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    Plenarprotokoll 10/35 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 35. Sitzung Bonn, Montag, den 21. November 1983 Inhalt: Verzicht der Abg. Dr. Linde und Grobecker auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 2321A Eintritt der Abg. Neumann (Bramsche) und Hettling in den Deutschen Bundestag 2321 A Erweiterung der Tagesordnung 2321 B Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen in Verbindung mit Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN Doppelbeschluß der NATO und Stand der Genfer INF-Verhandlungen — Drucksache 10/617 — in Verbindung mit Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen — Drucksache 10/620 — in Verbindung mit Antrag der Fraktion der SPD NATO-Doppelbeschluß und Stand der INF-Verhandlungen — Drucksache 10/621 — Dr. Kohl, Bundeskanzler 2321 D Burgmann GRÜNE (zur GO) 2332 B Präsident Dr. Barzel 2332 D, 2384 D Porzner SPD (zur GO) 2333 B Dr. Vogel SPD 2333 C Dr. Dregger CDU/CSU 2345 B Vizepräsident Frau Renger 2346 D Genscher, Bundesminister AA 2356 A Schily GRÜNE 2364 C Dr. Waigel CDU/CSU 2368 B Schmidt (Hamburg) SPD 2376 A Mischnick FDP 2384 D Bastian GRÜNE 2390 A Dr. Marx CDU/CSU 2394 A Bahr SPD 2399 A Dr. Todenhöfer CDU/CSU 2406 B Frau Huber SPD 2411A Ronneburger FDP 2414 B Vogt (Kaiserslautern) GRÜNE 2418 D Vizepräsident Westphal 2419C, 2419 D Frau Geiger CDU/CSU 2422 A Gansel SPD 2424 D Müller (Remscheid) CDU/CSU 2428 B Klose SPD 2430 D Dr. Göhner CDU/CSU 2435 C Frau Fuchs (Verl) SPD 2438 A Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 2440 B Schwenninger GRÜNE 2443 D Voigt (Frankfurt) SPD 2446A Höffkes CDU/CSU 2450 D Peter (Kassel) SPD 2454 C Nächste Sitzung 2456 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 2457*A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2321 35. Sitzung Bonn, den 21. November 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —35. Sitzung. Bonn, Montag, den 21. November 1983 2457* Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 25. 11. Haehser 25. 11. Immer (Altenkirchen) 25. 11. Kastning 25. 11. Dr. h. c. Lorenz 25. 11. Offergeld 25. 11. Petersen 25. 11. Vogt (Düren) 21. 11. Frau Dr. Wex 25. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute führen wir erneut eine große Debatte

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ob die groß wird, ist die Frage!)

    über die Grundsatzfrage, wie in unserem Land, wie in Westeuropa Frieden und Freiheit gesichert werden können. Wer vom Frieden spricht, muß sich am Maßstab der Freiheit messen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal etwas über Ihr Polizeiaufgebot da draußen!)

    Freiheit ist für uns Bedingung des Friedens. Sie kann nicht sein Preis sein.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ihre Freiheit wird mit CS-Gas geschützt!)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Wer bereit ist, die Freiheit für den Frieden zu riskieren, wird beide verlieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Bedroht durch inneren und äußeren Druck, im Ringen um Freiheit und Menschenrechte waren es im letzten Jahr die polnischen Bischöfe, die ins Gedächtnis riefen, was immer und überall gilt:
    Die Berufung auf Freiheit ist das Recht jedes Menschen und jeder Nation. Sie ist eine Aufgabe, jedem Menschen und jeder Nation gestellt. Wir sehen die Freiheit und den Frieden, der mit ihr verbunden ist, als Frucht des bewußten und durchdachten Handelns.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dieses Zitat der katholischen Bischöfe Polens spricht für sich.
    Die Sicherung des Friedens in Freiheit — dies bleibt die beherrschende Aufgabe unserer Zeit. In dieser Verantwortung stehen wir bei den Diskussionen, die wir führen, und bei den Entscheidungen, die wir zu treffen haben. Wir alle sind für den Frieden.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Grenada!)

