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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Prof. Egon Bahr


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Hochverehrter Herr Kollege Würzbach, wir brauchen uns darüber nicht zu streiten, denn es gibt eine Bandaufzeichnung. Wir werden feststellen, was der Kollege Wörner wirklich gemeint hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn das anders ist, werde ich nicht zögern, das zu korrigieren.

    (Würzbach [CDU/CSU]: Das sollten wir im Verlauf der Debatte noch tun! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Dregger hat ein Schreckensbild davon gemalt, wie stark die Sowjetunion sei.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Er hat Angst!)

    Wenn das so ist, dann ist doch erstaunlich, daß die NATO 1 400 Atomsprengköpfe einseitig und ohne Gegenleistung abzieht. Kein Sprecher der Regierung und der Koalition haben heute daran gerührt. Diese Entscheidung des Bündnisses wurde als Beweis des Abrüstungswillens ausgegeben. Okay. Aber diese einseitige Maßnahme ist doch möglich, ohne unsere Sicherheit zu gefährden. Der Westen
    hat zuviel davon, jedenfalls mehr, als wir brauchen. So dicke ist es da drüben im Osten eben nicht.
    Das führt zu dem Argument der Erpressung.

    (Marx [CDU/CSU]: Würden Sie noch einmal etwas zum Osten sagen?)

    Es ist — offen gestanden — überhaupt ein bißchen komisch: Solange wir Sozialdemokraten in der Regierung waren, gab es weder Erpressung noch Angst davor. Kaum kommen Sie an die Regierung, haben Sie Angst, erpreßt zu werden. Ich habe mich in den letzten 20 Jahren, also während der ganzen Zeit, in der die Sowjetunion nach Auffassung der Union ein Monopol an Mittelstreckenwaffen hatte, sicher gefühlt. Wir waren und wir sind sicher, weil uns eben Teile der amerikanischen strategischen Streitkräfte abdecken. Es hat übrigens während dieser zurückliegenden 20 Jahre mit dem angeblichen Monopol der Sowjetunion keinen Versuch der Erpressung gegeben.

    (Marx [CDU/CSU]: Die Geschichte ist doch nicht statisch! — Zuruf von der CDU/CSU: Herr Schmidt war da anderer Meinung! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich will im Augenblick nicht über die französischen und britischen Systeme sprechen. Das wird noch in anderem Zusammenhang zu tun sein. Aber eines ist klar:

    (Feilcke [CDU/CSU]: Die Sowjetunion hat recht!)

    Wir wissen, daß es ohne den unbegrenzten Aufwuchs der SS 20 keinen NATO-Doppelbeschluß gegeben hätte. Militärisch werden die Pershing II und die Cruise Missiles nicht gegen die SS 20 reichen; politisch werden sie nicht zur Ankoppelung reichen. Die Stationierung ist deshalb nach meiner Auffassung ein Schritt auf dem Wege, der Deutschland zum Schlachtfeld machen könnte. Nicht nur McNamara hat gesagt, er würde sie ablehnen, wenn er Deutscher wäre.
    Die Sowjetunion will dagegen SS 22 aufstellen, die dann nur noch zweieinhalb Minuten fliegen. Das macht militärisch nur Sinn, wenn diese Waffen benutzt werden, bevor die Pershings und Cruise Missiles auf dem Wege sind. Wir nähern uns der Situation, in der die Rechnung aufgemacht wird, ob der Ersteinsatz Vorteile bringt. Dies wird eine lebensgefährliche Situation im Falle von Spannungen, menschlichem Versagen oder technischen Fehlern.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Angesichts dieser Situation abzulehnen, etwas mehr Zeit für Verhandlungen zu haben, ist unbegreiflich und unverantwortlich von seiten der Bundesregierung. Das muß bei vielen Menschen Abscheu und Erbitterung über diese Politik wecken.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Politisch können wir einen weiteren Faktor nicht übersehen. Jetzt beginnt die Nachrüstung. Die sowjetische Antwort besteht politisch in einer Verstärkung des Bedrohungspotentials gegen West-



    Bahr
    europa. Die SS 22 wird alle Stationierungsplätze der neuen Raketen, auch in Großbritannien, erreichen können. Wenn die Sowjetunion auf die Stationierung mit Maßnahmen antworten würde, die allein gegen das amerikanische Festland gerichtet sind, so könnte man davon sprechen, daß sie den Befehlsträger unter zusätzliche Bedrohung bringen will. Aber die Europäer, die über diese Waffen nicht verfügen, unter zusätzliche potentielle Bedrohung zu bringen heißt sie als Geiseln zu behandeln. Ich kann weder übersehen noch verschweigen, daß die zusätzlichen Raketen gegen Westeuropa auch politisch die Lage erschweren.

