Rede:
ID1003505300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 11
    1. die: 2
    2. Verzeihung,: 1
    3. Herr: 1
    4. Abgeordneter,: 1
    5. ich: 1
    6. möchte: 1
    7. Saalordner: 1
    8. bitten,: 1
    9. Plakate: 1
    10. zu: 1
    11. entfernen.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

    (Abgeordnete der GRÜNEN halten Abbildungen hoch)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Verzeihung, Herr Abgeordneter, ich möchte die Saalordner bitten, die Plakate zu entfernen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helmut Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Mein Freund HansJochen Vogel hat angekündigt, daß ich meine abweichende Meinung vortragen würde. Meine Meinung weicht auch deutlich ab von der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers. Und Herr Kollege Dregger braucht keine Angst zu haben, daß mich dabei die Kraft verließe. Allerdings, Herr Kollege Dregger, werde ich mich bemühen, nicht in schwarz-weiß zu malen, nicht in gut oder böse. Ich hoffe, das Haus hat noch ein Ohr für einige Zwischentöne.
    Ich möchte im Vorwege versuchen, ein Mißverständnis auszuschließen, und wende mich deshalb vorweg an viele Menschen in der Friedensbewegung, die uns zuhören, besonders an die jungen.
    Die bewegende Kraft, die in der Unruhe und in der gemeinschaftlich erlebten Unruhe vieler unserer Mitbürger erkennbar geworden ist, muß als Ansporn und auch als moralische Verpflichtung verstanden werden. Es handelt sich um eine große und positive moralische Kraft.

    (Beifall bei der SPD — Vorsitz: Präsident Dr. Barzel)

    Und wir müssen uns der Gefahr bewußt sein, daß die von den Schrecken eines nuklearen Holocaust geängstigten Bürger bald nicht mehr verstehen können, warum sich Verhandlungen über praktische Abrüstungsschritte über endlose Jahre hinziehen.
    Dies sind Worte, die ich vor anderthalb Jahren vor den Vereinten Nationen im Zuge einer langen Rede gesprochen habe. Ich kann meine Meinung heute nicht ändern.
    Ich habe in diesem Jahre viele Male vielen amerikanischen Zuhörern gesagt, welch große Belastungen mein Volk im Geiste der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa auf sich genommen hat. Ich habe die Bundesrepublik Deutschland verglichen mit dem Staate Oregon. Sie haben beide ungefähr dieselbe Größe, was das Territorium angeht. In Oregon allerdings leben weniger als 3 Millionen Menschen, in der Bundesrepublik über 60 Millionen Einwohner. Dazu kommen hier bei uns 500 000 unserer eigenen Soldaten, eine amerikanische Armee und Luftwaffe, eine französische, eine englische, ein holländisches Armeekorps, belgische Truppen, kanadische Truppen, alle diese zum großen Teil unter ausländischen Befehlshabern und unter ausländischem Oberbefehl, dazu natürlich die Wehrpflicht, die wir nicht aufgegeben haben, als andere es taten. Und dazu rund 5000 nukleare Waffen — auf diesem eng besiedelten Gebiet. Und viele von uns Deutschen — habe ich hinzugefügt — glauben — und wohl nicht zu Unrecht —, daß diese 5000 Waffen gleichzeitig 5000 Ziele für sowjetische Atomraketen sein könnten. Und nun sollen noch einmal einige nukleare Waffen dazukommen. — Dies alles gibt es in Oregon nicht und gibt es überhaupt nirgendwo innerhalb des westlichen Bündnisses.
    Ich darf Sie versichern, meine Damen und Herren, nicht nur die Bürger Oregons, sondern alle Zuhörer in den Vereinigten Staaten von Amerika, haben verstanden, daß die zusätzlichen Waffen auf deutschem Boden hier niemals Begeisterung auslösen können und daß die deutsche Friedensbewegung deshalb nur allzu verständlich ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich habe also in vielen Reden und Vorträgen vor ungezählten amerikanischen Bürgerinnen und Bürgern um Verständnis für die deutsche Friedensbewegung geworben und habe auch Verständnis gefunden. Ich habe allerdings stets und begründet hinzugefügt, warum ich selber zu anderen Ergebnissen komme.
    Ich weiß im übrigen, daß auch Menschen in der DDR und in der Tschechoslowakei Angst haben. Sie wollen nicht demnächst sowjetische nukleare SS21-Raketen und SS-22-Raketen bei sich stationiert sehen, die dann ihrerseits westeuropäische Hauptstädte in Schutt und Asche legen könnten. Sie wollen keine zusätzlichen sowjetischen Waffen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Das gilt auch für Ungarn, wo ich jüngst war und mir einen eigenen Eindruck verschaffen konnte. Das gilt für Bulgarien. Je mehr sich die beiden Weltmächte konfrontativ gebärden, um so näher rücken die Menschen im östlichen Teil Mitteleuropas und im westlichen Teil zueinander und um so näher kommen sich die Deutschen in beiden Teilen des Vaterlandes.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Es sind aber nicht so sehr Rüstung und Überrüstung und Nachrüstung und Nachnachrüstung, die den Frieden gefährden. Hitler war rüstungsmäßig und den Zahlen nach der Sowjetunion eindeutig unterlegen, als er seinen Vertrag mit Stalin brach und die Sowjetunion angriff. Weniger Rüstung vergrößert nicht notwendigerweise die Chance des Friedens.
    Sondern nur durch eine Politik des gegenseitigen Verstehenwollens,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    durch eine Politik des tatsächlichen gegenseitigen Verstehens, durch eine Politik der Partnerschaft — der Partnerschaft zur Friedenssicherung, jawohl! — nur dadurch wird die Friedenschance vergrößert und der Krieg vermieden.
    Dazu gehört dann auch, daß wir das Vertrauen auch innerhalb des Westens nicht gefährden oder gar zerstören. Wir dürfen auch innerhalb des Westens keine Glaubenskriege gegeneinander führen. Ich jedenfalls kann in keinem Fall eine idealistische Moralität akzeptieren, die Menschen mit ande-



    Schmidt (Hamburg)

    rer, mit begründeter anderer Meinung als moralisch zweitklassig herabsetzt oder gar bekämpft.

