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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir fällt auf, daß die Debatte, die wir heute führen, sehr einer Bundestagsdebatte aus dem Jahre 1958 ähnelt,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Das kommt einem immer so vor!)




    Klose
    die ich zur Vorbereitung auf den heutigen Tag noch einmal nachgelesen habe. Ich finde diese Ähnlichkeit verblüffend und bisweilen bedrückend, weil hier ganz deutlich erkennbar wird, wie sehr wir seit der Wende auf dem Weg zurück in die 50er Jahre sind — bis hin zu den Sprach-, Denk- und Handlungsschemata des Kalten Krieges.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Dummes Zeug!)

    Von Entspannungspolitik, meine Damen und Herren, wird ja nach der Regierungwende nicht mehr viel geredet; jedenfalls wird sie nicht praktiziert. Der Harmel-Bericht, der „Verteidigungsbereitschaft und Verständigungsbereitschaft gleich Entspannung" zur Leitlinie des Bündnisses machte, gilt offenbar mit dieser Betonung nicht mehr. Die Betonungen sind jedenfalls eindeutig verschoben worden. Die CDU/CSU setzt vorrangig auf Waffen und weniger auf Ausgleich.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Marx [CDU/ CSU]: Wie können Sie so etwas sagen? Sie haben immer das Gegenteil gehört!)

    Zum Beleg: Als der Außenminister Genscher in diesem Sommer den „Waldspaziergang" als eine Kompromißmöglichkeit ins Gespräch brachte, wurden er und übrigens auch der Bundeskanzler von dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Dregger, sofort zurückgepfiffen: man wolle unbedingt den Waffenmix, man wolle jedenfalls auch die Pershing II. Damit hat sich die Union eindeutig in den Kreis derer eingereiht, die glauben, daß sie mit mehr amerikanischen Raketen hier bei uns besser dran sind als mit weniger sowjetischen Raketen.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Marx [CDU/CSU])

    Da der Herr Kollege Dr. Dregger von Schuldzuweisungen gesprochen hat, muß ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Dieses Verhalten hat wesentlich zum Scheitern der Genfer Verhandlungen beigetragen. Dieses, muß ich Herrn Dr. Dregger sagen, ist seine Schuld.
    Dem Herrn Bundeskanzler muß ich entgegenhalten, daß auch er niemals eine wirkliche Null-Lösung angestrebt hat. Nach seinen eigenen Worten kann er dies nicht, wie ich aus einem von ihm geschriebenen Kommentar der „Augsburger Allgemeinen" vom 27. März 1981 entnehme. Aus diesem Artikel zitiere ich nur eine Passage:
    Die Vorstellung, die Nachrüstung könne durch erfolgreiche Verhandlungen mit Moskau am Ende gänzlich hinfällig werden, war von Anfang an nicht richtig gewesen. Diese Illusion hat auch der Bundeskanzler leichtfertigerweise immer genährt. Die Verhandlungen
    — hören Sie gut zu —
    sind kein Ersatz für eine angemessene nukleare Anstrengung.
    Das war die Position des Bundeskanzlers,

    (Beifall bei der SPD)

    und das hat zum Scheitern in Genf beigetragen.
    Im übrigen, da wir gerade bei Schuldzuweisungen sind und da Sie so ausführlich und offenbar mit großem Vergnügen sich mit dem sozialdemokratischen Bundesparteitag beschäftigt haben,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gönnen Sie es uns doch!)

    was ich verstehen kann — das ist ein klarer Fall —: mir erscheint es merkwürdig, daß bei einer so wichtigen Frage, die von vielen Menschen als Gewissensfrage beschrieben wird, die CDU/CSU es offenbar nicht nötig hat, ihren Parteitag vorher zu befragen. Das finde ich in der Tat sehr, sehr merkwürdig.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Geschlossenheit kann sich ein Sozialdemokrat nicht mehr vorstellen!)