    Worüber wir streiten, das ist der beste Weg, den Frieden zu erhalten.
    Das Leitmotiv meines Handelns bleibt, wie ich es in der Regierungserklärung am 4. Mai dargelegt habe: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, beim NATO-Doppelbeschiuß geht es nicht zuerst um eine technische Frage der Rüstung, nicht allein darum, ob eine Waffenart durch eine andere ersetzt werden soll. Es geht um das Gleichgewicht der Kräfte und damit um die Grundlage des Friedens in Europa.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht um die Frage, ob Rüstungskontrolle helfen kann, ein Gleichgewicht auf niedrigem Niveau herzustellen und zu stabilisieren. Es geht darum, ob sich die Partner in der Solidargemeinschaft. des Bündnisses weiter auf die Bundesrepublik Deutschland — und wir uns auf sie — verlassen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht darum, ob das Bündnis auf der Grundlage vertrauensvoller und freundschaftlicher Beziehungen Westeuropas zu den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada auch in den letzten Jahren dieses Jahrhunderts seine Aufgabe erfüllen kann, Frieden und Freiheit zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Schließlich, meine Damen und Herren, geht es im Kern, im entscheidenden Kern um die Frage, ob wir, ob die Bundesrepublik Deutschland willens und fähig ist, sich mit ihren Verbündeten einem Vormachtanspruch der Sowjetunion entgegenzustellen oder nicht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die außenpolitische Orientierung unseres Landes steht auf dem Spiel. Es darf der Sowjetunion nicht gelingen, mit Hilfe ihrer gewaltigen Rüstungsanstrengungen, die durch kein erkennbares Verteidigungs- und Sicherheitsbedürfnis zu rechtfertigen sind, uns Westeuropäer einzuschüchtern, unsere politische Handlungsfreiheit einzuengen und uns von den Vereinigten Staaten zu trennen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nur wenn wir dies verhindern können, bleibt die Tür offen zu einer Friedensordnung in Europa, die auf Gerechtigkeit beruht und nicht auf Gewalt. Nur eine solche Friedensordnung kann den Frieden endgültig sichern. Das sollte auch die Sowjetunion erkennen lernen.
    Es ist der politische Wille der Sowjetunion, von dem wir uns bedroht fühlen. Waffen sind Gegenstände. Sie drohen niemandem. Es ist der politische Wille, es ist die Drohung, die hinter ihnen steht, die Spannungen schafft. Vergessen wir das nicht, wenn wir heute und morgen über den NATO-Doppelbeschluß diskutieren.
    Unsere Allianz, die NATO, ist defensiv.

    (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Sie hat das in 30 Jahren ihrer Existenz bewiesen. Das Atlantische Bündnis hat noch in seiner Bonner Erklärung am 10. Juni 1982 erneut bekräftigt: „Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden — es sei denn, als Antwort auf einen Angriff."

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Unser eigenes Bekenntnis zum Gewaltverzicht wird erweitert durch die ethische Pflicht, andere davon abzuhalten, uns anzugreifen.
    Das elementare Ziel der Atlantischen Allianz war und ist es, Krieg zu verhindern, damit Frieden und Freiheit gesichert bleiben. Die sicherste und bisher einzige Garantie dafür ist die Abschreckung auch mit Nuklearwaffen.
    Es ist unser Ziel, jeden Krieg zu verhindern,

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    den nuklearen wie den konventionellen, denn auch konventionelle Waffen wirken verheerend. Schon wegen der gewaltigen konventionellen Bedrohung bleiben wir auf die Abschreckung auch mit Nuklearwaffen angewiesen.
    Ich weiß ùm die Angst und die Gewissensnot, die manche unserer Bürger tief beunruhigen, denn wir alle kennen die schreckliche Wirkung von Nuklearwaffen. Meine Damen und Herren, um so größer ist unsere politische und moralische Verantwortung, Voraussetzungen zu schaffen, die den Einsatz dieser und anderer Waffen verhindern.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Und dazu müssen Sie sie erst einmal ins Land holen, oder wie?)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Der Friede im nuklearen Zeitalter ist aber nur so sicher wie die Gefahr des Untergangs für den, der ihn bricht.