    (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Ich weiß: ideale, absolut gesetzte Ziele, absolut gesetzte ideale Lösungen, das ist deutsche Tradition. Aber idealistischer Wille zum Frieden ist allein noch überhaupt kein Rezept zum Frieden, ist allein noch keine Politik zum Frieden, sondern die Leidenschaft zum Frieden muß mit der Leidenschaft zur politischen Vernunft gekoppelt werden,

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    muß mit dem Willen zum Kompromiß gekoppelt werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Ich weiß, daß Kompromisse nie — fast nie — idealistischer Zielsetzung entsprechen können. Unsere Jugend darf aber nicht dazu verführt werden, die Menschen auf der Welt in Freunde oder Feinde einzuteilen. Es ist schon schlimm genug, wenn in anderen Staaten der Welt, in großen Staaten der Welt, die Menschen in weiß oder schwarz eingeteilt werden, in Freund oder Feind. Wir dürfen daran keinen Anteil haben.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Hier ist gegenwärtig viel von Widerstand die Rede. Das Wort „Widerstand" ist in Deutschland vornehmlich verbunden mit dem mit Risiko für das eigene Leben verknüpften Versuch, Hitler zu bekämpfen, oder ihn zu beseitigen. In diesem Sinne sollte wirklich heute von Widerstand gegen den Beschluß, den diese Bundestagsmehrheit morgen fassen will, nicht gesprochen werden.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Auch im Sinne von Art. 20 Abs. 4 unseres Grundgesetzes kann keineswegs von einem Recht auf Widerstand, auf Blockade oder Belagerung des Bundestags geredet werden. Der Bundestag hat vielmehr seine verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten ungehindert wahrzunehmen.

    (Beifall bei der SPD und der FDP)

    Der von der CDU/CSU und der FDP beabsichtigte Beschluß, deren Begründungen mir zum großen Teil wirklich nicht gefallen haben, greift nicht die verfassungsmäßige Ordnung oder die Demokratie schlechthin oder die unabhängige Rechtsprechung an. Vielmehr kann ja eine andere verfassungsmäßige Mehrheit später durchaus andere Beschlüsse fassen. Ebenso bleiben die Befugnisse des Verfassungsgerichts in Karlsruhe völlig unberührt.
    Wir Älteren sind verpflichtet, den Jüngeren zu sagen: Demokratische Mehrheitsentscheidungen können durchaus auch falsch sein. Wir sind auch verpflichtet, den Jüngeren zu sagen, daß sich demokratische Bewegungen irren können. Wir alle begingen einen Irrtum und einen Fehler, wenn wir nicht erkennten: Die Kriegsgefahr, von der die Rede ist — wenn es sie denn gibt, dann geht sie aus von dem heute kaum noch gebremsten Konkurrenzverhältnis zwischen zwei Gesellschafts- und Staatssystemen, sie geht aus von konfrontativen Reden und Gebärden auf beiden Seiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich zögere nicht zu sagen, daß nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington in den letzten Jahren einige schlimme Reden gehalten und schlimme Drohungen ausgestoßen worden sind.
    Ich denke, ich verstehe den Urgrund der Angst sehr wohl, denn die verbale Konfrontation zwischen Ost und West scheint eben nicht nur Konfliktbereitschaft, sondern sogar Kriegsbereitschaft zu signalisieren. In Wahrheit allerdings ist diese Kriegsbereitschaft auf keiner der beiden Seiten vorhanden, weder im Westen noch im Osten. Im Gegenteil, bisher hat uns Europäer das Gleichgewicht des nuklearen Schreckens davor bewahrt, in einen der vielen, der ungezählten Kriege hineingezogen zu Weden, die seit 1945 jeden Tag Menschen haben sterben lassen, die insgesamt viele Millionen Menschen haben sterben lassen.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Ich verstehe als Urgrund der Angst erstens den zunehmenden — mit dem Generationswechsel immer mehr zunehmenden — Verlust an nationaler Identität durch die Teilung unserer Nation.

    (Zustimmung bei einzelnen Abgeordneten der CDU/CSU)

    Zweitens verstehe ich als Urgrund den mir sehr sympatischen Willen, die Fehler der Urgroßväter und Großväter nicht zu wiederholen, die den Ersten Weltkrieg nicht haben verhindern können, und die Fehler der Großväter und Väter nicht zu wiederholen, die den Zweiten Weltkrieg nicht haben verhindern können.

    (Beifall bei der SPD)

    Trotzdem müssen die Redner der GRÜNEN oder der Friedensbewegung sich selbst zur Rationalität bringen oder zwingen. Meine Damen und Herren, unsere europäischen Nachbarn, die im Westen und die im Osten, dürfen von uns nicht in die Lage gebracht werden, uns Deutsche abermals als unberechenbar oder unzuverlässig anzusehen. Dann begänne die wirkliche Gefahr.

    (Beifall bei der SPD und der FDP — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Ist das die „berechenbare Drohung", an der wir teilhaben?)

    Ebenso wenig dürfen wir in die Lage kommen, uns — wenn auch ganz gewiß ungewollt — sowjetischen Wünschen anzupassen. Es sind ja nicht amerikanische Friedensforscher, die innerhalb ihres Heimatlandes in eine bestimmte Stadt — weit weg von der Hauptstadt — verbannt worden oder ins Gefängnis geworfen worden sind,

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    sondern es sind vielmehr russische Menschen in
    ihrem eigenen Vaterland und in anderen osteuropäischen Vaterländern, weil sie von der Meinung



    Schmidt (Hamburg)

    der sowjetischen Führung abweichen. Es ist nicht der Westen, sondern der Osten, der z. B. die Demonstrationsfreiheit unterbindet.
    Was nun die Rüstungsbegrenzungsverhandlungen mit der Sowjetunion angeht, so stehe ich auf dem Standpunkt meines Freundes James Callaghan, der gesagt hat: Genauso wenig, wie ein Gewerkschafter dies bei Lohnverhandlungen tun würde, genauso wenig darf der Westen im Vorwege seine Karten oder seine Hebel aus der Hand geben.
    Als ich im Sommer 1980 in Moskau das versammelte Politbüro zu Verhandlungen über eurostrategische Waffen bewegte, habe ich nicht geblufft, sondern deutlich gemacht: Wenn Verhandlungen und Vertrag nicht erreichbar seien, dann würden nach der vorangegangenen weitgehenden Stationierung von sowjetischen SS-20-Raketen in Osteuropa auch amerikanische Stationierungen in Westeuropa unvermeidlich, und ich würde mich dann dafür einsetzen. — Ich habe meine Meinung nicht geändert.
    Mein erster Grund für die Stationierung heute ist: Die Bundesrepublik muß ihr Wort halten — trotz aller Enttäuschungen —,

