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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! In der Rede, die heute morgen Herr Kollege Vogel hier gehalten hat — und das war nach dem SPD-Parteitag auch gar nicht anders zu erwarten —, ist noch einmal deutlich geworden, daß die Sozialdemokraten uns und dem Bündnis angesichts der sowjetischen Überrüstung jene Abschreckungswaffen verweigern wollen, die sie selber lange Jahre hindurch gefordert haben. In schmerzlicher und — ich sage — oft in deprimierender Weise zeigt sich, wie eilfertig und hurtig die deutschen Sozialdemokraten ihre eigenen Beschlüsse und Einsichten über Bord werfen, wie rasch sie die seit 1960 bestehende Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik zerbrechen und wie eifernd und — man muß sagen — ohne Rücksicht auf die Folgen, sie sich jener alten deutschen politischen Romantik in die Arme werfen, wo die Wirklichkeit wenig, die verworrenen Träume um so mehr gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es war und es ist schon erstaunlich, was wir aus Köln und auch hier gehört haben. Da werden, meine Damen und Herren, historische Tatsachen, die jedermann in den Dokumenten nachprüfen kann, einfach verleugnet, in ihrem Zusammenhang und in ihrer Wirkung verdreht. Der Bundesminister des Auswärtigen hat dazu das Nötige in aller Klarheit gesagt.
    Ich, meine Damen und Herren, werfe den sozialdemokratischen Kollegen vor, daß sie in der Abrechnung mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit ihrem letzten Kanzler und auch, um im Volk draußen die Fakten vergessen zu machen, ihre eigenen früheren Entscheidungen falsch darstellen, die Ursachen für die Nachrüstung unterschlagen, die Vorgeschichte des Doppelbeschlusses nicht richtig mitteilen, die sowjetische Politik schönen und über den Wald von Raketen in Osteuropa einfach hinwegsehen,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Leider ist es so!)

    j a, daß sie im Grunde die effektive Bedrohung, die wir durch die sowjetische Hochrüstung und die auf uns gerichteten Raketen empfinden, so, als ob dies alles unwichtig sei, einfach zur Seite drängen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie begleiten Ihre Absage an den Doppelbeschluß mit der Versicherung, Sie wollten in der NATO bleiben, Sie wollten in der NATO wirken. Und Sie loben die Bundeswehr. Aber diese Formeln, meine Damen und Herren, wie sie im Kölner Leitantrag des Parteivorstandes der SPD enthalten sind, tragen einen unauflösbaren Widerspruch in sich. Denn was ist — Herr Kollege Mischnik hat darauf hingewiesen, indem er eine Passage aus der „Neuen Zürcher Zeitung" verlesen hat — das Bekenntnis zur NATO wert, wenn gleichzeitig die entscheidenden Beschlüsse der NATO abgelehnt werden?

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: So ist die Frage!)

    Herrn Vogels Beitrag zur Bundeswehr heute vormittag und sein Hinweis auf eine Wehrsolderhöhung haben gezeigt, was er meint, wenn er „Bundeswehr" sagt. Ich hätte gerne gehört, daß Herr Vogel bei dem permanenten Mißbrauch des Wortes Friedensbewegung heute endlich und mit Betonung hier gesagt hätte, daß die einzig wirkliche, funktionierende und bewährte Friedensbewegung die Bundeswehr und das Bündnis ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Burgmann [GRÜNE]: Buuu! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Da hat einer Wasser in die Ohren gekriegt! Das war der Neandertaler vom Dienst! Tarzan ist wieder da!)

    Meine Damen und Herren, es wird auch heute wieder versucht, vergessen zu machen, daß es vor allem die damalige deutsche Regierung gewesen ist,

    (Reents [GRÜNE]: Sie sind der größte Friedensengel, Herr Marx!)

    die seit 1977 die Amerikaner immer wieder drängte, Abschreckungswaffen gegen die Übermacht der sowjetischen SS 20 bereitzuhalten und in Europa aufzustellen. Sie beschämen sich durch die Art, in der Sie Ihre eigene jüngste Geschichte zu bewältigen suchen — meine Damen und Herren — trotz des heute hier gegebenen demonstrativen Beifalls, auch durch die abweisende Kälte, mit der Sie Ihren ehemaligen Kanzler, dem Sie ja im Februar des letzten Jahres hier in diesem Raum noch einstimmig das Vertrauen ausgesprochen haben, behandeln — das ziert Sie nicht und ehrt Sie nicht.

