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ID1003503200

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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Das war die quantitative Seite. Qualitativ sind die britischen und französischen Raketen etwas anderes als die Waffensysteme, über die in Genf verhandelt wird. Es sind keine landgestützten, zielgenauen Mittelstreckenraketen. Sie sind seegestützt, daher nicht zielgenau und daher nicht zur Punktzielbekämpfung geeignet. Nur die Franzosen haben auf dem Plateau d'Albion 18 landgestützte Raketen, die aber, anders als die SS 20, nicht beweglich und daher relativ leicht auszuschalten sind.

    (Reents [GRÜNE]: Jetzt kommen die Silvesterscherze!)

    Ein Gegengewicht gegen die schon jetzt weit über 1 000 SS-20-Raketen-Sprengköpfe der Sowjetunion sind sie in keinem Fall.
    Drittens. Briten und Franzosen lehnen es mit Recht ab, daß die Supermächte ihre nationalen Notwehrwaffen in ihre Verhandlungen einbeziehen.

    (Duve [SPD]: Was für ein Ausdruck: nationale Notwehr!)

    Sie wollen an solchen Verhandlungen beteiligt sein. Der französische Staatspräsident, ein Sozialist, zu dem Sie Beziehungen unterhalten sollten

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Ein Gaullist, kein Sozialist!)

    hat daher in seiner UNO-Rede vom 28. September 1983 eine Konferenz der fünf Atommächte einschließlich Chinas vorgeschlagen. Es ist Sache der Sowjetunion, diesen Vorschlag aufzugreifen, wenn sie tatsächlich an den britischen und französischen Raketen so sehr interessiert sein sollte.
    Viertens. Mit allen Vorbehalten und Rückzugsmöglichkeiten, die für sowjetische Angebote typisch sind, hat die Sowjetunion in einer bestimmten Verhandlungsphase angedeutet, sie werde ihre SS 20 auf die Zahl der britischen und französischen Raketen beschränken, wenn keine amerikanischen Raketen in Europa aufgestellt würden.

    (Frau Gottwald [GRÜNE]: Das war ein guter Vorschlag!)

    Später soll sie auf die Anrechung sogar verzichtet haben,

    (Zuruf von den GRÜNEN: Bravo!)

    aber gleichzeitig gefordert haben, daß sie 320 SS-20Sprengköpfe behält und daß keine einzige amerikanische Rakete in Europa aufgestellt wird.



    Dr. Dregger
    Meine Damen und Herren, was der Oppositionsführer über das, was aus dem Kanzleramt verlautete, gesagt hat, entspricht den Tatsachen. Ich bin gern bereit, Ihnen die Unterlagen zu überreichen. Aber das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß alle diese Varianten dasselbe Ziel hatten: Sie, die Sowjets, wollen ein Monopol an landgestützten zielgenauen Mittelstreckenraketen größerer Reichweite, mit dem sie alle wichtigen Ziele in Europa mit einem Schlag zerstören könnten. 360 Sprengköpfe reichen dazu völlig aus.
    Sie wollen zum anderen verhindern, daß dazu irgendein Gegengewicht geschaffen wird, was nur die Amerikaner tun könnten. Deswegen wollen sie die Amerikaner bei diesem Waffensystem auf jeden Fall aus Europa verbannen.
    Meine Damen und Herren, die Folgen eines solchen Verhandlungsergebnisses wären schlimm für die europäische und besonders schlimm für die deutsche Sicherheit. Wir Deutschen verfügen nicht über eigene Atomwaffen.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

    Großbritannien und Frankreich lehnen es ausdrücklich ab, ihre Atomwaffen zum Schutz Deutschlands einzusetzen, wofür man Verständnis haben muß, wenn man an das Kräfteverhältnis dieser europäischen Atommächte zur Sowjetunion denkt: in beiden Fällen ca. 1:100.
    Wir Deutschen sind daher mehr als andere Europäer auf die USA angewiesen. Was sie für uns bedeuten, läßt sich mit einem Satz sagen: Solange die Amerikaner mit ihren Truppen und Atomwaffen auf deutschem Boden stehen, sind wir vor einem sowjetischen Angriff absolut sicher.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Todsicher!)

    Die Sowjetunion träfe ja hier bei uns nicht nur auf die atomar unbewaffnete Mittelmacht Deutschland,

    (Weitere Zurufe von den GRÜNEN) sondern auch auf die Weltmacht USA mit all ihren konventionellen und atomaren Potentialen.


    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Eine typische Dallas-Rede, die Sie hier halten!)

    Amerikanische Atomwaffen auf See oder in den USA könnten die gleiche Abschreckung nicht bewirken. Die Sowjetunion könnte glauben, durch Überraschung und Tempo ihrer für den Blitzkrieg geschulten Verbände den Einsatz der auf See oder in den USA stationierten Atomwaffen unterlaufen zu können.