    Darf ich noch einmal zurückkommen auf die Debatte 1958. In dieser Debatte hat auch Gustav Heinemann gesprochen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Er hat dabei u. a. aus einem Brief zitiert, den er 1954 dem damaligen Bundeskanzler geschrieben habe. In diesem Brief stand, es werde die Zeit kommen, „wo das deutsche Volk Ihnen in die letzten Konsequenzen Ihrer Politik nicht mehr folgen wird, und dann werden die Amerikaner die Getäuschten sein, und hier wird sich die politische Grundlage als brüchig erweisen". Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle: „Widerspruch bei der CDU/CSU", einen Zuruf „Das ist ein Irrtum", und einen Zwischenruf des Abgeordneten Kiesinger: „Sie werden sich genauso täuschen, wie Sie sich früher getäuscht haben!"
    Zugegeben, Gustav Heinemann hat sich damals getäuscht, zumindest was den Zeitpunkt angeht. Ob er sich aber in seiner Einschätzung der Politik und in der Einschätzung der Gefühle und Friedenssehnsüchte der Menschen getäuscht hat,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Er hat sich öfter getäuscht!)

    das ist eine heute immer noch offene Frage.
    Ich will hier nicht, wie das viele tun, über Meinungsumfragen spekulieren, obwohl ich weiß, daß Regierungen an Meinungsumfragen in der Regel außerordentlich interessiert sind. Mir scheint es offensichtlich für jedermann, der Ohren hat zu hören, daß die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Stationierung dieser Raketen ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Was Sie stört, ist, daß diese Mehrheit nicht mehr eine schweigende Mehrheit ist, sondern daß sie sich nachdrücklich zu Wort meldet. Ich weiß, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie mögen die Friedensbewegung nicht. Aber das ändert nichts daran: es gibt sie. Es gibt sie bei uns, in den USA, in fast allen westlichen Ländern, auch im Osten, zumal in der DDR. Es handelt sich um eine Massenbewegung bisher nicht gekannter Größenordnung, und eine solche Bewegung, so vielgestaltig sie sein



    Klose
    mag, hat Anspruch, ernstgenommen zu werden, angehört zu werden,

    (Beifall bei der SPD)

    und sie hat Anspruch, auf ernsthafte Fragen Antworten zu erhalten.
    Wie lauten die Antworten der CDU/CSU? Herr Dr. Dregger hat heute morgen wieder das Spielchen mit der „sogenannten Friedensbewegung" gespielt,

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Geben Sie doch mal Ihre Antworten!)

    das ihm Heiner Geißler schon vor einiger Zeit, im August dieses Jahres, vorgespielt hat. Der hat erstmals von der „sogenannten Friedensbewegung" gesprochen und zur Begründung wörtlich erklärt — ich zitiere —:
    Ich sage „sogenannte Friedensbewegung", weil ich denjenigen, die sich zu dieser Friedensbewegung zählen, den Willen zum Frieden absprechen will.
    So Herr Geißler.
    Ähnlich hat sich Herr Spranger geäußert, überhaupt das Bundesinnenministerium. Da gibt es eine unfaßbare „Bürger-Information", versehen mit dem Bundesadler, so daß man denken könnte, das sei was Anständiges, Offizielles, mit der ernsthaft „bewiesen" werden soll, daß die ganze Friedensbewegung, all die vielen Millionen, die demonstriert haben, die Tausende, die uns besorgt geschrieben haben, in Wahrheit gar nicht selber denken, sondern ferngesteuert sind unmittelbar von der KPdSU, also Kommunisten sind oder mindestens „nützliche Idioten".
    Ich frage Sie: Was soll das eigentlich? Was wollen Sie damit erreichen? Aufklärung? — Nein, Sie wollen ein innenpolitisches Freund-Feind-Verhältnis schaffen, das dem außenpolitischen Freund-Feind-Denken entspricht.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das alles geschieht, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen das zu sagen, auf einem denkbar niedrigen geistig-politischen Niveau.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ein Kommentator im Deutschlandfunk hat dazu geschrieben — ich zitiere das wiederum wörtlich —.
    Die Aggressivität, mit der diese Bundesregierung — allen voran die Verantwortlichen im Innenministerium — die Friedensbewegung geradezu bekämpfen — kritische Auseinandersetzung kann man das nicht mehr nennen —, diese Mischung aus Diffamierung und Verteufelung hat in der jüngsten Zeitgeschichte kein Beispiel ... Daß die Regierung sich mit einem gesellschaftspolitischen Gegenüber — hier also der Friedensbewegung mit allen ihren demokratischen, parteiischen und christlichen Gruppierungen — in dieser grobschlächtigen Manier anlegt, das läßt auf einen geistig-politischen Niedergang schließen, wie man ihn kaum für möglich gehalten hätte.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Diesen Kommentar, meine Damen und Herren, mache ich mir ausdrücklich zu eigen.