    (Zuruf des Abg. Catenhusen [SPD]) Es ist, um es offen zu sagen, nur peinlich.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß sich die Sozialdemokraten so sehr mit sich selbst beschäftigen, und daß sie so sehr die Konkurrenz der GRÜNEN fürchten, daß sie gar nicht spüren, wie unwirklich, fast gespenstisch ihre Position in der Welt draußen geworden ist.
    Meine Damen und Herren, die deutschen Sozialdemokraten, von ihrer neuen sozialistischen Mehrheit ins politische Abseits getrieben, gelten heute in vielen Teilen der Welt — ich sage das nicht mit Begeisterung, sondern ich sage das mit Bedauern —

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das Bedauern sieht man Ihnen an!)




    Dr. Marx
    für unberechenbar. Manches von dem, was dort als unberechenbar verstanden wird, wird dann leider insgesamt auf die Deutschen übertragen. Das ist etwas, was uns sehr bedrücken und bedrängen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, bei unseren Nachbarn gibt es bange Fragen — man lese doch nur ihre Zeitungen —, ob denn der unheilvolle deutsche Irrationalismus wiederkehre,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da steht er doch am Podium, mit dem irrationalen Charakterkopf!)

    ob man — so lautet z. B. die Formel in der linken und in der rechten Presse Frankreichs — jenseits des Rheins künftig noch auf Treue und Glaubwürdigkeit zu geschlossenen Verträgen rechnen könne.
    Herr Schmidt hat heute — vielleicht haben Sie genau zugehört — nicht umsonst an vielen Stellen seiner Rede immer darauf hingewiesen: Man muß sein Wort halten. Er sagt das nicht in Richtung auf die Regierungskoalition, auf uns, sondern er sagt es als Mahnung an seine eigene Fraktion, weil er weiß, daß man sich dort 395 : 14 nicht bereiterklärt hat, das gegebene Wort zu halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wortbrüchig sind sie geworden! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Pfui!)

    Am 10. November hat der frühere französische Außenminister François-Poncet in „Le Monde" einen sehr interessanten Artikel über die Deutschen geschrieben. Er sagt dabei, es sei wohl die künftige Aufgabe der Franzosen, die deutschen Sozialdemokraten den „Sirenen des Pazifismus und des Nationalneutralismus abspenstig" zu machen.
    An einer anderen Stelle setzt er hinzu, daß die historischen Ziele des deutschen Sozialismus, nachdem sie durch die Wirtschaftskrise in weite Ferne gerückt worden sind, nun gegen neue Wertvorstellungen ausgewechselt werden, wie sie in der Werkstatt der Pazifisten, der Grünen und der Alternativen geschmiedet werden.
    Ich frage mich, ob eigentlich die Sozialdemokraten nicht merken, wie weit sie sich selbst tatsächlich bereits isoliert haben, mit welch mißtrauischen Augen man sie betrachtet und wie sehr ihre neue Politik im Bündnis alarmiert.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Siehe da, ich fürchte mich nicht!)

    In Hessen — in Ihrer Heimat, Herr Kollege Voigt — haben Sie im Oktober des letzten Jahres „Verrat" gerufen, und Sie haben die Freien Demokraten gemeint. Jetzt aber haben Sie tatsächlich Ihren früheren Bundeskanzler und die von ihm und von Ihnen früher der ganzen Welt gegenüber vertretene Politik verraten, eine Politik, die Sie hier in diesem Saal über ein Jahrzehnt tausendfältig erklärt und in vielen Abstimmungen bestätigt haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Brandt hat sich mit dem wahrhaft erstaunlichen Hinweis entschuldigt, er sei j a eigentlich schon immer gegen diese Nachrüstung gewesen, er habe sich aber öffentlich dafür ausgesprochen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich!)

    um damit Herrn Schmidt das Weiterregieren zu ermöglichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Blender ist das!)