    (Duve [SPD]: Für den Blitzkrieg geschult?)

    Die Stationierung dieser Waffen in Deutschland entzieht einer solchen gefährlichen Spekulation die Grundlage.

    (Reents [GRÜNE]: Ein Panikorchester!)

    Schlußfolgerung: Wir haben uns nicht vor amerikanischen Atomwaffen zu fürchten, die bei uns stationiert sind, sondern haben uns vor denen zu fürchten, die uns diese Waffen nehmen wollen, um uns wehrlos und erpreßbar zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Wir als Endverbraucher dieser Waffen sollten uns vor beiden fürchten, vor den Waffen auf allen Seiten! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ihre Einseitigkeit ist gefährlicher! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    — Ich gehe auf Ihren Einwand ein.
    Nun gibt es bei uns Leute, die die USA verdächtigen, diese hätten die Möglichkeit oder gar die Absicht, von Europa aus einen Atomkrieg gegen die Sowjetunion zu führen, von dem sie selbst verschont blieben.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Wie wahr, wie wahr!)

    — Auch wenn Sie „wie wahr, wie wahr" sagen: Diese Vorstellung ist absurd.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Eben! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Bei dieser absurden Politik kann sie politische Wirklichkeit werden!)

    Die Führer der Sowjetunion — nehmen Sie die bitte ernst — haben immer wieder erklärt,

    (Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    von wo auch immer amerikanische Raketen auf ihr Land abgeschossen würden, die sowjetische Antwort würde sich in jedem Fall und vor allem gegen das Kerngebiet der Vereinigten Staaten von Amerika richten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das glauben Sie selbst nicht!)

    Es besteht nicht der geringste Anlaß, an dieser Aussage Breschnews und anderer sowjetischer Führer zu zweifeln, weil sich ihre Aussage aus der Sache ergibt. Warum sollten die Sowjets die Amerikaner in deren Kerngebiet verschonen, wenn die Amerikaner, von wo auch immer, das sowjetische Kerngebiet angriffen?

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Wegen der Weizenlieferungen natürlich!)

    Meine Damen und Herren, wer schon Risiken der westlichen Allianzpartner gegeneinander abwägt, der muß das erhebliche Risiko würdigen, das die USA mit der Stationierung ihrer Raketen in Deutschland zugunsten Deutschlands und zu Lasten ihres eigenen Landes eingehen, ein Risiko, das zu übernehmen die Briten und die Franzosen z. B. nicht bereit sind.
    Aus all diesen Gründen erkläre ich: Die nationalen Notwehrwaffen Frankreichs und Großbritanniens, die im Ost-West-Vergleich quantitativ nicht ins Gewicht fallen, die mit den sowjetischen SS-20Raketen qualitativ nicht vergleichbar sind und die außerdem nicht dem Schutze Deutschlands zu dienen bestimmt sind,

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Das stimmt!)




    Dr. Dregger
    sind kein Äquivalent für die sowjetischen SS-20Raketen. Deswegen scheidet jede Anrechnung aus. Da wir auf nationale Atomwaffen verzichtet haben, kann dieses Äquivalent nur durch amerikanische atomare Waffen wie Pershing II und Marschflugkörper geschaffen werden. Solange Europa nicht vereinigt und nicht zur Dritten Weltmacht geworden ist — nichts spricht dafür, daß das einmal so sein wird —, so lange ist das atomare Gleichgewicht der Weltmächte in Europa eine unverzichtbare Voraussetzung für die europäische Sicherheit, insbesondere für die nationale Sicherheit der Deutschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Welcher Deutschen?)

    Daraus folgt: Wenn die Sowjetunion die Pershing II nicht will, muß sie die SS 20 wegnehmen. Beides sind ballistische Raketen. Der Hinweis auf die verkürzten Vorwarnzeichen gilt doch selbstverständlich für beide Richtungen.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Wenn darin eine besondere Gefahr liegt — ich schätze sie nicht gering ein —, dann kann die Schlußfolgerung doch nur sein: Das Teufelszeug muß auf beiden Seiten weg! Es darf nicht nur auf unserer Seite nicht entstehen, sondern es muß auf beiden Seiten weg.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Zu Wasser und zu Lande!)

