Rede:
ID1003508900

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Frau: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Huber.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Todenhöfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Jungmann, ich unterstelle Ihnen mit Nachdruck, daß Sie in der Vergangenheit nicht verhindert haben, daß Ihre Partei und auch Freunde, die Sie innerhalb des grünen Spektrums haben, mehrfach in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt haben, als ändere der Westen seine Strategie und als sei der Westen bereit, von seiner Kriegsverhinderungsstrategie auf eine Kriegsführungsstrategie umzusteigen. Hier liegt mein Vorwurf an Sie.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    Unsere Sicherheitspolitik, unsere Verteidigungspolitik — —

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    — Meine Damen und Herren, ich muß jetzt einmal eine ganz persönliche Bemerkung zu Ihnen, den GRÜNEN, machen. Sie treten hier als Vertreter der Friedensbewegung auf. So unfriedliche und so gehässige Zwischenrufe wie Ihre habe ich in Debatten des Deutschen Bundestages in den 11 Jahren, die ich diesem Hause angehöre, nie erlebt. Ich habe nie etwas so Unfriedliches erlebt wie diese „Friedensbewegung", die da unten sitzt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Es ist ja allein schon gegen Ihr lautes Geschrei nicht mehr anzukommen. Dieser vokale Terror, den Sie hier inszenieren, ist unerträglich, er ist des deutschen Parlaments völlig unwürdig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Wir hören doch ganz ruhig zu!)

    Unsere Sicherheitspolitik, unsere Verteidigungspolitik, unsere Abrüstungspolitik ist Kriegsverhinderungspolitik.

    (Zuruf des Abg. Reents [GRÜNE] — Dr. Marx [CDU/CSU]: Haben Sie den Zwischenruf gehört? „Wir lassen uns nicht zur Schlachtbank führen!", war der Zwischenruf!)

    Für uns haben atomare Waffen nur als Kriegsverhinderungswaffen eine Legitimation. Sie haben keine Legitimation als Kriegsführungswaffen, und sie haben auch keine Legitimation als Waffen zur Durchsetzung machtpolitischer Ziele. Unser Ja zur
    nuklearen Abschreckung beruht auf der Erkenntnis, daß es menschlicher ist, mit unmenschlichen Waffen Kriege zu verhindern, als mit sogenannten menschlichen Waffen Kriege zu führen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Burgmann [GRÜNE]: Keiner will Krieg!)

    Meine Damen und Herren, ich bin 1940 geboren. Die kleine Stadt Hanau, in der ich während des Krieges gelebt habe, ist am 19. März 1945 in einer Nacht zu 80 % ausgebombt worden.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Von wem denn?)

    Mehrere tausend Menschen sind in jener Nacht durch den Einsatz von 8 000 Sprengbomben, 500 Flüssigkeitsbomben und 200 000 Stabbrandbomben getötet worden. Ich bin damals als kleiner Junge aus dem Bombenkeller unseres Hauses am Rande der Stadt Hanau auf die Straße hinausgelaufen, und ich erinnere mich heute noch, als wenn es gestern gewesen wäre, an die brennenden Menschen in der brennenden Stadt meiner Großeltern. Viele Kollegen in diesem Bundestag, viele Menschen in Deutschland haben ähnliches erlebt.
    Wer uns von der CDU/CSU, wer der FDP, wer diesem Bundeskanzler, wer dieser Bundesregierung unterstellt, sie wolle Krieg oder sie sei bereit, Krieg mindestens als Mittel der Politik in Kauf zu nehmen, hat von der Motivation der heutigen Politikergeneration nichts, aber auch überhaupt nichts verstanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe nie einem Russen etwas zuleide getan, und ich werde auch nie einem Russen etwas zuleide tun. Wir alle hier, Jüngere und Ältere, sind in die Politik gegangen, damit es nie wieder Krieg zwischen Ost und West gibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage als ein vertrauensbildendes Signal an die Adresse der Sowjetunion: Wir werden niemals zulassen, daß von deutschem Boden die Sowjetunion oder ein anderes Land des Warschauer Paktes angegriffen wird. Wir ringen allerdings mit demselben Nachdruck darum, daß auch unser Land niemals das Opfer eines militärischen Angriffes oder einer militärischen Erpressung werden kann.
    Ich appelliere zweitens an die Sowjetunion, die Sicherheitsinteressen unseres Landes ernster zu nehmen als bisher. Wir können nicht akzeptieren, daß uns die Sowjetunion offenbar nur eine drittklassige Sicherheit zubilligen will. Bei meinen Gesprächen in Moskau ist mir mehrfach erklärt worden, man könne die Pershing II schon deshalb nicht mit der SS 20 vergleichen, weil die Pershing II j a die große Sowjetunion erreiche, während die SS 20 nur Westeuropa und nur die Bundesrepublik Deutschland bedrohe.
    Meine Damen und Herren, in den Augen führender Sowjets haben wir Europäer offenbar einen ge-



    Dr. Todenhöfer
    ringeren Anspruch auf Sicherheit als die Sowjetunion und die USA.

