhandlungen sind mit Sicherheit — das wird niemand hier im Hause bestreiten — für kein Land in der Welt wichtiger als für die Bundesrepublik Deutschland. Die vierte
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wichtige internationale Konferenz, der Europäische Rat in Athen von Sonntag bis gestern, fand statt zur Zeit der größten Krise der Gemeinschaft seit ihrem Bestehen.
Lassen Sie mich bitte für diese vier internationalen Konferenzen zusammenhängend meine Bilanz ziehen:
Erstens: Williamsburg. Williamsburg war für Europa und für die Bundesrepublik Deutschland ohne jegliches Ergebnis. Es ging um ökonomische Fragen. Irgendeine Bewegung im Interesse Europas ist nicht erreicht worden.
Zweitens: der Europäische Rat in Stuttgart. Zuerst war er nur ohne Ergebnis. Jetzt, nachdem das von Ihnen geschnürte Paket — Sie haben von diesem geschnürten Paket gesprochen — geplatzt ist, jetzt ist auch der Stuttgarter Gipfel noch nachträglich gescheitert.
Drittens: Die Genfer Verhandlungen sind gescheitert. Es wird mehr atomare Waffen statt weniger in Europa geben.
Viertens: Der Europäische Rat in Athen ist gescheitert. Die Europäische Gemeinschaft befindet sich in der tiefsten Krise — sicher nicht in der einzigen, aber mit Sicherheit in der tiefsten —, die es jemals in der Gemeinschaft gegeben hat.
Herr Bundeskanzler, aus diesem Grunde muß ich eine völlig andere Auffassung vertreten als Sie. Dies alles bedeutet nämlich: Seit dem 1. Oktober 1982 ist der außenpolitische Einfluß der Bundesrepublik Deutschland zurückgegangen.
Das politische Gewicht unseres Landes hat abgenommen, denn sonst müßte j a der Einfluß im Rahmen dieser vier wichtigen internationalen Konferenzen spürbar gewesen sein.
Eine Bemerkung zu Athen: Der Bundesregierung kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie schon in Stuttgart die Lage falsch eingeschätzt hat. So, wie die Situation heute ist, wird die Finanzkrise der Gemeinschaft weiter schwelen. Unter diesen Umständen wird das Europäische Parlament den Haushalt 1984 nicht verabschieden, denn das Europäische Parlament muß und wird daran interessiert sein, in dieser Situation ein deutliches Zeichen zu setzen.
In der Frage der Agrarreform ist nichts erfolgt.
Die Überproduktion geht weiter. Gemeinsame Politiken sind, obwohl es interessante französische Vorschläge gibt, nicht vereinbart worden. So kann in der Tat Europa gegenüber der technologischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten und in Japan nicht bestehen.
Die Enttäuschung an Europa wächst, so muß man heute sagen, in Spanien und Portugal von Stunde zu Stunde.
Wir müssen wissen, daß sich diese Enttäuschung auch negativ auf das Bündnis auswirken kann. Die Aussagen dazu sind deutlich genug.
Wir — ich denke, wir alle — haben auf eine demokratische Entwicklung in Spanien und in Portugal gedrängt, und wir haben, soweit wir dazu in der Lage waren, auch helfen können. Die Spanier und die Portugiesen haben die Demokratie erreicht. Dies war eine großartige Leistung, und wir alle haben sie dazu beglückwünscht. Heute wird in erster Linie über Oliven und Tomaten gesprochen. Wer so handelt, hat — das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf an die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit — die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ist schuld an dieser Entwicklung, wer trägt die Verantwortung für die tiefste europäische Krise seit dem Bestehen der Gemeinschaft? Ich bin der Auffassung: Alle Zehn tragen Verantwortung, allerdings die einen mehr, die anderen weniger.
Die Bundesregierung gehört zu denjenigen,
die mehr Verantwortung tragen, und zwar aus folgenden vier Gründen:
Die Bundesrepublik ist das wirtschaftlich stärkste Mitglied in der Europäischen Gemeinschaft. Unser materieller Beitrag ist größer und muß auch größer sein als der der anderen.