    Das ist die Null-zu-Null-Lösung, die Präsident Reagan und die NATO immer wieder vertreten haben. Ich kann von den Friedensfreunden auf der linken Seite des Hauses nicht begreifen, daß sie für diese sauberste Friedenslösung nicht eintreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Weil Sie von einer Schieflage ausgehen, weil die Ausgangsposition unredlich ist und deshalb keine Abrüstung herbeiführt!)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die SPD versucht, ihr Abweichen vom NATO-Doppelbeschluß auch mit der Behauptung zu begründen, die USA und das Bündnis hätten es an den notwendigen Konzessionen fehlen lassen. Diese Behauptung stellt die Tatsachen auf den Kopf.
    Erstens. Zwar hat der Westen auf gleichen globalen Obergrenzen bestanden — und ich hoffe, daß er diese Forderung nie aufgeben wird —, aber er hat seine Bereitschaft bekundet, in Asien stehende SS-20-Raketen nicht in den europäischen Kräftevergleich einzubeziehen. In Asien gibt es keine westlichen Gegenwaffen. Die dort stationierten SS20-Raketen können zum Teil schon heute aus ihren Stellungen bis nach Europa reichen. Die anderen können unschwer nach Westen verlegt und gegen Europa gerichtet werden. Dieses Zugeständnis des Westens bedeutet doch faktische Überlegenheit der Sowjetunion auch in diesem wichtigen Waffenbereich. Ich frage Sie: Ist das nicht eine fundamentale
    Konzession des Westens zugunsten der Sowjetunion?
    Zweitens. Das für den Fall des Nichtzustandekommens einer Vereinbarung vom Westen angekündigte Nachrüstungsprogramm umfaßt, wie Sie wissen, quantitativ nur die Hälfte dessen, was die Sowjetunion allein an SS-20-Sprengköpfen längst stationiert hat. Den weit über 1 000 sowjetischen SS-20-Sprengköpfen will der Westen nur 572 Sprengköpfe, also nur die Hälfte, entgegenstellen. Ist nicht auch das eine fundamentale Konzession des Westens an die sowjetische Seite?

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Peinlich ist das!)

    Drittens. Die Pershing II kann weder Moskau noch Leningrad erreichen. Auch die Reichweite der Marschflugkörper ist nur halb so groß

    (Reents [GRÜNE]: Das stimmt einfach nicht, was Sie da sagen!)

    wie die der sowjetischen SS 20, die aus ihren jetzigen Stellungen ganz Europa erreichen können. Ist die vom Westen bewußt vorgenommene Reichweitenbegrenzung nicht eine fundamentale Konzession des Westens an die Sowjetunion?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Von Wettrüsten kann doch, was den Westen angeht, wirklich nicht die Rede sein.

    (Reents [GRÜNE]: Im Westen kann nur von Abrüstung die Rede sein!)

    Können Sie sich vorstellen, daß die Sowjets jemals bereit sein könnten, dem Westen solche einseitigen Konzessionen anzubieten, wie der Westen sie mit den drei Konzessionen, die ich soeben genannt habe, der Sowjetunion angeboten hat? Sie werden sagen müssen: Das können wir uns nicht vorstellen.

    (Reents [GRÜNE]: Übermorgen beginnt die Abrüstung unserer Regierung! Die USA haben auch gerade in Grenada abgerüstet!)

    Das zu verkennen ist nicht das einzige, was ich Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, vorzuwerfen habe. Es war schlimm, daß Sie in der Schlußphase der Genfer Verhandlungen durch Ihre Landesparteitage der Sowjetunion praktisch signalisiert haben, sie brauche gar nicht abzurüsten.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Dem Sinn nach haben Sie doch erklärt: Was auch immer ihr tut, wir tun nichts.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Ich frage Sie: Was soll eigentlich die Kreml-Herren bewegen, auf ihre kostspieligen Raketen, mit denen sie Europa beherrschen wollen, zu verzichten, solange sie hoffen können, mit Hilfe der Friedensbewegung und nun auch noch mit Ihrer Hilfe aus der Alternative „Abrüstung oder Nachrüstung" entlassen zu werden?

    (Beifall bei der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Jetzt rüsten sie doch noch mehr!)




    Dr. Dregger
    Noch schlimmer als ihr Abrücken vom NATODoppelbeschluß sind die Scheingründe, die Sie dafür ins Feld geführt haben. Sie bestehen in einseitigen und völlig unbegründeten Schuldvorwürfen an die Adresse der USA. Niemand hat das treffender zum Ausdruck gebracht, als das Mitglied der SPDGrundwerte-Kommission, Frau Professor Gesine Schwan.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Im „Heute-Journal" erklärte sie am 12. Oktober 1983 — ich bitte um Genehmigung, sie zu zitieren —:
    Die SPD gibt nicht zu, daß sie die Bedrohung durch die Sowjetunion nicht mehr zur Kenntnis nimmt, j a daß sie sie sogar tabuisiert und deshalb ist die SPD gezwungen, zu ihrer Eigenlegitimation den Amerikanern die Schuld zu geben. So gerät sie wirklich in den Zwang, mit den Argumenten der Sowjetunion gegen die Amerikaner zu argumentieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Ich bedaure, an die Adresse der SPD sagen zu müssen: Ihre Einlassungen während der Genfer Schlußphase haben die Verhandlungen nicht gefördert.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Aber Ihre Desinformationspolitik hat sie gefördert, die Irreführung der Öffentlichkeit!)