    (Reents [GRÜNE]: Darum geht es doch nicht!)

    Diese Einstellung können wir und werden wir nicht akzeptieren. Ich habe das meinen sowjetischen Gesprächspartnern bei meinen Gesprächen in Moskau auch mit großer Deutlichkeit und Offenheit immer wieder gesagt. Wir nehmen die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion ernst, wir erwarten jedoch von der Sowjetunion, daß sie unsere Sicherheitsinteressen genauso ernst nimmt.
    Es gibt im Nuklearzeitalter — lassen Sie mich das mit großem Nachdruck sagen — ohnehin keine Alternative zu der Notwendigkeit, die Sicherheitsinteressen der anderen Seite zu respektieren. Ost und West müssen im Nuklearzeitalter ihre Sicherheit gemeinsam erarbeiten. Das macht uns nicht zu „Sicherheitspartnern" im Sinne Egon Bahrs, dessen Konzept letztlich auf die Unterwerfung unseres Landes unter den sowjetischen Hegemonialanspruch in Europa hinausläuft.

    (Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    Unser Sicherheitspartner sind und bleiben die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind nicht nur unser Sicherheitspartner, sie sind unsere Freunde. So wie Herr Bahr soeben über die USA und gegen die USA gesprochen hat, so spricht man nicht mit Sicherheitspartnern, und so spricht man auch nicht mit Freunden!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Die Notwendigkeit, Sicherheit gemeinsam zu erarbeiten, bedeutet, daß der Dialog zwischen Ost und West intensiviert und vertieft werden muß und daß die Chancen einer gemeinsamen Rüstungskontrolle in Zukunft erheblich intensiver genutzt werden müssen als bisher.
    Von besonderer Bedeutung wird dabei sein, daß Ost und West erheblich mehr Transparenz und Offenheit zeigen müssen, daß sie bereit sein müssen zu einer offeneren Darlegung ihrer militärischen Potentiale, ihrer Rüstungsplanungen, ihrer militärischen Strategien und ihrer militärischen Doktrinen.
    In der Frage der Offenlegung militärischer Planungen muß vor allem die Sowjetunion dem Westen noch ein großes Stück entgegenkommen. Die sowjetische Entscheidung, die SS 20 gegen Westeuropa, gegen die Bundesrepublik Deutschland in Stellung zu bringen, ist mit großer Geheimhaltung zu einem Zeitpunkt gefällt worden, als Willy Brandt mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew persönliche Freundschaft schloß und als Willy Brandt mit außergewöhnlichem persönlichem Engagement die Aussöhnung unseres Landes mit der Sowjetunion suchte.
    Die Entscheidung über die Stationierung der SS 20 fiel Anfang der 70er Jahre auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik. Sie fiel nicht nur gegen die Bundesrepublik Deutschland, sie fiel auch gegen Willy Brandt. Die Sowjetunion hat die SS 20 nicht einem CDU-Kanzler vor die Nase gesetzt, sie hat sie einem SPD-Kanzler vor die Nase gesetzt, sie hat sie Willy Brandt vor die Nase gesetzt, der Sicherheitspartner und Freund der Sowjetunion sein wollte.
    In jenen Tagen hat die Sowjetunion eine ihrer fatalsten sicherheitspolitischen Fehlentscheidungen nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen. Diese Entscheidung führte am Ende zum Sturz Bundeskanzler Schmidts und ist heute der Grund für den Beginn der Stationierung der Pershing II und der bodengestützten Marschflugkörper in Westeuropa. Ich frage die Sowjetunion: Gab es damals wirklich nicht die Möglichkeit, eine derart weitreichende Aufrüstungsentscheidung mit dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt offen zu diskutieren? Gab es wirklich nicht die Möglichkeit, die Motive der SS-20-Stationierung gemeinsam zu erörtern, die möglichen Auswirkungen dieser Stationierung auf das deutsch-sowjetische Verhältnis gemeinsam durchzusprechen und gemeinsam mögliche Alternativen für eine so weitreichende sowjetische Rüstungsentscheidung zu erörtern? Gab es wirklich keine Möglichkeit, auf die Sicherheitsinteressen der entspannungs- und versöhnungsbereiten Bundesrepublik Deutschland Rücksicht zu nehmen?
    Die Sowjetunion wäre sehr gut beraten, wenn sie über die Ursachen dieser Fehlentscheidung intensiv nachdenken würde, um ähnliche Fehlentscheidungen und ihre logischen Konsequenzen in Zukunft zu vermeiden.
    Ich appelliere drittens an die Sowjetunion, von Abrüstung nicht nur zu reden, sondern endlich mit wirklicher Abrüstung zu beginnen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)

