Rede von
Friedrich
Neuhausen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Vogelsang, um es ganz deutlich zu sagen: Auch ich kann mich nicht darüber freuen, daß der Bildungspolitik im Rahmen des Gesamthaushalts nicht die Prioritäten zukommen, die mir wünschenswert oder erforderlich erscheinen. Aber wenn man es realistisch betrachtet, gilt diese Feststellung nicht nur für unseren Fachbereich. Und sie ist auch nicht nur von dieser oder jener Koalition abhängig. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat einmal von dem Prokrustesbett geschrieben, in das die Bildungspolitik eingezwängt sei. An diesem Bett haben über lange Zeit die verschiedensten Tischlermeister gearbeitet, nicht nur einer politischen Konstellation.
Meine Damen und Herren, Bildungspolitik — und das gehört auch noch in dieses Programm hinein — darf sich auch nicht länger so isoliert betrachten, wie sie das lange Zeit getan hat. Sie ist einer Versuchung erlegen, die dann im Umkehrschluß dazu geführt hat, daß die anderen Politikbereiche Bildungspolitik isoliert betrachteten. Und das wird unserem gemeinsamen Anspruch nicht gerecht; denn diese Bildungspolitik bestimmt doch den gesellschaftlichen Raum, den Raum der Bildung, Ausbildung und Erziehung, der von größter Bedeutung — lassen Sie mich das einmal so grundsätzlich und plakativ sagen — für die Zukunft von Staat und Wirtschaft ist; denn hier geht es um die Förderung der Begabungen, die wir brauchen, um die Entwicklung von Leistungsfähigkeit, Leistungswillen und Leistungsmöglichkeit, ohne die wir die Probleme der Zukunft nicht lösen können. Hier geht es auch darum, daß
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2973
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junge Menschen individuell und für sich zu ihren ganz eigenen Entfaltungen und Entwicklungen kommen, daß sie als einzelne ihren Lebensweg finden und daß Bildung und Erziehung ihnen dabei den Horizont und die Perspektiven ihres Lebens- und Weltverständnisses öffnen.
Meine Damen und Herren, das hört sich vielleicht groß und abstrakt an. Aber wenn eine solche grundsätzliche Betrachtung nicht den Hintergrund der Beurteilung aktueller Gegebenheiten bildet, dann verkümmert Bildungspolitik zum vordergründigen Streit — und den haben wir allzulange geführt — um Organisationen und Institutionen und degradiert sich zum Handlanger der Verwirklichung dieser oder jener so oder so ausgerichteten ideologischen Vorstellung. Wenn sie sich in der Aussprache gar auf nur ein aktuelles Problem konzentriert, vernachlässigt sie die ganze Breite ihrer Aufgaben.
Meine Damen und Herren, in ihrem Mittelpunkt — das müssen wir auch bei einer solchen Betrachtung sagen — muß aber immer der einzelne, und zwar der einzelne junge Mensch, stehen, der seinen Weg in die Gesellschaft, in Wirtschaft und Staat finden muß, dieser einzelne junge Mensch, der einmal mit den anderen zusammen das Gesicht dieser Gesellschaft, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die offene Sicherheit des staatlichen Zusammenlebens prägen wird.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, daß diese Bildungsarbeit ja gar nicht von uns Bildungspolitikern geleistet wird. Sie wird geleistet von den Lehrern in Schulen und Hochschulen, von Ausbildern und Meistern in Handwerk und Wirtschaft, und sie wird vor allen Dingen von den Eltern geleistet.
So steht die eigentliche Bildungspolitik, steht das, was wir treiben, immer zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite befindet sich der Pol der individuellen erzieherischen, ausbildenden und bildenden Bemühungen in Elternhäusern, Schulen und Hochschulen und Ausbildungsstätten; auf der anderen Seite befindet sich der Pol der Haushalts-, Finanz-und Wirtschaftspolitik, der den Rahmen für die finanziellen und institutionellen Möglichkeiten setzt.
Zwischen diesen beiden Polen — Herr Vogelsang, ich nähere mich Ihren Aufforderungen an mich — hat sie zu vermitteln, denn daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Schwerpunkte zu setzen. Das geschieht, wie wir wissen, im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse. Unter den Vorzeichen der Notwendigkeit, den Haushalt und die Staatsfinanzen zu konsolidieren und zu stabilisieren, dürfte der gewichtigste Schwerpunkt augenblicklich sein, dafür zu sorgen, daß überhaupt noch Mittel für die so beschriebenen Aufgaben zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, aus diesem Grunde stimmen wir dem Haushalt zu. Es ist aber kein Geheimnis, daß sich die Bildungspolitiker meiner Partei — ich auch — bei den Haushaltsschwerpunkten im engeren Sinne, also konkret bezogen auf den Einzelplan des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft bzw. seine Einbettung in den Gesamthaushalt, auch andere Gewichtungen, z. B. im Hinblick auf die individuelle Ausbildungsförderung für Schüler, hätten denken können.