    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

    Wort halten sowohl gegenüber unseren Verbündeten als auch gegenüber der Sowjetmacht.
    Der zweite Grund: Das politische Gleichgewicht würde nachhaltig gestört werden, wenn sich die Sowjetunion mit ihrer einseitigen, völlig unprovozierten Vorrüstung durchsetzte; denn eine tiefgreifende politische Krise unseres Bündnisses würde unvermeidlich.
    Ich habe den Völkern der Sowjetunion, ich habe der sowjetischen Führung niemals Kriegsabsichten unterstellt. Ich tue das auch heute ganz gewiß nicht. Aber ich habe immer wiederholt, daß von ihren beinahe 250 auf Westeuropa gerichteten neuen Mittelstreckenraketen — jede mit drei Sprengköpfen — und den weiteren über hundert, die auf die asiatischen Staaten gerichtet sind, eine schwere psychologisch-politische Bedrohung der Entschlußfreiheit von über 50 nicht-nuklearen Staaten der Welt ausgeht, Staaten, die im Schatten dieser Drohung leben müssen.
    Ich habe meinen sowjetischen Gesprächspartnern auch immer gesagt, es habe an der Spitze der Sowjetunion nicht nur kühle Schachspieler gegeben. Es hat auch z. B. Chruschtschow gegeben, der seinerzeit England und Frankreich mit seinen damaligen Raketen gedroht hat. Dergleichen könnte irgendwann in Zukunft wiederkehren,

    (Reents [GRÜNE]: Und die USA heute?)

    z. B. bei Krisen innerhalb des Warschauer Pakts, bei Krisen im östlichen Mittelmeer, bei Krisen im mittleren Osten, bei Krisen — ich sage es ganz leise, weil ich nichts herbeirufen möchte — um Berlin oder bei Krisen innerhalb des Westens. Ich habe nie am Friedenswillen der politischen Führung der Sowjetunion gezweifelt. Aber ich habe auch nie die Breschnew-Doktrin vergessen oder übersehen.

    (Vereinzelter Beifall bei der FDP)

    Der Doppelbeschluß basiert auf der gleichen, auf Friedenssicherung gerichteten Vernunft, die der seit Ende 1967 für das ganze Bündnis geltenden doppelten Gesamtstrategie unseres Bündnisses zugrunde liegt. Diese doppelte Philosophie der Gesamtstrategie, diese Doppelphilosophie à la Harmel, lautete, zusammengefaßt,
    zum einen: ausreichende politische Solidarität und militärische Stärke des Westens, um von Angriffen und politischer Nötigung abzuschrecken und um notfalls gemeinsam die Territorien der Bündnisgenossen zu verteidigen;
    und zum anderen: Bemühung um Fortschritte in Richtung auf Entspannung und dauerhafte Friedensordnung in Europa.
    Ich habe all die Schlüsselworte des damaligen Atlantikratsbeschlusses zitiert. Dies war übrigens die Geburtsstunde, in der Entspannung durch gemeinsamen Beschluß aller Bündnispartner in den Rang der Gesamtstrategie erhoben wurde.
    Der Doppelbeschluß zwölf Jahre später hat sich ganz ausdrücklich — man kann es nachlesen — auf diese doppelte Philosophie berufen.
    Herr Bundeskanzler, es wird Zeit, daß die gegenwärtige Bundesregierung im NATO-Rat Anfang kommenden Monats alle Bündnispartner erneut an diese Gesamtstrategie erinnert und sie erneut darauf festlegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will einräumen: Auch bei mir gibt es durchaus Zweifel, die nachbleiben, nicht nur weil an der Spitze der Weltmächte Personen gewechselt haben und weiterhin wechseln werden, sondern auch deshalb, weil offensichtlich im Handeln von Politikern im Überschwang ihrer innenpolitischen Auseinandersetzungen auch dann die Rationalität verlorengehen kann, wenn es gar nicht gewollt ist.
    Es war z. B. irrational, daß die sowjetische Führung nach dem Abschuß des koreanischen Flugzeugs, der 250 Tote zur Folge hatte, erstens versucht hat, den Abschuß zu leugnen; zweitens, als das nicht mehr ging, daß die militärische Führung ihn sodann öffentlich gerechtfertigt hat; und drittens, als es gar nicht mehr anders ging, daß dann drei Wochen später auch die politische Führung, der so lange die Sprache verschlagen war, ihn gerechtfertigt hat.
    Ein Wort zum gegenwärtigen Verhandlungsstand in Genf. Die nervösen, sich gegenseitig widersprechenden Tatarenmeldungen über jüngste Bewegungen, aus Genf oder Moskau oder Washington, sind wohl zum überwiegenden Teil auf die Parteitage des letzten Wochenendes und auf die gegenwärtige Bundestagssitzung gezielt gewesen. Zeitweise schien es mir sogar so — aber ich bin dessen nicht sicher —, als ob auch die Bundesregierung einen Augenblick darauf hereingefallen wäre.



    Schmidt (Hamburg)