    (Beifall bei der SPD)

    Erste Stimmen werden bald laut werden, was denn gegen diese neue Bedrohung getan werden muß. So wird die Perspektive auf immer weitere Rüstung mit immer weiter wachsender Gefahr geöffnet.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Machen Sie den Sowjets einen Vorschlag!)

    Niemand kann mir sagen, daß die sowjetische Politik nicht differenzierter reagieren könnte.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Niemand braucht hier zu fürchten, sie wolle damit einen Keil zwischen die Europäer und die Amerikaner treiben. Ihre neue Aufrüstung erneuert den Kitt der NATO, den Reagan brüchig macht.
    Die Auffassung, daß sich die NATO nicht als Papiertiger erweisen darf, ist heute eine schwache Entschuldigung für eine Haltung, die man im 19. oder bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts haben konnte. Sie ist im atomaren Zeitalter nicht mehr erlaubt.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Jeder hat natürlich das Recht, einen Fehler zu machen, aber doch nicht die Pflicht. Wer jedoch erkennt, daß seine Entscheidung ein Fehler war, hat die Pflicht, ihn zu korrigieren, selbst mit Prestigeverlust.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Denn der Verlust an Prestige wiegt weniger als der Verlust an Sicherheit.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wenn es ein Fehler war, die Singularität der Bedrohung zu übersehen, die in der Singularität der Pershing II in unserem Lande liegt, so komme ich zu der Folgerung, daß man diesen Fehler eben wieder gutmachen muß.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das hat Helmut Schmidt selber gesagt!)

    Das wäre durch das Ergebnis des Waldspaziergangs geschehen. Das könnte heute noch durch ein Nein zur Stationierung erreicht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Was wird geschehen, wenn der Bundestag morgen keine Mehrheit zum Nein findet? Die Verhandlungen in Genf werden beendet sein, ob in dieser oder in der nächsten Woche, das spielt politisch keine Rolle. Die Nach-Nachrüstung wird beginnen. Das Ergebnis wird eine verschlechterte Lage für Europa sein. Erst danach wird es neue Verhandlungen geben. Natürlich, was denn sonst? Das uralte Spiel „erst rüsten, dann verhandeln" wird weitergespielt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich werfe der Sowjetunion vor, daß sie nicht mit einseitigen Reduktionen ihrer Überrüstung begonnen hat,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    aber ich erhebe größere Vorwürfe an die eigene Seite, weil mich das Fehlen der eigenen Klugheit mehr schmerzt.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN — Feilcke [CDU/CSU]: Da haben Sie die GRÜNEN auf Ihrer Seite!)