    (Schily [GRÜNE]: Und für uns!)

    Deshalb wäre der einseitige Verzicht auf Abschrekkung ein unkalkulierbares Risiko. Für solche Wagnisse ist der Friede in Freiheit ein zu kostbares Gut.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir müssen also vorerst weiter mit nuklearen Waffen leben und damit in der ungeheuren Spannung zwischen ihrer Vernichtungskraft und ihrer friedenssichernden Wirkung.
    Um den NATO-Doppelbeschluß in seiner politisch-strategischen Bedeutung richtig einzuordnen, müssen wir auch heute einen Blick zurückwerfen: Anfang der 60er Jahre war die nuklearstrategische Situation zwischen den beiden Weltmächten dadurch gekennzeichnet, daß die Vereinigten Staaten eine erdrückende Überlegenheit an Nuklearwaffen interkontinentaler Reichweite besaßen. Beide Mächte, die USA und die Sowjetunion, verfügten in Europa über Mittelstreckenraketen.
    Die Amerikaner zogen ab 1963 ihre eigenen Mittelstreckenflugkörper aus Europa ab. Sie verminderten außerdem ihre nuklearstrategische Zerstörungskapazität auf ein Viertel dessen, was sie zu Beginn der 60er Jahre besessen hatten.
    Die Sowjetunion hingegen behielt nicht nur ihr eurostrategisches Potential, sondern baute es sogar, wie wir alle wissen, seit Beginn der 70er Jahre zu einem eigenständigen Machtfaktor in Europa aus.
    Diese beiden gegenläufigen Entwicklungen kreuzten sich 1974, als beide Weltmächte die inzwischen von der Sowjetunion erreichte nuklearstrategische Parität in der Erklärung von Wladiwostok programmatisch festhielten. Das Mittelstreckenpotential blieb jedoch — wie beim SALT-I-Abkommen — außerhalb dieser Vereinbarung.
    Zugleich wurde in jenen Tagen den Europäern bewußt, daß die nuklearstrategische Parität zwischen den beiden Weltmächten für Westeuropa ein zweischneidiges Schwert ist:
    Für die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bedeutet Gleichstand bei den Interkontinentalwaffen stabile Abschreckung. Durch den Einsatz dieser Waffen kann keiner etwas gewinnen, sondern jeder nur alles verlieren.
    Für die Europäer und für uns Deutsche jedoch ist der Verlust der nuklearstrategischen Überlegenheit der USA eine der folgenreichsten Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte. Es gibt in Europa keinen Ausgleich mehr für die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes und für die eurostrategische Bedrohung durch die Sowjetunion.
    Das Bündnis trug diesen Veränderungen — nicht zuletzt auch auf Wunsch der deutschen Bundesregierung — frühzeitig Rechnung, indem es seine Strategie von der „massiven Vergeltung" zur „flexiblen Antwort" weiterentwickelte. Aber — und das wissen wir auch — es wurden nicht die erforderlichen Mittel bereitgestellt. Die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts besteht bis heute fort. Und bis heute verfügt die NATO nicht über landgestützte nukleare Mittelstreckenwaffen, also solche Waffen, die nach der Bündnisstrategie notwendig sind, um die Abschreckung auf allen Ebenen sicherzustellen.
    Westeuropa, meine Damen und Herren, ist damit in einer anderen Sicherheitssituation als die USA. Wir sind durch die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Pakts bedroht. Wir sind aber auch durch ein nukleares Erpressungspotential an SS-20Mittelstreckenraketen bedroht, das immer stärker wird. Diese Raketen, meine Damen und Herren, zielen auf europäische Städte, nicht auf amerikanische. Die Sowjetunion will uns Europäer bedrohen und gleichzeitig die USA davon abhalten, uns zu schützen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Schließlich sind wir durch sowjetische Interkontinetalraketen bedroht, die gegen Nordamerika und Europa eingesetzt werden können.
    Der Doppelbeschluß der NATO vom Dezember 1979 soll dieses für uns Europäer gefährliche Ungleichgewicht korrigieren.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Gefährliche Illusion!)