    (Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/ CSU])

    Ich will an dieser Stelle, um redlich zu sein, nicht leugnen, daß auch wir Sozialdemokraten unsere Schwierigkeiten mit der Friedensbewegung hatten und bisweilen noch haben,

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Mit Niveau!)

    obwohl schon immer Sozialdemokraten an ihr beteiligt waren. Wir akzeptieren durchaus nicht alles, was dort gesagt und gefordert wird, manches erscheint uns einseitig, ungerecht und wenig realistisch. Aber wir teilen die Friedenssehnsucht der Menschen, die Angst vor dem möglichen Atomkrieg, die wachsende Besorgnis angesichts einer immer stärker nach oben gedrehten Rüstungsspirale.
    Wir verstehen und teilen die Forderung, die an Ost und West — ausdrücklich an Ost und West — gerichtete Forderung, diesen Rüstungswahnsinn endlich zu beenden und zu fair ausgehandelten Abrüstungsschritten zu kommen. In diesem Sinne — ich wiederhole ein Wort meines Fraktionsvorsitzenden — sind die Mitglieder der Friedensbewegung für uns Bundesgenossen.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Ängste und Sorgen, die man dort antrifft, drücken sich auch in den vielen Briefen aus, die wir bekommen haben; sehr sorgenvolle, manchmal drängende, sachlich gut fundierte, manchmal schlicht fragende Briefe wie jener einer 12jährigen Schülerin, die ganz einfache Fragen stellt: Warum werden Atomraketen gebaut? Wofür werden sie gebraucht?
    Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich frage uns alle: Können wir diese Frage guten Gewissens mit „zu Verteidigungszwekken" beantworten, wenn man z. B. nachliest, was der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, Nixon, dem „Stern" gegenüber erklärt hat? Er hat ausdrücklich gesagt: Diese Raketen werden nicht nur hingestellt zum Ausgleich für sowjetische Raketen in Europa, sondern damit man mit diesen Mittelstreckensystemen auch Nordafrika, Libyen und den Nahen Osten unter Kontrolle halten kann.

    (Zuruf des Abg. Klein [München] [CDU/ CSU])

    Wie bewerten Sie das? Was empfinden Sie eigentlich — sagen Sie uns das doch einmal —, wenn Sie einen offiziellen Regierungssprecher in Washington nach der Grenada-Invasion folgendes sagen hören — er hat englisch gesprochen —:
    What good are maneuvers and shows of force, if you never use it?



    Klose
    Das ist nach der „New York Times" zitiert.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Was heißt das denn auf deutsch?)

    Oder was sagen Sie, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten Reagan in der Nacht zum 28. Oktober dieses Jahres nach der Grenada-Invasion im Fernsehen folgendes erklärt:
    „Wir sind ein Land mit globaler Verantwortung. Wir sind nicht irgendwo in der Welt, um irgend jemandes Interessen zu schützen. Wir sind dort, um uns selbst zu schützen." Die nationale Sicherheit der USA könne im Unterschied zu früher aber „heute auch an weit entfernten Plätzen bedroht werden". Die Welt habe sich verändert, sagte Reagan. „Es liegt an uns", die strategische Bedeutung solcher Plätze zu erkennen und zu bestimmen.
    Was sagen Sie dazu? Was empfinden Sie eigentlich, wenn der mächtigste Mann der Welt darüber nachdenkt, ob nicht möglicherweise dies die Zeit sei, in der die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse geschlagen werde? Wundert es Sie wirklich, daß angesichts solcher Irrationalitäten die Ängste der Menschen wachsen? Wundert Sie das?
    Da ich gerade bei Ängsten bin, muß ich einen Beitrag des Kollegen Waigel von heute vormittag aufgreifen. Er hat gesagt: Ängste verhindern rationale Entscheidungen. Höre ich da richtig? Ist es nicht so, daß die ganze Politik der CDU/CSU auf Angst gründet?