    Die CDU/CSU schlägt der Sowjetunion den umfassendsten Abrüstungsplan vor, den jemals eine deutsche Regierungspartei der Sowjetunion im Deutschen Bundestag vorgeschlagen hat.
    Wir treten erstens für drastische Reduzierungen der interkontinentalstrategischen Waffen der Sowjetunion und der USA ein. Wir setzen uns dabei als deutsche Partei dafür ein, daß nicht nur die USA, sondern auch die Sowjetunion eine unverwundbare Zweitschlagsfähigkeit erhält und behält.
    Wir treten zweitens im Bereich der Mittelstrekkenraketen größerer Reichweite nach wie vor für die weltweite Null-Lösung ein. Jede Pershing II, jeder bodengestützte Marschflugkörper wird abgebaut, wenn die Sowjetunion ihre SS 20 weltweit verschrottet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Der NATO-Doppelbeschluß wird im übrigen in keinem Fall zu einer Erhöhung der Zahl der Waffen in Westeuropa führen. Im Gegenteil. Wenn es auf Grund der Weigerung der Sowjetunion, ihre SS 20 voll abzurüsten, zur vollen Nachrüstung kommt, wird der Westen entsprechend dem NATO-Doppelbeschluß und auf Grund der Beschlüsse von Montebello, an denen Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner maßgebend mitgewirkt hat, für jeden



    Dr. Todenhöfer
    neuen Gefechtskopf fünf alte Gefechtsköpfe abziehen.

    (Schily [GRÜNE]: Das scheint ja eine Abrüstungsdebatte zu sein!)

    Wenn die Sowjetunion unserem Beispiel, für jeden neuen Gefechtskopf, Herr Schily, fünf alte Gefechtsköpfe abzubauen, folgen

    (Schily [GRÜNE]: Sie sollten die Aufrüstung begründen!)

    und unser „5 : 1-Abrüstungsmodell" auch zu Ihrem Abrüstungsmodell machen würde, wären wir unserem Ziel, Frieden zu schaffen, mit immer weniger Waffen, zumindest im quantitativen Bereich ein erhebliches Stück näher.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Drittens. Wir schlagen der Sowjetunion im Bereich atomarer Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite ebenfalls drastische Reduzierungen vor.
    Viertens. Wir schlagen drastische Reduzierungen im Bereich atomarer Gefechtsfeldwaffen vor.
    Fünftens. Wir schlagen der Sowjetunion auf der im Januar beginnenden KAE weitreichende vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen vor. Wir schlagen der Sowjetunion bei den Wiener Verhandlungen substantielle Truppenreduzierungen in Mitteleuropa vor. Wir erwarten allerdings, daß diese Truppenreduzierungen überprüfbar sein müssen. Den spektakulären, aber leider nicht überprüfbaren Abzug von 20 000 sowjetischen Soldaten aus der DDR im Jahr 1980 hat die Sowjetunion durch anschließende Verstärkungen ihrer Truppen in Mitteleuropa um 42 000 Mann inzwischen längst wieder ausgeglichen.

    (Berger [CDU/CSU]: Das waren lauter Kreisläufer!)

    Sechstens. Wir schlagen das weltweite überprüfbare Verbot und die Achtung aller chemischen Waffen vor.

    (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Siebtens. Wir schlagen eine verbesserte Kontrolle des Verbots aller biologischen Waffen vor.
    Achtens. Wir schlagen ein Verbot aller radiologischen Waffen vor.
    Neuntens. Wir treten dafür ein, daß es zwischen Ost und West zu einem möglichst umfassenden Teststopp für Nuklearwaffen kommt.

    (Berger [CDU/CSU]: Sehr richtig! Alles in Genf!)

