Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schäfer, ich glaube, bei allen Meinungsverschiedenheiten, die in diesem Hause in Sachen der Innen- und Rechtspolitik auch in der früheren Koalition aufgetreten sind und auch heute in der jetzigen Koalition auftreten — es ist doch gar nichts Verwerfliches, daß unterschiedliche Parteien unterschiedliche Meinungen haben —,
sollten wir eines nicht tun, wir sollten uns nicht gegenseitig den Willen absprechen, gemeinsam in diesem Parlament den freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen.
Es ist auch nicht so, Herr Kollege Schäfer, daß wir die Debatte über die Friedenssicherung abbrechen wollen. Ganz im Gegenteil. Es ist meines Er-
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achtens wichtig, daß der Außenminister gerade jetzt eine neue Initiative zur Entspannungspolitik unternommen hat, weil wir eben davon ausgehen, daß der Friede letztlich nicht durch Waffen, sondern durch eine friedenssichernde Politik gesichert werden muß.
— Warum ist das paradox?
— Sie kennen doch unsere Position. Sie haben eine andere Meinung hier ausgiebig zur Geltung gebracht. Wir, die Koalition, haben gemeinsam einen Weg zur Friedenssicherung vertreten, den wir für richtig halten. Wir verlangen dafür Ihren Respekt genauso, wie wir Ihnen nicht den Respekt für die Meinung absprechen, die Sie haben. Wir wollen nur deutlich machen, daß die Politik, die wir gegenüber dem Osten 1969 eingeleitet haben, jetzt fortgesetzt wird, gerade in einer schwierigen und kritischen Situation.
Diese Initiative des Außenministers wird auch die Beratungen im NATO-Rat in dieser Woche beschäftigen.
Sie kritisieren uns, daß wir eine Entspannungspolitik machen. Das ist ja geradezu paradox.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zur Ausländerpolitik sagen. Wir haben hier Meinungsverschiedenheiten. Wir haben auch in der Koalition Meinungsverschiedenheiten. Ich habe das eben schon angedeutet.
Wir beraten zur Zeit den Datenschutz. Auch da gibt es unterschiedliche Positionen. Es ist ja auch nichts Verwunderliches, wenn sich Parteien 13 Jahre gegenübergestanden haben, die einen in der Regierung, die anderen in der Opposition, mit unterschiedlichen Programmen, daß man jetzt versuchen muß, zu Kompromissen zu kommen. Das ist nicht einfach. Das betrifft den Datenschutz, das betrifft das Demonstrationsstrafrecht, und das betrifft die Ausländerfrage. Sie kennen meine Position. Ich möchte, daß die Ausländer Rechtssicherheit haben, daß die Angst und die Unsicherheit weggenommen werden, die bei den Ausländern auch durch die öffentlichen Diskussionen entstanden sind. Ich bin der Meinung, daß wir es uns zu einfach machen, die Türken sozusagen als Sondergruppe zu behandeln, als schwer integrierbare Sondergruppe, für die besondere Maßnahmen getroffen werden müßten. Ich war mit dem Kollegen Hirsch und anderen Kollegen meiner Fraktion in der Türkei. Ich kann Ihnen sagen, die türkische Regierung und alle türkischen Gesprächspartner werden zunächst einmal darauf bestehen, daß das Freizügigkeitsabkommen, das 1986 in Kraft tritt, eingehalten wird. An dieses Abkommen, das den Zuzug der Türken in die Bundesrepublik Deutschland relativ ungehindert zuläßt, sind wir als Mitglied der EG zunächst einmal gebunden. Wenn wir das nicht wollen — und ich will es nicht im Interesse der Integration der hier Lebenden —, dann müssen wir uns überlegen, wie wir diese Debatte, die Unsicherheit und Angst erzeugt, durch klare Regelungen und Schutzrechte auch für die türkischen Mitbürger endlich beenden.
Das ist auch die Voraussetzung, um zu einem entspannten und offenen Miteinander mit den ausländischen Mitbürgern in diesem Land zu kommen. Da gibt es viele Versäumnisse, und da haben wir viele Fehler auf allen staatlichen Ebenen gemacht. Wir müssen endlich akzeptieren, daß 4,6 Millionen Ausländer hier leben und daß wir sie zum größten Teil angeworben haben und in unserem Land als Arbeiter aufgenommen haben.
Wir werden uns über all diese Fragen unterhalten, z. B. über den Kindernachzug. Natürlich wollen wir auch, daß die Kinder möglichst früh kommen. Aber die Frage ist doch, ob man die Kinder durch Zwang daran hindert, zu ihren Eltern zu kommen.
Natürlich ist die Frage des Ehegattennachzugs ganz wichtig. Dazu wollen wir einmal die Zahlen haben: Wer heiratet eigentlich wen? Was ist das in den nächsten Jahren für ein zahlenmäßiges Problem? Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben, bevor wir am grünen Tisch irgendwelche Regelungen machen, die — das muß dann auch einmal gesagt werden — die außenpolitische Reputation der Bundesrepublik Deutschland betreffen.
Wir haben darüber in der Diskussion über Herrn Hartling gesprochen.
Ich rede hier sehr offen nach allen Seiten. Wir sind ein Parlament der offenen und freien Rede und brauchen uns nicht zu scheuen. Ich möchte Ihnen auch sagen: So einfach war das in der Ausländerfrage mit Ihnen auch nicht. Die Fraktionsvorsitzenden der SPD haben sich noch im Mai 1982 für eine Altersgrenze bei sechs Jahren mit Zwangsmaßnahmen ausgesprochen.
Dem haben wir damals widersprochen. Meine Damen und Herren von der SPD, natürlich gab es bei Ihnen auch Vertreter anderer Meinungen, aber so selbstverständlich ist das nicht. Wir müssen uns zu einer gemeinsamen Position möglichst bald zusammenfinden.
