Rede von
Dr.
Alfred
Dregger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Man kann die Wahrheit nicht niederschreien; auch Sie werden das nicht schaffen.
Sondern die Aktionen der sogenannten Friedensbewegung richten sich gegen die noch nicht vorhandenen amerikanischen Raketen, die nicht kommen,
Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2347
Dr. Dregger
die auch wieder zurückgezogen würden, wenn nur die Sowjetunion bereit wäre, ihre vorhandenen Raketen zu beseitigen oder sich in Zukunft dazu bereit erklären könnte.
Als noch schlimmer und unbegreiflicher als das Verhalten dieser sogenannten Friedensbewegung, die keine politische Verantwortung trägt,
empfinden die Amerikaner das Verhalten der SPD.
Gerade Ihren zweiten Kanzler haben sie immer hoch eingeschätzt. Wir müssen jetzt erleben, daß die Partei dieses Kanzlers sich von dessen bisheriger Politik total abwendet, daß sie sich dadurch mit sich selbst und mit ihrem eigenen bisherigen Verhalten in Widerspruch setzt.
All das ist schwer verständlich, nicht nur für die Amerikaner, sondern auch für uns.
Eine der Ursachen kann man offenlegen. Sie liegen in dem unterschiedlichen Verhalten der NATO und der Sowjetunion in den hinter uns liegenden Jahren. Die Sowjetunion hat Fakten geschaffen, die NATO Fragestellungen. Fakten nimmt man hin, auch wenn sie unangenehm sind. Was bliebe einem anders übrig? Über Fragestellungen diskutiert man. Die Sowjetunion hat uns nicht gefragt. Sie hat die landgestützten zielgenauen, weitreichenden SS-20Raketen stationiert ohne Rücksicht auf die Genfer Verhandlungen und ohne sich um die Proteste zu scheren, die in der Öffentlichkeit laut wurden.
Während in Genf verhandelt und im Osten gerüstet wurde, wurde im Westen diskutiert:
Sollen wir nachrüsten? Warum, weshalb, wieso, wieviel? — Die Sowjetunion hat die Möglichkeiten ihres totalitären Systems voll genutzt. Ihre Propaganda und Desinformation waren meisterhaft.
Alles, was von ihr in die Öffentlichkeit eingespeist wurde, war strategisch geplant und auf die jeweilige Stimmungslage der zu beeinflussenden westlichen Öffentlichkeit abgestimmt. Fakten mit Fragestellungen zu beantworten ist offenbar problematischer, als die Initiatoren des NATO-Doppelbeschlusses sich das vorgestellt haben,
jedenfalls einem Gegenspieler gegenüber, der über
seine Raketen nicht diskutiert, sondern sie aufstellt,
der selbst gegenüber den Medien völlig immun ist, aber es dafür um so besser versteht, auf unsere öffentliche Meinung von außen her Einfluß zu haben.
Meine Damen und Herren, all das sind Gegebenheiten, die wir heute nicht mehr verändern können.
Es ist der Sinn der repräsentativen Demokratie und es ist unsere Pflicht als Abgeordnete, den Fehleinschätzungen zu widerstehen, die sowjetische Desinformation und Propaganda in Teilen unserer öffentlichen Meinung erzeugt haben.