Wir hatten in diesem Jahr sechs Monate dadurch ganz besondere Verantwortung, daß die Bundesregierung die Präsidentschaft hatte,
und wir haben wie kein anderes Land der Europäischen Gemeinschaft ein Instrument, um mit Frankreich eine besonders enge Zusammenarbeit zu haben. Aber ich habe erheblichen Zweifel, ob dieses Instrument auch wirklich in dem notwendigen Maße genutzt worden ist. Die besonders enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankeich hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von europäischen Problemen läsen helfen. Ich wäre in der Lage, hier eine Vielzahl von Beispielen zu nennen.
In dieser dramatischen Stunde für Europa — anders kann man das nicht bezeichnen — rufen wir unsere französischen Nachbarn, Partner und
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Freunde. Denn sie übernehmen am 1. Januar 1984 die Präsidentschaft in der Europäischen Gemeinschaft. Sie übernehmen damit für alle Europäer besondere Verantwortung. Wir bitten sie von ganzem Herzen um eine große französische Leistung zur Überwindung der europäischen Krise.
Wir schauen in dieser Stunde voller Vertrauen auf den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Dabei wissen wir, daß nur etwas zu erreichen ist, wenn man bereit ist, auch über den eigenen Schatten zu springen. Das gilt selbstverständlich auch für diejenigen, über die ich jetzt eben gesprochen habe.
Mit der üblichen europäischen Routine ist diese Krise nicht zu lösen. Zu glauben, daß man die ganzen unerledigten Angelegenheiten nun wie bisher immer an den Ministerrat überweisen könnte, hat überhaupt keinen Wert; denn vor dem Athener Gipfel hat sich der Ministerrat fleißig mit allen Fragen beschäftigt und ist dabei zu keinem Ergebnis gekommen.
Aber Frankreich sollte daran denken, daß in einer anderen europäischen Krise — sicher nicht von gleichem Ausmaß — Jean Monnet, der Mann, der unser aller Respekt hat, damals durch Gespräche mit den Mitgliedstaaten, mit allen Beteiligten, ohne jegliche Publizität, sich darum bemüht hat, einen für Europa unvergeßlichen Beitrag zu leisten. Ich glaube, in dieser Krise muß die Europäische Gemeinschaft darum bemüht sein, wieder einen vergleichbaren Weg zu gehen, denn die Routine ist der Tod der Europäischen Gemeinschaft.
In den letzten Jahren hat es zuviel Routine gegeben. Ohne Dynamik kann die Europäische Gemeinschaft nicht bestehen.
Wir haben die Bundesregierung zu kritisieren wegen falscher Einschätzung der Lage in Stuttgart, wegen mangelnder Anstrengungen, insbesondere während der Zeit der deutschen Präsidentschaft. Diese kritische Haltung wird uns nicht davon abhalten, unseren Beitrag für die Überwindung der Krise zu leisten in Zusammenarbeit mit unseren politischen Freunden in den übrigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft. Europa ist nicht nur ohne Alternative, Europa ist unser aller Schicksal.
Nun möchte ich gern einige Bemerkungen zu Genf machen, ohne daß ich die Debatte, die wir hier gehabt haben, nachvollziehen will. Aber der Herr Bundesaußenminister hat im Bulletin der Bundesregierung gestern einen interessanten Namensartikel, auf den Dr. Jochen Vogel schon hingewiesen hat, veröffentlicht — gestern, nachdem Genf gescheitert war. In diesem Beitrag heißt es u. a.:
Wir müssen alles tun, um in der Bundesrepublik Deutschland den außenpolitischen Konsens soweit wie möglich wiederherzustellen, ..
Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Erstens. Der von allen Steuerzahlern unseres Landes bezahlte Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, hat von seinen Beleidigungen bis heute nicht ein einziges Wort zurückgenommen, und der Bundeskanzler hat die Angelegenheit nicht in Ordnung gebracht. Auf dieser Basis kann man keinen Konsens erreichen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Zweitens. Wer unser Verhältnis zum Bündnis in Zweifel zieht, will nicht „deutlich ... machen, was uns eint"; ich übernehme hier wörtlich die Formel aus dem Beitrag des Bundesaußenministers.