    Sie haben nicht nur — Herr Ehmke — die westliche Position geschwächt, sondern auch die Chancen für einen Verhandlungserfolg wesentlich gemindert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Das war also der Dolchstoß!)

    Sie tragen ein großes Maß von Mitverantwortung für das bisherige Scheitern der Genfer Verhandlungen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Neue Dolchstoßlegende!)

    Ein besonderes Wort verdient der frühere Bundeskanzler, Herr Kollege Schmidt. Ich weiß nicht, ob er anwesend ist, er wird es hören oder nachlesen können. Ich möchte Herrn Kollegen Schmidt bestätigen, daß er am vergangenen Samstag auf dem Bundesparteitag der SPD eine große Rede gehalten hat. Ich habe sie im Text studiert. Ich übersehe bei dieser Feststellung seine völlig ungerechtfertigten Vorwürfe gegen den Bundeskanzler.

    (Zurufe von der SPD: Aha!)

    Diese Vorwürfe können nur als Vorwände verstanden werden, die es Ihnen ermöglichen sollen, morgen gegen unsere Entschließung zu stimmen, obwohl sie völlig Ihre Politik wiedergibt.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Auch Ihre Vorwürfe an die Adresse der USA, die Waldspaziergangsformel nicht ausgelotet zu haben, ist nicht schlüssig. Da diese Formel vom amerikanischen Unterhändler, nicht vom sowjetischen, in die Gespräche eingeführt worden ist, wäre es doch Sache der sowjetischen, nicht der amerikanischen
    Seite gewesen, sie auszuloten. Die sowjetische Seite hat das Gegenteil getan. Sie hat sie am Verhandlungstisch und in der Öffentlichkeit ausdrücklich abgelehnt. Ich verweise auf das „Spiegel"-Interview des Herr Arbatow, des Andropow-Beraters. Bis heute lehnt die Sowjetunion alles ab, was ihr Monopol bei ihrer Vorherrschaftswaffe SS 20 in Frage stellen könnte. Das ist die Wirklichkeit.
    Vorzuwerfen, Herr Kollege Schmidt, habe ich Ihnen nicht Teilstücke aus Ihrer Rede vor dem Bundesparteitag der SPD, sondern etwas ganz anderes: daß Sie in den letzten Wochen und Monaten in dieser Existenzfrage unseres Volkes resigniert und nicht gekämpft haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Statt ruhelos durch die Welt zu fahren und Vorträge zu halten, was ich Ihnen gönne, wären Sie besser in die Unterbezirke der SPD gefahren und hätten für Ihre Auffassung gekämpft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Mit Ihrer totalen Niederlage auf dem Parteitag in Köln haben Sie geerntet, was ich als Ihre Distanz zu Ihrer eigenen Partei bezeichnen möchte. Das begann mit Ihrem Verzicht auf den Parteivorsitz — wie ich meine, ein schwerer Fehler —, als Sie Kanzler wurden, und das setzte sich in Ihrem beharrlichen Schweigen zu den Aktivitäten z. B. des Herrn Bahr noch während Ihrer Regierungszeit fort, alles unter dem Protektorat Ihres Parteivorsitzenden, der Ihre Niederlage am vergangenen Samstag als späten Triumph genossen hat, wie auch von uns im Fernsehen zu sehen war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)

    Meine Damen und Herren, mich würde das alles nicht interessieren, wenn die persönliche Niederlage von Helmut Schmidt nicht auch eine Niederlage der Republik wäre. Die Selbstisolierung der SPD, der zweiten großen demokratischen Partei unseres Landes, ihre Aufkündigung des nationalen Konsenses in der Sicherheitspolitik, der uns 20 Jahre lang getragen hat, ihr Ausstieg aus der Solidarität der großen, bedeutenden demokratischen Parteien Westeuropas schaden uns allen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Gründen Sie doch eine neue SPD!)

    Ist es nicht auch für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, erschreckend, daß bei der kürzlichen Abstimmung im Europäischen Parlament die deutschen Sozialdemokraten zusammen mit den Kommunisten gegen die französischen und gegen die italienischen Sozialisten gestimmt haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Sie sind im westlichen Lager völlig isoliert.

    (Lachen bei der SPD — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Ehrenhaft isoliert!)




    Dr. Dregger
    Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Schmidt noch die Kraft hat, zu kämpfen.

    (Reents [GRÜNE]: Nein!)