    Meine Damen und Herren, der Kollege Rühe hat kürzlich zu den Genfer Verhandlungen erklärt: Der Ausgang wird im positiven wie im negativen Sinne die Ost-West-Beziehungen auf Jahre hinaus prägen. — Er hat recht. Der negative Ausgang wird die Rüstungsspirale in Gang setzen. Aber es ist unverkennbar, daß sich die Bundesregierung bemüht, Schadensbegrenzung zu betreiben. Das heißt zunächst einmal, daß durch die Stationierung Schaden entstehen wird, und zwar vermeidbarer Schaden.
    Die Bundesregierung kann auch künftig auf die Unterstützung der SPD für ihre Bemühungen rechnen, Schaden zu begrenzen, wirtschaftliche Kooperation mit Osteuropa zu entwickeln und das Maximum dessen zu erhalten, was in den zurückliegenden Jahrzehnten an Erfolgen der Entspannungspolitik erreicht wurde. Hier gibt es eine neue Gemeinsamkeit der deutschen Politik, zu der die frühere Opposition gefunden hat und die die heutige Opposition für wertvoll und für pflegebedürftig hält.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Wir erkennen das an, was der Generalsekretär der SED, Erich Honecker, dazu gesagt hat. Wir erkennen seine Erklärung an, neue sowjetische Raketen auf dem Territorium der DDR möglichst zu vermeiden, wobei wir wissen, daß es für ihn schwerer wäre, nein zu sagen, als für uns.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Ich war vor wenigen Wochen in der DDR und habe kein Gespräch vergessen, auch nicht Gespräche mit Menschen kritischer Einstellung gegen die Regierung, auch nicht ihre Hoffnung, daß wir hier die amerikanischen Raketen verhindern, weil sie es ja nicht können, um ihnen das zu ersparen, was dann kommt, und um uns allen die gemeinsame größte Gefährdung zu ersparen. Das war durchgängige Meinung.
    Nun sind wir lange von der Anmaßung weg, für die „Brüder und Schwestern" handeln zu wollen. Aber davon, für die Menschen in der DDR besorgt



    Bahr
    zu sein und auf sie zu hören, suspendiert uns kein Grundlagenvertrag.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Auch dies ist in dem Nein der SPD-Fraktion zur Stationierung enthalten.
    Der Bundeskanzler hat heute früh gesagt: Nur ein Volk, das in Frieden und Freiheit lebt, kann auch wirklich einen Beitrag für den Frieden in der Welt leisten. — Bitte, Herr Bundeskanzler, denken Sie darüber nach, was Sie damit den Menschen in der DDR und in Polen und in der Sowjetunion sagen. Sie haben gesagt: Jenseits der Freiheit ist kein Friede, der diesen Namen verdient. — Unsere Freiheit hier ist uns kostbar. Daß andere diese Freiheit nicht haben, schließt sie vom Frieden nicht aus.

    (Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn das behauptet, Herr Bahr?)

    Darüber, ob es für die NATO gut oder schlecht ist, wenn wir zur Stationierung nein sagen, kann man streiten. Darüber, ob alles getan worden ist oder nicht, kann man streiten. Zuletzt entscheidet für mich die Frage, ob wir mit dieser Entscheidung mehr oder weniger Sicherheit bekommen. Deshalb sage ich aus voller Überzeugung nein zur Stationierung.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Jürgen Todenhöfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie, Herr Bahr, in den 70er Jahren mit demselben Engagement gegen die SS-20-Vorrüstung gekämpft hätten, wie Sie heute gegen die Pershing II kämpfen, wären Ihre Argumente wesentlich glaubwürdiger.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie und Ihr Fraktionsvorsitzender haben dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl heute mangelnde Flexibilität vorgeworfen, obwohl Sie genau wissen, daß alle entscheidenden Vorschläge und Vorstöße des Westens in den letzten Wochen und Monate auf Initiativen von Bundeskanzler Kohl zurückgegangen sind.
    Ich finde Ihre Vorwürfe, Herr Bahr und Herr Vogel, deswegen so ungeheuerlich, weil Sie wissen, daß es Bundeskanzler Kohl war, der verhindert hat, daß bereits in diesem Sommer die ersten Pershing stationiert worden sind. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wenn es nach Helmut Schmidt und Hans Apel gegangen wäre, wäre die erste Pershing-Batterie bereits im August/September dieses Jahres in Deutschland aufgestellt worden. Deswegen finde ich es nicht fair, sich hier hinzustellen und dem deutschen Bundeskanzler, der den Verhandlungsrahmen in Genf entscheidend erweitert hat, mangelnde Flexibilität vorzuwerfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie haben übrigens, sehr geehrter Herr Vogel und sehr geehrter Herr Bahr, heute keinen einzigen überzeugenden Grund dafür genannt, warum die SPD-Fraktion 1979, 1980, 1981 und 1982 geschlossen für den NATO-Doppelbeschluß war

    (Zuruf von der SPD: Stimmt nicht! Nachlesen!)

