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ID1003506900

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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Gert Bastian


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Nein, danke. Ich muß jetzt leider meine Zeit für mich in Anspruch nehmen. Sie ist mir ohnehin nicht so reichlich zugemessen wie den Regierungsvertretern.

    (Zuruf von der CDU/CSU — Zuruf: Das wäre ja noch schöner!)

    — Ja, es wäre schöner, wenn das Volk und die Repräsentanten des Volkes mehr zu Wort kämen als die Regierung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ausgerechnet Sie als Repräsentant des Volkes? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)




    Bastian
    — Ja, allerdings, Sie werden sich wundern, auch ich bin gewählt worden, und gar nicht mit so wenigen Stimmen, auch wenn es Ihnen nicht paßt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, und damit müssen Sie auch leben können und müssen es ertragen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Fortgesetzte lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    Der Bundeskanzler will Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. So hat er es jedenfalls in seiner Regierungserklärung versichert und heute noch einmal gesagt. Was läge demnach näher als zu vermuten, daß die erste große Debatte im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit dem voraussehbaren Scheitern der Genfer Verhandlungen über Mittelstreckenraketen dem Thema Abrüstung gewidmet wäre. Aber nicht der Abrüstung oder auch nur ersten Schritten zum Rüstungsverzicht, sondern der Aufrüstung unseres Landes und seiner westlichen Nachbarn mit Nuklearwaffen von strategischer Bedeutung soll heute nach dem Willen der Bundesregierung das Wort geredet werden.
    Dabei handelt die christdemokratisch geprägte Regierung freilich nach einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden Tradition. Denn vor rund einem Vierteljahrhundert hat sie schon einmal gegen den leidenschaftlichen Widerstand der Opposition Atomwaffen auf deutschem Boden durchgesetzt.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Damals forderte das auflagenstärkste Blatt unseres Landes in seiner Ausgabe vom 21. November 1957 — ich zitiere —:
    Keine Atomwaffen für Westdeutschland und keine Abschußrampen für Atomraketen. Deutschland muß atomfrei bleiben. Deutschland weiß, was Trümmer und Ruinen bedeuten. Keiner von uns kann die Verantwortung tragen, ja zu sagen.
    Und vier Monate später, am 22. März 1958, erklärte der SPD-Abgeordnete Helmut Schmidt im Deutschen Bundestag — ich zitiere —:
    Wir sagen dem deutschen Volk in voller ernster Überzeugung, daß der Entschluß, beide Teile unseres Vaterlandes mit atomaren Bomben gegeneinander zu bewaffnen, in der Geschichte einmal als genauso schwerwiegend und verhängnisvoll angesehen werden wird, wie es damals das Ermächtigungsgesetz für Hitler war.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Heute, 25 Jahre später, sind gerade diese Warner von damals die hartnäckigsten Befürworter der bevorstehenden Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden, die nicht nur ihrer Neuartigkeit wegen, sondern vor allem auch wegen ihrer Einordnung in eine offensive Nuklearstrategie der Vereinigten Staaten eine ungleich größere Gefahr für Mitteleuropa bilden als alle bisher auf deutschem Boden angehäuften Massenvernichtungswaffen.

    (Graf Stauffenberg [CDU/CSU]: Sie schnarren schon wieder!)

    — Wenn Sie es nicht begreifen, liegt es an Ihnen.
    In seiner noblen und beeindruckenden Rede vom Samstag hat Helmut Schmidt seinen Sinneswandel begründet. Das verdient Respekt, auch wenn wir seine Schlußfolgerungen nicht zu akzeptieren vermögen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Aber zum Teil doch wohl?)

    Genauso ist freilich zu respektieren, wenn andere aus demselben Sachverhalt gegenteilige Überzeugungen gewonnen haben, die Überzeugung nämlich, daß nicht die Eingliederung der Bundesrepublik in das Abschreckungssystem der NATO vor 25 Jahren und die jahrzehntelange Teilhabe an diesem System als die gravierendsten Existenzgefährdungen zu bewerten sind, sondern daß die existentielle Gefahr für Mitteleuropa von der erstmals mit treffgenauen amerikanischen Mittelstreckenwaffen entstehenden Chance zur nuklearen Offensive der Vereinigten Staaten in Europa begründet wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die fortschreitende Perfektionierung der Nuklearwaffen, die Entwicklung offensiver strategischer Konzepte und die gravierenden Veränderungen in der von unverhülltem Vormachtstreben und antikommunistischer Kreuzzugsmentalität geprägten Politik der Vereinigten Staaten bieten Gründe genug, die Abschreckungsdoktrin und die Stationierung von Atomwaffen heute ungleich kritischer zu bewerten und kompromißloser zurückzuweisen als vor 25 Jahren. Damals gab es ja noch die Möglichkeit, an die kriegsverhindernde Wirkung von Atomwaffen zu glauben, die nur zur Androhung untragbarer Schäden, aber nicht zur Kriegführung geeignet waren. Damals gab es noch eine Chance für die Soldaten, mit der Fähigkeit zur konventionellen Verteidigung im ohnehin unwahrscheinlichen Konfliktfall jeden Angreifer ohne Einsatz von Atomwaffen zurückzuschlagen und damit der Heimat wenigstens das allerschlimmste Schicksal, auch noch atomares Schlachtfeld zu werden, zu ersparen — eine Chance, die mit dem Aufbau der Bundeswehr und mit der Entwicklung moderner konventioneller Abwehrwaffen von Jahr zu Jahr größer wurde.
    Es war j a nicht irgendein Unbedarfter, sondern der damalige Oberbefehlshaber aller amerikanischen Truppen in Eurpa, General Kroesen, der 1981 erklärte, er sei davon überzeugt, daß die NATO in der Lage wäre, mit den verfügbaren Streitkräften Mitteleuropa konventionell gegen jeden Angriff zu verteidigen.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Da stimmen Sie wohl mit Helmut Schmidt überein?)