Auf dieser Basis, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ein Konsens nicht möglich. Schaffen Sie diese beiden Probleme aus der Welt! Dann sind wir bereit, über alle Fragen miteinander zu reden, in denen Übereinstimmung möglich ist. Aber, bitte, rufen Sie nicht zuerst nach dem Konsens, sondern bringen Sie die Vergangenheit bitte in Ordnung.
Nachdem Genf gescheitert ist, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, sprechen Sie jetzt wieder von „konsequenter Fortsetzung der Friedens-und Entspannungspolitik"; so heißt nämlich die Überschrift des Beitrags, den der Herr Bundesaußenminister geschrieben hat und den ich sehr interessant finde.
Das Wort „Entspannung" war lange nicht zu hören.
Hier sitzen eine ganze Reihe von Kollegen auf den Regierungsbänken und auf seiten der Koalition, die sich dagegen gewehrt haben, daß dieses Wort gebraucht wurde. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen, jetzt wird dieses Wort auf einmal wieder nach oben gezogen.
Meine verehrten Damen und Herren, Aufsätze und ständige Erklärungen darüber, daß man ganz sicher sei, daß die Sowjetunion an den Verhandlungstisch zurückkehren werde, helfen nicht. Wir brauchen keinerlei Spekulationen, sondern wir brauchen konkrete Maßnahmen der Entspannung, der Rüstungskontrolle, der Rüstungsbegrenzung und der Abrüstung. Herr Bundesaußenminister, heben Sie die Wiener Verhandlungen auf die Ministerebene! Gehen Sie nach Wien, beenden Sie die ewig lange dauernde Zahlendiskussion in Wien und machen Sie einen konkreten Vorschlag zum begrenzten Abbau der Stationierungsstreitkräfte auf der einen und der nationalen Streitkräfte auf der ande-
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ren Seite — unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangsbasis auf beiden Seiten!
Nach der Stationierungsdebatte und der großen Auseinandersetzung in unserem Lande um die atomare Nachrüstung gab es gestern neue Informationen aus Brüssel über mehr konventionelle Waffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mehr atomare Waffen auf beiden Seiten, neue Beschlüsse über mehr konventionelle Waffen, dieses zerstört die Glaubwürdigkeit unseres Bündnisses.
Wir sind bald so weit, daß keinem Politiker in unserem Land mehr geglaubt wird, der über Fragen der Abrüstung und der Rüstungsbegrenzung spricht,
und dieses ist auch für die politische Situation in unserem Lande gefährlich. Wir müssen darum bemüht sein, in dieser Frage Glaubwürdigkeit zu haben.
Herr Bundesaußenminister, gehen Sie mit weitreichenden Vorschlägen für vertrauensbildende Maßnahmen und für wirkliche Abrüstung nach Stockholm, und verbinden Sie das eine mit dem anderen zum frühestmöglichen Zeitpunkt! Bemühen Sie sich, gerade bei diesen beiden Konferenzen unsere Verbündeten entsprechend zu beeinflussen; denn auch der gestrige Tag hat gezeigt, daß nicht alle Verbündeten über diese wichtige Frage gleich denken! Wenn Sie über Entspannungspolitik reden, dann seien Sie bitte bereit, einen mutigen Schritt nach vorn zu tun und die Sanktionen gegen Polen aufzuheben!
Gebrauchen Sie bitte keine solchen Formulierungen, das richte sich nicht gegen das polnische Volk, sondern nur gegen die polnische Führung! Wer die Situation kennt,
weiß, daß man darüber anders denken muß. Seien Sie darum bemüht, das für 25 Jahre abgeschlossene Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion ernstlich auszufüllen, nicht nur Aufsätze über Entspannungspolitik und die Notwendigkeit ihrer Fortsetzung zu schreiben, sondern wirklich in der Tat etwas Praktisches zu tun, um die Entwicklung voranbringen zu können.
Schadensbegrenzung ist ein Wort, das in der Außen- und Sicherheitspolitik eine immer größere Rolle spielt. Schadensbegrenzung reicht nicht aus, sondern wir wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß Sie Ihren Beitrag leisten, die Ursachen des entstandenen Schadens aus der Welt zu schaffen.