    Die Sowjetunion hat die Wahl, künftig entweder die gleiche nukleare Doppelbedrohung wie Westeuropa hinzunehmen, nämlich die Bedrohung durch Interkontinental- und Mittelstreckenraketen, oder — und das hoffen wir — zusammen mit der NATO auf eurostrategische Waffen zu verzichten oder sie auf einen niedrigstmöglichen Stand zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit dem Doppelbeschluß hat das Atlantische Bündnis allerdings auch für die Dauer von vier Jahren darauf verzichtet, die sowjetische Vorrüstung mit der Aufstellung gleichwertiger Waffen zu beantworten. Das Bündnis hat damit eine einseitige Vorleistung erbracht, die in der Geschichte ohne jedes Beispiel ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sowjetunion ist dabei, eine historische Chance zu zerstören, indem sie sich diesem neuartigen und mutigen Ansatz zur Abrüstung starr verschließt.
    Aus der eurostrategischen Bedrohung durch die Sowjetunion ergeben sich für uns zwei politische Kernfragen:
    1. Ist es mit unserer Sicherheit und unserer politischen Unabhängigkeit vereinbar, wenn die Sowjetunion Westeuropa — das heißt: auch uns, die Bundesrepublik Deutschland — zu einer Zone minderer Sicherheit herabstuft?
    2. Soll die Sowjetunion ein Instrument behalten, mit dem sie die Geschicke Europas entscheidend beeinflussen kann?
    Die Diskussion über diese Fragen und damit über den NATO-Doppelbeschluß berührt den Lebensnerv



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    der Völker Europas. Jedermann spürt, daß fundamentale Fragen unserer Sicherheit berührt sind.
    Ich möchte dazu wiederholen, was ich am 4. Mai 1983 in meiner Regierungserklärung gesagt habe:
    Wir können die Nuklearwaffen nicht über Nacht aus der Welt schaffen. Ein einseitiger Verzicht würde die auf uns gerichtete nukleare Bedrohung nicht mindern, sondern die Gefahr eines Krieges erhöhen. Es gibt nur einen Weg aus diesem Dilemma: Wir müssen die nuklearen Waffen auf beiden Seiten drastisch reduzieren, diejenigen, die unsere Existenz bedrohen, und diejenigen, die wir heute für unsere Sicherheit bereithalten müssen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Solange nicht umfassende Abrüstung militärische Mittel zur Friedenssicherung entbehrlich macht, bleiben wir auf die bewährte Bündnisstrategie von Abschreckung und Verteidigung auf der Grundlage des Gleichgewichts angewiesen — eine Strategie, meine Damen und Herren, die wie die Streitkräfte der Allianz vom Vertrauen der Völker im Bündnis getragen wird.
    Diese Sicherheitspolitik hat über Jahrzehnte Zustimmung in unserem Volk und in den demokratischen Parteien gefunden.

    (Reents [GRÜNE]: Damit ist jetzt langsam Schluß!)

    Die Stimme unseres Landes war im Bündnis klar und unser Platz unumstritten.
    Am 26. Mai 1981 wurde auf Antrag der damaligen Bundesregierung unter der Führung von Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Entschließung des Deutschen Bundestages mit nur fünf Gegenstimmen und sechs Enthaltungen verabschiedet. Darin heißt es:
    Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bundesregierung bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang, daß der Westen den Bedarf an Mittelstreckenwaffen in der NATO im Lichte konkreter Verhandlungsergebnisse prüfen wird.
    In der Debatte rief der SPD-Vorsitzende Willy Brandt Moskau zu: „Stoppt eure Vorrüstung, beseitigt eure Vorrüstung, dann brauchen wir nicht nachzurüsten."

