Rede von
Walter
Sauermilch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach einer Pressemitteilung von gestern hat der Generalsekretär der CDU, Dr. Reiner Geißler, eine erste Zwischenbilanz der Regierung Kohl an sein Parteivolk übermittelt. Dabei geht er auch auf die Probleme des Wohnungs- und Städtebaus ein, die heute hier bei Einzelplan 25 zur Diskussion stehen. Darin heißt es — ich zitiere —:
Das wohnungsbaupolitische Sofortprogramm und die Verbesserung des Mietrechts haben dem Wohnungsbau neue Impulse gegeben.
Dies wird dann auch mit Zahlen belegt, die lediglich ein Mehr an Baugenehmigungen gegenüber dem Vorjahr ausweisen. Das ist alles. Kein Wort von der schleichenden Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus zugunsten von mehr Markt, also von mehr Asozialität!
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 42. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 6. Dezember 1983 2945
Sauermilch
Kein Wort vom drängenden Problem der Mieter, die nun schon allzulange bis an den Rand ihres Existenzminimums ausgenommen werden!
Kein Wort von den schon lange eingefahrenen schmutzigen Praktiken der sogenannten Bauherrenmodelle, deren Asozialität darin gipfelt, daß die oberen Einkommensgruppen mit Steuereinsparungen ihren Besitzstand unverhältnismäßig mehren!
— Das sage ich als Architekt, sehr geehrte Frau Roitzsch.
Nun zu Ihnen, Herr Minister Schneider. Ihre Ausführungen waren immer, soweit ich sie verfolgen konnte, und sind sicher auch heute wieder von Ihrem Idol des freien Markts bestimmt. Wohnungs-und Städtebau als Lokomotive der freien Marktwirtschaft! Freie Fahrt den Tüchtigen, den Managern, den Maklern, den Unternehmern, den Baugesellschaftern und den Häuslebauern!
Aber bitte nur Erster-Klasse-Wagen mit Klimaanlage! Fröhlich winkend fahren Sie und Ihre tüchtigen Unternehmer in Ihrem Erster-Klasse-Zug an den vielen Streckenarbeitern vorbei,
die Ihre Schnellbahntrasse säumen, nämlich den vielen Normalbürgern, die nicht das Geld haben, selbst zu bauen, und daher zur Miete wohnen müssen.
Sie selbst, Herr Minister Schneider, haben auf dem Deutschen Mietertag in Köln gesagt — das habe ich selbst gehört —, was Sie unter Miete verstehen. Sie sagten dort wörtlich: „Miete ist der Preis für eine wirtschaftliche Leistung." Kein Wort mehr, kein Wort dazu, daß menschenwürdiges Wohnen eine Voraussetzung für die Erfüllung des Art. 2 des Grundgesetzes, für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, ist, das Mietrecht also eine sozialpolitische Aufgabe und nicht ein konjunkturpolitisches Instrument ist.
Kein Wort dazu, daß die Erblast einer schlechten Mietengesetzgebung mit Ihrem neuen Mietrecht durch zusätzliche Mietsteigerungen noch aufgestockt wird. Der Markt ist sozial blind; das wissen Sie. Aber Sie sagen es nicht; Sie sagen es deswegen nicht, weil Sie nicht zugeben wollen, daß die Sozialpflicht der Mietengesetzgebung — übrigens auch des Bodenrechts — Ihnen nur ein unliebsames Signal auf der von uns allen subventionierten Fahrt in die „Rosa Zeiten" der Rentner des Spätkapitalismus ist.
Wie aber sieht diese Realität aus, meine Damen und Herren? Die Zahl der Räumungsklagen ist in den westdeutschen Großstädten um 20 bis 40 % gestiegen. Die Mietbelastung unterer und mittlerer Einkommensbezieher ist bei der Neuvermietung von Wohnungen auf bis zu 40 % des Haushaltseinkommens angestiegen. Neubaumieten von 12 DM pro Quadratmeter und mehr erreichen die Grenze der finanziellen Belastbarkeit vieler Haushalte. Die Mieten — das können auch Sie nicht widerlegen, Herr Echternach — sind im Jahre 1983 fast dreimal so schnell gestiegen wie die Lebenshaltungskosten.
Unmittelbar neben Warteschlangen für preiswerte Wohnungen stehen Wohnungen der obersten Preisklasse leer. Die Schlichtformel „Mehr Miete — mehr Wohnungen" bleibt ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Keine einzige preisgünstige Wohnung wird durch diese mieterfeindliche Politik zusätzlich gebaut; das Gegenteil ist der Fall!
Bis jetzt ist das Warten auf den Aufschwung im Bausektor vergeblich. Mindestens weitere 50 000 Bauarbeiter werden in diesem Jahr ihren Arbeitsplatz verlieren. Verbesserte Auftragslage im Wohnungsbausektor heißt zunächst nur mehr Überstunden, größeres Arbeitstempo, heißt aber auch Rationalisierung und damit weitere Gefährdung von Arbeitsplätzen. Die Sparpolitik im öffentlichen Hochbau tut ihr übriges.
Die Programme zur Belebung der Baukonjunktur haben zumindest zweierlei erreicht: Wer sowieso bauen wollte, hat die Steuergeschenke und FörderMilliarden dankend mitgenommen oder aber seinen Hausbau einige Monate vorgezogen — ein wirklich grandioser Aufschwung! Zunächst sind nur die Genehmigungszahlen, nicht aber die Anzahl der Wohnungen angestiegen, die tatsächlich gebaut worden sind oder gebaut werden.