Unser Verhältnis zu den Staaten der Dritten Welt hat sich verschlechtert.
— Ich werde Ihnen ein paar praktische Beispiele bringen, keine Sorge. Wir haben dort in den letzten Monaten an Ansehen verloren, weil wir eine bewährte Politik in wesentlichen Punkten geändert haben. Wie in der Politik gegenüber dem Osten, kann auch hier von Kontinuität keine Rede sein. Besonders deutlich ist das an dem Beispiel Zentralamerika, aber nicht nur da allein.
Eine Große Anfrage der SPD vom 2. August zu Zentralamerika haben Sie bis heute nicht beantwortet. Wir waren selbstverständlich damit einverstanden, als Sie uns gesagt haben, Sie wollten erst die Botschafterkonferenz in San José in Costa Rica abwarten. Wir haben das selbstverständlich abgewartet. Seitdem sind wieder zwei Monate vergangen. Die Große Anfrage ist immer noch nicht beantwortet. Warum haben Sie solche Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage? Stimmen das Auswärtige Amt und das BMZ nicht überein, wie immer wieder behauptet wird, oder müssen neuerdings solche Texte vorher in München abgestimmt werden?
— Leider muß ich noch öfter darauf zurückkommen.
Mit der Mehrheit der Mitgliedsländer in der Europäischen Gemeinschaft stimmt Ihre veränderte Politik gegenüber Zentralamerika nicht mehr überein.
Der Innenminister von Nicaragua war auf seiner Europareise auch in Bonn. Vorher war er in Frankreich, in Spanien, in Portugal, in Italien, in Griechenland und in den Niederlanden, alles Länder, die Mitglieder unseres Bündnisses sind. Überall hat es kritische Gespräche gegeben, aber überall hat man diese Gespräche in freundlicher Form geführt. Eine Reihe von Ländern haben dem Minister Zusagen gemacht, was die Hilfe im Zusammenhang mit der Entwicklung des Landes angeht. Aber in Bonn hat der Beleidiger vom Dienst, Dr. Geißler, wieder in vollem Umfange zugeschlagen.
Er hat den Innenminister von Nicaragua beleidigt. Wir haben Thomas Borge getröstet.
Wir haben ihm gesagt — das fällt uns doch sehr leicht —, daß dieser Minister das gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung in unserem Lande so am laufenden Band tut. Daraufhin hat der Innenmini-
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ster gesagt, nun könne er die Situation wesentlich besser verstehen.
Über die Entwicklungshilfe an Nicaragua ist gestern schon gesprochen worden. Aber eins ist mir unerklärlich. Die verehrte Kollegin der FDP, die dazu gesprochen hat, hat sich dafür bedankt, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Haltung in dieser Frage nun geändert habe. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat dazu gestern jedoch nicht ein einziges Wort gesagt, so daß ich nicht weiß, wieso in diesem Zusammenhang ein Dank ausgesprochen werden konnte.
Die Bundesregierung hat durch ihre Politik gegenüber Nicaragua bisher nichts zur Entwicklung des inneren Pluralismus in Nicaragua beigetragen;
denn die Entwicklung des inneren Pluralismus hängt auch vom äußeren Pluralismus gegenüber Nicaragua ab. Eine andere Möglichkeit ist nicht gegeben.
Im übrigen, Herr Bundesminister, habe ich den Eindruck, daß die FDP-Fraktion mit dieser Politik auch nicht einverstanden ist; denn wenn ich eine Reihe von Erklärungen vor allen Dingen von solchen Kollegen lese, die die Chance hatten, sich vor Ort zu informieren, dann sehe ich, daß man auch dort einen anderen Weg wünscht. Vielleicht sollten wir im Deutschen Bundestag einmal darüber abstimmen und sehen, ob es dazu nicht eine andere Mehrheit gibt.
Ein kurzes Wort zu El Salvador. Sie wollen dorthin wieder einen Botschafter schicken.
Ich habe keine Einwendungen dagegen.
Der Abzug eines Botschafters ist keine Bestrafung, und die Entsendung eines Botschafters ist keine Wohltat.