    und warum Sie jetzt, im Jahre 1983, in Ihrer überwiegender Mehrheit gegen die Nachrüstung sind, es sei denn, Sie sehen den Verlust der Macht in Bonn als überzeugenden Grund für die Änderung Ihrer Sicherheitspolitik an.
    Alle Gründe, die Sie heute gegen den NATO-Doppelbeschluß genannt haben, beziehen sich auf die Zeit vor dem Regierungswechsel am 1. Oktober 1982. Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, um eine glaubwürdige Sicherheitspolitik gegangen wäre, dann hätten Sie doch schon vor dem Regierungswechsel im Oktober 1982 gegen den NATO-Doppelbeschluß Front machen müssen.
    Ich finde es gut und richtig und wichtig, wenn sich Politiker auf ihr Gewissen berufen, wie Sie es heute getan haben. Aber ich finde es schlecht, wenn Politiker ihr Gewissen erst nach einer verlorenen Wahl entdecken.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, daß, abgesehen von einigen unberechtigten Angriffen gegen Bundeskanzler Kohl, manches an der Rede des früheren Bundeskanzlers Schmidt beeindruckend war. Leider ist der heutige Tag ein Tag, der deutlich gemacht hat, daß die Richtlinien der sozialdemokratischen Außen- und Sicherheitspolitik nicht mehr von Helmut Schmidt, sondern von Egon Bahr bestimmt werden. Das wirft Sie weit hinter Godesberg zurück.
    Sie haben darüber hinaus in der Frage des NATO-Doppelbeschlusses das den westlichen Verbündeten fest gegebene Wort gebrochen.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist dummes Zeug!)

    Sie haben damit nicht nur der Glaubwürdigkeit Ihrer eigenen Partei geschadet. Sie schaden damit auch den Interessen und der Glaubwürdigkeit unseres Landes, wenn Sie mit Bündnisbeschlüssen so leichtfertig umgehen, wie Sie es auf dem Parteitag in Köln getan haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, der NATO-Doppelbeschluß, den die Sozialdemokratische Partei Deutschlands dieser neuen Regierung und diesem Deutschen Bundestag hinterlassen hat, war nie ein populärer Beschluß, nie ein Beschluß, mit dem man zusätzliche Wählerstimmen gewinnen konnte. Wir wissen das. Wir kennen die Meinungsumfragen mit all ihrer Problematik. Aber die Aufgabe, vor der die deutsche Bundesregierung und der Deutsche Bundestag heute stehen, besteht eben nicht darin, auf Wählerfang zu gehen, sondern darin, unsere Pflicht zu tun und unabhängig von Meinungsumfragen das für die Sicherheit und die Freiheit unseres Landes Notwendige zu tun.



    Dr. Todenhöfer
    Deshalb stimmen wir, die CDU/CSU, im Interesse der Erhaltung des Friedens und der Freiheit unseres Landes der Entscheidung der Bundesregierung zu, entsprechend dem NATO-Doppelbeschluß nunmehr plan- und fristgerecht mit der Stationierung der Pershing II als Gegengewicht gegen die sowjetischen SS-20-Atomraketen zu beginnen.
    Ich hatte in den vergangenen fünf Wochen zweimal im Auftrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Gelegenheit zu sehr ausführlichen Gesprächen mit Funktionsträgern der Sowjetunion in Moskau. Diese Gespräche waren außerordentlich hart. Aber sie waren trotzdem nützlich und konstruktiv. Mir ist bei diesen mehr als sechstägigen Gesprächen in Moskau vor allem aufgefallen, daß es neben vielen fundamentalen Interessenunterschieden, die man in Diskussionen nicht beseitigen kann, auch eine große Zahl vermeidbarer Mißverständnisse zwischen Ost und West gibt.

    (Zuruf von der SPD: Ihr dummes Gerede!)

    Schon deshalb trete ich mit Nachdruck dafür ein, daß der Dialog mit der Sowjetunion auf allen Ebenen weitergeht und intensiviert wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ein gut Teil Mitschuld an den Fehleinschätzungen, die es zur Zeit in der Sowjetunion gibt, trägt auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die der Sowjetunion in den letzten Monaten ständig die falschen Signale gegeben hat. Ich denke hier an das falsche, das verhängnisvolle Signal des Fraktionsvorsitzenden der SPD, der der Sowjetunion immer wieder signalisiert hat, bei einer bestimmten Reduzierung ihrer SS 20 werde eine westliche Nachrüstung überflüssig, der der Sowjetunion signalisiert hat, die Bundesrepublik Deutschland sei unter bestimmten Umständen bereit, ein SS-20-Raketen-Monopol hinzunehmen.

