Rede von
Alwin
Brück
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Entwurf des Einzelplans 23 — Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — des Bundeshaushalts für 1984, auch in seiner vom Haushaltsausschuß leicht geänderten Fassung, macht deutlich: Die Rechtskoalition hat jetzt auch die deutsche Entwicklungspolitik gewendet.
Wie das nun einmal so ist: Man wendet ja, um zurückzufahren. Die Rechtskoalition fährt die deutsche Entwicklungspolitik in die entwicklungspolitische Steinzeit zurück,
um nicht zu sagen: in die Hallstein-Zeit. Das gilt sowohl für die Quantität wie auch für die Qualität.
Bundesaußenminister Genscher hat Kontinuität in der deutschen Nord-Süd-Politik versprochen. Ich frage Sie: Wo bleibt diese Kontinuität? Herr Bundesminister Warnke, wenn ich mir Ihre Entwicklungspolitik betrachte, fällt mir immer der Name einer Schallplattenmarke ein. Der Name dieser Firma: „Die Stimme seines Herren". Sie kennen ja das Markenzeichen dieser Schallplattenfirma: Da sitzt ein Hund vor einem übergroßen Lautsprecher und horcht auf die Stimme seines Herren. Dieser Herr fährt ja gern nach Afrika, läßt sich als Monsieur Strauß feiern, geht auf Großwildjagd, — was ja
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noch zu akzeptieren wäre, wenn er neben Böcken bei der Jagd nicht auch noch kapitale Böcke in der Politik schießen würde. Übrigens: eine Männerfreundschaft — jetzt meine ich nicht die zwischen Herrn Strauß und dem Bundeskanzler — zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und einem afrikanischen Staatspräsidenten ist ja noch kein Grund für besondere Beachtung eines Landes bei der Gewährung deutscher Entwicklungshilfe.
Ich sprach von Veränderungen in der Quantität und in der Qualität. Lassen Sie mich zuerst etwas zu den Veränderungen in der Quantität sagen. Natürlich, die Baransätze im Einzelplan 23 steigen prozentual mehr als der Gesamthaushalt. Meine Damen und Herren, aus den Baransätzen kann man aber keine Tendenz der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit herauslesen, ganz einfach deshalb, weil die Baransätze nur der Vollzug von politischen Entscheidungen aus vergangenen Jahren sind.
— Herr Kollege Hüsch, nur aus den Verpflichtungsermächtigungen kann man die Tendenz der Politik herauslesen. Diese Tendenz ist im vorliegenden Entwurf schlimm, ganz schlimm.
In den kommenden Jahren werden die deutschen Entwicklungshilfeleistungen erheblich absinken, weil in diesem Haushalt die Verpflichtungsermächtigungen erheblich gekürzt worden sind.
Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Gegenüber 1982, also dem Jahr, in dem die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung den Bundeshaushalt zu verantworten hatte, sind die Verpflichtungsermächtigungen für die finanzielle Zusammenarbeit um ein Drittel gekürzt worden: von damals rund 3,3 Milliarden DM auf jetzt rund 2,2 Milliarden DM.
— Es wäre besser, Sie würden sich in der Entwicklungspolitik ein bißchen mehr auskennen, statt diese Zwischenrufe zu machen.
Das bedeutet, daß hier in künftigen Jahren auch die Barleistungen um ein Drittel sinken werden, es sei denn, man würde in künftigen Jahren nur sehr kurzatmige entwicklungspolitische Zusammenarbeit betreiben, sozusagen von der Hand in den Mund leben.
Aber wenn Entwicklungspolitik langfristig angelegt werden soll, braucht man heute Verpflichtungsermächtigungen, um Projekte vereinbaren zu können, die man in künftigen Jahren sorgfältig durchführen kann.
Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag zur Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen sowohl bei der finanziellen Zusammenarbeit als auch bei der technischen Zusammenarbeit vorgelegt.
Dabei sind wir mit unseren Erhöhungsanträgen nicht so weit gegangen, daß das Volumen von 1982 erreicht würde. Wir haben insgesamt nur eine Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen um 530 Millionen DM beantragt.
damit es den Regierungsparteien leichterfällt, unserem Antrag zuzustimmen.