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die CDU/CSU-Fraktion hat damals als Opposition unter meiner Führung dieser Politik zugestimmt. Die von mir geführte Bundesregierung hat diese Politik fortgesetzt. Ich persönlich habe mehrfach erklärt, daß ich mich an den Beschluß der NATO in beiden Teilen gebunden fühle. Die damaligen Bedingungen für beide Teile des Doppelbeschlusses gelten unverändert.
    Der Doppelbeschluß, meine Damen und Herren, hat zu den Genfer Verhandlungen geführt. In ihm sind die Voraussetzungen, Bedingungen und Ziele der westlichen Verhandlungsposition definiert. Der Doppelbeschluß ist die konkrete Ausformung des Harmel-Berichts von 1967, der nach wie vor die politische Konzeption unseres Bündnisses klar und eindrucksvoll beschreibt, eine Konzeption, die auf dem inneren Zusammenhang von militärischer Sicherheit und Politik der Entspannung beruht. Die Bundesregierung setzt die von ihrer Vorgängerin eingeschlagene Richtung fort und steuert den Kurs der Atlantischen Allianz.
    Um eine Verständigung zu ermöglichen, haben die USA ihre Position bei den Genfer INF-Verhandlungen in engster Abstimmung mit den NATOPartnern kontinuierlich weiterentwickelt. Im November 1981 schlug Präsident Reagan vor, daß beide Seiten auf die gesamte Kategorie von landgestützten Mittelstreckenraketen größerer Reichweite und ihre Abschußvorrichtungen verzichten. Sein Vorschlag ging von der ehrlichen Überzeugung aus, daß mit dieser beiderseitigen Null-Lösung unseren Sicherheitsinteressen ebenso wie denen der Sowjetunion am besten gedient sei. Ich bedauere nach wie vor, daß sich die Sowjetunion bis heute weigert, diesen wegweisenden Vorschlag anzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im März 1983 schlugen die Vereinigten Staaten ein Zwischenabkommen vor, weil die Sowjetunion offensichtlich nicht bereit war, wie der Westen auf Mittelstreckenraketen insgesamt zu verzichten. Dieser Vorschlag kam der Sowjetunion dadurch entgegen, daß er für jede Seite eine gleiche Zahl von Gefechtsköpfen in der Bandbreite zwischen 50 und 450 vorsah.
    Weil auch dieser Vorschlag der Amerikaner für eine Zwischenlösung von der Sowjetunion zurückgewiesen wurde, hat der amerikanische Präsident im September 1983 zusätzlich neue Vorschläge unterbreitet, die auf konkrete Anliegen der Sowjetunion eingingen. Die Vereinigten Staaten sind bereit, nur das sowjetische Mittelstreckenpotential in Europa auszugleichen, wenn eine weltweite Obergrenze vereinbart wird, und neben den Mittelstrekkenflugkörpern auch über Flugzeuge entsprechender Reichweite zu verhandeln. Die Vereinigten Staaten sind ebenso bereit, bei einer möglichen Reduzierung des Nachrüstungsbedarfs Marschflugkörper und Pershing II anteilmäßig zu berücksichtigen.
    Heute vor acht Tagen hat der amerikanische Präsident diesen Vorschlag vom September 1983 weitergeführt und mit Zahlen konkretisiert.
    Damit hat die amerikanische Seite, damit hat die Allianz, damit hat der Westen während des ersten Jahres meiner Regierungszeit drei substantielle Vorschläge unterbreitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Demgegenüber beharrt die Sowjetunion auf ihren Maximalforderungen. Sie möchte unverändert die Aufstellung von nuklearen Mittelstreckenwaffen in Europa vollständig verhindern und sich das Mono-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    pol bei den landgestützten Mittelstreckenraketen sichern.
    Die Bundesrepublik Deutschland hat sich von Anfang an bei der Fortentwicklung der amerikanischen Position in Genf aktiv und konstruktiv beteiligt. Ich habe persönlich alles darangesetzt, daß sämtliche Kompromißmöglichkeiten in Genf ausgelotet werden,

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Dregger [CDU/CSU]: Mit großem Erfolg! — Schily [GRÜNE]: Das sieht man! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    die mit den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland und der Allianz vereinbar sind.