    Wenn jedoch erst einmal Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper bei uns und unseren Nachbarn in Stellung gebracht sind, wird es die Möglichkeit zur Kriseneindämmung und zur konventionellen Verteidigung im Konfliktfall nicht mehr geben: denn diese Waffen sind allein zur nuklearen Offensive bestimmt und geeignet. Ihren Hintergrund bildet nicht der Wunsch nach mehr Abschreckung, nach dem Wiederherstellen eines angeblich durch die sowjetischen SS-20-Raketen zerstörten euro-



    Bastian
    strategischen Gleichgewichts oder gar nach künftiger Abrüstung in diesem Bereich.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sondern?) — Ich komme gleich darauf.

    Dieses Rüstungsvorhaben des Westens erklärt sich allein aus den neuen strategischen Zielsetzungen der USA, die erkennbar nicht mehr auf Kriegsverhinderung, sondern auf eine offensive Kriegsführung im Konfliktfall, wenn nicht auf Kriegseröffnung an der Schwelle zum Konflikt angelegt sind.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie das? Da haben Sie früher etwas anderes gelehrt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    — Da waren die Strategien noch nicht so. Ich kann nur die Strategie zitieren, die jetzt entwickelt worden ist. In meiner Zeit, als ich noch aktiver Soldat war, gab es diese Strategie und diese Gefahr noch nicht.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das ist doch noch gar nicht so lange her!)

    — Das ist drei Jahre her.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Na bitte! — Feilcke [CDU/CSU]: Sie sagen ja nicht Ihre Meinung, sondern die Meinung Ihrer Basis! — Weitere Zurufe von der [CDU/CSU])

    — Nein, ich sage meine Meinung. Mit so billigen Mätzchen brauchen Sie mir nicht zu kommen. Ich werde hier schon so frei sein, meine Meinung zu sagen. Sie können es ja auch in meinen Veröffentlichungen nachlesen. Daß Sie sich diese Mühe nicht machen, ist mir vollkommen klar. Es wäre auch sicher Zeitverschwendung, wenn Sie das täten, denn Sie verstünden es doch nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Deshalb ist alles, was Helmut Schmidt und seine Nachbeter zur Begründung der sogenannten Nachrüstung der NATO anführen, nicht schlüssig und nicht übezeugend, sondern die Beschreibung eines Irrwegs, dessen Ausgangspunkte schon falsch bewertet worden sind.
    Helmut Schmidts Vorstellung, nach der Unterzeichnung des später von den USA nicht ratifizierten SALT-II-Abkommens zur Begrenzung der strategischen Rüstung beider Supermächte müßte ein gesondertes eurostrategisches Gleichgewicht bewertet und hergestellt werden, entsprang gewiß einer tiefen Besorgnis.
    Trotzdem war diese Vorstellung unzutreffend und gefährlich; unzutreffend, weil es kein gesondertes Mittelstreckenraketenproblem und kein getrenntes INF-Gleichgeweicht gibt und geben darf, weil andernfalls Instabilität und Unsicherheit die Folge vieler gesondert ausgewiesener regionaler Gleichgewichte wären. Darauf hat neben vielen anderen auch der seinerzeitige amerikanische Abrüstungsbeaufragte für Genf, Eugen Rostow, überzeugend hingewiesen.
    Gefährlich war Helmut Schmidts Vorstellung vom gesondert zu bewahrenden eurostrategischen Gleichgewicht, weil sie zu folgenschweren Überschätzungen der sowjetischen SS-20-Drohung gegen Europa mit eben den Konsequenzen hinführte, die unser klares Nein zur geplanten Aufrüstung in Europa notwendig machen.