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Ist es nicht in Wahrheit so, daß Sie den Menschen nur vorwerfen, nicht die richtige Angst, nämlich Angst vor den Russen zu haben, sondern ganz einfach Angst vor dem Krieg? Ja, die Menschen haben Angst vor dem Krieg, und diese Angst wächst.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Weil sie wächst, wächst auch die Friedensbewegung. Sie wird auch nach der Stationierung — da bin ich mit dem Kollegen Vogt einig — weiter wachsen. Ich halte das nicht für einen Rückschritt, sondern für einen Fortschritt, weil ich die moralische Kraft der Friedensbewegung anders als Sie hoch einschätze. Weil das so ist, werden wir Sozialdemokraten die Friedensbewegung gegen Versuche der Diffamierung und Kriminalisierung in Schutz nehmen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    In diesem Zusammenhang will ich eine Anmerkung hinzufügen. Ich gebe allerdings zu, daß sich unter dem Dach der Friedensbewegung auch das eine oder andere versammelt, was ich so ohne weiteres zur Friedensbewegung nicht zählen würde. Ich finde, auch das muß ausgesprochen werden. Es sind sehr wenige — aber es gibt sie —, denen es in Wahrheit nicht um den Frieden geht, sondern, wie sie selber sagen, um Gewaltanwendung gegen dieses „Schweinesystem". Ich sage das, um ganz deutlich zu machen: Das sind nicht unsere Bundesgenossen. Aber sie gehören nach unserer Meinung auch nicht zur Friedensbewegung;

    (Beifall bei der SPD)

    denn die ganz große Mehrheit der Friedensbewegung will und praktiziert Gewaltfreiheit. Das halte ich für einen Beitrag zur Entwicklung von politischer Kultur.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Das ist eine Selbstverständlichkeit!)

    Ich habe der Friedensbewegung keine Ratschläge zu erteilen. Nur diesen: Die überzeugende Stärke der Friedensbewegung liegt in ihrer Friedfertigkeit. Sie sollte sich auch weiter an dieses Prinzip halten. Weil das so ist, bitte ich auch um Vorsicht beim Umgang mit dem Wort Widerstand, ein Wort, das ich persönlich vermeide. Helmut Schmidt hat dazu heute morgen einiges gesagt. Ich unterstütze ausdrücklich, was er gesagt hat.
    Ich gebe zu, die Rüstungsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Es kann eine Gewissensfrage sein, ja eine Überlebensfrage. Aber die Entscheidung, die morgen hier getroffen wird, ist die Entscheidung eines Parlamentes. Es ist eine Entscheidung, die revidierbar ist. Eine solche Entscheidung kann man kritisieren und mit allen demokratischen Mitteln bekämpfen. Ein Widerstandsrecht im Sinne des Grundgesetzes gibt es dagegen nicht. Ich finde — ich sage das in Richtung der Fraktion der GRÜNEN —, auch Sie sollten mit diesem Wort sorgfältiger umgehen und nicht andere zu Aktionen auffordern, für die Sie nicht die Folgen zu tragen haben. Die müssen nämlich jene tragen, die dann Ihren Ratschlägen folgen. Das zu sagen ist ein Gebot der Fairneß.

    (Beifall bei der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Werden Sie mal konkret, verehrter Herr Kollege!)

    Da ich gerade bei den GRÜNEN bin und Sie und Ihre Bundesversammlung noch gar nicht richtig gewürdigt worden sind — Sie haben wahrscheinlich das Gefühl, das sei eine Mißachtung —, möchte ich Sie von diesem Gefühl befreien.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Endlich, der große Liberale!)

    Ich habe den Medien entnommen, daß Sie sich in Duisburg — dort war es wohl —

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Nicht weit von Köln!)

    wieder einmal als die Partei der Friedensbewegung, als die parlamentarische Spitze der Friedensbewegung dargestellt, profiliert haben. Also, ich akzeptiere, daß Sie das so sehen. Aber es wird Sie nicht erstaunen, daß ich diesem Selbstbewußtsein widerspreche. Ich sehe Sie durchaus als Teil der Friedensbewegung, aber ich sehe Sie nicht als Spitze der Friedensbewegung mit parlamentarischem Alleinvertretungsanspruch. Das halte ich für falsch.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Es hat Sie doch nur Genscher gerettet, Herr Klose! Stellen Sie sich vor, Sie wären noch an der Klose Regierung! Dann müßten Sie ganz anders reden!)




    Ich halte das dem Interesse der Friedensbewegung, um deren Zusammenhalt sich der Kollege Voigt doch Sorgen macht, für nicht dienlich.