    Meine Damen und Herren, Sie können daraus ersehen, was eines solchen Parteiführers Wort wirklich wert ist. Denken Sie auch daran, daß jenen jungen Menschen, die oft an der Aufrichtigkeit von Politikern zweifeln, ein verabscheuungswürdiger Hinweis — ich wiederhole: ein verabscheuungswürdiger Hinweis — auf die Berechtigung ihrer Zweifel geliefert worden ist.

    (Reents [GRÜNE]: Ein Glück, daß Sie von der deutschen Jugend geliebt werden! Herr Marx, Sie sind ein Vorbild! — Weitere Zurufe)

    — Ich höre hier von dieser Seite oft Kaschemmenton, aber ich bitte zu verstehen: Ich kann mich auf diese wenig artikulierten und vor allen Dingen dem geistigen Niveau nicht entsprechenden Zwischenrufe nicht einlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, Herr Brandt ist ja auch Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, und er mag sich nun draußen den Scherbenhaufen ansehen, den seine Politik der Anbiederung bei den GRÜNEN provoziert hat. Wenn man auf der europäischen politischen Landkarte herumschaut und dabei einmal von den dänischen und den ohnehin in sich zerstrittenen britischen Sozialisten absieht, wird man bei dem sozialistischen Regierungschef Mario Soares in Portugal, bei dem sozialistischen Regierungschef Felipe Conzáles in Spanien, bei dem sozialistischen Regierungschef Bettino Craxi in Italien und natürlich auch in Frankreich beim sozialistischen Generalsekretär Jospin, beim Ministerpräsidenten Mauroy und beim Staatspräsidenten Mitterrand ein ganz anderes außen- und sicherheitspolitisches Bekenntnis finden,

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch wenn Sie Marx heißen, Sie werden nie zur Sozialistischen Internationale gehören!)

    nämlich für die Einhaltung gegebener Worte, für verläßliche Leistungen im westlichen Verteidigungsbündnis, für die entschlossene Sicherheit in Frieden und Freiheit.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen gern einige Zitate vortragen, Zitate der eben genannten Politiker, denn ich möchte gern, daß diese Aussagen im Protokoll des Deutschen Bundestages stehen.
    Der Generalsekretär der französischen sozialistischen Partei, Jospin, sagt, es sei ausgeschlossen,



    Dr. Marx
    daß die UdSSR „ein Vetorecht bei der europäischen Verteidigungspolitik" haben könne, und er fügt hinzu:
    für uns ist es unakzeptabel, daß die Sowjetunion sich einbildet, durch Druck, Einschüchterung oder auch Schmeichelei
    — oder auch Schmeichelei! —
    ein Recht zu erwirken, um festzustellen, was
    der Sicherheit der Völker Europas guttut.
    Ich frage mich, ob der linken Seite dieses Hauses dabei nicht die Ohren klingeln und ob sie ihr nicht bei dem Satz von Edgar Faure klingeln:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Jungs sind isoliert!)