    (Zuruf der Abg. Frau Hürland [CDU/ CSU])

    Es war naheliegend, daß die Vereinigten Staaten die von Helmut Schmidt geäußerte Sorge sehr schnell als Möglichkeit begreifen würden, ein heranreifendes Rüstungsprogramm für Europa den Europäern nun auch schmackhaft zu machen. Die in den USA ja nicht unbemerkt gebliebene SS-20Stationierung in der Sowjetunion hatte für sich allein diese Möglichkeit noch nicht geboten. Da bot der deutsche Bundeskanzler den Einstieg regelrecht an. Kein Wunder, daß er schnell beim Wort genommen und in die Rolle eines Vorkämpfers für die unselige NATO-Entschließung vom 12. Dezember 1979 gedrängt wurde.
    Auch das leider ohne überzeugende Notwendigkeit; denn die so oft als Begründung für die Nachrüstung der NATO ins Feld geführte Vorrüstung der Sowjets gibt es ebensowenig wie die angeblich grundsätzlich neue Bedrohung Westeuropas durch die verbesserten sowjetischen SS-20-Raketen und die von ihnen herrührende Erpreßbarkeit der europäischen NATO-Staaten. Zwar hat die Sowjetunion mit dem Aufbau eines überzogenen SS-20-Potentials weder klug noch vertrauensbildend gehandelt. Das ist unstrittig. Aber eine dem Wesen nach neue Bedrohung Westeuropas hat sie dennoch nicht geschaffen, wie auch Theo Sommer — gewiß eher ein Freund als ein Gegner Helmut Schmidts — in der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 18. November 1983 zu Recht schreibt; denn schließlich liegt Westeuropa nördlich der Pyrenäen schon seit 20 Jahren im Zielgebiet hunderter sowjetischer Mittelstrekkenraketen, die alle wichtigen NATO-Länder in Europa hätten in Schutt und Asche legen können, wären sie abgefeuert worden. Daß die neueren SS-20Raketen den Sowjets die Möglichkeit bieten, jetzt auch noch Spanien und Portugal anzuzielen, eröffnet dem Osten in Europa keineswegs grundsätzlich neue Optionen für die Kriegsführung oder für die Erpressung anderer Staaten durch die Androhung militärischer Gewalt.
    Eines muß auch gesagt werden, obwohl es von der Regierung meist schamhaft oder bewußt verschwiegen wird. Wenn die NATO über keine landgestützten Mittelstreckenraketen verfügt, heißt das ja nicht, daß sie auf die nukleare Gegendrohung in Europa verzichtet hätte. Ganz im Gegenteil: In all den Jahren der sowjetischen Raketendrohung lagen auch die europäischen Verbündeten der UdSSR und die europäischen Sowjetländer im Zielgebiet eurostrategischer Nuklearwaffen, die, von U-Booten abgefeuert oder von Kampfflugzeugen transportiert, all diese Länder mit gleich fürchterlichen Schäden bedrohten.
    Am Gleichgewicht des Schreckens bestand und besteht auch in Europa keinerlei Zweifel. Selbst mit



    Bastian
    noch vielmehr SS-20-Raketen, als tatsächlich vorhanden sind, würde die Sowjetunion daran nichts ändern; denn dieses Schreckensgleichgewicht erfordert ja keine gleichen Waffenzahlen, sondern lediglich die Gleichwertigkeit der jeweils angedrohten Schäden, die längst nicht mehr steigerbar sind, für die Sowjets allerdings auch nicht reduzierbar; denn keines der diese Schäden garantierenden Waffensysteme des Westens kann eben wegen seiner technisch anderen Beschaffenheit von sowjetischen Mittelstreckenraketen angegriffen und zerstört werden.
    Überdies werden allein die britischen und französischen Mittelstreckenpotentiale auf Grund der beschlossenen und eingeleiteten Neubeschaffungen bis zum Ende des Jahrzehnts einen Umfang erreichen, der mit fast 1 600 Gefechtsköpfen rund doppelt so hoch ist wie das sowjetische Drohpotential im eurostrategischen Bereich. Daß die britischen und französischen Waffen der NATO-Seite zuzurechnen sind, daran ist ein vernünftiger Zweifel nicht möglich.
    Für eine zusätzliche Aufstellung von 108 Pershing-II-Raketen allein in unserem Land sowie von 464 Marschflugkörpern bei uns, in England, Holland, Belgien und Italien gibt es deshalb keinen militärischen, aber auch keinen politischen Grund, wenn tatsächlich nur an Abschreckung und nur an Gleichgewicht selbst in einem unzulässigen formalen Sinn gedacht wäre.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ebensowenig war die Erwartung berechtigt, der Stationierungsbeschluf3 könne als Hebel für die Durchsetzung erfolgversprechender Abrüstungsverhandlungen verwendet werden.

    (Zustimmung bei den GRÜNEN)

    Ich bezweifle nicht, daß Bundeskanzler Schmidt diese Hoffnung gehabt hat und alles ihm Mögliche getan hat, um die Supermächte an den Verhandlungstisch zu bringen. Aber schon die vom amerikanischen Präsidenten angeordneten Verhandlungspositionen sowie die hartnäckige Zurückweisung der verständlichen sowjetischen Forderung in Genf, auf westlicher Seite auch die britischen und französischen Mittelstreckenwaffen mitzuzählen, ließen keinen Zweifel daran, daß das amerikanische Interesse allein einer ungehinderten Stationierung der eigenen Waffen, aber nicht einer möglichen Reduzierung sowjetischer Systeme galt und gilt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Mit der Unterstützung der unrealistischen amerikanischen Verhandlungspositionen hat die Bundesregierung das voraussichtliche Scheitern der Genfer Verhandlungen eindeutig mitzuverantworten. Diese Mitverantwortung wiegt um so schwerer, als bei einer anderen Art der Einflußnahme auf die amerikanische Regierung eine Änderung der amerikanischen Verhandlungspositionen nicht ausgeschlossen gewesen wäre.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Daß der Versuch gar nicht unternommen wurde, ja die Amerikaner in ihrer ablehnenden Haltung von der Bundesregierung sogar noch bestärkt wurden, ist entlarvend und entfernt die Bundesregierung noch weiter von der Mehrheit unserer Mitbürger, die keine atomaren Mittelstreckenwaffen in unserem Land haben wollen, die im Gegenteil ganz eindeutig die Entfernung aller jetzt schon bei uns angehäuften Massenvernichtungswaffen fordern.