    Ich möchte es im Interesse unseres Landes wünschen. Männer wie Georg Leber und andere würden an seiner Seite stehen. Die Republik kann nicht auf eine SPD verzichten, die den Frieden und die Freiheit unseres Landes

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: ... mit Raketen verteidigt!)

    mit eben solcher Überzeugungskraft, Klarsicht und mit solchem Realismus vertritt, wie Helmut Schmidt es getan hat und wie wir es jetzt tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Dann adoptieren Sie ihn doch!)

    Wenn sich die GRÜNEN auch noch so anstrengen: Wir müssen den nationalen Konsens der großen demokratischen Parteien in der Sicherheitspolitik wiederherzustellen versuchen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Der ist doch schon längst zerbrochen! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Je mehr die SPD aus der Verantwortung für die nationale Sicherheit aussteigt, um so größer wird die Verantwortung der CDU/CSU und der FDP. Ich versichere unseren Mitbürgern in Deutschland und unseren Verbündeten: CDU/CSU und FDP werden das Notwendige tun, um in den 80er und 90er Jahren den Frieden und die Freiheit ebenso zu sichern, wie wir Frieden und Freiheit für die 50er, 60er und 70er Jahre möglich gemacht haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir stimmen daher der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und den darin angekündigten Entscheidungen einmütig und ausdrücklich zu.

    (Bindig [SPD]: Zack, zack!)

    Wir bewundern die Standfestigkeit des Bundeskanzlers.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Wir bewundern seine Fähigkeit, unserem Land Freunde in der Welt zu gewinnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Seit er Kanzler ist, ist das Bündnis verwandelt. Es ist wieder Harmonie im westlichen Bündnis.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Zugleich ist er in der Lage, uns Respekt bei der Sowjetunion zu gewinnen.
    Helmut Kohl hat in den ersten zwölf Monaten seiner Regierung neben den schweren innenpolitischen Weichenstellungen eine großartige außenpolitische Leistung vollbracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Zusammen mit der FDP bekräftigen wir seine Politik und die seines Außenministers, dessen Leistungen ich ebenfalls hervorheben möchte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Wir bekräftigen sie durch einen Antrag, der Ihnen, meine Damen und Herren, vorliegt.

    (Schily [GRÜNE]: Sie haben den DreierDirektor Strauß vergessen!)

    Ein Wort auch an meine Mitbürger. Ist die Perspektive düster? Nein.

    (Zurufe von den GRÜNEN: Ja!)

    Wenn wir fest bleiben, ist uns um die Zukunft nicht bange.

    (Zuruf)

    — Ich weiß das, mein Haus ist 20 km von der Grenze entfernt, aber ich fühle mich dort völlig sicher, solange der Westen im Bündnis fest bleibt und die Amerikaner an unserer Seite stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich werde dort auch nicht weggehen, und ich werde mir auch nicht irgendein Domizil im Ausland beschaffen. Ich bleibe bei meinen Mitbürgern, 20 km von der Grenze.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Ein wahrer Siegfried!)

    Wenn wir fest bleiben, braucht uns um die Zukunft nicht bange zu sein. An der offensiven Zielsetzung der Sowjetunion können wir nichts ändern; darauf müssen wir uns einstellen. Aber auf zwei Tatbestände können wir als westliche Politiker setzen.
    Erstens: auf die Risikobewußtheit der Sowjetunion. Solange wir die Machthaber im Kreml nicht durch allzu große Schwäche in Versuchung führen, werden sie sich nicht zu Abenteuern hinreißen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Gottwald [GRÜNE]: Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Dregger!)

    Das zweite ist: Wir können auf die wirtschaftliche Unergiebigkeit des kommunistischen Systems setzen.

    (Frau Gottwald [GRÜNE]: Werden Sie nicht zynisch!)

    Das läßt die Sowjetunion und ihre Satelliten an wirtschaftlicher Kooperation mit uns sehr interessiert sein. Die Beispiele liegen auf der Hand.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Seien Sie da nicht so sicher!)