    Ich bin beunruhigt über das Abgleiten einer Friedenskampagne in eine Kampagne für eine gefährliche Utopie der einseitigen Abrüstung.
    Der französische Verteidigungsminister Charles Hernu ruft in einem „Welt"-Interview noch einmal seinen deutschen Genossen in Erinnerung — ich zitiere wieder —:
    Es war die Bundesrepublik Deutschland, die sich unter der Führung des Bundeskanzlers Schmidt und mit der frei geäußerten Zustimmung der SPD zum Vorkämpfer des „Nachrüstungsbeschlusses" vom Dezember 1979 machte.
    Hernu fährt fort:
    Wir Franzosen sagen: „Der Wein ist in den Schläuchen, jetzt muß er auch getrunken werden."
    Aber Hernu wird mit Staunen und Unbehagen erfahren haben: Die deutsche SPD trinkt den von ihr gekelterten Wein nicht. Sie bietet heute das Zuckerwasser ihrer eigenen Illusion.
    Meine Damen und Herren, Herr Vogel hat heute dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe sich nicht energisch genug für die Einbeziehung von Raketen aus Drittländern eingesetzt. Aber der Bundeskanzler kannte den von beiden Regierungen und beiden Parlamenten in Frankreich und Großbritannien immer wieder geäußerten Wunsch und die dortige Meinung. Ich möchte auch dazu noch einmal Hernu zitieren. Er sagt:
    Diese französischen atomaren Waffen sind das allerletzte Mittel, um einen potentiellen Angreifer vor einer Aggression, vor einem Angriff auf uns abzuschrecken. Das sind also Waffen zur Verteidigung der lebenswichtigen Interessen unseres Landes. Sie sind von Natur aus nationale Waffen ... Wer könnte aber bezweifeln, daß diese Waffen auch unseren Nachbarn nützen, insbesondere unserem deutschen Nachbarn, weil sie ein Element der Ungewißheit in die Überlegungen eines potentiellen Angreifers im Falle eines Konflikts einbringen würden.
    Präsident Mitterrand, dessen Rede vom 20. Januar im Deutschen Bundestag eine scharfe Absage an jede Form neutralistischer Schwärmerei und einer falschen Einschätzung der sowjetischen Politik war, hat vor wenigen Tagen in einem Fernsehinterview einige Merksätze gesagt, die das volle Einverständnis mit uns markieren mit einer Politik der Festigkeit und zugleich der Dialog- und Verhandlungsbereitschaft. Ich zitiere Mitterrand:
    Man muß reduzieren. Bis zu welchem Punkt muß man reduzieren?
    Er geht dann auf seine Rede hier im Bundestag ein und sagt:
    Verhandelt auf dem niedrigstmöglichen Niveau der Waffen für eure Sicherheit! Aber bewahrt das Gleichgewicht; denn wenn es kein Gleichgewicht mehr gibt untereinander, dann steht der Krieg vor den Toren.
    Ich würde sehr wünschen, daß sich viele Sozialdemokraten diesen Satz noch einmal überlegen, noch einmal bedenken. Ich würde damit die Hoffnung verbinden, daß sie dann entsprechende Schlüsse ziehen, die allerdings mit ihrer gegenwärtigen Politik nicht in Übereinstimmung zu bringen wären.
    Das ist auch klar. Mitterrand hat ebenfalls vor wenigen Tagen einen „erstaunlichen Mangel an Logik" bei den deutschen Sozialdemokraten vorgefunden.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Die sind blind und taub!)

    In Belgien — auch das sollten wir heute nicht vergessen — hat die dortige Kammer mit 116 zu 84 Stimmen der Regierung das Recht bestätigt, amerikanische Mittelstreckenraketen aufzustellen.
    In Italien hat das Parlament mit 351 zu 219 Stimmen ebenfalls einen positiven Beschluß gefaßt, und Craxi hat — in voller Übereinstimmung mit seiner ganzen Regierung, mit Sozialisten, Christlichen Demokraten, Sozialdemokraten, Republikanern und Liberalen —

    (Horacek [GRÜNE]: Und Neofaschisten!)

    nachdrücklich das Bekenntnis zum Doppelbeschluß und zur nunmehrigen Stationierung bekräftigt und mit aller Entschiedenheit hinzugefügt, daß sich Italien durch keinerlei Drohung von seiner Auffassung und seinem Wort abbringen lasse.
    Das britische Parlament hat mit großer Mehrheit die Voraussetzungen für die Stationierung der Marschflugkörper geschaffen.
    Auch das Europäische Parlament in Straßburg, das wir allesamt deshalb loben sollten, weil es sich endlich einmal einer entscheidenden außenpolitischen Frage nicht nur in Fragestunden, sondern auch in einer gründlichen Debatte angenommen hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    hat mit starker Mehrheit entschieden. Dort bestand die Mehrheit aus Christlichen Demokraten, Liberalen, britischen Konservativen und zahlreichen Gaullisten. Es gab eine teilweise Stimmenthaltung der französischen und der italienischen Sozialisten. Die Entscheidung fiel gegen die deutschen Sozialdemokraten,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)