    (Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)

    5 Millionen Bürger haben allein den Krefelder Appell unterschrieben, der die Regierung auffordert, Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper hier nicht zuzulassen. Doch die Bundesregierung ist nicht einmal bereit, die Repräsentanten dieser Initiative anzuhören, wenn sie die Bedenken von 5 Millionen Deutschen vortragen wollen.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sie tragen sie doch vor!)

    In unzähligen Anzeigen, Briefen und Veröffentlichungen aller Art haben sich in den letzten Wochen Ärzte, Wissenschaftler, Richter, Staatsanwälte, Theologen, Philosophen, Gewerkschaften und andere Gruppen der Gesellschaft mit derselben Forderung an die Regierung gewendet. Millionen Menschen demonstrierten in eindrucksvoller Würde. Politiker, Militärs und Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten setzen sich dafür ein, daß nachverhandelt und nicht nachgerüstet wird. Regierungen verbündeter Länder vertreten denselben Standpunkt. — Doch die Bundesregierung gibt sich unbeeindruckt und setzt sich frivol über den zweifelsfrei bekundeten Willen der Bevölkerungsmehrheit hinweg. Merkt sie gar nicht, daß sie damit Demokratie zerstört,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Vertrauen in den Staat mindert, Glaubwürdigkeit verspielt, daß ihr Handeln nicht Stärke, sondern Schwäche verrät und die Unfähigkeit zur Einsicht, daß sie sich auf einem Irrweg befindet, der nur zur Erhöhung der Gefahr für alle, zu immer mehr Waffen der bedenklichsten Art, zu mehr Unfrieden innen und außen und vor allem zum Zerreißen des westlichen Bündnisses hinführen wird?

    (Beifall des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

    Denn nicht die Festigung der Allianz und der deutsch-amerikanischen Freundschaft, sondern die schwerste Belastung von beidem seit Kriegsende wird das Ergebnis der sogenannten Nachrüstung sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Bundesregierung wird an all diesen Ergebnissen gemessen und von der Geschichte schuldig gesprochen werden. Wir fordern die Regierung deshalb auf, nukleare Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden nicht zu dulden. Sie handelt nicht in Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerungsmehrheit, wenn sie zur Stationierung ja sagt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Bastian
    Für diesen Fall empfehlen wir der Regierung deshalb, das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lenzer [CDU/ CSU]: Das ist aber auch nicht originell! Das haben wir schon einmal gehört! Der General läßt auch schon nach!)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx.

(Reents [GRÜNE]: Jetzt beginnt der Kalte Krieg!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! In der Rede, die heute morgen Herr Kollege Vogel hier gehalten hat — und das war nach dem SPD-Parteitag auch gar nicht anders zu erwarten —, ist noch einmal deutlich geworden, daß die Sozialdemokraten uns und dem Bündnis angesichts der sowjetischen Überrüstung jene Abschreckungswaffen verweigern wollen, die sie selber lange Jahre hindurch gefordert haben. In schmerzlicher und — ich sage — oft in deprimierender Weise zeigt sich, wie eilfertig und hurtig die deutschen Sozialdemokraten ihre eigenen Beschlüsse und Einsichten über Bord werfen, wie rasch sie die seit 1960 bestehende Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik zerbrechen und wie eifernd und — man muß sagen — ohne Rücksicht auf die Folgen, sie sich jener alten deutschen politischen Romantik in die Arme werfen, wo die Wirklichkeit wenig, die verworrenen Träume um so mehr gelten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Es war und es ist schon erstaunlich, was wir aus Köln und auch hier gehört haben. Da werden, meine Damen und Herren, historische Tatsachen, die jedermann in den Dokumenten nachprüfen kann, einfach verleugnet, in ihrem Zusammenhang und in ihrer Wirkung verdreht. Der Bundesminister des Auswärtigen hat dazu das Nötige in aller Klarheit gesagt.
    Ich, meine Damen und Herren, werfe den sozialdemokratischen Kollegen vor, daß sie in der Abrechnung mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit ihrem letzten Kanzler und auch, um im Volk draußen die Fakten vergessen zu machen, ihre eigenen früheren Entscheidungen falsch darstellen, die Ursachen für die Nachrüstung unterschlagen, die Vorgeschichte des Doppelbeschlusses nicht richtig mitteilen, die sowjetische Politik schönen und über den Wald von Raketen in Osteuropa einfach hinwegsehen,

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Leider ist es so!)