    Zehntens. Wir fordern das Verbot aller Waffen im Weltraum.

    (Schily [GRÜNE]: Dafür sind wir auch!)

    Das einzige Land, das bisher im Weltraum Waffen eingesetzt hat, ist die Sowjetunion, die seit dem Jahr 1968 Killersatelliten im Weltraum erprobt. Wir sind dafür, daß der Rüstungswettlauf im Weltraum
    beendet wird, bevor er überhaupt richtig begonnen hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Sind die Vereinigten Staaten auch dafür?)

    Meine Damen und Herren, das ist die umfassendste Abrüstungsinitiative, die eine deutsche Regierungspartei dem Deutschen Bundestag jemals vorgelegt hat. Die Sowjetunion versäumt eine historische Chance, wenn sie diese Abrüstungsoffensive nicht aufgreift.
    Die CDU/CSU räumt der Abrüstungspolitik einen hohen Stellenwert ein. Aber Abrüstung allein kann die Konflikte dieser Welt nicht lösen. Sie beseitigt nicht die Unterdrückung der Menschen in Osteuropa, und sie beseitigt nicht den Krieg in Afghanistan. Während wir hier debattieren, sterben in Afghanistan pro Woche 100 Zivilpersonen durch sowjetische Bombenangriffe, fliehen noch immer wöchentlich 10 000 Frauen, Kinder und Greise — und da lachen Sie als Vertreter der GRÜNEN an dieser Stelle; das ist das Unerhörte —

    (Schily [GRÜNE]: Wer lacht denn hier, Herr Todenhöfer? — Weitere anhaltende Zurufe von den GRÜNEN)

    nach Pakistan und Iran. 700 000 Menschen sind in diesem fast schon vergessenen Krieg in Afghanistan bisher getötet worden; 4,7 Millionen sind nach Pakistan und Iran geflüchtet. Meine Damen und Herren, das sind die Realitäten des Krieges der hochgerüsteten großen Sowjetunion gegen das ungerüstete kleine Afghanistan.
    Wenn wir Frieden und Freiheit wollen, müssen wir daher um beides ringen: auf der einen Seite um Abrüstung und auf der anderen Seite um den Abbau der Ursachen der Spannungen und Konflikte zwischen Ost und West. Ich halte diese beiden Aufgaben für die wichtigste Herausforderung aller Menschen in Ost und West. Es kann sein, daß wir zur Lösung dieser Aufgaben viele, viele Jahrzehnte brauchen werden. Aber das gibt uns nicht das Recht, zu resignieren, es gibt uns nicht das Recht, uns unserer Pflicht zu entziehen. Ich bin nicht so pessimistisch wie viele Vertreter der Friedensbewegung, der GRÜNEN und wie viele Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Ich bin optimistisch, daß wir diese Aufgaben eines Tages meistern werden, wenn wir sie mit Beharrlichkeit, Entschlossenheit und dem Geist des gegenseitigen Respekts angehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bin optimistisch, daß es uns eines Tages gelingen wird, eine freiheitliche, menschenwürdige Friedensordnung für ganz Europa aufzubauen — eine freiheitliche Friedensordnung für Europa! Ich weiß, daß das eine sehr langfristig angelegte Perspektive ist. Aber ich bin und bleibe optimistisch, weil es langfristig im wohlverstandenen Eigeninteresse der Sowjetunion liegt, erstens den Menschen in Osteuropa das Selbstbestimmungsrecht zu geben, zweitens die sowjetische Hochrüstung zu beenden und



    Dr. Todenhöfer
    drittens die sowjetische Expansionspolitik in der Dritten Welt einzustellen.
    Das sind sehr klare Bedingungen für eine freiheitliche Friedensordnung in ganz Europa. Das sind sehr klare Bedingungen, die uns sehr klar von Ihnen, Herr Bahr, unterscheiden. Aber ich habe die Hoffnung, und ich habe den Optimismus, daß auch in der Sowjetunion eines Tages eine Politiker-Generation die Verantwortung übernehmen wird, die die objektiven nationalen Interessen ihres Landes den ideologischen Rezepten des 19. Jahrhunderts überordnen wird. Ich bin optimistisch, daß der Tag kommen wird, an dem zwischen jungen Deutschen und jungen Russen eine ebenso selbstverständliche Freundschaft entstehen kann, wie sie heute zwischen Deutschen und Franzosen und Deutschen und Amerikanern besteht. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Antje Huber