    Der Milliarden-Kredit an die DDR, die Erschließung sowjetischer Devisenquellen durch das Erdgas-Röhrengeschäft, um nur zwei Beispiele zu nen-



    Dr. Dregger
    nen, haben der Sowjetunion gezeigt, daß wir zur Kooperation mit ihr und den anderen sozialistischen Ländern bereit sind, daß wir für sie wertvolle Partner sein können. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich nicht einen Augenblick Schwierigkeiten gehabt, dem Milliarden-Kredit an die DDR zuzustimmen. Im Kontext unserer gesamten Politik war das absolut richtig.
    An der anderen Voraussetzung für die Erhaltung des Friedens in Europa und der Freiheit der Bundesrepublik Deutschland fehlt es zur Zeit jedoch in gefährlicher Weise. Die Unterlegenheit der NATO in Europa ist inzwischen so groß, daß sie eine offensive Macht wie die Sowjetunion in Versuchung führen muß. Es ist die Aufgabe des Westens, ein wenigstens annäherndes Gleichgewicht auf möglichst niedrigem Waffenniveau wiederherzustellen. Wir Deutschen haben dabei unseren Teil beizutragen, nicht mehr. Wir stehen nicht allein.
    Die Regierungserklärung, die Helmut Kohl heute abgegeben hat, stimmt in Grundhaltung und Zielrichtung völlig überein mit den großen Reden, die der Staatspräsident Frankreichs, ein Sozialist, am 20. Januar 1983 und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, ein Republikaner, am 19. Juni 1983 von diesem Pult aus an den Deutschen Bundestag und an das deutsche Volk gerichtet haben. Für uns ist diese Übereinstimmung und Solidarität im westlichen Bündnis Genugtuung und Ermutigung zugleich.
    Daß die deutschen Sozialdemokraten aus dieser Solidarität des demokratischen Westens ausscheren, bedauern wir. Das dient weder dem Frieden, der gewiß nicht vom Westen bedroht wird, es dient auch nicht den deutschen Interessen, die nicht isoliert, sondern nur im Bündnis zur Geltung gebracht werden können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ihre heutige Entscheidung, meine Damen und Herren der SPD, wirft Sie hinter Godesberg zurück. Sie werden ein zweites Godesberg brauchen, um das zurückzugewinnen, was Sie heute aufgeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Schlußworte möchte ich an die Führer der Sowjetunion richten.

    (Frau Gottwald [GRÜNE]: Die sind doch gar nicht da! — Lachen bei der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Gott sei Dank noch nicht! — Dr. Friedmann [CDU/ CSU]: Das bedauern die noch!)

    — Das ist ein Beispiel politischer Folklore, was die GRÜNEN den ganzen Tag geboten haben!
    Ein Schlußwort an die Führer der Sowjetunion: Wir Deutschen bedrohen niemand. Wir greifen niemand an.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Das machen die USA für uns!)

    Wir wollen Frieden. Frieden, der auf atomarer Abschreckung beruht, ist für uns nur ein Notbehelf.
    Wir möchten Frieden, der sich auf Vertrauen gründet, auf Gleichgewicht und auf Interessenausgleich.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Ganz kurze Vorwarnzeiten!)

    Wir wünschen die drastische Verringerung, wenn möglich die Abschaffung aller atomaren Waffen.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Dann fangt doch mal an!)

    Das setzt Gleichgewicht bei den nichtatomaren, den sogenannten konventionellen Waffen voraus. Wir fordern Sie daher auf, Ihre konventionelle Übermacht in Europa zu verringern, um auch auf diese Weise zur drastischen Verringerung der Atomwaffen beizutragen.

    (Zuruf der Abg. Frau Potthast [GRÜNE])

    Ebenso entschieden wie die atomaren Waffen lehnen wir die biologischen und chemischen Waffen ab.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Nach der Stationierung der chemischen Waffen in Fischbach!)

    Nach unserer Überzeugung ist keine der beiden Seiten zu Abschreckungszwecken auf biologische oder chemische Waffen angewiesen. Deshalb fordern wir, sie restlos abzuschaffen, und zwar jetzt, weltweit, total!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Bei uns damit anfangen!)

    Ein zweites Wort möchte ich an die Führer der Sowjetunion richten. Auf der Grundlage gesicherten Friedens wollen wir mit ihnen zusammenarbeiten, vor allem auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet. Gerade die Bundesrepublik Deutschland kann ihnen, wie sie wissen, in dieser Hinsicht ein wertvoller Partner sein. Unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist nicht geringer als unser Wille zur Selbstbehauptung. Je weniger sie uns bedrohen, um so größer kann der Beitrag sein, den wir zur Entwicklung ihres riesigen Landes aufbringen — zum beiderseitigen Nutzen, versteht sich.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Ein drittes. Die meisten von ihnen, den Führern der Sowjetunion, gehören zur Kriegsgeneration wie ich. Sie und wir, die Völker der Sowjetunion und das deutsche Volk, haben unter dem letzten Krieg und seinen Folgen schrecklicher gelitten als die meisten anderen Völker. Wir wissen, was Krieg bedeutet. Das verbindet uns und es verpflichtet uns, über alle Unterschiede hinweg gemeinsam für den Frieden zu arbeiten. Wir Deutschen empfinden gegenüber dem großen russischen Volk und den anderen Völkern der Sowjetunion Respekt. Ich glaube, daß Ähnliches von ihnen uns gegenüber empfunden wird.
    Gesicherter Friede mit möglichst wenigen Waffen, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen, gegenseitiger Respekt: das ist das, was wir wollen.