Aber Sie wollen auch wieder Entwicklungshilfe gewähren. Dazu muß ein sehr ernstes Wort gesagt werden.
Meine Freunde und ich haben Respekt vor den Christdemokraten in El Salvador, die sich redlich darum bemühen, den Weg zur Demokratie, zu mehr Menschenrechten und auch zum Dialog zu finden.
Ich sage hier ausdrücklich unseren Respekt.
Aber es gibt nicht nur die Christdemokraten, sondern es gibt in diesem Land auch die Todesschwadronen, die nach überzeugender Aussage der katholischen Kirche Hunderte, ja Tausende von Menschen umbringen: Gewerkschafter, politisch Andersdenkende, katholische Geistliche. Das, was hier passiert, ist politischer Mord. Dort, wo der politische Mord herrscht, sollte deutsche Entwicklungshilfe, meine sehr verehrten Damen und Herren, keinen Platz haben.
In dem Stuttgarter Dokument wird von der Unterstützung der Contadora-Gruppe gesprochen. Ich hoffe, wir sind uns hier im Hause alle einig, daß diese Unterstützung von entscheidender Bedeutung ist. Aber geschehen ist seitdem nicht das geringste, um etwas zu unternehmen.
Ich stimme voll mit dem überein, was vor einigen Tagen der Kollege Schäfer von der FDP dazu als Erklärung veröffentlicht hat: Die Contadora zu unterstützen bedeutet, den Frieden in Zentralamerika zu fördern und einen der gefährlichsten Punkte in der Welt einer Chance für den Frieden näherzubringen.
Heute war schon die Rede davon, daß Sie eine entscheidende Veränderung in bezug auf die Nahostpolitik vornehmen. Da hier nicht alles klar war, habe ich die Aufgabe, noch einige Klarheiten herbeizuführen.
Der Nahe Osten ist zur Zeit für den Frieden in der Welt die gefährlichste Region überhaupt, die es gibt. Die täglichen Explosionen können durchaus zu einer großen Explosion werden; ein Hexenkessel. Wir hatten in der Zeit unserer Regierungsverantwortung und haben auch heute sehr gute Beziehungen zu Saudi-Arabien. Wir sind an der Stabilität und Sicherheit dieses Staates interessiert. Wir haben Respekt vor den großen Anstrengungen des Königreichs Saudi-Arabien für einen Waffenstillstand und den Frieden im Libanon. Aber wir haben zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein gemeinsames Kommunique mit einem Land außerhalb des Bündnisses, in dem von der Zusammenarbeit im militärischen Bereich die Rede ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das Echo auf dieses Kommunique sieht und insbesondere hört, der weiß, daß wir dabei sind, daß die schlimme deutsche Vergangenheit uns wieder einholen kann. Wir sind in diesen Fragen nicht die Vereinigten Staaten, wir sind in diesen Fragen nicht Frankreich, und wir sind in diesen Fragen nicht das Vereinigte Königreich.
Bald, Herr Bundeskanzler, reisen Sie nach Israel. In unser aller Interesse wünschen wir Ihnen für diese Reise viel Erfolg. Aber schon werden in aller Deutlichkeit und in aller Öffentlichkeit aus Israel ähnliche Forderungen an Sie gerichtet. Wollen wir uns denn auf beiden Seiten mit Waffen engagieren?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind dafür, daß wir uns auf beiden Seiten dafür
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engagieren, dem Frieden ein Stückchen näherzukommen. Aber wir wollen weder auf einer Seite noch auf beiden Seiten mit Waffen engagiert sein.
Dieses ist ein gefährlicher Weg. Ich möchte die Bundesregierung ausdrücklich vor diesem Wege warnen. Wer diesen Weg geht, sollte daran denken, was unserem Land passiert ist, als es schon einmal Waffenlieferungen in diese Region gegeben hat.
Auch gegenüber Südafrika gibt es eine veränderte Politik. Franz Josef Strauß verlangt weitere Veränderungen.
— Sehr gut, daß Sie das zugeben.