    j a, daß sie im Grunde die effektive Bedrohung, die wir durch die sowjetische Hochrüstung und die auf uns gerichteten Raketen empfinden, so, als ob dies alles unwichtig sei, einfach zur Seite drängen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie begleiten Ihre Absage an den Doppelbeschluß mit der Versicherung, Sie wollten in der NATO bleiben, Sie wollten in der NATO wirken. Und Sie loben die Bundeswehr. Aber diese Formeln, meine Damen und Herren, wie sie im Kölner Leitantrag des Parteivorstandes der SPD enthalten sind, tragen einen unauflösbaren Widerspruch in sich. Denn was ist — Herr Kollege Mischnik hat darauf hingewiesen, indem er eine Passage aus der „Neuen Zürcher Zeitung" verlesen hat — das Bekenntnis zur NATO wert, wenn gleichzeitig die entscheidenden Beschlüsse der NATO abgelehnt werden?

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: So ist die Frage!)

    Herrn Vogels Beitrag zur Bundeswehr heute vormittag und sein Hinweis auf eine Wehrsolderhöhung haben gezeigt, was er meint, wenn er „Bundeswehr" sagt. Ich hätte gerne gehört, daß Herr Vogel bei dem permanenten Mißbrauch des Wortes Friedensbewegung heute endlich und mit Betonung hier gesagt hätte, daß die einzig wirkliche, funktionierende und bewährte Friedensbewegung die Bundeswehr und das Bündnis ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Burgmann [GRÜNE]: Buuu! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Da hat einer Wasser in die Ohren gekriegt! Das war der Neandertaler vom Dienst! Tarzan ist wieder da!)

    Meine Damen und Herren, es wird auch heute wieder versucht, vergessen zu machen, daß es vor allem die damalige deutsche Regierung gewesen ist,

    (Reents [GRÜNE]: Sie sind der größte Friedensengel, Herr Marx!)

    die seit 1977 die Amerikaner immer wieder drängte, Abschreckungswaffen gegen die Übermacht der sowjetischen SS 20 bereitzuhalten und in Europa aufzustellen. Sie beschämen sich durch die Art, in der Sie Ihre eigene jüngste Geschichte zu bewältigen suchen — meine Damen und Herren — trotz des heute hier gegebenen demonstrativen Beifalls, auch durch die abweisende Kälte, mit der Sie Ihren ehemaligen Kanzler, dem Sie ja im Februar des letzten Jahres hier in diesem Raum noch einstimmig das Vertrauen ausgesprochen haben, behandeln — das ziert Sie nicht und ehrt Sie nicht.

    (Zuruf des Abg. Catenhusen [SPD]) Es ist, um es offen zu sagen, nur peinlich.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß sich die Sozialdemokraten so sehr mit sich selbst beschäftigen, und daß sie so sehr die Konkurrenz der GRÜNEN fürchten, daß sie gar nicht spüren, wie unwirklich, fast gespenstisch ihre Position in der Welt draußen geworden ist.
    Meine Damen und Herren, die deutschen Sozialdemokraten, von ihrer neuen sozialistischen Mehrheit ins politische Abseits getrieben, gelten heute in vielen Teilen der Welt — ich sage das nicht mit Begeisterung, sondern ich sage das mit Bedauern —

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das Bedauern sieht man Ihnen an!)




    Dr. Marx
    für unberechenbar. Manches von dem, was dort als unberechenbar verstanden wird, wird dann leider insgesamt auf die Deutschen übertragen. Das ist etwas, was uns sehr bedrücken und bedrängen muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, bei unseren Nachbarn gibt es bange Fragen — man lese doch nur ihre Zeitungen —, ob denn der unheilvolle deutsche Irrationalismus wiederkehre,

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da steht er doch am Podium, mit dem irrationalen Charakterkopf!)

    ob man — so lautet z. B. die Formel in der linken und in der rechten Presse Frankreichs — jenseits des Rheins künftig noch auf Treue und Glaubwürdigkeit zu geschlossenen Verträgen rechnen könne.
    Herr Schmidt hat heute — vielleicht haben Sie genau zugehört — nicht umsonst an vielen Stellen seiner Rede immer darauf hingewiesen: Man muß sein Wort halten. Er sagt das nicht in Richtung auf die Regierungskoalition, auf uns, sondern er sagt es als Mahnung an seine eigene Fraktion, weil er weiß, daß man sich dort 395 : 14 nicht bereiterklärt hat, das gegebene Wort zu halten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Wortbrüchig sind sie geworden! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Pfui!)

    Am 10. November hat der frühere französische Außenminister François-Poncet in „Le Monde" einen sehr interessanten Artikel über die Deutschen geschrieben. Er sagt dabei, es sei wohl die künftige Aufgabe der Franzosen, die deutschen Sozialdemokraten den „Sirenen des Pazifismus und des Nationalneutralismus abspenstig" zu machen.
    An einer anderen Stelle setzt er hinzu, daß die historischen Ziele des deutschen Sozialismus, nachdem sie durch die Wirtschaftskrise in weite Ferne gerückt worden sind, nun gegen neue Wertvorstellungen ausgewechselt werden, wie sie in der Werkstatt der Pazifisten, der Grünen und der Alternativen geschmiedet werden.
    Ich frage mich, ob eigentlich die Sozialdemokraten nicht merken, wie weit sie sich selbst tatsächlich bereits isoliert haben, mit welch mißtrauischen Augen man sie betrachtet und wie sehr ihre neue Politik im Bündnis alarmiert.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Siehe da, ich fürchte mich nicht!)