    (Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    — Ich weiß, Sie haben Schwierigkeiten, sich ein paar Wahrheiten anzuhören. Insofern ist das mit den Parallelitäten, die hier gezogen worden sind, gar nicht so falsch.
    Da ich gerade einmal bei dem Punkt bin, möchte ich gern noch etwas hinzufügen: Die GRÜNEN gefallen sich sehr gern und sehr oft in sehr handfesten Attacken gegenüber Sozialdemokraten und führenden Sozialdemokraten. Ich frage Sie: Was soll das eigentlich, wenn es um die Sache des Friedens geht, und was wollen Sie damit erreichen?

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Vielleicht das, was Sie tun sollen!)

    Um es einmal anders herum und ganz deutlich zu formulieren, auch wenn die Kollegin Kelly nicht anwesend ist: Willy Brandt hat es nicht nötig, sich von Petra Kelly Ratschläge über die richtige Friedenspolitik anhören zu müssen — damit das ganz klar ist.

    (Beifall bei der SPD — Klein [München] [CDU/CSU]: Warum tut er es denn?)

    Und dann will ich auch etwas zu Ihrem Antrag sagen, damit Sie über unser Abstimmungsverhalten morgen nicht überrascht sind.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Der Verdacht ist historisch begründet!)

    — Sie, Herr Fischer, haben mit der Demokratie offenbar auch Schwierigkeiten; denn Sie reden auch sehr viel dazwischen. Hören Sie doch einmal zu, und hören Sie sich auch einmal Dinge an, die Ihnen nicht gefallen.
    Also zu Ihrem Antrag: Der Antragstext enthält in fünf Punkten Forderungen, denen — sage ich mal
    — auch Sozialdemokraten, nicht alle, aber viele, zustimmen könnten, wenn, j a, wenn das so gemeint wäre, wie es dort aufgeschrieben ist. Sehen Sie, da habe ich meine leichten Zweifel. Wenn ich nämlich die Begründung zu Ihrem Antrag lese, dann glaube ich, daß es Ihnen in Wahrheit doch um etwas ganz anderes geht, nämlich um das, was der Kollege Schily in einer sehr gut ausgearbeiteten Rede heute morgen auch ganz klar gesagt hat, um das Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO. Bundesrepublik raus aus der NATO, so haben Sie es in Duisburg beschlossen. Und dazu sage ich Ihnen: Genau das trennt uns.

    (Beifall bei der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das ist alte Tradition der SPD!)

    Auch in der SPD gibt es mancherlei Kritik gegenüber der NATO,

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    — schreien Sie, schreien Sie, Sie werden damit immer glaubhafter — gegenüber deren Strategien, gegen die Art und Weise, wie die USA mit ihren Verbündeten umspringen.

    (Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

    Diese Kritik soll man deutlich vortragen; denn Bündnistreue — ich wiederhole mich — heißt nicht Unterwerfung, heißt nicht, alles akzeptieren, was die westliche Führungsmacht USA will. Aber wir entscheiden uns für die Kritik im Bündnis. Wir wissen, daß wir auf das Bündnis angewiesen sind,

    (Beifall bei der SPD)

    weil wir bei aller Kritik an unserer Führungsmacht nicht übersehen können — ich jedenfalls kann das nicht —, daß die Sowjetunion, wie Helmut Schmidt heute morgen richtig formuliert hat, eine expansionistische Macht ist. Und wir werden deshalb auf das Bündnis angewiesen bleiben, solange es uns nicht gelingt, eine andere, bessere Friedensordnung in Europa und für Europa aufzubauen. — Grüne Friedenspolitik mit dem Ziel „Raus aus der NATO" wird deshalb unsere Zustimmung nicht finden.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    — Gerade weil Sie es nicht reingeschrieben haben, macht mich das so stutzig. Ich vermute dahinter natürlich Taktik, zumal, wenn Herr Schily dann hier einen ganz anderen Text als den spricht, der ausgedruckt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Und nun muß ich Ihnen noch eines sagen: In dem Duisburger Beschluß zur grünen Friedenspolitik heißt es — ich bin sofort am Ende, wenn Sie mir vielleicht noch zwei Minuten gönnten, Frau Präsidentin — —


Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ja, wenn Ihre Fraktion Ihnen die noch gibt, bitte sehr.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Ulrich Klose


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Im Duisburger Beschluß zur grünen Friedenspolitik heißt es mit Zielrichtung auf SPD und DKP: Sie — die Friedenspolitik — könne konstruktiv nicht mit Organisationen vorangetrieben werden, die mit mindestens einem Bein in Washington oder in Moskau stehen. Ich will jetzt nicht unnötig heftig werden, aber dies muß ich als schlichte Beleidigung bezeichnen. Es ist beleidigend in zweierlei Weise. Erstens beleidigt uns die Gleichsetzung von SPD und DKP, von demokratischen mit nichtdemokratischen Sozialisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens können wir die Unterstellung nicht akzeptieren, die SPD sei eine mindestens teilweise von Washington ferngesteuerte Partei, so, wie die DKP von Moskau ferngesteuert ist. Das weise ich mit Nachdruck zurück. Das kann ich nicht akzeptieren.