    Tatsache bleibt: Zum einen beharrt die sowjetische Seite nicht mehr auf 243 europäischen SS-20Raketen, jede mit drei Sprengköpfen, wohl aber beharrt sie auf mindestens 120 bis 140 dieser Waffen. Sie fordert aber immer noch, die USA sollten in Europa bei 0 Raketen und bei 0 Cruise Missiles bleiben.
    Zum anderen verlangen die Amerikaner nicht mehr länger, daß die Sowjets ihrerseits bei den SS20-Raketen wieder auf 0 gehen sollen; sie billigen den Sowjets offenbar heute 140 Stück zu, wobei mir unklar ist — ich kann mich nur aus Zeitungen informieren —, ob das für Europa oder für Europa und Asien zusammen gelten soll. Die Amerikaner verlangen nicht mehr länger, daß die Russen auf 0 gehen, sondern 140 werden ihnen zugebilligt; aber die Amerikaner verlangen für sich selbst ebenso 140 Mittelstreckenwaffen, darunter auch Pershing.
    Mit anderen Worten: Beide haben sich gegenüber ihren maximalen Ausgangspositionen wesentlich bewegt. Aber keine der beiden Seiten hat sich ausreichend bewegt; sie sind noch nicht zusammen. Übrigens ist der zweite Teil des heutigen Beschlußantrags von CDU/CSU und FDP schon aus diesem Grunde abzulehnen, weil dort behauptet wird, die USA und ihre Verbündeten hätten in Genf „größte Anstrengungen" gemacht. Keine der beiden Seiten hat bisher größte Anstrengungen gemacht!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Ich lehne Ihre Entschließung, Herr Dregger und Herr Mischnick, übrigens auch deshalb ab, weil sie jede klare Zurückweisung der Auffassung des Parteivorsitzenden der CSU vermissen läßt, wonach der Verhandlungsteil des Doppelbeschlusses von vornherein ein Geburtsfehler gewesen sei.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn der erste Teil Ihrer Entschließung so interpretiert wird, wie es der Herr Kollege Waigel soeben getan hat, nämlich daß der Doppelbeschluß ein „Eingeständnis des Scheiterns der Politik der Entspannung" gewesen sei, dann tut es mir leid, daß der Herr Kollege Mischnick seinen Namen daruntergesetzt hat.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Es liegen also gegenwärtig — ich zitiere wörtlich — keine konkreten Verhandlungsergebnisse vor. Wohl aber gab es im Sommer des vorigen Jahres ein erstaunlich konkretes Sondierungsergebnis. Ich rede von dem berühmten Spaziergang im Walde. Danach sollten die Sowjets nur noch 75 dieser SS20-Raketen behalten, der Westen sollte ganz auf Raketen verzichten, wohl aber 75 Cruise Missiles aufstellen können.
    Beide Weltmächte haben diese sondierte Formel ihrer beiden Chefunterhändler abgelehnt. In meinen Augen war dies nach der ungeheuren und ungeheuer kostspieligen sowjetischen SS-20-Vorrüstung der zweite schwere Fehler der Sowjetunion. Wenn es stimmte, was sie behauptet, daß die amerikanischen Pershing eine besondere Gefährdung für sie darstellten, so hätte die Sowjetunion diese Formel annehmen müssen, und die Reduzierung ihrer eigenen Raketenzahl auf ganze 75 hätte ihr immer noch viel mehr dieser Raketen belassen, als sie etwa im Mai 1978 besaß, als der sowjetische Generalsekretär Breschnew hier in Bonn zu Besuch war und mir gegenüber feststellte, nach seiner Auffassung bestehe doch ein ungefähres Gleichgewicht. Ich habe dem damals widersprochen und wir haben seine Feststellung auch nicht gemeinsam niedergelegt. Wir haben vielmehr gemeinsam gesagt, es müsse ein ungefähres Gleichgewicht angestrebt werden. Das Ergebnis des Waldspaziergangs gestand ihnen ungefähr doppelt so viele SS-20-Raketen zu, wie Breschnew im Mai 1978 besessen hatte.
    Auch die Amerikaner haben durch die Ablehnung dieses Sondierungsergebnisses einen erheblichen Fehler gemacht. Beide Weltmächte mußten wissen und müssen weiterhin wissen, daß nur auf dem Kompromißwege ein Ergebnis erreicht werden kann. Die USA haben gleichzeitig noch einen zweiten Fehler begangen, der in meinen Augen sehr schwer wiegt, weil er das Verhältnis innerhalb unseres Bündnisses berührt. Sie haben die Verbündeten und die Stationierungsländer im Sommer 1982 weder von der Tatsache dieses Sondierungsergebnisses noch von der Ablehnung durch die USA informiert, noch haben sie die Verbündeten und die Stationierungsländer vor dieser Ablehnung konsultiert. Zum Beispiel habe ich in den restlichen zehn Wochen bis zur Amtsübergabe an Herrn Bundeskanzler Kohl von der ganzen Sache nichts gewußt.
    Ich will mich hier nicht weiterhin auf Schelte der Weltmächte einlassen. Wesentlich ist mir an dieser Stelle ein Vorwurf an die Bundesregierung. Ihnen, Herr Bundeskanzler, sind der Waldspaziergang und die Ablehnung der dort gefundenen Formel durch beide Weltmächte gleichfalls erst sehr verspätet bekanntgeworden. Ich denke aber, Sie hätten sodann energisch, tatkräftig, zugleich natürlich umsichtig reagieren müssen,

    (Beifall bei der SPD)

    denn jene Formel lag doch im deutschen Interesse. Sie diente dem Gleichgewicht. Sie ließ die Bundesrepublik Deutschland nicht in eine Isolierung gegenüber sowjetischer Bedrohung geraten. Sie haben keine dringenden und drängenden, schon gar keine sichtbaren oder hörbaren Anstrengungen unternommen, keine Arbeitsbesuche zu diesem Thema, zunächst in Washington und dann in Moskau. Es gab keine Entschließungen des Bundestages oder der Mehrheit im Bundestag, keine Einberufung des Ministerrats, keine Einschaltung der europäischen Verbündeten. Ihre Diplomatie hätte auf Hochtouren laufen müssen!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Die Rücksicht auf unseren Hauptverbündeten, die USA, hätte Sie davon nicht abhalten brauchen. Als ich z. B. im Sommer 1980

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie, natürlich!)

    — es wird j a wohl die Geschichte hier vorgetragen werden dürfen, Herr Kollege —

    (Beifall bei der SPD)




    Schmidt (Hamburg)

    die sowjetische Führung zu Verhandlungsbereitschaft bewegen konnte, geschah das nach Vorbereitung durch den damaligen französischen Präsidenten Giscard d'Estaing, der Herrn Breschnew wenige Wochen vorher in Warschau getroffen hatte. Wir haben dabei beide — sowohl Giscard wie der deutsche Bundeskanzler — keine übertriebenen Rücksichten auf amerikanisches Abraten von solchen Treffen genommen. Das brauchten wir auch nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich anerkenne Ihren guten Willen zur Stetigkeit, zur Kontinuität. Je weniger Sie aber handeln, desto schwächer wird diese Kontinuität

    (Beifall bei der SPD)

    und desto schwächer wird die deutsche Position sowohl in Washington als auch in Moskau.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie berufen sich gern auf Altbundeskanzler Adenauer. Sie haben es heute wieder getan. Adenauer allerdings hatte den Mut zur Auseinandersetzung mit zwei amerikanischen Präsidenten. Bundeskanzler Erhard hatte jedenfalls den Instinkt zu solcher Auseinandersetzung, wenngleich er sich bei dem Besuch auf der Ranch in Texas nicht hat durchsetzen können.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Bundeskanzler Brandt hat Präsident Nixon für die Zustimmung zu unserer Ostpolitik gewinnen können, und das war weiß Gott nicht einfach.