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dies ist kein Tag wie jeder andere. Schon oft hat der Deutsche Bundestag über Rüstung und Nachrüstung debattiert. Aber zum erstenmal werden wir nun in einer Abstimmung über die Stationierung von Atomwaffen in unserem Lande entscheiden.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Rein militärisch gesehen, geht es um eine Gleichgewichtslücke im Bereich landgestützter Mittelstrekkenraketen, die geschlossen werden soll, weil der NATO-Doppelbeschluß zwar Verhandlungen ermöglicht, aber in den vorgesehenen vier Jahren nicht zum Erfolg gebracht hat.
    Es ist eine bedrückende Debatte angesichts dessen, daß man das Abstimmungsergebnis schon kennt,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    und die CDU nicht einmal eines besonderen Parteitages bedurfte, um die jetzige Lage noch einmal zu überdenken.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist auch bedrückend, daß die tatsächliche oder vermeintliche Rüstungslücke auf eine Weise geschlossen wird, die schon aus rein technischer Sicht wieder neue Gleichgewichtsfragen aufwirft, ja bereits aufgeworfen hat.

    (Beifall bei der SPD)

    In Wirklichkeit geht es um die Frage, wie sicher unser Friede ist und ob man ihn durch mehr und modernere Raketen jetzt sicherer macht. Nicht immer, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ist ein Ja staatstragend gewesen. Manchmal ist einzig das Nein staatserhaltend.

    (Beifall bei der SPD)

    Aus diesem Grund hat der NATO-Doppelbeschluß eine so breite, so engagierte Diskussion ausgelöst, wie wir sie seit 1945 nur zweimal gehabt haben, nämlich in der ersten Atomwaffendebatte und in der Debatte über die Ostverträge. Keiner, der jetzt mitgeredet oder auch nur zugehört hat, wird später sagen können, er habe nichts gewußt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Der Aufmarsch der Experten erweckt den Eindruck: ein Männerthema wird behandelt. Aber trotz mehrtausendjähriger einschlägiger Erfahrung — dem ist nicht so.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Frauen und die Mütter, die jetzt für den Frieden auf die Staße gehen, die uns schreiben, die viele Initiativen gegen das Wettrüsten gegründet haben, fühlen sich nicht nur betroffen. Sie sind betroffen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Wir waren immer betroffen und still.


    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie waren doch Mitglied der Regierung, die das beschlossen hat!)

    Aber jetzt wollen wir nicht mehr schweigen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Als Regierung haben Sie es doch beschlossen!)

    — Da habe ich meine Meinung gesagt.
    Ich gehöre zu der Generation, die der letzte Krieg auf der Schulbank überraschte.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie haben Sie denn 1979 gestimmt?)

    Niemand ahnte damals, daß ein Spuk in wenigen Köpfen 50 Millionen Menschen das Leben kosten würde,

    (Beifall bei der SPD)

    anders als im ersten Weltkrieg sogar mehr Zivilisten als Soldaten. Allein in Deutschland erhielten fast vier Millionen Mütter die Nachricht, daß ihr Sohn gefallen ist. Fast eine Million Frauen wurden Witwe. Über 1,3 Millionen Kinder wurden Waisenkinder. Und viele Frauen verloren den Partner, mit dem sie ihr Leben gestalten wollten. Nichts auf der Welt hat den Tod und die Opfer so vieler Millionen gerechtfertigt. Aber nichts hat sie davor geschützt.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun werden einige wieder denken oder sogar sagen, dies sei der Versuch einer Frau, Emotionen zu wecken. Oh nein, das ist die Erinnerung an reale Teilhabe an einem Stück Weltgeschichte, an einem Krieg, der Vater, Bruder, Verwandte, Freunde, Nachbarn an die Front und uns in die doch nicht bombensicheren Keller schickte.
    Wenn ich mich heute hier als Abgeordnete des Deutschen Bundestages — und das ist ja das deutsche Entscheidungsgremium, das für unser Volk spricht — für meine Entscheidung verantworte, so halte ich es für meine Pflicht, diese Lebenserfahrung eines schrecklichen Krieges einzubringen, die man in so wenigen Sätzen leider nicht eindringlich genug beschreiben kann.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Graf Huyn [CDU/CSU])