Noch ein Letztes zu den Fragen des Umweltschutzes. Sie können sich vorstellen, daß ich einigermaßen betroffen bin, wenn ich hier und in Wahlveranstaltungen immer höre, da mußte erst ein neuer Minister kommen, um das alles in die Wege zu leiten. Das ist, meine Damen und Herren, mit Verlaub gesagt, falsch. Ich habe es an dieser Stelle
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wiederholt gesagt, und ich sage das heute noch einmal. Wenn die Leute mich fragen: Warum hast du das nicht gemacht?, antworte ich ganz einfach: Weil ich nicht mehr der zuständige Minister bin. Denn Herr Zimmermann hat das, was vorbereitet war — TA Luft, Großfeuerungsanlagen-Verordnung —, in den Fristen, die vorgesehen waren, ausgeführt, und dafür hat er unsere Unterstützung, und wir anerkennen das, was er tut.
Es gab natürlich Schwierigkeiten, auch ich hatte Schwierigkeiten, in den anderen Parteien, in der Regierung, in meiner Fraktion, ich will das gar nicht leugnen. Natürlich gibt es unterschiedliche Interessen in Sachen Luftreinhaltung. Ich möchte jetzt gar nicht einzelne Ministerpräsidenten oder Landesregierungen zitieren, z. B. Herrn Strauß mit einem Brief an mich vom Mai 1982 in Sachen TA Luft, Herrn Späth, aber auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Die Situation hat sich durch das Waldsterben geändert. Das Waldsterben ist ein Augenöffner für eine ökologische Katastrophe geworden, und jetzt ist die Bereitschaft zum Handeln sehr viel größer. Ich kann den Bundesinnenminister nur ermutigen, diese günstige Situation zum Anlaß zu nehmen, diesen Prozeß des Umdenkens in Sachen Umweltschutz ganz konsequent und energisch nach vorne zu treiben.
Es geht um Dinge, die wir auch in den gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und FDP zum Umweltschutz aufgenommen haben. Da haben wir Liberalen Vorstellungen, die über das, was die Regierung will, hinausgehen. Wir sind z. B. der Meinung, daß wir eine Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes brauchen. Wir sind für einen Grundrechtsschutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das hat nicht nur deklamatorische Bedeutung, Herr Laufs, sondern es orientiert die staatlichen Gewalten — das sind die Parlamente, die Verwaltungen und die Rechtsprechung — in Richtung auf das Ziel Umweltschutz.
Wir müssen uns selbstverantwortlich fragen, ob wir wirklich an unsere Kinder denken, ob wir wirklich den „Maßstab Natur" konsequent zu einem politischen Maßstab machen. Wir müssen uns das angesichts von Entwicklungen fragen, die uns überraschen. Jawohl, das Waldsterben hat uns überrascht, hat uns überrollt. Das Vorsorgeprinzip hat nicht funktioniert. Wir müssen uns einfach fragen: Was geschieht denn eigentlich noch in der Atmosphäre, in den Weltmeeren? Wo finden denn zur Zeit Prozesse statt, die ähnliche Schäden bewirken, von denen wir eines Tages überrollt werden?
Das alles macht es meines Erachtens notwendig, daß wir uns doch sehr nachhaltig überlegen, wie wir unsere Formen des Wirtschaftens, des Verbrauchens an die Gegebenheiten und Notwendigkeiten der Natur anpassen. Diesen Prozeß werden wir weitertreiben.
Im Grund bedarf es, Herr Bundesinnenminister, in dieser Wahlperiode einer deutlichen Offensive in Sachen Umweltschutz. Der Antrag, den die Koalitionsfraktionen hier vorgelegt haben, ist nicht ein Sammelsurium von Prüfaufträgen, wie Sie, Herr Kollege Ehmke von den GRÜNEN, das abgewertet haben, sondern er ist die sehr gründliche Vorbereitung für eine Offensive in Sachen Umweltschutz und Naturschutz seitens der Koalition.
Alle Prüfaufträge beziehen sich auf Zeitpunkte Anfang 1984. Im Jahr 1984 werden wir im Detail über alle diese Dinge Entscheidungen treffen. Allerdings, Herr Ehmke, wollen wir sie sehr gut überlegen. Wir wollen das Richtige tun. Schließlich kostet das alles sehr viel Geld. Wir müssen darauf achten, daß wir unsere beschränkten Mittel an der richtigen Stelle einsetzen.
Noch eine Bemerkung. Es ist j a so, daß wir gern fast ausschließlich über bestimmte Themen diskutieren. Wir haben über die Kernenergie Monate und Jahre diskutiert. Wir diskutieren jetzt über das Waldsterben. Meine Kollegen, bitte vergessen wir nicht, daß im Bereich des Umweltschutzes eine Menge zu tun ist: in Sachen Wasser, in Sachen Landwirtschaft, in Sachen Abfall, in Sachen Schutz des Bodens — Bodenschutzprogramm — und anderes mehr. Also bitte nicht nur dieses eine Thema, sondern umfassend diskutieren!
Wir lassen uns — das ist meine Schlußbemerkung — von den düsteren Szenarien, die wir alle kennen — „Global 2000", Club of Rome — nicht entmutigen. Sie sind aber ein Warnsignal. Wir wollen handeln. Und wir wollen uns auch nicht durch tausend Bedenken ersticken lassen. Wir wollen entscheidende Schritte vollziehen. Wir wollen, daß wir von diesem Reparaturbetrieb Umweltschutz wegkommen. Das bedeutet eine deutliche Anpassung, ein Umdenken, wahrscheinlich radikaler, als wir es bisher tun.
Dabei hat der Bundesinnenminister unsere volle Unterstützung.