    In Hessen — in Ihrer Heimat, Herr Kollege Voigt — haben Sie im Oktober des letzten Jahres „Verrat" gerufen, und Sie haben die Freien Demokraten gemeint. Jetzt aber haben Sie tatsächlich Ihren früheren Bundeskanzler und die von ihm und von Ihnen früher der ganzen Welt gegenüber vertretene Politik verraten, eine Politik, die Sie hier in diesem Saal über ein Jahrzehnt tausendfältig erklärt und in vielen Abstimmungen bestätigt haben.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Brandt hat sich mit dem wahrhaft erstaunlichen Hinweis entschuldigt, er sei j a eigentlich schon immer gegen diese Nachrüstung gewesen, er habe sich aber öffentlich dafür ausgesprochen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja unglaublich!)

    um damit Herrn Schmidt das Weiterregieren zu ermöglichen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ein Blender ist das!)

    Meine Damen und Herren, Sie können daraus ersehen, was eines solchen Parteiführers Wort wirklich wert ist. Denken Sie auch daran, daß jenen jungen Menschen, die oft an der Aufrichtigkeit von Politikern zweifeln, ein verabscheuungswürdiger Hinweis — ich wiederhole: ein verabscheuungswürdiger Hinweis — auf die Berechtigung ihrer Zweifel geliefert worden ist.

    (Reents [GRÜNE]: Ein Glück, daß Sie von der deutschen Jugend geliebt werden! Herr Marx, Sie sind ein Vorbild! — Weitere Zurufe)

    — Ich höre hier von dieser Seite oft Kaschemmenton, aber ich bitte zu verstehen: Ich kann mich auf diese wenig artikulierten und vor allen Dingen dem geistigen Niveau nicht entsprechenden Zwischenrufe nicht einlassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, Herr Brandt ist ja auch Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, und er mag sich nun draußen den Scherbenhaufen ansehen, den seine Politik der Anbiederung bei den GRÜNEN provoziert hat. Wenn man auf der europäischen politischen Landkarte herumschaut und dabei einmal von den dänischen und den ohnehin in sich zerstrittenen britischen Sozialisten absieht, wird man bei dem sozialistischen Regierungschef Mario Soares in Portugal, bei dem sozialistischen Regierungschef Felipe Conzáles in Spanien, bei dem sozialistischen Regierungschef Bettino Craxi in Italien und natürlich auch in Frankreich beim sozialistischen Generalsekretär Jospin, beim Ministerpräsidenten Mauroy und beim Staatspräsidenten Mitterrand ein ganz anderes außen- und sicherheitspolitisches Bekenntnis finden,

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Auch wenn Sie Marx heißen, Sie werden nie zur Sozialistischen Internationale gehören!)

    nämlich für die Einhaltung gegebener Worte, für verläßliche Leistungen im westlichen Verteidigungsbündnis, für die entschlossene Sicherheit in Frieden und Freiheit.
    Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen gern einige Zitate vortragen, Zitate der eben genannten Politiker, denn ich möchte gern, daß diese Aussagen im Protokoll des Deutschen Bundestages stehen.
    Der Generalsekretär der französischen sozialistischen Partei, Jospin, sagt, es sei ausgeschlossen,



    Dr. Marx
    daß die UdSSR „ein Vetorecht bei der europäischen Verteidigungspolitik" haben könne, und er fügt hinzu:
    für uns ist es unakzeptabel, daß die Sowjetunion sich einbildet, durch Druck, Einschüchterung oder auch Schmeichelei
    — oder auch Schmeichelei! —
    ein Recht zu erwirken, um festzustellen, was
    der Sicherheit der Völker Europas guttut.
    Ich frage mich, ob der linken Seite dieses Hauses dabei nicht die Ohren klingeln und ob sie ihr nicht bei dem Satz von Edgar Faure klingeln:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Jungs sind isoliert!)