    (Beifall bei der SPD)

    Ehe Sie sich auf solchen Versuch einlassen, Herr Bundeskanzler, sollten Sie lesen, woran Sie sich wahrscheinlich ohnedies erinnern, was Bundeskanzler Adenauer — er war damals schon außer Diensten — auf dem CDU-Parteitag 1966 über den Umgang mit der Sowjetunion gesagt hat. Es war in einer Zeit, in der der Außenminister, der von mir sehr geschätzte Kollege Gerhard Schröder, den Mut zur Friedensnote hatte. Dies wurde ja, wenn man es geschichtlich betrachtet, der erste, noch sehr bescheidene Anfang dessen, was später an Ostpolitik entfaltet worden ist.
    Herr Bundeskanzler, in alle Welt zu reisen, fast überall mit der Versicherung voller Übereinstimmung zurückzukehren ist allein noch kein außenpolitisches Konzept.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)

    Wir wollen unser deutsches Gewicht keineswegs überschätzen — wir stehen ja auch keineswegs in der Mitte; wir stehen auf einer Seite, auf der westlichen Seite —, aber Sie sind im Begriff, die Spielräume deutscher Politik zu vergeben. Sie müssen nicht Makler sein, schon gar nicht Parlamentär; aber Deutschland erwartet von Ihnen, daß Sie handeln! Es scheint mir angesichts der bisherigen Versäumnisse nicht möglich, Ihnen heute oder morgen eine Blankovollmacht zu geben.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie geben viel auf Adenauer. Adenauer hat am Ende seines Lebens — nicht nur einmal — die Sowjetunion — ich zitiere ihn — „in die Reihe der Völker eingereiht, die den Frieden wollen". Ich finde, man muß den Friedenswillen der Russen nicht nur ernst nehmen, sondern man muß die Russen beim Wort nehmen. Übrigens: Man soll auch Walter Scheel ernst nehmen, der als Bundespräsident gesagt hat: Die Politik der Entspannung muß sich darin bewähren, das Gespräch miteinander — mit Moskau, ist hier gemeint — auch dort zu suchen und fortzusetzen, wo gegensätzliche Auffassungen und Interessen aufeinanderstoßen.
    Wir müssen wissen: Die Russen haben auch ihrerseits Angst. Die Russen haben Angst vor den Chinesen, vor der Volksrepublik China. Sie haben Angst vor Amerika. Sie haben auch — mir ist dies durchaus verständlich — Angst vor den Deutschen.

    (Rühe [CDU/CSU]: Wieso ist das verständlich?)

    Sie wollen gewiß den Frieden, aber sie bleiben trotzdem eine expansionistische Macht. Ich denke an ihre Unterstützung des vietnamesischen Imperialismus in Kambodscha oder Laos, ich denke an Südjemen oder Äthiopien, Kuba oder Angola, ich denke an den Krieg in Afghanistan. Sie bleiben eine expansionistische Macht. Manchen Handlungsweisen und Aggressionen, die ich soeben genannt habe, liegt ein weit übertriebener Einkreisungskomplex und Sicherheitskomplex zugrunde. Die Drohung, in Mitteleuropa nunmehr SS 22 zu stationieren und damit nicht nur Bonn, sondern auch Paris und London und Den Haag und Brüssel und Kopenhagen zu bedrohen, entspringt diesem völlig übertriebenen Sicherheitskomplex.
    Der Komplex ist mir nach den unvorstellbaren Leiden, die die Völker Rußlands im Zweiten Weltkrieg erlitten haben, durchaus begreiflich, aber er ist und bleibt irrational. Das Streben der Sowjetunion nach absoluter Sicherheit gegenüber jedermanp in der Welt und gegenüber allen anderen zusammen führt zu immer größerer Unsicherheit für die übrigen.
    Ich habe von 1969 bis 1982 sehr, sehr viele Gespräche mit Herrn Breschnew, Herrn Kossygin, Herrn Tichonow, Herrn Gromyko und Herrn Ustinow gehabt. Ich weiß, daß die Russen rationale Gegenvorstellungen verstehen, schließlich sind die meisten von ihnen wirklich Schachspieler. Aber wenn Adenauer recht hatte, daß sie vor allem Deutschland locken wollen — verlocken wollen, hat er gemeint —, dann ist es besonders wichtig, diese Schachspieler erfahren zu lassen, wie sehr wir zu Kooperation und Entspannung bereit sind, aber sie auch erfahren zu lassen, daß wir unsere Sicherheit nicht von ihnen abhängig machen können.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

    Herr Bundeskanzler Kohl, zur Zeit des Kanzlers Brandt, auch zu meiner Zeit, waren wir Deutschen in Moskau die wichtigsten Gesprächspartner inner-



    Schmidt (Hamburg)

    halb Europas, heute sind wir nur noch wichtigstes Ziel für psychologischen und politischen Druck.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Wann begann denn die Stationierung? Doch zu Ihrer Zeit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Sie müssen sich bemühen, Terrain zurückzugewinnen. Sie müssen sich bemühen, die doppelte Zielsetzung der Gesamtstrategie à la Harmel wiederherzustellen. Dazu gehört eben auch — und ich unterstreiche mit Zustimmung die jüngsten Aktivitäten der Bundesregierung auf diesem Felde — die Wirtschaftskooperation mit der Sowjetunion, mit der DDR.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Aha!)

    — Ich habe doch gesagt „mit Zustimmung". Ich würde nicht zuviel Zwischenrufe machen, sonst erinnern Sie mich daran, die Frage aufzustellen: Was hat eigentlich — wenn ich an den Kredit an die DDR denke — aus dem konfrontativen Saulus inzwischen einen kooperativen Paulus gemacht?

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    Ich nehme an, es war gerade noch rechtzeitig, daß sich hier jemand angepaßt hat an die wirkliche Welt und nicht an die eingebildete.
    Ich bin für Wirtschaftskooperation, natürlich auch mit der DDR und den übrigen Staaten OstMitteleuropas. Ich gehe noch einen Schritt weiter, ich spreche einen Gedanken aus, der mich schon immer beherrscht hat: Man muß sogar ökonomische Interdependenzen willentlich schaffen.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP)

    Neben dieser Kooperation zum wirtschaftlichen Fortschritt auf beiden Seiten steht die Kooperation zur Abrüstung und zur Entspannung. Rüstungsbegrenzung verhindert nicht direkt die Kriegsgefahr
    — ich sage es noch einmal —, kann aber neues Anfangsvertrauen schaffen.
    Zu der Gesamtstrategie des Westens gehört auch die militärische Strategie. Das ist sozusagen eine Unterabteilung, nicht die Hauptabteilung, eine der mehreren Unterabteilungen. Die militärische Strategie der flexible response bedarf neuer Ausprägung. Wir müssen weg von immer größeren Raketen- und Nuklearbudgets. Wir brauchen statt dessen bessere konventionelle, nichtnukleare Verteidigung. Ich habe am Wochenende ausführlich darüber gesprochen und beziehe mich darauf. Nur eines will ich wiederholen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Das war aber nicht hier!)