    Dr. Dregger
    Die gesamte CDU/CSU-Bundestagsfraktion und selbstverständlich alle Fraktionen des Hauses wollen es, beide Staaten in Deutschland, alle Deutschen in Ost und West. Wir hoffen, daß sie, die Führer der mächtigen Sowjetunion, diese unsere Bereitschaft nicht zurückweisen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

(Frau Potthast [GRÜNE]: Ist Herr Strauß schon da?)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir werden diese für unser Land, für den Frieden und die Sicherheit in Europa so wichtige Debatte bestehen, wenn das Signal dieser Debatte die Bekundung des Willens unseres Volkes zum Frieden ist, wie sie soeben in der Rede des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU zum Ausdruck gekommen ist. Wir werden sie bestehen, wenn wir uns die Fähigkeit bewahren, in Respekt und Achtung auch vor der anderen Meinung über Grundfragen unserer Sicherheit zu sprechen. Die Fähigkeit, den äußeren Frieden zu bewahren, setzt doch die Fähigkeit zum inneren Frieden voraus. Diejenigen, die im Augenblick mit Gewalt versuchen, die Beratungen dieses frei gewählten Parlaments unmöglich zu machen,

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Die Polizisten!)

    haben diese Fähigkeit zum Frieden verloren; sie gefährden den inneren Frieden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Sie sind ein Verleumder, Herr Genscher! Gehen Sie doch einmal raus, und sehen Sie, was da läuft! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Wir wollen niemanden diffamieren, der eine andere Auffassung vertritt. Man kann mit guten Gründen und mit genauer Gewissenserforschung zu einer Bejahung der beiden Teile des Doppelbeschlusses der NATO kommen, und niemand wird die Gewissensentscheidung demjenigen absprechen, der zu einer Ablehnung kommt. Aber die Diskussion über diese Frage darf nicht dazu führen, daß der Wille zum Frieden und die Fähigkeit zum Frieden nur einer Seite als Monopol zugesprochen und der anderen verweigert wird; das ist die Entscheidungsfrage.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Sie haben, Herr Kollege Dr. Vogel, heute die Auseinandersetzung des Bundeskanzlers mit Auffassungen der Friedensbewegung kritisiert. Ich habe Ihnen vorzuhalten, daß Sie den Begriff „Friedensbewegung" in einem undifferenzierten Sinne verwenden, der zu Mißverständnissen über die Motive anderer führen kann. Unser Volk hat sich in allen Wahlen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Ablehnung radikaler Parteien auf beiden Seiten zum inneren und zum äußeren Frieden bekannt. Dieses
    Volk ist eine einzige Friedensbewegung in der Auseinandersetzung über den richtigen Weg zum Frieden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Schön wär's, schön wär's!)

    — Wenn Sie hier vorn sagen „Schön wär's!", dann sage ich Ihnen: Wenn wir schon den Begriff „Friedensbewegung" verwenden wollen, dann gehören für mich zur Friedensbewegung die jungen Polizeibeamten, die draußen gegenüber Gewalttätern augenblicklich die Freiheit der Entscheidung unseres deutschen Parlaments sichern.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Zu der Friedensbewegung, die ich meine, gehören die Soldaten unserer Bundeswehr, die die Freiheit der Wahlentscheidung in diesem Lande sichern.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Und zu dieser Friedensbewegung gehören auch die Soldaten

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Die Raketen vor allem!)

    der uns verbündeten Demokratien, der europäischen wie der amerikanischen. Sie sorgen dafür, daß eine freie, eine leidenschaftliche Auseinandersetzung über den richtigen Weg zum Frieden hier in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Und was ist mit den türkischen Soldaten?)

    Eine der gefährlichsten Formen der politischen Auseinandersetzung in einer Demokratie ist der Versuch, Minderheiten auszugrenzen. Aber nicht minder gefährlich ist auch der Versuch, Mehrheiten vom Willen zum Frieden auszugrenzen.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Was will denn die Mehrheit? — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Die Mehrheit will doch die Raketen nicht! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Ich habe es sehr begrüßt — und ich möchte mich dazu dafür ausdrücklich bedanken —, daß Herr Kollege Dr. Vogel sich in großer Klarheit wie wir zur ungeschmälerten Verantwortung und Entscheidungsfreiheit des frei gewählten Parlaments bekannt hat. Das führt uns zusammen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Aber ich würde mir an Ihrer Stelle noch einmal überlegen, Herr Dr. Vogel, ob Sie nach dem Ergebnis der Bundestagswahl vom 6. März auch legitimiert sind, der Bundesregierung vorzuwerfen, daß die von ihr betriebene Politik mindestens in dieser Frage von der Mehrheit unseres Volkes abgelehnt werde. War es nicht so, daß am Donnerstagabend vor der Bundestagswahl der Vorsitzende der CDU, der Vorsitzende der CSU und ich in aller Klarheit einem Millionenpublikum von Wählern in der Bundesrepublik Deutschland gesagt haben, daß wir im