    Dr. Marx
    die von den Kommunisten und den Einheitsproletariern unterstützt worden sind.
    Natürlich ist auch von uns hier niemand entzückt — ich muß das nicht noch einmal sagen, aber vielleicht sollte ich es einmal unterstreichen, weil es vor allem der Bundeskanzler in seiner heutigen Regierungserklärung und der Bundesaußenminister heute eindrucksvoll gesagt haben — über Raketen, über ein Mehr von Raketen. Aber, meine Damen und Herren, wir möchten das Arsenal an Vernichtungswaffen, wie Sie wissen, nicht vergrößern, sondern verringern, allerdings nur dann, wenn auf beiden Seiten und gleichzeitig und vergleichbar und gegenseitig kontrolliert diese Abrüstung stattfinden kann.

    (Burgmann [GRÜNE]: Das hören wir schon seit 20 Jahren!)

    Da in der Politik der Wille zwar viel zählt, er sich aber nach den Gegebenheiten ausrichten muß, zwingt uns die Intransigenz der Sowjets, zwingt uns deren absurdes Vertrauen auf die psychologische Macht angehäufter Waffen, das Notwendige zur Abschreckung für unsere Sicherheit zu tun.
    Bevor ich diesen Teil abschließe, möchte ich noch einmal den französischen Ministerpräsidenten zitieren, der vor wenigen Tagen zu einem Journalisten, der ihn gefragt hat, warum er eigentlich auf dieser Position steht, sagte, weil er eingesehen habe, daß sich drüben die Raketen und hier die Pazifisten befänden, und das könne wohl nicht die richtige Mischung für die gemeinsame europäische Sicherheit sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Bemerkung zur sowjetischen Politik machen; denn ich denke, jedermann von uns, der sich seit dem Besuch Gromykos im November 1979 hier in Bonn die sowjetische Presse betrachtet und gehört hat, was jeden Tag in Radio Moskau durch Nowosti, durch TASS usw. gesagt wird, der weiß doch, daß man dort alle Aktionen auf einen einzigen Punkt konzentriert. Dies ist das entscheidende Ziel, und das heißt: Keine einzige neue amerikanische Waffe nach Europa und daraufhin — das ist ein Teil dieses Konzeptes — mehr und mehr die Amerikaner und die Europäer, die Amerikaner und die Deutschen auseinanderdrängen, weil es natürlich leichter ist, mit einem Europa, das erpreßbar ist, fertig zu werden, ohne den amerikanischen Schutz, als mit einem Europa, das sich fest im Bündnis befindet!
    Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen, man kann sagen: ziemlich genau nach dem verbrecherischen Abschuß der südkoreanischen Verkehrsmaschine, ist die Sprache der Sowjets nicht nur insgesamt noch härter, noch grober, noch ordinärer geworden. Wenn ich höre, daß es im Westen Leute gebe, die ihre Politik nach „kannibalistischen Instinkten" organisieren, dann sehe ich, wes Geistes Kind diese Art Propagandisten sind. Aber diese Sprache ist auch martialischer geworden, und es drängen sich, wie jedermann beobachten kann, immer mehr tonangebend hohe militärische Führer dort in den Vordergrund. Es mag an der bis jetzt ungeklärten Machtverteilung in der obersten Nomenklatura liegen, daß sich die sowjetischen Aktionen im Zusammenhang mit den Genfer Abrüstungsdiskussionen und die sowjetischen Reaktionen auf die zahlreichen amerikanischen Angebote so merkwürdig starr und so wenig flexibel ausnehmen.
    Herr Kollege Mischnick hat soeben, wie ich glaube, in sehr eindrucksvoller Weise von den vielfältigen Formen von Beeinflussung und Druck gesprochen, denen zahlreiche Abgeordnete dieses Hauses in den letzten Wochen ausgesetzt wurden und die sich gestern und heute in verschärfter Form fortgesetzt haben. Ich spreche, wenn ich Druck sage, nicht von den zahlreichen Briefen und Telegrammen, ich spreche nicht von der Sorge und den Bedenken, die uns viele vortragen und von denen wir ein gerüttelt Teil auch übernehmen. Ich will auch nicht von jenen von fremder Hand vorfabrizierten Schreiben mit ihren gestanzten Angstformeln sprechen, die oft in hysterischen Wendungen das Weltende als unmittelbar bevorstehend wähnen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Alles gelenkt!)