Nun zur Qualität. Natürlich wird die Qualität auch durch die veränderte Quantität beeinflußt. Da muß nämlich Mangel verteilt werden. Bei dieser Verteilung des Mangels haben Sie sich nicht im geringsten an das gehalten, was es an Konzeptionen deutscher Entwicklungspolitik gibt. Noch gelten j a formal die entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung, auch wenn sie in der vorigen Koalition beschlossen worden sind. Ich erinnere noch einmal an das Versprechen des Bundesaußenministers, daß es in der Nord-Süd-Politik Kontinuität geben wird.
Deshalb haben Sie nach außen diese Grundlinien
nicht abgeschafft. Herr Kollege Hüsch, es gilt der
einstimmige Beschluß des Deutschen Bundestages,
an dem ja Sie, die damalige Opposition, sehr eifrig mitgearbeitet haben, woran ich mich sehr genau erinnere.
Aber ich nehme an, daß Sie im März 1982, als dieser Beschluß gefaßt worden ist, nicht daran gedacht haben, daß Sie die damals gefaßten Beschlüsse einmal einhalten müssen.
Jetzt scheint dieser Entschluß für Sie nur noch Makulatur zu seien.
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Die Erläuterungen, nach denen die Verpflichtungsermächtigungen bewirtschaftet werden, sind vertraulich. Ich will mich an diese Vertraulichkeit halten,
obwohl das, was darin steht, kein Staatsgeheimnis ist.
Aber ich will der Bundesregierung die Flexibilität erhalten, die sie für Verhandlungen braucht.
Einige allgemeine Bemerkungen müssen jedoch gestattet sein.
Einige große Empfängerländer der deutschen Entwicklungshilfe werden auch im kommenden Jahr Zusagen in der gleichen Höhe wie bisher erhalten,
obwohl es sich bei ihnen zum Teil um Schwellenländer oder doch um schon mehr entwickelte Länder handelt.
Das heißt, sie werden von der Gesamtkürzung um ein Drittel nichts spüren. Dafür aber wird vor allem bei den am wenigsten entwickelten Ländern gekürzt, bei den ärmsten Ländern,
obwohl sich doch die Bundesrepublik mit Zustimmung aller verpflichtet hat,
diese Länder bei ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit stärker zu unterstützen. — Herr Kollege Hüsch, auf Ihren Zwischenruf kann ich nur sagen, daß Sie selbst in einem Antrag gefordert haben, daß sich die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik auf die ärmsten Länder konzentrieren muß.
Sie leiden da an Gedächtnisschwäche.
Wir müssen also feststellen: Auch in der Entwicklungspolitik gibt es eine Umverteilung von unten nach oben.
Da ist z. B. ein Beitrag für ein reiches OPEC-Land vorgesehen und in die Rahmenplanung eingestellt, für ein OPEC-Land, dessen Bruttosozialprodukt höher ist als das manches europäischen Landes.
Man muß sich vorstellen: ein Ölland, dessen Bruttosozialprodukt höher ist als das mancher europäischen Länder! Die Bundesregierung hat überhaupt
keine Vorstellungen, wie sie dieses Geld ausgeben will, denn ein Projekt ist in der Rahmenplannung nicht enthalten.
Da steht nur drin: Da man jetzt die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit diesem Land beginne, gebe es noch kein Projekt. Ich sage noch einmal: für ein reiches OPEC-Land.
Nun haben Sie zwar in den Ausschußberatungen versucht, die Gesetze der Mathematik außer Kraft zu setzen und immer wieder bestritten, daß es, auf längere Sicht gesehen, zu Kürzungen für die am wenigsten entwickelten Länder kommt. Wenn ich aber den Gesamtansatz kürze und den Anteil einiger großer Empfängerländer nicht kürze, dann bedeutet das nichts anderes, als daß deren Anteil prozentual sogar ansteigt und daß der Anteil all der anderen Länder prozentual absinken muß, es sei denn, sie könnten aus einer Mark zwei Mark machen.