    Frau Huber
    Es war ein Krieg — obwohl nicht mehr vergleichbar mit dem ersten Weltkrieg, in dem mein Vater war, der mir davon erzählt hat —, ein zweiter Weltkrieg, den alle Seiten doch noch zu gewinnen hoffen konnten. Aber er kann nur als Vorstufe dessen gelten, was über uns hereinbräche, wenn es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung heute oder morgen käme. Nicht einmal Militärs könnten sich dieses Inferno vorstellen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Dies ist die Lage. Wer sie ohne Emotionen betrachtet, um mit klarem Kopf zu entscheiden, hat immer noch kein Recht, auf die herabzusehen, deren Ängste wirklich niemand zerstreuen kann.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Die Stadt, in der ich lebe, war zu 75 % zerstört, und dort lebten noch fast eine halbe Million Menschen in den Ruinen. Unser Oberbürgermeister Gustav Heinemann hat die Plakate gesammelt, die damals angeschlagen wurden, um die Bevölkerung zu informieren: über Wasser und Brot.
    Aber wir lebten nicht in Hiroshima, dieser Wüste der tödlichen Strahlen und unvorstellbaren Opfer. Hiroshima war das Lehrstück der neuen kriegstechnischen Möglichkeiten. So unvorstellbar es uns damals erschien, es wurden auch technische Lehren daraus gezogen.

    (Beifall bei der SPD)

    Welche moralischen, dessen kann man nicht so sicher sein.
    Ich erinnere mich noch, daß wir etwas später dann keine Wege scheuten, um erstes Theater in einer stehengebliebenen Turnhalle zu erleben. Man gab das Stück „Wir sind noch einmal davongekommen", und jeder übertrug das auf sich selbst und stimmte zu.
    Sind wir davongekommen?
    Nach den Hellebarden gab es Gewehre, nach den Gewehren die Kanonen, und nach den Kanonen die Bomben und Raketen. Und nun gibt es Superraketen, die ganze Länder auslöschen können, und Mittelstreckenraketen, die ihre Ziele selber finden. Welch ein menschlicher „Fortschritt"!

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Mütter müssen zusehen, wie ihre Kinder hungern, aber die Länder, die es sich leisten können, und auch solche, die es sich nicht leisten können, füttern ihre Waffenarsenale mit immer mehr und immer teureren Mordinstrumenten.
    Wir sind ungeheuer waffenreich, aber sonst sind wir sehr arm geworden. Die Sowjetunion büßt mit niedrigerem Lebensstandard für hohe Rüstung. Die USA, das reichste Land der Welt, beschließen große neue Waffenproduktionen bei hohem Staatsdefizit, obwohl dort Millionen unter dem Existenzminimum leben. Und auch uns trifft diese Politik wirtschaftlich schwer. Die Entwicklungsländer werden nicht nur ärmer; sie werden bettelarm und aggressiv in einer Welt, die ihnen keine Chancen geben will.
    Die Menschheit schafft es nicht, meine Damen und Herren, sich ausreichend zu ernähren, zu bilden, die Arbeit einzuteilen, den sozialen Risiken zu steuern. Aber sie würde es leicht schaffen, sich morgen umzubringen, und für diese Möglichkeit gibt sie 170 Milliarden Dollar im Jahr aus. Die Entwicklungshilfe auf der Welt beträgt 35 Milliarden Dollar, das ist der fünfzigste Teil davon.
    Sieht man von den regionalen Konflikten ab, deren Brisanz aber durchaus nicht unterschätzt werden darf, so sind sich alle einig, daß die großen Rüstungsaufwendungen dem Frieden dienen. Es muß bezweifelt werden, daß das wahr ist.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich bin kein Pazifist. Ein Land, das Zentrum zweier Weltkriege war, großer politischer Kämpfe und großer politischer Verirrungen, ist eine freiheitliche Demokratie geworden, ein fortschrittlicher Rechtsstaat, eine soziale Solidargemeinschaft. Es ist unser Land und wert, verteidigt zu werden. Es bedarf nicht großer Auslandsreisen; die täglichen Nachrichten aus aller Welt beweisen, daß es sich lohnt, hier zu leben. Das ist keineswegs nur eine Frage materieller Sicherheit.
    Wir fühlen uns gut angesichts einer Bundeswehr, die ausschließlich Verteidigungsaufgaben hat, und eines Bündnisses, in dem die westlichen Demokratien miteinander ihr Gebiet und ihre Art zu leben verteidigen wollen.
    Auch wir Frauen leben in einer realen Welt, und wir wissen, daß bloße Friedenssehnsucht noch keine Sicherheitspolitik ist. Wir haben uns lange Jahre beruhigt bei dem Gedanken, daß der atomare Schirm soviel Abschreckungskraft entfaltet, daß wir, den Lauf der Geschichte durchbrechend, das erste kriegsfreie Halbjahrhundert in Europa feiern würden. Aber nun ist der große Trost atomarer Abschreckung als bloß politischer, für keinen Einsatz bestimmter Waffe einem großen Schrecken gewichen.
    Den großen strategischen Raketen sind Raketen kurzer und mittlerer Reichweite gefolgt, die das Undenkbare denkbar machen: den atomaren Krieg auf zunächst niedrigem Niveau. Steigerung nicht ausgeschlossen, Hiermit wird spätestens klar, daß der Zweck die Mittel nun nicht mehr heiligt. Was Abschreckung hieß, könnte leicht zur Versuchung werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb ist unsere Herausforderung nicht, noch immer schrecklichere Waffen zu erfinden, sondern sie besteht darin, mit aller Kraft die Umkehr anzustreben. Sie allein ist unsere Lebenschance. Und das ist nicht nur militärisch gemeint.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist richtig, daß die erste, entscheidende Stationierung von Mittelstreckenraketen in der Sowjetunion stattfand. Mit dem Doppelbeschluß unternahm die NATO den Versuch, die Entwicklung zu bremsen, durch ein angestrebtes Verhandlungsergebnis, das westliches Nachrüsten überflüssig