    (Schily [GRÜNE]: Keine einzige, Herr Bundeskanzler!)

    Ich stand dabei in einem ständigen engen persönlichen Kontakt mit dem amerikanischen Präsidenten, um alle Einzelheiten für die Genfer Verhandlungsführung abzustimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich muß hier mit aller Deutlichkeit sagen, daß es für die deutsch-amerikanischen Beziehungen einmalig ist, wie eng die Weltmacht USA ihre Verhandlungen in Genf mit uns abgestimmt hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Jasager sind Sie! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Ich hatte dabei selbstverständlich nicht nur die nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Auge. Es war auch mein Bestreben, unser Gewicht für Westeuropa in die Waagschale zu werfen. Zugleich mußte die Bundesrepublik Deutschland Eckpfeiler der Allianz bleiben,

    (Schily [GRÜNE]: Ganz schön morsch der Pfleiler!)

    auf den die USA sowohl ihre Verhandlungsführung als auch eine Stationierung, wenn uns die sowjetische Unbeweglichkeit am Ende dazu zwingen sollte, gründen konnten. Meine Damen und Herren, diese klare Haltung war und ist lebenswichtig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der NATO-Doppelbeschluß ist heute Prüfstein für die Handlungsfähigkeit und den Selbstbehauptungswillen der NATO. Selbst außerhalb des Bündnisses wird heute mit Sorge verfolgt, ob die freie Welt die Kraft aufbringt, der Sowjetunion selbstbewußt zu begegnen und ihre Sicherheitsinteressen durchzusetzen. Viele Staaten auch außerhalb des Bündnisses wissen, daß sie von den Erschütterungen nicht verschont bleiben würden, die eine Schwächung der NATO im Ost-West-System auslösen würde.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, wie stellt sich nun heute die Lage am Verhandlungstisch dar? Präsident Reagan hat mit seinen Vorschlägen vom 22. September und 14. November zu allen entscheidenden Problemen Lösungswege aufgezeigt, die auf wesentliche Anliegen der Sowjetunion eingehen. Generalsekretär Andropow hat diese Vorschläge in seiner Antwort vom 28. Oktober aufgenommen.
    Aber damit sind die Probleme eben nicht gelöst. Es besteht jedoch eine Grundlage für einen Verhandlungskompromiß. Die Sowjetunion hat ihre Maximalforderungen von Anfang an konsequent verfolgt. Mit ihrem Beharren auf die Einbeziehung der britischen und französischen Systeme blockiert sie seit Monaten die Verhandlungen. Ich hoffe, daß die jetzt aus Genf kommenden Anzeichen darauf hindeuten, daß sich diese Haltung ändern wird.
    Wir jedenfalls können diese Forderung nicht akzeptieren. Sie läuft im Kern darauf hinaus, die nukleare Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa zu verhindern und die USA langfristig — das ist das Hauptziel — aus Europa zu verdrängen;

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    sie nimmt uns, der Bundesrepublik Deutschland, als Nicht-Kernwaffenstaat den nuklearen Schutz der USA; sie enthält dem Bündnis die Mittel vor, die es zur Durchführung seiner Strategie benötigt, und betreibt damit die Abkoppelung Europas von den USA.
    Ich behaupte nach wie vor: Der Boden für ein Ergebnis ist bereitet. Aber Voraussetzung für ein Ergebnis ist, daß die Sowjetunion ihr Maximalziel aufgibt, sich ein Monopol bei landgestützten Mittelstreckenraketen gegenüber Westeuropa, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    In meiner Rede vor dem Hohen Hause am 9. Juni dieses Jahres habe ich schon sehr frühzeitig die Kriterien für eine Verhandlungslösung skizziert. Ich darf sie heute noch einmal wiederholen.