    — Es liegt in Ihrem Fach, Sie können es finden. — Eines der wichtigsten Prinzipien zukünftiger militärischer Strategie wird sein, daß man einen Dritten, einen Adressaten der eigenen Militärstrategie von dem Willen zu ihrer Durchführung nicht wird überzeugen können, wenn man nicht zuvor die eigene öffentliche Meinung überzeugt hat. Ich nenne
    dies das in Zukunft notwendig werdende Prinzip der Akzeptanz militärischer Strategie.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP)

    Es muß im Laufe der 80er Jahre dahin gebracht werden, daß die Entscheidung darüber, ob in einer bestimmten Lage jemand als erster eine sogenannte taktische nukleare Waffe gebraucht, dieser Zwang zur Entscheidung der anderen Seite zugeschoben werden muß. Ich weiß, daß dies gewaltige Veränderungen auf unserer Seite notwendig macht, und ich weiß, daß es nicht einfach durch einen Parlamentsbeschluß dahin gebracht werden kann.
    Am wichtigsten scheint mir, daß die Allianz zum Konsultationsprinzip zurückkehrt, zu dem Prinzip, daß die Regierungen gemeinsam miteinander beraten, ehe Entscheidungen getroffen werden, die alle hinterher gemeinsam tragen sollen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das gilt für Europäer und Kanadier in gleicher Weise.
    Jochen Vogel hat mit Recht gesagt, daß die Wirtschaftspolitik der verbündeten Staaten ebenso sehr dringlich ernsthafter Konsultation bedarf. Sie ist im Atlantikpakt vorgesehen gewesen. Sie wird um so wichtiger, als die ökonomische Strukturkrise der ganzen Welt heute eine strategische Qualität, eine gesamtstrategische Qualität erreicht hat.
    Die Arbeitslosigkeit in Europa steigt. Die Arbeitslosigkeit in allen Staaten der Welt steigt, außer in den USA. Der Hunger in den Entwicklungsländern steigt. Die wirtschaftliche Destabilisierung wird an vielen Stellen zur sozialen Destabilisierung und sodann zur politischen, auch zur außenpolitischen Destabilisierung führen. Die Besetzung der FalklandInseln durch die argentinische Militärregierung war ein Beispielsfall für das, was ich eben ausgeführt habe.
    Aus europäischer Sicht gibt es vier Krisen gleichzeitig, die mich gegenwärtig bedrücken. Da ist zum einen diese ökonomische Strukturkrise der Welt. Da ist zweitens insbesondere die Schuldenkrise der Entwicklungsländer, ganz leise: die zugleich eine Krise der westlichen Gläubigerbanken werden könnte. Klammer zu!

    (Zischen bei der CDU/CSU)

    Jemand, der das nicht glaubt, soll einen Bankier befragen, wenn er einen kennt.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wir haben es drittens mit einer Krise der Europäischen Gemeinschaft zu tun. Sogar die viele Jahre lang trotz ökonomischer Krise gut funktionierende Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), die außenpolitische Zusammenarbeit, ist dabei, auf den Hund zu kommen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es gibt in der gegenwärtigen Weltlage zu all den
    wichtigen Problemen aus dem Schoße der europäi-



    Schmidt (Hamburg)

    schen außenpolitischen Zusammenarbeit keine europäischen Initiativen.
    Viertens — ich nenne diese Krise mit Bedacht an der letzten Stelle — haben wir es mit dieser OstWest- oder West-Ost-Krise zu tun.
    Wir Deutschen sind — wie viele Staaten der Welt — von all diesen vier Krisen betroffen. Dazu kommt dann noch die Sorge um den Frieden im Mittleren Osten, auch um unsere Ölversorgung aus dem Persischen Golf usw. Das bedeutet: wir sind dringend interessiert, mit den uns befreundeten und verbündeten Regierungen auf allen diesen Feldern gemeinsam am selben Strang zu ziehen. Einseitig verkündete, weltweit sich auswirkende Maßnahmen — Embargopolitik z. B. — stehen im Gegensatz zu Geist und Buchstaben des Vertrages, der unserem Bündnis zugrunde liegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun ist es wohl so, daß wir geteilten Deutschen noch stärker an der Friedensordnung Europas interessiert sind als die meisten anderen europäischen Völker. Um so mehr brauchen wir Deutschen Freunde und Partner in der EG, in der Allianz. Um so mehr brauchen wir Deutschen die Freundschaft und die Partnerschaft mit der amerikanischen Nation. Die amerikanische Nation ist eine junge Nation von ganz ungewöhnlicher Vitalität, von einem ganz ungewöhnlichen Optimismus, von einer herausragenden Großzügigkeit. Sie hat auf der anderen Seite niemals in ihrer Geschichte einen Krieg auf eigenem Boden erlebt, seit die Vereinigten Staaten gegründet wurden. Auch ansonsten hat sie nicht viele Jahrhunderte außenpolitischer Erfahrung mit Krieg und Frieden. Deshalb fehlt es dort oft an Verständnis für Europa.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Anti-HitlerKoalition ohne die Vereinigten Staaten nicht hätte gewinnen können, gab es ein großes und weiter wachsendes Vertrauen in Europa. Ich erinnere an die Zeit Trumans und des Marshall-Planes, an Eisenhower und an Kennedy. Es hat danach mehrere unglückliche Perioden gegeben.
    Heute gibt es auch eine Vertrauenskrise. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind dabei durchaus involviert. Es gibt ernste Fragen hinsichtlich der amerikanischen Fähigkeit zum Verstehen der geschichtlichen Erfahrung von uns Europäern, Fragen hinsichtlich des Willens der Vereinigten Staaten, europäische Interessen ausreichend ins Gewicht fallen zu lassen und die europäischen sachlichen Kompetenzen zu berücksichtigen.
    Vor ein paar Tagen schrieb Flora Lewis, eine der großen amerikanischen Journalistinnen, in der „New York Times", Präsident Reagan ängstige Europa. Ich nehme nicht an, das ganze Europa. Aber es wäre gut, wenn man sich im Weißen Hause mit diesem Dictum auseinandersetzte. Jedenfalls sollte man dort wissen: Wir Europäer wünschen nicht, daß die Menschen in schwarz oder weiß oder in gut oder böse eingeteilt werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn ich sage, daß es Amerika uns gegenwärtig manchmal schwer macht, so will ich doch auch in Erinnerung rufen, daß ich Präsident Reagan viele Male verteidigt habe, weil ich seinem Worte Glauben geschenkt habe und ihm heute noch glaube, das er Anfang 1981 zu uns sagte: er werde mit den Russen verhandeln, verhandeln, verhandeln. Es ist nicht gut, wenn wir aus seelischer Bedrängnis einseitig die Vereinigten Staaten von Amerika anschuldigen. Ihnen zuallermeist verdanken wir unsere Freiheit. Auch in Bonn, auch in London, auch in Paris werden Fehler gemacht.