Das, was Herr Echternach soeben gesagt hat, daß nämlich Aufträge verteilt worden sind, ist auch kein Kriterium. Die Gewinner dieser Förderungsprogramme sind sicherlich Banken und Sparkassen. Die Zinsen für Bauhypotheken sind von 7,5 % im März wieder auf rund 9 % angestiegen. Mittlerweile kostet die Wohnungsbauförderung jährlich rund 26 Milliarden DM. Gewinner sind die oberen Einkommensbezieher. Sie erhalten Steuererleichterungen in Milliardenhöhe bei Abschreibungserleichterungen, Schuldzinsenabzug und Bauherrenmodellen.
Diese Förderungspolitik gelangt einerseits nicht in die Bedarfsschwerpunkte in den Ballungsgebieten, andererseits werden Bevölkerungskreise subventioniert, deren Wohnungsversorgung in keiner Weise gefährdet ist. Verlierer sind untere und mittlere Einkommensbezieher, die mit ihrer Wohnungsversorgung in der vielgepriesenen Marktwirtschaft immer mehr unter die Räder kommen. Mietsteigerungen im Altbaubestand, nahezu unbezahlbare
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Sauermilch
neue Sozialwohnungen, sinkende Reallöhne, steigende Arbeitslosenzahlen, aber auch das Fehlen von Anpassungen bei den Wohngeldleistungen an die verschlechterte Einkommenssituation gefährden die Wohnungsversorgung weiter Teile der Bevölkerung. Die wirtschaftlich Schwächeren sind dabei die ersten Opfer. Die von Herrn Schneider so hochgelobte Sickertheorie ist dabei im Sande der Ideologien schon versickert.
Zum Glaubensbekenntnis der Marktwirtschaftskämpfer gehört auch das Wohngeld. Es soll zur Hauptstütze der Wohnbauförderung werden, weil kostengünstig, effektiv, zielgenau usw. Trotz sich verschlechternder Einkommenssituation weiter Teile der Bevölkerung und rasant steigendem Mietenniveau sind für das Wohngeld in den nächsten Jahren bis 1987 nur die gleichen Nominalbeträge vorgesehen wie für den Haushalt 1984. Nicht mehr, sondern weniger Haushalte werden Wohngeldleistungen erhalten. Arbeitslosen- und Rentnerhaushalte stellen den größten Teil der Wohngeldempfänger, nämlich über 90 %.
Durch die regierungsamtliche Brille betrachtet gibt es heute wohl nur ein einziges Problem im Wohnungsbau, nämlich die Eigentums- und Eigenheimförderung. Wie sonst ist es zu verstehen, wenn Gedankenspiele kursieren, den Sozialwohnungsbestand auf eine Notreserve abzuschmelzen? Wie ist es sonst zu verstehen, daß durch bereits beschlossene Gesetze allein 2,5 Millionen von 4,5 Millionen Sozialwohnungen von einer sogenannten Befreiung aus der Mietpreisbindung und der Bindung für untere Einkommensklassen bedroht sind? Es handelt sich dabei aber nicht um die fast unbezahlbaren Sozialwohnungen der 70er und 80er Jahre, sondern um die immer noch mietgünstigen Wohnungen aus den 50er und den 60er Jahren.
Die gleichen Entwicklungen bestehen in den städtischen Altbauquartieren, wo Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, um ganze Stadtteile durch finanzkräftige Käufer, nicht nur Spekulanten, schrittweise umzukrempeln. Die Verdrängten sind dann auf die teuren Sozialwohnungen oder auf den immer enger werdenden Markt von Mietwohnungen im Altbaubestand angewiesen. Das hat Herr Müntefering vorhin auch schon ausgeführt.
Zwar steht dieses Szenenbild mit der Verabschiedung des Bundesetats 1984 nicht zur Abstimmung an, diese unsozialen Tendenzen verlängern sich aber in den Etat des Bundesministeriums hinein bzw. werden weiter unterstützt.
— Das kommt gleich, Herr Dr. Jahn. Aber ohne eine Korrektur der Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau und vermehrte Kapitalsubvention drohen diese Programme zu versickern. Trotz hohem Subventionsaufwand ist durch den hohen Zinskostenanteil in der Mietberechnung bei Anfangsmieten von 7,50 DM die Vermietbarkeit dieser neuen Sozialwohnungen nicht gesichert. Es erhöht sich nur der Bestand schwer vermietbarer Wohnungen.
Unsere Forderungen: Neuauflage eines Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramms von 200 Millionen DM. Im Haushalt 1984 ist nur noch die Abwicklung eingegangener Verpflichtungen vorgesehen. Modernisierung und Instandsetzung sind in der Regel billiger als Neubau,
sozial verträglicher und erlauben mehr Eigeninitiative der betroffenen Mieter. Das Schwergewicht der Förderung hat auf verlorenen Baukostenzuschüssen zu liegen.
Die Mietwohnungsmodernisierung ist gleichrangig zu fördern und zu behandeln.
Ich komme zum Schluß — noch einen Satz, Herr Präsident —: Aufstockung um 200 Millionen DM bei der städtebaulichen Sanierung und Entwicklung, Förderung nach dem Städtebauförderungsgesetz; zur Verbesserung der innerstädtischen Wohnqualität soll der Verpflichtungsrahmen um 200 Millionen DM erweitert werden; die Mittelvergabe ist an die Auflage von kleinteiliger Stadtsanierung und Stadterneuerung zu binden. — Da meine Redezeit abgelaufen ist, bin ich leider nicht in der Lage, meine Ausführungen zu Ende zu führen.
Ich danke Ihnen.