    Nein, ich will mich an jene wenden, die uns unterstellen, wir bereiteten einen Krieg vor und wir verachteten, wir liebten nicht den Frieden.
    Ich darf ein persönliches Wort sagen. Ich bin Angehöriger einer Generation, von der es in diesem Hause wohl nicht mehr sehr viele gibt, die Nazizeit und Krieg bewußt erlebt hat. Ich kann mich noch genau erinnern — ich habe das nicht nur in Büchern gelesen —, wie die Nazis mit ihren klopfenden Stiefeln durch unsere Straßen marschierten, wie sie die Menschen tyrannisierten und terrorisierten und wie sie die kaum gewonnene Macht zur sofortigen Errichtung einer rücksichtslosen und brutalen Diktatur und dann eines totalitären Staates nutzten. Ich selbst habe erlebt, wie im Juni 1933 die Wohnung meiner Eltern zerschlagen, mein Vater als „schwarzer Hund" und „Vaterlandsverräter" beschimpft und vom johlenden Pöbel ins Gefängnis begleitet wurde. Ich bitte mir nachzusehen, wenn ich heute bei manchem, was ich draußen höre, notwendigerweise diese Erinnerung aus meiner frühen Jugend wieder in mir fühle.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich selbst und meine Schwester haben damals an unserem eigenen Leib Bedrohung erfahren, Schläge, Verfolgungen auf dem Schulhof bis hin zur bösartigen Schikanierung durch beflissene Lehrer, was es, wie man liest, heute hin und wieder auch noch geben soll.

    (Abg. Burgmann [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Dr. Marx, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich gestatte keine Zwischenfrage, weil meine Zeit sonst davonläuft.



    Dr. Marx
    Mir kommt es darauf an, diese paar Bemerkungen deshalb ungestört zu machen, weil es das erste Mal ist, daß ich mir erlaube, ein Wort von mir selbst, über meine eigene Erinnerung und über das, was mich bis heute quält und bedrängt, zu sagen, und weil ich meine ganze politische Existenz dareinsetzen will, um zu erreichen — ich will Ihnen, meine verehrten Damen und Herren, sagen, daß wir zu diesem Zweck vieles tun müssen —, um nicht wieder zu erleben, was wir bereits erlebt haben. Wir müssen den Anfängen wehren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich kann auch nicht vergessen, wie mein Vater zurückkam, nachdem er einige Wochen verborgen in den Wäldern gelebt hat, wie er dann, als er erschüttert nach Hause gekommen war, erzählte, daß man ihn mit gezogener Pistole aus seinem Dienstzimmer hinausgejagt hat. Ich kann auch nicht vergessen, daß er dann für längere Zeit suspendiert wurde. Mir fällt das alles heute ein, an einem Tage, an dem in diesem Parlament über eine entscheidende Frage diskutiert wird, sich draußen aber Leute in all der ihnen innewohnenden Arroganz ein Volksparlament nennen und glauben, sie könnten Parlament spielen, wozu ihnen jede moralische, jede materielle und jede geistige Legitimation fehlt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Kollege Mischnick hat ein Wort in den Mund genommen, das ich leider wiederholen muß. Ich tue das nicht gerne. Er hat davon gesprochen, daß es leider verschiedene Formen des Psychoterrors gebe. Wie weit sind wir in diesem freiheitlichen Land gekommen, wenn es heute so ist, daß ein solches Wort von einem Mann, der das Urbild liberalen Denkens und liberalen Verhaltens ist — ich meine den Kollegen Mischnick — in den Mund genommen wird? Wenn er ein solches Wort in den Mund nimmt, dann begreife ich, daß ihn offenkundig — er hat darüber nur sehr zurückhaltend gesprochen — noch viele andere Dinge sehr bedrängen und bedrücken, die wir in einer parlamentarischen, rechtsstaatlich geordneten Demokratie nicht zulassen dürfen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Da gibt es Leute, die einen Tag und Nacht anrufen,

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Was fragen sie Sie denn?)

    die Briefe schreiben, Eilbriefe oder eingeschriebene Briefe, die Telegramme schicken.