    (Reents [GRÜNE]: Sie wiederholen doch sowieso die ganze Zeit!)

    Erstens. Wir sind bereit, die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu respektieren. Wir sind jedoch nicht bereit, Westeuropa als eine Zone minderer Sicherheit zu akzeptieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zweitens. Wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen müssen auf dem Grundsatz der Gleichheit beruhen, und sie müssen verifizierbar sein.
    Drittens. Eine Berücksichtigung der französischen und britischen Systeme hat in den INF-Verhandlungen keinen Platz.
    Viertens. Wir streben eine Reduzierung der sowjetischen Mittelstreckenpotentiale gegen Europa auf Null an und sind bereit, dafür auf die Dislozierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu verzichten. Wenn es, meine Damen und Herren, zu keinem Ergebnis kommen sollte, weil die Sowjetunion dazu nicht bereit ist, wird gemäß Doppelbeschluß stationiert werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Pfui-Rufe von den GRÜNEN)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Sollte ein Zwischenergebnis erzielt werden, so wird sich der Umfang der Stationierung nach dem konkreten Verhandlungsergebnis richten.
    Fünftens. Eine Verlagerung des gegen Europa gerichteten sowjetischen nuklearen Mittelstreckenpotentials nach Fernost ist für uns nicht hinnehmbar.
    Sechstens. Die Sowjetunion bleibt aufgefordert, eine Einigung nicht dadurch zu verhindern, daß sie sich durch verstärkte Rüstung in Fernost

    (Reents [GRÜNE]: Weltbündnis!)

    ein neues hegemoniales Machtmittel gegenüber ihren asiatischen Nachbarn und zugleich ein verlegbares Dispositionspotential gegenüber Westeuropa, gegenüber uns verschafft.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich habe diese Kriterien hier erneut vorgetragen, um zweierlei deutlich zu machen:
    Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag, der deutschen und der Weltöffentlichkeit frühzeitig ihre Vorstellungen über ein Verhandlungsergebnis dargelegt; unsere heutige Debatte knüpft an diese Darlegungen an.
    Die Bundesregierung hat in dieser Frage einen konstruktiven Kurs gesteuert. Wir haben vom ersten Tag der Regierungsübernahme dieser Regierung bis heute auf die amerikanischen Verhandlungspositionen Einfluß genommen.

    (Schily [GRÜNE]: In welcher Weise denn?)

    Die enge persönliche Abstimmung mit dem amerikanischen Präsidenten ist ganz gewiß in der deutschen Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Und ohne Beispiel ist auch die enge Abstimmung mit unseren Freunden und Partnern in der NATO in Europa, in Kanada und in den Vereinigten Staaten.
    Wir haben uns fortgesetzt darum bemüht, auch nach einem Beginn der Stationierung alle Verhandlungsmöglichkeiten offenzuhalten. Nichts wird durch eine Stationierung unumkehrbar werden. Das Bündnis ist bereit, auch stationierte Systeme nach einem Verhandlungsergebnis wieder abzubauen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sowjetunion hat keinerlei Anlaß, jetzt vom Verhandlungstisch aufzustehen.
    Auch der Westen hat verhandelt, während die Sowjetunion die Aufstellung ihrer SS-20-Raketen fortsetzte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

    Die Sowjetunion hat von einem Moratorium geredet, während der Westen über vier Jahre faktisch
    ein Moratorium eingehalten und als einseitige Vorleistung keine Raketen stationiert hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und FDP)

    Die Allianz hat der Sowjetunion das bisher umfassendste Abrüstungsangebot der Geschichte unterbreitet.
    Bei den Verhandlungen über strategische Interkontinentalwaffen haben die USA angeboten, nicht nur die Trägersysteme drastisch zu verringern, sondern vor allem auch die Zahl der Gefechtsköpfe der land- und seegestützten Raketen um 40 % zu vermindern.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Bravo!)