    (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP)

    Dies gesagt, stimme ich ausdrücklich Richard von Weizsäcker zu, der jüngst in einem Buche geschrieben hat, eine „Grundportion echter Partnerschaft", die unentbehrlich sei, sei nur dann erreichbar,
    wenn den USA ein europäischer Partner zur Seite steht, der ihr im Vorfeld des Interessenausgleichs und der Entscheidungen als Wider-lager entgegentritt.

    (Westphal [SPD]: Sehr richtig!)

    Es gibt in Amerika eine wachsende Neigung zum „Go it alone". Auch nach den Präsidentschaftswahlen im nächsten November, wer immer sie gewinnen wird, wird ohne stärkere europäische Einwirkung kaum mehr Verständnis für die Interessen Europas, für die geopolitische Lage, für die psychologisch-politischen Notwendigkeiten Europas zu erwarten sein. Um so mehr muß Europa selbst etwas dafür tun.
    Dafür ist nun allerdings nicht nur deutsch-französische Freundschaft, die gegeben ist und für die wir alle sicher gleichermaßen dankbar sind, notwendig, sondern vor allem enge deutsch-französische tatsächliche politische Zusammenarbeit. Natürlich werden beide dabei vom Bündnis mit den Vereinigten Staaten ausgehen. Aber ohne engste tägliche Zusammenarbeit zwischen Paris und Bonn kann es keine Persönlichkeit Europa geben. So wie, de Gaulle und Adenauer — und später andere auf beiden Seiten in Paris und Bonn — außen- und wirtschaftspolitisch auf das engste zusammengearbeitet haben, so muß das auch gegenwärtig möglich gemacht werden.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es ja auch!)

    Die Engländer bleiben einstweilen immer noch in insularem Denken befangen. Herr Kollege Dregger, so ist es nicht! Wenn es das gäbe, dann hätte sich Europa längst von den Höchstzinsen, die jede Investitionstätigkeit unterbinden, gemeinsam abgekoppelt.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Bisher nimmt uns Frankreich mit seiner „force de frappe" nicht in Schutz. Die „force de frappe" ist daher für uns kein Gegengewicht gegen sowjetische Raketenbedrohung. Aber die „force de frappe", jedenfalls französiche Armee und Luftwaffe, könnten durchaus einer der drei entscheidenden Fakto-



    Schmidt (Hamburg)

    ren für eine operative deutsch-französische außenpolitische Zusammenarbeit sein.
    Der zweite Faktor könnte sein die monetäre und finanzielle Kraft der Bundesrepublik. Wir haben ja Ihnen, Herr Bundeskanzler und Herr Stoltenberg, die größten Devisenreserven der Welt hinterlassen. Die sind ja nicht nur dazu da, im Keller gehütet zu werden.

    (Beifall bei der SPD — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: Schulden!)

    — Ich fürchte, meine Damen und Herren, daß Sie im Augenblick die Legitimation zur Kritik an den GRÜNEN zu verlieren im Begriffe sind, wenn Sie sich weiterhin so aufführen.

    (Beifall bei der SPD — Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Wer seine eigene Wirtschaft von den die Investitionen strangulierenden Wirkungen der realen Höchstzinsen befreien will,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Lesen Sie mal die Tagesordnung!)

    der muß dem Europäischen Währungsfonds endlich die vorgesehene zweite Stufe hinzufügen.
    Der dritte Faktor dieser Zusammenarbeit liegt dann allerdings in dem Willen der beiden Völker, die nicht nur Freundschaft, sondern auch Zusammenarbeit wollen.
    Ich möchte am Schluß die Vorschläge zusammenfassen, die ich zum heutigen Gegenstand zu machen habe.
    Erstens. Der Nordatlantikrat sollte nächsten Monat einen Stationierungsplan über die nächsten fünf Jahre aufstellen.
    Zweitens. Für jetzt und für das Jahr 1984 genügen weit weniger als 10 % des Maximalumfangs, wobei das Schwergewicht nicht auf deutschem Boden liegen sollte.

    (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Wo denn?)

    Drittens. Der Nordatlantikrat sollte demnächst gleichzeitig den Willen zur Fortsetzung der Verhandlungen eindeutig bekunden. Das ist für die Bundesregierung heute schon geschehen.
    Viertens — auch dies ist für die Bundesregierung schon geschehen — sollte er eindeutig die Bereitschaft zur Verschrottung bekunden, sobald ein Vertrag zustande gekommen sein wird.
    Fünftens. Der Westen sollte seine Bereitschaft bekunden, den bilateralen Gewaltverzicht der Bundesrepublik und der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Staaten international auszuweiten.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich weiß: Einzelne in der Regierung haben darüber schon gesprochen.
    Sechstens. Der Westen sollte seine Bereitschaft zu einer Konferenz aller fünf Nuklearmächte zwecks einvernehmlicher Berücksichtigung und
    Einschränkung aller ihrer strategischen Waffen vorschlagen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das heißt, die westlichen Nuklearmächte Amerika, England und Frankreich sollten sich ihrerseits zur Teilnahme bereit erklären, und sie sollten die Sowjetunion und die Volksrepublik China dazu einladen. Sie wissen, daß dies ein Vorschlag von Pierre Trudeau ist.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Und Mitterrand!)

    Ich glaube, er bedarf ganz sorgfältiger Erörterung und weiterer Verfolgung.
    Siebtens. Der Nordatlantikrat muß die doppelte Gesamtstrategie im Sinne seiner eigenen Beschlüsse vom Dezember 1967 — Harmel-Philosophie — ausdrücklich wiederherstellen und wiederholen.
    Es mag darüber hinaus zweckmäßig sein, wenn einer der neutralen Regierungsschefs in Europa die damaligen Teilnehmer der Helsinki-Konferenz persönlich zu einer Zusammenkunft einlädt. Es könnte nützlich sein, den Entspannungsgedanken von denjenigen wieder aufnehmen zu lassen, die ihn in der ersten Hälfte der 70er Jahre so tatkräftig vorangebracht haben. Schließlich darf Entspannungspolitik ja nicht zu einer Sache von Abrüstungsbuchhaltern herabsinken.