    (Jungmann [SPD]: Das ist eine böswillige Unterstellung!)

    Ich frage: Woher nimmt eigentlich Herr Vogel das Recht, der Sowjetunion ein SS-20-Raketenmonopol gegen unser Land zuzubilligen?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Genauso gefährlich waren die Signale jener sozialdemokratischen Politiker, die der Sowjetunion immer wieder die lebensgefährliche Torheit signalisierten, der Westen plane einen atomaren Erstschlag, die Pershing II sei eine Erstschlags-, eine Enthauptungswaffe,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Unverantwortlich!)

    und der Westen stelle seine Kriegsverhinderungsstrategie auf eine Kriegsführungsstrategie um. Was Sie damit in der Sowjetunion angerichtet haben und anrichten, können einige von Ihnen offenbar überhaupt nicht beurteilen. Ich sage Ihnen: Sie haben mit Ihren falschen Signalen die Abrüstungschancen des Westens nachhaltig beeinträchtigt, und Sie haben darüber hinaus die ohnehin schon vorhandenen Mißverständnisse zwischen Ost und West in völlig überflüssiger Weise verschärft.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich möchte mich daher heute in meinen Ausführungen direkt auch an die Sowjetunion wenden, um einen Beitrag dazu zu leisten, der Sowjetunion die Motive unserer Politik transparent zu machen und um aufzuzeigen, welches aus unserer Sicht die Voraussetzungen für ein konstruktives Miteinander von Ost und West sind. Je offener wir die Bedingungen eines derartigen konstruktiven Miteinander aussprechen, desto größer sind die Chancen, daß sich die Fehleinschätzungen der letzten 13 Jahre nicht wiederholen,

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Richtig!)

    die zu der kritischen Situation geführt haben, in der wir uns heute befinden.
    Ich appelliere erstens an die Sowjetunion, die Friedensliebe des deutschen Volkes ernster als bisher zu nehmen. Ich appelliere an die Sowjetunion, zur Kenntnis zu nehmen, daß sie es in Deutschland mit einer neuen Generation zu tun hat, die es nicht akzeptiert, von der sowjetischen Propaganda immer wieder und immer noch mit der Generation des Dritten Reiches verglichen zu werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, alle Menschen der Bundesrepublik Deutschland wollen Frieden mit der Sowjetunion, gleichgültig wie alt sie sind, gleichgültig welcher Partei sie angehören, gleichgültig, welche Weltanschauung sie vertreten.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Gleichgültig, welchen Alters!)

    Ich habe in den elf Jahren, die ich dem Deutschen Bundestag angehöre, in der Bundesrepublik Deutschland keinen einzigen Menschen, gleichgültig welchen Alters, keinen Politiker kennengelernt, der bereit gewesen wäre, den Krieg als Mittel der Politik zwischen Ost und West noch zu akzeptieren. Kein Satz wird von der deutschen Bevölkerung so einmütig vertreten wie der Satz: Nie wieder Krieg! Das ist ein Signal, das von Ihrer Seite — gerade von der Seite der GRÜNEN und auch von einem Teil der SPD — in gefährlicher Weise in Frage gestellt wird.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Was?!)

    Wenn ich sage: Nie wieder Krieg!, so gilt das nicht nur für einen nuklearen Krieg. Es gilt auch für einen konventionellen Krieg.

    (Zuruf von der SPD: Verdreher!)

    Es wird leicht vergessen, daß in Dresden in einer Nacht dreimal mehr Menschen durch konventionelle Waffen ums Leben gekommen sind als in Hiroshima durch nukleare Waffen.

    (Dr. Marx [CDU/CSU]: Leider wahr!)

    Für unser Land wäre auch ein konventioneller
    Krieg das Ende unserer Existenz. Deswegen sage



    Dr. Todenhöfer
    ich noch einmal: Für uns scheidet jeder Krieg als Mittel der Politik aus.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Reents [GRÜNE]: Für wen gilt das nicht?)