    Ich bin beunruhigt über das Abgleiten einer Friedenskampagne in eine Kampagne für eine gefährliche Utopie der einseitigen Abrüstung.
    Der französische Verteidigungsminister Charles Hernu ruft in einem „Welt"-Interview noch einmal seinen deutschen Genossen in Erinnerung — ich zitiere wieder —:
    Es war die Bundesrepublik Deutschland, die sich unter der Führung des Bundeskanzlers Schmidt und mit der frei geäußerten Zustimmung der SPD zum Vorkämpfer des „Nachrüstungsbeschlusses" vom Dezember 1979 machte.
    Hernu fährt fort:
    Wir Franzosen sagen: „Der Wein ist in den Schläuchen, jetzt muß er auch getrunken werden."
    Aber Hernu wird mit Staunen und Unbehagen erfahren haben: Die deutsche SPD trinkt den von ihr gekelterten Wein nicht. Sie bietet heute das Zuckerwasser ihrer eigenen Illusion.
    Meine Damen und Herren, Herr Vogel hat heute dem Bundeskanzler vorgeworfen, er habe sich nicht energisch genug für die Einbeziehung von Raketen aus Drittländern eingesetzt. Aber der Bundeskanzler kannte den von beiden Regierungen und beiden Parlamenten in Frankreich und Großbritannien immer wieder geäußerten Wunsch und die dortige Meinung. Ich möchte auch dazu noch einmal Hernu zitieren. Er sagt:
    Diese französischen atomaren Waffen sind das allerletzte Mittel, um einen potentiellen Angreifer vor einer Aggression, vor einem Angriff auf uns abzuschrecken. Das sind also Waffen zur Verteidigung der lebenswichtigen Interessen unseres Landes. Sie sind von Natur aus nationale Waffen ... Wer könnte aber bezweifeln, daß diese Waffen auch unseren Nachbarn nützen, insbesondere unserem deutschen Nachbarn, weil sie ein Element der Ungewißheit in die Überlegungen eines potentiellen Angreifers im Falle eines Konflikts einbringen würden.
    Präsident Mitterrand, dessen Rede vom 20. Januar im Deutschen Bundestag eine scharfe Absage an jede Form neutralistischer Schwärmerei und einer falschen Einschätzung der sowjetischen Politik war, hat vor wenigen Tagen in einem Fernsehinterview einige Merksätze gesagt, die das volle Einverständnis mit uns markieren mit einer Politik der Festigkeit und zugleich der Dialog- und Verhandlungsbereitschaft. Ich zitiere Mitterrand:
    Man muß reduzieren. Bis zu welchem Punkt muß man reduzieren?
    Er geht dann auf seine Rede hier im Bundestag ein und sagt:
    Verhandelt auf dem niedrigstmöglichen Niveau der Waffen für eure Sicherheit! Aber bewahrt das Gleichgewicht; denn wenn es kein Gleichgewicht mehr gibt untereinander, dann steht der Krieg vor den Toren.
    Ich würde sehr wünschen, daß sich viele Sozialdemokraten diesen Satz noch einmal überlegen, noch einmal bedenken. Ich würde damit die Hoffnung verbinden, daß sie dann entsprechende Schlüsse ziehen, die allerdings mit ihrer gegenwärtigen Politik nicht in Übereinstimmung zu bringen wären.
    Das ist auch klar. Mitterrand hat ebenfalls vor wenigen Tagen einen „erstaunlichen Mangel an Logik" bei den deutschen Sozialdemokraten vorgefunden.

    (Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: Die sind blind und taub!)

    In Belgien — auch das sollten wir heute nicht vergessen — hat die dortige Kammer mit 116 zu 84 Stimmen der Regierung das Recht bestätigt, amerikanische Mittelstreckenraketen aufzustellen.
    In Italien hat das Parlament mit 351 zu 219 Stimmen ebenfalls einen positiven Beschluß gefaßt, und Craxi hat — in voller Übereinstimmung mit seiner ganzen Regierung, mit Sozialisten, Christlichen Demokraten, Sozialdemokraten, Republikanern und Liberalen —

    (Horacek [GRÜNE]: Und Neofaschisten!)

    nachdrücklich das Bekenntnis zum Doppelbeschluß und zur nunmehrigen Stationierung bekräftigt und mit aller Entschiedenheit hinzugefügt, daß sich Italien durch keinerlei Drohung von seiner Auffassung und seinem Wort abbringen lasse.
    Das britische Parlament hat mit großer Mehrheit die Voraussetzungen für die Stationierung der Marschflugkörper geschaffen.
    Auch das Europäische Parlament in Straßburg, das wir allesamt deshalb loben sollten, weil es sich endlich einmal einer entscheidenden außenpolitischen Frage nicht nur in Fragestunden, sondern auch in einer gründlichen Debatte angenommen hat,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    hat mit starker Mehrheit entschieden. Dort bestand die Mehrheit aus Christlichen Demokraten, Liberalen, britischen Konservativen und zahlreichen Gaullisten. Es gab eine teilweise Stimmenthaltung der französischen und der italienischen Sozialisten. Die Entscheidung fiel gegen die deutschen Sozialdemokraten,

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)




    Dr. Marx
    die von den Kommunisten und den Einheitsproletariern unterstützt worden sind.
    Natürlich ist auch von uns hier niemand entzückt — ich muß das nicht noch einmal sagen, aber vielleicht sollte ich es einmal unterstreichen, weil es vor allem der Bundeskanzler in seiner heutigen Regierungserklärung und der Bundesaußenminister heute eindrucksvoll gesagt haben — über Raketen, über ein Mehr von Raketen. Aber, meine Damen und Herren, wir möchten das Arsenal an Vernichtungswaffen, wie Sie wissen, nicht vergrößern, sondern verringern, allerdings nur dann, wenn auf beiden Seiten und gleichzeitig und vergleichbar und gegenseitig kontrolliert diese Abrüstung stattfinden kann.