Es gibt auch noch andere Gesichtspunkte, unter denen Sie die künftige Aufteilung der deutschen Entwicklungshilfegelder sehen. Ich will zwar auch hier keine Ländernamen nennen, doch eines wird deutlich sichtbar: Länder, die sich selbst als linke Länder bezeichnen oder von anderen so genannt werden — wobei ich Wert darauf lege, daß „so genannt" in diesem Fall nicht in einem Wort geschrieben wird — erhalten weniger Zusagen und Länder, die sich rechts nennen oder von anderen so genannt werden, erhalten höhere Zusagen.
Wenn ich sage, daß sie so genannt werden, dann deshalb, weil ich davor warne, daß wir unsere Begriffe von links und rechts, von sozialistisch und kapitalistisch auf die Länder der Dritten Welt übertragen.
Wer diese Länder nur ein bißchen kennt, der weiß, daß diese Übertragung gefährlich und töricht ist, so wie es töricht ist, den Ost-West-Konflikt in die Länder der Dritten Welt zu tragen. Die Rechtskoalition aber tut das.
Auch ich weiß, daß der Ost-West-Konflikt aus den Ländern der Dritten Welt nicht nur dadurch herausgehalten werden kann, daß wir ihn heraushalten.
Auch ich weiß, daß die Sowjetunion als imperiale Macht auf den Feuern in der Dritten Welt ihr Süppchen zu kochen versucht, und daß sie diese Feuer oft auch entzündet. Ich frage mich aber, ob wir dann noch das Brennmaterial dazu liefern sollen.
Ich muß das wiederholen, was ich in der Aktuellen Stunde zum südlichen Afrika gesagt habe. Würden wir uns — unter wir verstehe ich uns, den Westen insgesamt — überall in der Welt für unsere
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wesentlichen Ideale, für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit — die wir j a für verteidigungswert halten — einsetzen, wären die Chancen der Sowjetunion, in der Dritten Welt Einfluß zu gewinnen, sehr gering. Die Kubaner stünden nicht in Angola, wenn der NATO-Partner Portugal rechtzeitig seine Kolonialpolitik aufgegeben hätte.
In Lateinamerika würde sich niemand kubanische Berater in sein Land holen — so schön ist das kubanische Modell ja auch nicht —, wenn es nicht zuvor in diesen Ländern blutige Ausbeutung und Unterdrückung gegeben hätte und dies von uns oft mehr geduldet wurde als das, was es an revolutionären und reformatorischen Bewegungen in den Ländern der Dritten Welt gibt.
Ich bestreite nicht, daß auch in der Entwicklungspolitik deutsche Interessen wahrzunehmen sind. Die Mitglieder der Bundesregierung haben darauf einen Eid geleistet. Wir alle sind darauf verpflichtet. Die Frage ist nur, wie man deutsche Interessen langfristig sichert. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir unsere Interessen langfristig nur dadurch sichern können, daß wir einkalkulieren, daß auch andere Interessen haben und wir nicht auf deren Interessen herumtrampeln.
Wir brauchen einen Interessenausgleich mit den Ländern des Südens. Wer den Frieden sichern will, der muß diesen Ausgleich anstreben. Von Willy Brandt stammt das Wort, daß er zweimal in seinem Leben erlebt habe, daß aus Kriegen Hunger wurde, und er nicht möchte, daß demnächst aus Hunger Krieg wird. Ich glaube, daß wir alle dem zustimmen können. Was mich an der Diskussion um die Sicherung des Friedens bei uns in den letzten Monaten gestört hat, ist unsere gemeinsame Fixierung auf den Ost-West-Konflikt, ist unser Eurozentrismus. Wir denken an uns in Europa, an unsere Sicherheit, an unseren Frieden. Wir sollten auch um die Konflikte wissen, die dadurch entstehen, daß die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Süd und Nord so groß ist.
Ziel der deutschen Entwicklungspolitik muß es sein, diese Kluft abzubauen. Um die Grundlinien der Bundesregierung zu zitieren: Ziel der deutschen Entwicklungspolitik ist die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt.
Der uns vorliegende Einzelplan 23 des Bundeshaushalts wird diesen Zielen nicht gerecht. Wir lehnen ihn deshalb ab.