    (Zurufe von der SPD: Das muß alles verboten werden!)

    Ich habe gegen Briefe — das habe ich vorhin gesagt — nichts einzuwenden. Ich werde aber empfindlich, wenn es Leute gibt, die ich gar nicht kenne und die mich an mein eigenes Gewissen erinnern. Mein Gewissen habe ich zur Richtschnur meines eigenen politischen Denkens, Handelns und Entscheidens gemacht. Das hat mich auch hierher gebracht. Ich bestehe darauf, daß ich nach diesem meinem besten Wissen und Gewissen bei allen politischen Entscheidungen handle. Ich lasse mir das einfach nicht von Leuten abnehmen, die solche Briefe schicken, wobei sie sie häufig gar nicht selber geschrieben haben, sondern nur unterschrieben haben, weil sie oft gar nicht wissen, was in ihnen steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Burgmann [GRÜNE])

    — Ich habe es auch satt — das muß ich leider sagen —, mir tagaus, tagein über konventionellen Krieg oder über atomare Verbrennung halbgare Vorlesungen halten zu lassen.

    (Burgmann [GRÜNE]: Es ist unwürdig, was Sie da machen!)

    Ich bin einer, der nach sechs Verwundungen und zu 90 %, also schwer kriegsbeschädigt, in der Tat weiß, was die Furie des Krieges anrichten kann — an materieller, an seelischer und an moralischer Verwüstung.

    (Burgmann [GRÜNE]: Das haben wir draußen gelernt!)

    — Ich weiß nicht, woher Sie immer noch den Mut nehmen, in diesem Augenblick diese völlig unqualifizierten Zwischenrufe zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Horacek [GRÜNE]: Wieso denn? Das war eine berechtigte Frage!)

    Ich will gar nicht über die fortgesetzten Schmerzen, über die Pein, den Verzicht sprechen, den viele meiner Kameraden — die sind ja nicht freiwillig mit Hurra in den Krieg gezogen! — seit der Kriegszeit haben erleiden müssen. Aber ich verwahre mich ganz entschieden dagegen, daß mir und meinen Freunden der Wille, die politische Leidenschaft für Frieden, für Rechtsstaat und Demokratie abgesprochen oder von einigen in Zweifel gezogen werden. Ich darf sagen: Die Freiheit auszugestalten, ein menschenwürdiges Leben in Frieden mit auf zubauen, das war für mich seit der Zeit im Lazarett entscheidender Anlaß, in die Politik zu gehen; das war die starke Triebfeder, all die Unbilden eines unsteten und keineswegs bequemen Lebens auf mich zu nehmen, das übrigens nicht ohne innere Kämpfe und viele Skrupel abläuft.
    Aus diesen Erfahrungen kommend, mit diesem Engagement haben wir keine schlechte Politik gemacht; ich meine meine Freunde und mich. Wir haben Deutschland — das sage ich jetzt noch einmal in Richtung auf die sozialdemokratischen Kollegen — um der Interessen unseres Vaterlands willen zu einem geachteten Land emporgeführt, ihm Ansehen und Vertrauen bei Freund und Gegner verschafft, und wir haben im Bündnis — nur im Bündnis! — den Frieden bewahrt. Das wollen wir auch in der Zukunft, denn ohne Freiheit gedeiht kein Friede, und ohne Friede kann man die köstliche Freiheit nicht erfahren.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich darf schließlich mit einem Wort, das der Bundeskanzler vor wenigen Tagen hier, im Plenarsaal des Deutschen Bundestages, bei der Gedenkfeier am Volkstrauertag sagte — ich zitiere —:



    Dr. Marx
    Unser Grundgesetz verbietet uns jeden Angriffskrieg. Für nichts und gegen niemanden werden wir jemals unsere Waffen zum Angriff einsetzen. Dazu haben wir uns gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden verpflichtet. Über den Gräbern der Opfer des Krieges und der Gewalt wollen wir uns versöhnen mit allen, die dazu bereit sind, mit allen Menschen guten Willens.
    Dem ist in der Tat nichts hinzuzufügen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)