Der Außenminister wird sich sehr darüber freuen, daß hier für die notwendigen Veränderungen aus der Sicht der CSU so viel Verständnis gegeben ist. Wir haben hier j a schon neulich bei der kurzen Debatte erlebt, wie diejenigen behandelt werden, die sich dem Rassismus widersetzen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Rassismus ist Unmenschlichkeit. Christentum und Rassismus sind unüberbrückbare Gegensätze. Das sollten sich Christdemokraten in bezug auf die Änderungen merken.
Die sogenannte Verfassungsreform in der Republik Südafrika schafft mehr Rassismus. Ministerpräsident Botha hat erklärt, daß auch seine Kinder das Wahlrecht der schwarzen Bevölkerung nicht erleben werden. Deshalb war das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen entweder falsch oder feige.
Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken, daß die Mehrheit der Partner in unserem Bündnis anders gestimmt hat als die Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie auf so hervorragende Zusammenarbeit im Bündnis Wert legen, sollten Sie eigentlich bei der Gelegenheit auch an diese Fragen denken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es besteht Anlaß, ein Wort über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres auswärtigen Dienstes zu sagen. Wiederum aus der bayerischen Staatskanzlei hat es einen unverantwortlichen und unverschämten Angriff gegen Botschafter unseres Landes gegeben. Der Bundesaußenminister hat so reagiert, wie er reagieren muß. Obwohl es eigentlich selbstverständlich ist, möchte ich ihm ausdrücklich dafür danken. Eines müssen wir aber hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist unerträglich, daß Koalitionsquerelen zwischen CSU und FDP auf dem Buckel von Beamten ausgetragen werden, die ihre Pflicht und Schuldigkeit für unser Land draußen in der Welt tun.
Ich möchte deshalb allen Angehörigen unseres auswärtigen Dienstes für ihre Arbeit in nahezu allen Ländern der Welt danken. Viele müssen ihre Aufgaben unter Gefahren und schwierigen Umständen erfüllen. Wer wie ich die Chance hatte, in diesem Jahr in Beirut und in Zentralamerika zu sein, weiß sehr genau, wovon ich rede.
In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Mitarbeiter des Goethe-Instituts in aller Welt und natürlich auch hier im Lande mit einbeziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort soll die Wende eintreten.
Dort soll Liberalität abgebaut werden.
Es sollen mehr Musikveranstaltungen statt Vorträge stattfinden, weil es mit Musik weniger Ärger geben kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren
— keine Aufregung —, wahrhafte Darstellung unserer Gesellschaft — das kann natürlich nicht ohne Ärger abgehen. So ist das nun einmal mit der Vielfalt unserer Gesellschaft. Und der „Bayernkurier" kann und darf nicht der Maßstab unserer auswärtigen Kulturpolitik sein.
Das Goethe-Institut kann seine Aufgabe nur erfüllen, wenn es die ganze Breite unserer Gesellschaft
in der Kultur darstellen kann.
— Es kommt nicht darauf an, daß mir alles gefällt, es kommt darauf an, daß die kulturelle Glaubwürdigkeit unserer Goethe-Institute nicht zerstört wird.
Und nun sage ich Ihnen folgendes: Bei 12 000 Veranstaltungen im Jahr in der Welt kann in der Tat schon mal hie und da eine Panne passieren.
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Wer von uns ist so erhaben, hier zu sagen, daß ihm noch niemals eine Panne passiert sei? Ich gestehe, daß das bei mir des öfteren der Fall ist.
Aber ich habe den Eindruck, daß man sich bemüht.
Eines bereitet mir allerdings sehr große Sorgen: Mit dem Weggang der Kollegin Dr. Hamm-Brücher aus dem Auswärtigen Amt habe ich Sorge, ob die Liberalität in der auswärtigen Kulturpolitik bei uns so gewährleistet ist, wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Ihnen nach der ersten Regierungserklärung gesagt: Überall dort, wo es Kontinuität gibt, haben Sie unsere Unterstützung. Dort, wo es entscheidende Veränderungen gibt, die wir für falsch halten,
werden wir sie bekämpfen. Dieses Jahr Revue zeigt, daß es in vielen Punkten keine Kontinuität mehr gibt,
sondern entscheidende Veränderungen.
Wir werden deshalb dem Haushalt nicht zustimmen.