Daraus ergeben sich für uns Aufgaben für die Zukunft, die wir nicht vernachlässigen wollen, etwa hinsichtlich der Einbeziehung dieses Komplexes in die dringend notwendigen Überlegungen zur Umgestaltung des Familienlastenausgleichs
oder auch hinsichtlich der Klärung des weiteren Schicksals der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses — Art. 22 des Haushaltsbegleitgesetzes.
Genau in bezug auf diese beiden Punkte stellt sich beispielhaft die Frage nach der Kompetenz und der Aufgabe des Bundes in der Bildungspolitik. Es stellt sich die von mir vorausgeahnte und von Herrn Vogelsang gestellte Frage nach der gesamtstaatlichen Verantwortung, nach der Bundeseinheitlichkeit in wichtigen Bereichen der Bildungspolitik. Ich mache mir hier zu eigen, was der Vorsitzende meiner Partei, Hans-Dietrich Genscher, kürzlich auf dem Parteitag in Karlsruhe zu diesem uns beschäftigenden Thema gesagt hat. Er hat nämlich gesagt:
Ich bin gewiß kein Zentralist. Ich schätze als Liberaler die gewaltenteilende Funktion unseres föderativen Systems, und ich weiß um die darin liegende Chance der Vielfalt der Initiativen. Aber Vielfalt ist etwas anderes als Wirrwarr, und Gewaltenteilung ist etwas anderes als Entscheidungslähmung durch Einstimmigkeitszwang in der Kultusministerkonferenz.
Die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes muß zu ihrem Recht kommen, wo es um die Zukunft unserer Kinder geht.
Meine Damen und Herren, es gibt in allen Parteien eine Föderalismusdiskussion, auch in der SPD. Ich denke an das, was der frühere Staatssekretär Granzow kürzlich auf einen Artikel meiner Parteifreundin Frau Hamm-Brücher geantwortet hat. Da sprach er plötzlich davon, daß es nicht auf die Bundeseinheitlichkeit ankomme, sondern darauf, progressive Inseln in diesem Land in der Hoffnung zu bilden, daß sie einmal wieder zu Landmassen würden.
Das ist auch nicht das Maß an Bundeseinheitlichkeit, wie wir das früher gemeinsam gesehen haben.
Es ergeben sich in diesem Zusammenhang einige sehr wichtige Fragen auch gegenüber der SPD — so verstanden —: Sind die Länder willens und in der Lage, die mit diesen Aufgaben verbundenen —
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auch finanziellen — Notwendigkeiten so zu leisten, daß ein vernünftiges Maß an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse eingehalten wird? Das gilt doch im Hinblick auf die Ausbildungsförderung, wenn ich einmal an das Land Nordrhein-Westfalen denke. Ich habe den Eindruck, daß dort die Mittel, die bisher für die Ausbildungsförderung zur Verfügung standen, eben nicht für diese Zwecke eingesetzt werden. Das sollten wir alle gemeinsam als unsere Aufgabe ansehen.
Wir sind weiterhin der Auffassung, daß der Bund auf eine gewisse Vordenkerfunktion angesichts der Entwicklungen in Technik und Wissenschaft nicht verzichten kann. Wir sind der Meinung, daß es gerade unter Beachtung der Interdependenzen zwischen allen gesellschaftlichen Bereichen auf eine gesamtstaatlich verantwortete Partnerschaft und verantwortliche Partnerschaft ankommt.
Schließlich darf Pluralismus — das darf ich noch sagen —, auf den sich die Diskussion um Föderalismus in der Bildungspolitik meistens bezieht, ja nun nicht mit Partikularismus und Provinzialismus verwechselt werden. Auch in den Ländern ist Zentralismus denkbar; nicht nur im eigenen Bereich, sondern auch im Verhältnis zu anderen Ländern, etwa wenn es um die Anerkennung von Abschlüssen geht. Gerade der Pluralismus braucht einen Rahmen, der nicht zu neuen Abhängigkeiten führt, sondern Abhängigkeiten abbaut.
Wer die Verlagerung von Verantwortung auf die Ebenen für richtig hält, auf denen verantwortlich zu handeln ist, wer die Verantwortung also näher an die Schulen und Hochschulen herantragen möchte, weil nur so Wettbewerb und Differenzierung möglich und zu verwirklichen sind, der muß auch einen gemeinsam verantworteten Rahmen bilden.