    (Beifall bei der SPD)

    Die erste Regierungserklärung des damaligen Kanzlers Brandt im Jahre 1969 ist immer noch richtig — ich zitiere —:
    Ob es sich um Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle oder um die Gewährleistung ausreichender Verteidigung handelt, unter beiden Aspekten begreift die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik als Politik des Gleichgewichts und der Friedenssicherung. Und ebenso versteht sie unter beiden Aspekten die äußere Sicherheit unseres Staates als eine Funktion des Bündnisses, ... als dessen Teil wir zum Gleichgewicht ... zwischen West und Ost beitragen.
    Nach meiner Überzeugung gilt das heute ganz genauso. Es gilt gewiß nicht nur für uns Deutsche, sondern es gilt für viele Menschen und Staaten in beiden Teilen Europas.
    Die Parteitage der Sozialdemokratie wie auch der Freien Demokratischen Partei am Wochenende haben gezeigt, daß es in beiden Parteien der ehemaligen, zu Ende gegangenen sozialliberalen Koalition durchaus differenzierte und differenzierende Meinungen zu den heute verhandelten Fragen gibt. Wer in solcher Frage einstimmig abstimmt, weckt jedenfalls bei mir Verdächte.

    (Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

    Aber gleichzeitig hat diese differenzierende Meinungsbildung einen großen Vorteil für die Bundesregierung. Ich möchte der Bundesregierung ans



    Schmidt (Hamburg)

    Herz legen: Nutzen Sie diesen Widerspruch. Nutzen Sie die Sorgen, die vielfältig im deutschen Volk formuliert und vorgebracht werden. Nutzen Sie die Sorgen, die Sie in beiden Teilen unseres Volks, die Sie auch heute im Parlament spüren. Wir müssen Wort halten. Das ist und bleibt meine Meinung. Aber zugleich: Nutzen Sie diese Widersprüche, damit die Bundesregierung auch zukünftig deutsche Interessen initiativ vertreten kann. Lassen Sie diese Widersprüche auch bei unseren eigenen Freunden und Verbündeten ins Gewicht fallen. Machen Sie unseren Verbündeten klar, daß Sie, Herr Bundeskanzler, es gegenwärtig, im Augenblick in der öffentlichen Meinung Deutschlands nicht ganz leicht haben. Machen Sie unseren Freunden klar, warum das so ist und welche Hilfe und welche Zurückhaltung Sie infolgedessen von unseren Freunden und Verbündeten erwarten müssen.
    Machen Sie unseren Vertragspartnern und unserem zukünftigen Abrüstungspartner in Moskau klar, daß diese nicht darauf rechnen können, daß sich im Westen oder daß sich in der Bundesrepublik Deutschland eine Absicht zur einseitigen Abrüstung oder zum einseitigen Verzicht durchsetzen wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gemacht worden!)

    Aber machen Sie gleichzeitig den Moskauer Gesprächspartnern ganz deutlich: Wir wollen Zusammenarbeit, weil wir den Frieden wollen.
    Nun weiß ich, daß keine Regierung irgend eines größeren Staates unabhängig von der voraufgegangenen Handlungsweise der vorangegangenen Regierungen handeln kann, auch wenn in Wahlkämpfen manchmal anderes gesagt wird. Das galt für Präsident Carter, das gilt für Präsident Reagan, das gilt für Kanzler Kohl, das gilt für Generalsekretär Andropow. Der Bundeskanzler hat sich heute beinahe auf alle von uns herbeigeführten oder von uns ratifizierten Verträge und Beschlüsse einschließlich der Gewaltverzichtsverträge berufen, den Sie damals wie die meisten jener Verträge mit der großen Mehrheit Ihrer Kolleginnen und Kollegen abgelehnt hatten.
    Jeder muß aufbauen auf dem, was er vorfindet. Ich habe gerne gehört, daß Sie sich auf diese Verträge berufen haben. Ähnliches galt 1969 und später auch für uns. Auch wir haben nichts von dem rückgängig machen können, was unter Adenauer oder Erhard beschlossen worden war. Aber jede Regierung kann die vorgefundene Lage durch ihre eigene Initiative verbessern, kann ihr etwas hinzufügen. Auch das gilt für die Gegenwart, für diese Bundesregierung; und es wird für zukünftige Bundesregierungen gelten.
    Das wissen auch unsere Diplomaten, unsere Soldaten und der öffentliche Dienst insgesamt. Ich weiß nach 13 Jahren in der Bundesregierung: Die Soldaten und die Beamten müssen nicht nur, sondern sie werden auch loyal sein gegenüber jeder verfassungsmäßigen Regierung. Viele von ihnen besitzen ein sehr hohes Maß an Erfahrung. Und jede Regierung sollte sich der Erfahrung der eigenen
    Diplomaten bedienen, statt die erfahrenen Personen in den Ruhestand zu versetzen.

    (Beifall bei der SPD — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: So wie 1969! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Zum Schluß, Herr Präsident: Die Deutschen haben lange Jahre ohne wirkliche Angst gelebt. Der von der damaligen sozial-liberalen Koalition herbeigeführte beiderseitige Gewaltverzicht von Moskau und Bonn, der Grundlagenvertrag mit der DDR, die Verträge und Abmachungen mit Polen, mit der Tschechoslowakei, das Viermächteabkommen über Berlin, der Nichtverbreitungsvertrag, gegen den Sie sich so lange gesträubt haben, alles das hat dazu wesentlich beigetragen. Alle diese Verträge dienen gegenwärtig dem Frieden, und das werden sie auch in Zukunft tun. Man braucht sich also heute nicht der Angst anheimzugeben.
    Wer Angst größer schreibt als Hoffnung, der gefährdet sich selbst, jedenfalls gefährdet er seine eigene Fähigkeit zu verantwortungsbewußtem Handeln. Es ist durchaus Anlaß zur Hoffnung. Ich stimme all denen zu, die das in den letzten Tagen gesagt haben. Ich jedenfalls setze gemeinsam mit meinem Freunde Vogel meine Hoffnung und mein Vertrauen darein, daß wir es fertigbringen, in Europa die auf Entspannung und Zusammenarbeit gerichtete Politik wiederaufzunehmen und fortzusetzen. Das nukleare Gleichgewicht hat bisher den Frieden in Europa bewahrt. Ich bin fest überzeugt: Das wird auch in Zukunft so sein. Ich setze mein Vertrauen darein, daß Entspannung schließlich zu einer Friedensordnung in Europa führt, in der die beiden Teile unserer Nation zueinanderfinden können.
    In Antwort auf meinen Vorredner, Herrn Kollegen Waigel, darf ich mir am Schluß ein persönliches Wort erlauben. Herr Waigel, die Sozialdemokratische Partei ist seit genau 120 Jahren, seit Ferdinand Lassalle, seit August Bebel, die größte Friedenspartei in Deutschland. Das wird so bleiben. Und ich werde Sozialdemokrat bleiben.

    (Langanhaltender Beifall bei der SPD — Abg. Brandt [SPD] reicht Abg. Schmidt [Hamburg] [SPD] die Hand — Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU: Heuchler!)