Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die „sogenannte Freiheit der BRD", Herr Kollege Schneider, gibt Ihnen allerdings die Möglichkeit, im Parlament der Bundesrepublik Deutschland eine Rede zu halten, die sich gegen die Interessen der deutschen Menschen auf beiden Seiten der Grenze
und gegen das Grundgesetz richtet, nach dem wir alle hier in diesem Hohen Hause zu handeln verpflichtet sind.
Ich hätte gerne an dieser Stelle als letzter Redner der Fraktionen von der Gemeinsamkeit des Hohen Hauses in einer der entscheidenden Grundfragen der deutschen Nation und in den Grundlinien der Deutschlandpolitik gesprochen. Darüber, daß ich es mit Ihnen gemeinsam, Herr Kollege Schneider, nicht würde tun können, war ich mir im klaren. Ich will deswegen auch nicht mehr auf Einzelheiten Ihrer Rede eingehen. Die Geschäftsordnung hat Ihnen ja offenbar auch die Möglichkeit gegeben, von etwas völlig anderem zu reden als von den Grundfragen deutschlandpolitischer Entscheidungen.
Herr Kollege Heimann, das eine muß ich Ihnen sagen. Ihre Rede war der ebenso unbegründete wie für mich tief enttäuschende Versuch, die Gemeinsamkeiten, die wir im innerdeutschen Ausschuß im abgelaufenen Jahr gehabt haben, in allen entscheidenden Fragen hier im Parlament zu zerreden.
Deswegen nehme ich das, Herr Kollege Heimann, was Sie hier heute gesagt haben, nicht als Auffassung der Fraktion der SPD in diesem Hohen Hause zu den Fragen, über die wir heute die Auseinandersetzung führen. Wir brauchen eine gemeinsame Grundlage für unsere Deutschlandpolitik, wenn sie denn wirklich erfolgreich sein soll. Wir brauchen dafür nicht nur Mehrheiten, sondern wir brauchen die Gemeinsamkeit, um auch nach draußen überzeugend mit dem auftreten zu können, was wir gemeinsam verfolgen wollen.
Ich füge dies hinzu: Nach meiner Überzeugung und der Überzeugung meiner Freunde brauchen wir eine nach vorn gerichtete Deutschlandpolitik, eine Politik, die sich auf Menschenrechte und deren Verwirklichung, auf Freiheit und deren Durchsetzung und auf Selbstbestimmungsrecht und seine Verwirklichung bezieht. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich beziehe mich auf den Auftrag des Grundgesetzes, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden".
Wir in der FDP-Fraktion haben früher als Sie, Herr Kollege Reimann, Berührungsängste überwunden und gesagt, daß wir eine solche Politik nicht als restaurativ verstehen, sondern als eine Politik ansehen, die nach vorne geht und den Interessen der Menschen gerecht werden soll. Auf der Grundlage diese Konsenses sollten wir uns bemühen, unsere Arbeit für Berlin, für das Zonenrandgebiet und für den Erhalt der Präferenz, Herr Kollege Stiegler, von der Sie zu Recht gesprochen haben, zu tun. — Ich wäre dankbar, wenn eine anerkennende Bemerkung gelegentlich auch einmal Ihre persönliche Unterhaltung übertönen könnte.
Das sind alles Dinge, die wir gemeinsam tun können. Ich glaube, daß auf der Basis des Konsenses, den wir im Ausschuß ja gehabt haben, dieses letzte Jahr der Deutschlandpolitik hoffnungsvolle Ansätze in einer Vielzahl von deutsch-deutschen Fragen und in Wahrnehmung und Ausfüllung der über die bisherige Vertragspolitik der vorangegangenen Jahre eröffneten Möglichkeiten gezeigt hat. Ich glaube, alle, die an der Vorbereitung wie an der schrittweisen Umsetzung Anteil hatten, dürften doch wohl an diesem Tage und in dieser Debatte ein wenig Befriedigung darüber empfinden, daß z. B. die Teilnehmerzahlen im Rahmen des Jugendaustausches gesteigert worden sind, die Mindestumtauschregelung jedenfalls im Ansatz verändert ist, die Grenzabfertigung ziviler und freundlicher geworden ist, Selbstschußanlagen an der zwar immer noch tödlichen und fast hermetisch abgesperrten Grenze bereits zu Teilen abgebaut sind, das Postabkommen mit Verbesserungen abgeschlossen wurde und weitere Gespräche und Verhandlungen auf vielen Gebieten fortgeführt oder auch neu aufgenommen worden sind.
Ich danke sowohl Ihrem Amtsvorgänger, Herr Minister Windelen, als auch Ihnen selbst für die Aktivitäten und für die Gemeinsamkeit einer Politik, die wir miteinander haben betreiben können und miteinander weiter betreiben sollten.