    Frau Huber
    macht, weil östliche SS 20 verschrottet werden. Die vier Jahre sind um, und nun stehen die westlichen Mittelstreckenraketen vor unserer Tür. Aber ich glaube nicht, daß der Bundeskanzler — und die ihn tragende Koalition — die Mehrheit des Volkes hinter sich hat, wenn er sich nun für die neuen Raketen entscheidet, schon gar nicht die Mehrheit der Frauen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Graf Huyn [CDU/CSU]: Sie haben doch selber im Kabinett dafür gestimmt! — Niegel [CDU/CSU]: Das ist eine Verdrehung der Tatsachen!)

    Meine Fraktion wird, wie Sie wissen, die Stationierung mit großer Mehrheit ablehnen; denn es hat Angebote in Genf gegeben, die noch nicht ausgelotet worden sind, Herr Niegel. Wir wollen, daß der Rüstungswahnsinn endlich aufhört und daß darüber weiter verhandelt wird, wie man konkrete Schritte dazu macht.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich glaube, daß wir jetzt nicht des Hebels bedürfen, mit dem man Abrüstung kraft neuer Stärke unter Druck erzeugen will. Ich glaube, daß das ein falscher Ansatz ist.
    Der Kanzler und der Außenminister meinen mit der Regierung Reagan, man müsse seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Aber wir wollen nicht, daß das auf eine Weise geschieht, die unsere Friedensfähigkeit schwächt.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen eine neue friedenssichernde Strategie. Und Besonnenheit ist auch Stärke, Herr Todenhöfer.
    Es wird noch schwerer sein, Raketen, wenn sie erst einmal hier sind, wieder wegzubringen; besonders dann, wenn ihre Funktion sehr verschiedene Bedeutung hat, je nachdem, ob man in Europa lebt oder nicht.

    (Beifall bei der SPD — Graf Huyn [CDU/ CSU]: Woher wissen Sie das?)

    Ihnen von der CDU/CSU und FDP mag es als ein Triumph erscheinen, daß unser früherer Bundeskanzler in diesem Punkt nicht mit uns stimmt. Uns ist es ein Bedürfnis, Ihnen zu sagen, daß er in uns die Hoffnung entfacht hat, die der Verhandlungsteil des Doppelbeschlusses bedeutete. Der Doppelbeschluß wird nun ad acta gelegt. Aber an der Hoffnung halten wir fest.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf der Abg. Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE])