    (Burgmann [GRÜNE]: Das hören wir schon seit 20 Jahren!)

    Da in der Politik der Wille zwar viel zählt, er sich aber nach den Gegebenheiten ausrichten muß, zwingt uns die Intransigenz der Sowjets, zwingt uns deren absurdes Vertrauen auf die psychologische Macht angehäufter Waffen, das Notwendige zur Abschreckung für unsere Sicherheit zu tun.
    Bevor ich diesen Teil abschließe, möchte ich noch einmal den französischen Ministerpräsidenten zitieren, der vor wenigen Tagen zu einem Journalisten, der ihn gefragt hat, warum er eigentlich auf dieser Position steht, sagte, weil er eingesehen habe, daß sich drüben die Raketen und hier die Pazifisten befänden, und das könne wohl nicht die richtige Mischung für die gemeinsame europäische Sicherheit sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Bemerkung zur sowjetischen Politik machen; denn ich denke, jedermann von uns, der sich seit dem Besuch Gromykos im November 1979 hier in Bonn die sowjetische Presse betrachtet und gehört hat, was jeden Tag in Radio Moskau durch Nowosti, durch TASS usw. gesagt wird, der weiß doch, daß man dort alle Aktionen auf einen einzigen Punkt konzentriert. Dies ist das entscheidende Ziel, und das heißt: Keine einzige neue amerikanische Waffe nach Europa und daraufhin — das ist ein Teil dieses Konzeptes — mehr und mehr die Amerikaner und die Europäer, die Amerikaner und die Deutschen auseinanderdrängen, weil es natürlich leichter ist, mit einem Europa, das erpreßbar ist, fertig zu werden, ohne den amerikanischen Schutz, als mit einem Europa, das sich fest im Bündnis befindet!
    Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen, man kann sagen: ziemlich genau nach dem verbrecherischen Abschuß der südkoreanischen Verkehrsmaschine, ist die Sprache der Sowjets nicht nur insgesamt noch härter, noch grober, noch ordinärer geworden. Wenn ich höre, daß es im Westen Leute gebe, die ihre Politik nach „kannibalistischen Instinkten" organisieren, dann sehe ich, wes Geistes Kind diese Art Propagandisten sind. Aber diese Sprache ist auch martialischer geworden, und es drängen sich, wie jedermann beobachten kann, immer mehr tonangebend hohe militärische Führer dort in den Vordergrund. Es mag an der bis jetzt ungeklärten Machtverteilung in der obersten Nomenklatura liegen, daß sich die sowjetischen Aktionen im Zusammenhang mit den Genfer Abrüstungsdiskussionen und die sowjetischen Reaktionen auf die zahlreichen amerikanischen Angebote so merkwürdig starr und so wenig flexibel ausnehmen.
    Herr Kollege Mischnick hat soeben, wie ich glaube, in sehr eindrucksvoller Weise von den vielfältigen Formen von Beeinflussung und Druck gesprochen, denen zahlreiche Abgeordnete dieses Hauses in den letzten Wochen ausgesetzt wurden und die sich gestern und heute in verschärfter Form fortgesetzt haben. Ich spreche, wenn ich Druck sage, nicht von den zahlreichen Briefen und Telegrammen, ich spreche nicht von der Sorge und den Bedenken, die uns viele vortragen und von denen wir ein gerüttelt Teil auch übernehmen. Ich will auch nicht von jenen von fremder Hand vorfabrizierten Schreiben mit ihren gestanzten Angstformeln sprechen, die oft in hysterischen Wendungen das Weltende als unmittelbar bevorstehend wähnen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Alles gelenkt!)

    Nein, ich will mich an jene wenden, die uns unterstellen, wir bereiteten einen Krieg vor und wir verachteten, wir liebten nicht den Frieden.
    Ich darf ein persönliches Wort sagen. Ich bin Angehöriger einer Generation, von der es in diesem Hause wohl nicht mehr sehr viele gibt, die Nazizeit und Krieg bewußt erlebt hat. Ich kann mich noch genau erinnern — ich habe das nicht nur in Büchern gelesen —, wie die Nazis mit ihren klopfenden Stiefeln durch unsere Straßen marschierten, wie sie die Menschen tyrannisierten und terrorisierten und wie sie die kaum gewonnene Macht zur sofortigen Errichtung einer rücksichtslosen und brutalen Diktatur und dann eines totalitären Staates nutzten. Ich selbst habe erlebt, wie im Juni 1933 die Wohnung meiner Eltern zerschlagen, mein Vater als „schwarzer Hund" und „Vaterlandsverräter" beschimpft und vom johlenden Pöbel ins Gefängnis begleitet wurde. Ich bitte mir nachzusehen, wenn ich heute bei manchem, was ich draußen höre, notwendigerweise diese Erinnerung aus meiner frühen Jugend wieder in mir fühle.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich selbst und meine Schwester haben damals an unserem eigenen Leib Bedrohung erfahren, Schläge, Verfolgungen auf dem Schulhof bis hin zur bösartigen Schikanierung durch beflissene Lehrer, was es, wie man liest, heute hin und wieder auch noch geben soll.

    (Abg. Burgmann [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)