3006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983
Ronneburger
Herr Kollege Schneider, die Grundlage dieser Verträge hat sich auch hinsichtlich der Spannungen der letzten Tage und Wochen als tragfähig für die Weiterentwicklung der Beziehungen erwiesen, da dazu offensichtlich auf beiden Seiten der ernsthafte Wille vorhanden ist. Nur, wenn Sie die maßvolle Reaktion von Herrn Honecker als Beweis dafür anführen, wie die Stimmung der Bevölkerung drüben ist, würde ich Sie wirklich fragen, ob Sie auch in der Vergangenheit immer der Meinung gewesen sind, daß die Regierung der DDR und die Führung der SED die Stimmung der Menschen in der DDR wiedergegeben hat. Ich gaube, dies ist wohl eine Behauptung — —
— Herr Schily,
genau dies hat er gesagt. Lesen Sie das Protokoll nach!
Wer in den letzten Monaten die Diskussion um die Sicherheitspolitik aufmerksam verfolgt hat, konnte ja wohl, so meine ich, feststellen, daß sehr oft die sicherheitspolitische Argumentation mit der deutschlandpolitischen verknüpft war, und dies nicht nur hier im Hause, sondern auch in der Friedensbewegung. Dabei sind oft Ziele formuliert worden, die es — vielleicht mit einigen Abweichungen — bereits in den 50er Jahren gegeben hat, Ziele, die in ihrer Formulierung aber auch erkennen ließen, daß sie ohne Kenntnis der historischen Entwicklungen und Grundlagen und ohne Einbeziehung der daraus zu begründenden Realität neu formuliert wurden.
Ich glaube, da muß ein Schwerpunkt unserer Politik in dem Bereich, den wir jetzt gerade behandeln, gesehen werden. Wir müssen zumal der Jugend die Zusammenhänge und die historische Entwicklung vermitteln, damit auch in der Zukunft Gefährdungen durch realitätsferne Zielvorstellungen in einer Politik vermieden werden, die wir, Herr Kollege Schneider, weder den extremen Rechten noch den extremen Linken überlassen werden.
Es geht darum, daß das Bewußtsein von der offenen deutschen Frage wachbleibt. Dies gilt auch gegenüber unseren westlichen Partnerländern, in denen es ja wohl in den letzten Monaten einige verwunderte bis skeptische Fragen danach gab, ob diese sicherheitspolitische Diskussion aus Anlaß der Nachrüstung nicht am Rande Tendenzen erkennen lasse, die weniger bündnispolitische als nationale oder gar nationalistische Interessen verfolgte.
Auch gegenüber unseren Partnern und Nachbarn wird es notwendig sein, klarer als bisher unsere Situation und unsere Ziele deutlich zu machen. Unsere westlichen Nachbarn müssen wissen, daß nach wie vor die Überwindung der deutschen Teilung unser Ziel ist und bleibt, daß aber weder der Weg dahin noch ein solches erreichtes Ziel selbst zu einer Loslösung von unseren europäischen Nachbarn oder von unseren Partnern auf der anderen Seite des Atlantik führt
und daß eben unsere Gemeinsamkeit mit diesen Partnern Voraussetzung dafür ist, daß wir dieses Ziel tatsächlich erreichen können.
Ich sage dies in bezug auf unsere Partner auch mit einem Rückblick auf die Vorgänge beim Besuch der griechischen Delegation in Berlin. Ich würde auch dieser Delegation sagen, daß es in einer Stadt, in der einst Papandreou, als er unter einem diktatorischen Regime in Griechenland lebte, die Möglichkeit hatte, von dieser Stadt aus — und zwar über den „Sender Freies Berlin", nicht über den Staatsfunk der DDR — seine Meinung der Welt vorzutragen, wohl auch um unsere berechtigte Forderung geht, daß deutsche Realität auch bei unseren Partnern und Nachbarn zur Kenntnis genommen wird.
Wenn die Frau Präsidentin mir noch einige wenige abschließende Bemerkungen gestattet, wäre ich ihr sehr verbunden.
Im vorgelegten Einzelplan 27 wird bei einem Vergleich mit den Vorjahren die kontinuierliche Fortsetzung einer Politik deutlich, die wir — ich spreche hier als Mitglied der Freien Demokratischen Partei — von Anfang an mitbegründet, mitgestaltet und getragen haben. Es wäre mehr als eine freundliche Geste gewesen; Herr Kollege Heimann, wenn dieser Einzelplan mit den Stimmen aller Fraktionen dieses Hauses hätte angenommen werden können.
Denken Sie daran, wieviele Erwartungen von einzelnen und Familien und von der Bevölkerung, den Bürgern der DDR, an diese Politik geknüpft werden, die hier ihre haushaltsrechtliche Basis finden soll. Deswegen sage ich Ihnen, Herr Minister: Wir werden Ihrem Einzelplan zustimmen. Sie mögen aus dieser Zustimmung auch die Bereitschaft erkennen, auch in der Zukunft unsere gemeinsame Politik mit Ihnen zu tragen.
Ich danke Ihnen.