    Bundesminister Genscher
    Falle eines Ausbleibens eines konkreten Verhandlungsergebnisses den zweiten Teil des Doppelbeschlusses, den Nachrüstungsbeschluß, erfüllen werden? Die Wähler haben uns auch für diesen Teil unserer Politik das Mandat gegeben.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Niemand sollte deshalb die demokratische Mehrheitsentscheidung vom 6. März glauben unterlaufen zu können mit Meinungsumfrageergebnissen, wo wir weder Methode noch Fragestellung beurteilen können.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN — Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Dann machen Sie doch eine konsultative Volksbefragung! Sie haben doch Angst vor dem Mehrheitswillen!)

    Sie, Herr Dr. Vogel, werden gewiß auch für sich nicht sagen wollen, daß alle Wähler, die Ihnen ihre Stimme am 6. März gegeben haben, gegen diese Sicherheitspolitik sind.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Nein, nur gegen die Raketen!)

    Denn in dieser Fernsehsendung haben Sie j a noch nicht mitgeteilt, was Sie am letzten Wochenende beschlossen haben.

    (Lebhafter Beifall und Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Dort sind Sie ja noch vor einem Millionenpublikum einer konkreten Beantwortung der Frage, ob Sie im Falle des Ausbleibens eines konkreten Verhandlungsergebnisses nachrüsten werden oder nicht, ausgewichen. Es kann sehr wohl sein, daß es viele sozialdemokratische Wähler gibt, die Ihnen damals in der Erwartung ihre Stimme gegeben haben, Sie würden am Ende doch zu der Sicherheitspolitik zurückkehren, die Sie in der Bundesregierung vertreten haben.
    Ich will hier überhaupt nicht in Abrede stellen, daß es auch unter den Wählern meiner Partei Wähler gegeben hat, die in dieser Frage eine andere Position haben. Aber ich muß, wenn wir die Legitimation dieses Parlaments in allen Fragen nicht in Zweifel stellen wollen, mit aller Klarheit sagen: Niemand hat das Recht, eine Entscheidung, die so klar getroffen wurde — auch über die Frage: ja oder nein zu dieser Sicherheitspolitik, ja oder nein zu beiden Teilen des Doppelbeschlusses —, in Zweifel zu ziehen. Sonst würden wir in eine schwere Legitimationskrise unserer demokratischen Ordnung kommen.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Der 6. März ist eine Bekräftigung unserer Politik. Wer davon abgewichen ist, der soll nicht mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die heute konsequent zu dieser Politik stehen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Dr. Vogel, ich bin in der Tat der Meinung, daß wir der Versuchung, der Gefahr widerstehen müssen — ich stimme Ihnen da ausdrücklich zu —, denjenigen in das andere Lager zu verweisen, in das der Beauftragten Moskaus, der kritisch zu unserer Politik steht, der auch sagt: Ich habe meine Meinung geändert. Niemand wird dieses Recht bestreiten. Nur: Wenn Sie zur Fairneß in der Diskussion aufrufen, dann sollten Sie auch eine andere Formulierung Ihrer Rede noch einmal überdenken, nämlich die Formulierung, durch die Sie dem Bundeskanzler vorwerfen, daß er Freundschaft mit Gefälligkeit und kooperative Einordnung in ein Bündnis mit vasallenhafter Lehenstreue verwechsele. Meine Damen und Herren, wer zu den national getroffenen Entscheidungen und international übernommenen Verpflichtungen steht, der ist nicht ein Vasall, sondern der ist ein Garant der Berechenbarkeit der deutschen Außenpolitik. Das ist die Frage.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ein windelweicher Garant! — Zurufe von der SPD)

    Ganz offen gesagt hätte ich mir auch gewünscht, daß, wenn schon der erste Redner der SPD hier einem Mitglied der Bundesregierung, einem von uns allen hochgeschätzten Kollegen, vorwirft, er sei der Meinung, man könne die Sowjetunion durch ein Wettrüsten überwinden — das ist ein schlimmes Wort, „durch ein Wettrüsten überwinden" —, und das nicht mit einem Zitat belegen kann, er ausnahmsweise in diesem Fall dem Kollegen wenigstens die Möglichkeit gibt, vor demselben Zuschauerpublikum draußen durch eine Zwischenfrage diese Unterstellung zurückzuweisen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)