    (Beifall bei der SPD — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Herr Klose, Sie müssen diese Sätze philologisch exakt auseinanderklamüsern!)

    Auf dieser Grundlage ist „aktionsbezogene Zusammenarbeit", wie Sie das formuliert haben, mit uns nicht zu machen.



    Klose
    Schlußbemerkung. Vertreter der Koalition verdächtigen uns Sozialdemokraten immer wieder, Wanderer zwischen Ost und West zu sein, und konfrontieren uns mit dem Vorwurf des Antiamerikanismus. Ich weise auch das ausdrücklich zurück. Wir wissen, auf welcher Seite wir stehen. Wir fühlen uns dem amerikanischen Volk freundschaftlich verbunden. Aber das nimmt uns nicht das Recht, die amerikanische Regierung zu kritisieren, wenn deutsche Rationalität dies erfordert.

    (Beifall bei der SPD)

    Im übrigen sind es nicht nur deutsche Sozialdemokraten, die die Rüstungspolitik der USA, die Sie kritiklos übernehmen, kritisieren; zu den Kritikern gehören auch Amerikaner, amerikanische Patrioten, denen man Sachverstand nicht bestreiten kann, etwa Paul Warnke, früherer Chef der Abrüstungsbehörde. Er hat kürzlich mit dem Westdeutschen Rundfunk gesprochen. Ein Zitat aus diesem Gespräch:
    Das ist das wirkliche Problem: daß wir die Rüstungskontrolle vernachlässigt haben und dem Rüstungswettlauf freie Bahn ließen. Wieder einmal haben wir es zugelassen, daß der technologische Rüstungsfortschritt die Bemühungen zunichte gemacht hat, die Rüstungstechnologie zu kontrollieren. Das war der grundlegende Fehler.
    Der schon erwähnte Robert McNamara hat gesagt: Die Deutschen bereiten, wenn sie an diesen Strategien der NATO festhalten, die Verwüstung ihres eigenen Landes vor.
    Wir Sozialdemokraten teilen solche Befürchtungen. Wir wissen, daß zusätzliche Waffen den Frieden nicht sicherer machen, sondern weitere NachNachrüstungsmaßnahmen nach sich ziehen werden. Zur Stabilisierung des Friedens trägt das alles mit Sicherheit nicht bei. Im Gegenteil: Wir fürchten, daß immer neue Waffen, die defensiv begründet werden, die aber offensiv einsetzbar sind,

    (Schily [GRÜNE]: Sehr wahr!)

    in Ost und West den Konflikt wahrscheinlicher machen. Wir müssen uns in aller Brutalität klarmachen, daß für uns der atomare Konfliktfall gleichbedeutend ist mit dem Vernichtungsfall.

    (Beifall bei der SPD)

    Da vor mir ein Gewerkschafter gesprochen hat, schließe ich mit dem Wort eines anderen Gewerkschafters, dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ernst Breit. Er hat auf unserem Parteitag in Köln gesagt:
    Alles in allem: Wenn das sogenannte „Gleichgewicht des Schreckens" weiterhin Grundlage politischen Handels bleibt, erscheint der atomare Holocaust vorprogrammiert. Wir können den Frieden nicht errüsten, auch wenn wohl viele nicht ohne Grund glauben, daß es die teuflischen Mechanismen der Abschreckung sind, die bislang den großen Krieg verhindert haben. Wir müssen uns in der Tat entscheiden: Geht der Weg weiter in die totale Kernbewaffnung mit dem wachsendem Risiko einer totalen Katastrophe, oder entscheiden wir uns für eine Politik des größtmöglichen Vertrauens in die Gegenseite?

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Ein echter Fachmann!)

    Ja, meine Damen und Herren, wir müssen uns entscheiden. Meine Entscheidung lautet: Nein.

    (Beifall bei der SPD)