    Es ist die Hoffnung, daß geduldige Friedenspolitik dazu verpflichtet, kaum entdeckte Chancen nicht zu zerstören. Die unkritische Haltung der neuen Bundesregierung zu jenen Kräften in Amerika, die die weltweiten Gefahren nicht sehen, die dauerndes Hochrüsten schon an sich bedeutet, die Kalten Krieg nicht scheuen und ohne Hemmungen in Ländern ihres Umfeldes militärisch agieren, hat diese Chancen gemindert.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir, die in der durch einen eventuellen neuen Krieg — wenn das dann noch der richtige Ausdruck ist — am meisten bedrohten Region leben, haben das Recht, unsere Lebensinteressen selbst einzuschätzen und zu vertreten. Amerikaner empfinden nicht dasselbe wie wir, wenn sie auf dem Globus mit dem Finger auf unser Land zeigen. Aber auch ein Bündnis von ungleich Starken ist doch nur dann etwas wert, wenn jeder seine Sicherheitssorgen dort gut aufgehoben weiß.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir glauben nicht, daß es unsere Lage und die aller Deutschen, die dort wohnen, wo mein Bruder lebt, sicherer macht, wenn immer noch mehr Waffen auf unserem Boden stehen. Ja, immer mehr Menschen halten sogar einen Krieg aus Versehen nicht mehr für ausgeschlossen und stellen die Frage, wie lange sich solche Technik politisch noch beherrschen läßt. Es geht hier nicht um Brandstifter und Biedermann, um die Benotung ganzer Nationen mit Gut und Böse, was eine groteske Anmaßung ist. Es geht um die Furcht, daß der Mensch nicht mehr friedensfähig bleibt, weil er so viel von seinen Gütern in die Rüstung steckt, weil ihn die Waffentechnik zum Knecht von Experten macht, die keine politische Verantwortung tragen, und weil er das Gefühl dafür verliert, wie er Kräfte und Mittel einsetzen müßte, damit diese Welt nicht nur friedlich, sondern auch lebenswert bleibt oder wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir fühlen uns mit allen Amerikanern verbunden, die die Gewinnbarkeit eines Atomkrieges nicht testen wollen, weil sie das für Gottesfrevel halten.

    (Vor sitz : Vizepräsident Westphal)

    Wir glauben uns einig mit vielen Menschen in der Sowjetunion, die unbeschadet ihres von uns nicht geschätzten Systems auch keinen Krieg wollen, nachdem sie ihr zerstörtes Land in Jahrzehnten wiederaufgebaut haben.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Wer hat unser zerstörtes Land aufgebaut?)

    Sie haben die Ostverträge begrüßt, nicht als Zeichen unserer Unterwürfigkeit, sondern als Zeichen der Vernunft. — Sie, meine Damen und Herren von der CDU, waren damals dagegen. Heute werfen Sie uns vor, daß wir die Bundesrepublik in die Isolierung trieben.

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Zu Recht!)

    Aber wir halten an unserer Auffassung fest. Wir halten sie für das Gebot der Vernunft.

    (Beifall bei der SPD)

    Und es ist schon öfter vorgekommen, daß man mit einer vernünftigen Auffassung zunächst alleine war.
    Aber wir sind gar nicht so sehr allein; auch in anderen Ländern gibt es Friedensbewegungen, ja,



    Frau Huber
    es gibt Auffassungen und Beschlüsse im Repräsentantenhaus, die viel fortschrittlicher als das sind, was die deutsche Regierung hier vorträgt.

    (Beifall bei der SPD)

    Daran ändern auch Ihre großen Vorträge nichts, Herr Todenhöfer.
    Die Kirchen haben sich des Themas Frieden angenommen, aber die christlichen Politiker füllen hier die „allerletzte Galgenfrist" — so nennt es die katholische Kirche —, die uns verblieben ist, mit neuen Raketen, betonen ihre Friedensliebe und sagen, daß die Pershings gar nichts schadeten.
    In Bonn am Rhein wird heute und morgen in Wirklichkeit der Versuch als gescheitert erklärt, Vernunft an die Stelle der Aggression und Hoffnung an die Stelle der Angst zu setzen.

    (Beifall bei der SPD — Niegel [CDU/CSU]: Wer macht Angst? Sie! Sie sind eine Angstmacherin!)

    Nicht wir schwächen das Bündnis, indem wir weitere Verhandlungen statt neuer Waffen verlangen, Sie zerstören — auch wenn die jetzigen Regierungen sich einig sind — seinen inneren Zusammenhalt. Dies ist eine negative historische Stunde.

    (Lowack [CDU/CSU]: Frau Huber, Sie werden noch einmal dankbar dafür sein, daß dieser Beschluß gefaßt worden ist!)

    — Meine Dankbarkeit werde ich hier ausdrücken, aber nicht so, wie Sie gerade meinen.
    Wir, denke ich, werden viel Kraft brauchen, wenn wir später beweisen wollen, daß wir alle dennoch für eine bessere Welt gearbeitet haben. Aber die Frauen werden dafür sorgen, daß die Mahnungen nicht verstummen, die da lauten: Bekämpft den Wahnsinn und verschrottet den Krieg!

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)