    Bei den INF-Verhandlungen haben die USA den Sowjets vorgeschlagen, gemeinsam auf eine ganze Waffenkategorie zu verzichten,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    d. h. auf alle landgestützten Mittelstreckenraketen in Ost und West.
    Bei den Wiener MBFR-Verhandlungen über den gegenseitigen und ausgewogenen Truppenabbau in Mitteleuropa haben die Vereinigten Staaten gemeinsam mit uns und den übrigen europäischen Partnern einen umfassenden Vertragsentwurf eingeführt. Hierdurch soll eine überprüfbare Verringerung der Land- und Luftstreitkräfte beider Bündnisse auf 900 000 Soldaten jeder Seite im Reduzierungsgebiet sichergestellt werden.
    Im Genfer Abrüstungsausschuß bemüht sich der Westen um ein Abkommen, das Produktion und Lagerung aller chemischen Waffen nachprüfbar verbietet.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)

    Und am 17. Januar 1984 soll in Stockholm die Konferenz über sicherheits- und vertrauensbildende Maßnahmen und über Abrüstung in Europa beginnen. Diese Konferenz geht ebenfalls auf eine Initiative des Westens zurück.
    Außerdem wurden 1980 im Rahmen des NATODoppelbeschlusses aus Europa einseitig 1 000 nukleare Gefechtsköpfe abgezogen. Weitere 1 400 Gefechtsköpfe sollen folgen. Damit baut die NATO ein Drittel ihrer nuklearen Sprengköpfe in Europa ab.
    Nichts, nichts kann unsere Politik, die ich unter das Thema gestellt habe „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", eindrucksvoller verdeutlichen als diese Vielzahl von Abrüstungsinitiativen.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir streben eine ausgewogene Abrüstung auch deshalb an, weil wir Mittel freisetzen müssen, freisetzen wollen für die Linderung der Not von Menschen insbesondere in den Entwicklungsländern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist widersinnig und kann keinem von uns gleichgültig sein, daß die Rüstungsausgaben weltweit



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    steigen, während Hunderte Millionen Menschen Hunger leiden.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Dies ist für mich ein entscheidender Grund, auf Fortschritte bei ausgewogener Abrüstung und Rüstungskontrolle zu drängen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    — Meine Damen und Herren, ein einziger Satz widerlegt Sie: Die Bundesrepublik Deutschland gibt in diesem Jahr mehr Mittel für Entwicklungshilfe aus als alle Länder des Warschauer Pakts zusammen, die Sowjetunion eingeschlossen. —

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Wir wissen: Es gibt keine schnellen und radikalen Lösungen. was auf dem Feld der Abrüstung und Rüstungskontrolle gilt, das sind Beharrlichkeit, Ausdauer und Geduld.
    Präsident Reagan hat mit seinem persönlichen Einsatz für das bisher umfassendste Abrüstungsprogramm des Westens alle diejenigen Lügen gestraft, die ihm unterstellt haben, mit der Sicherheit der europäischen Verbündeten anders umzugehen als mit der Sicherheit der Vereinigten Staaten. In seiner Rede vor dem japanischen Parlament vor ein paar Tagen, am 10. November, hat er unmißverständlich festgestellt — ich zitiere —:
    Ein Atomkrieg kann niemals gewonnen und darf niemals geführt werden. Der Besitz von Nuklearwaffen hat allein den Wert, sicherzustellen, daß sie nicht eingesetzt werden können — niemals.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Westen hat seine Bereitschaft zur Abrüstung und Rüstungskontrolle immer wieder unter Beweis gestellt. Dennoch hören wir immer nur Vorschläge, worauf der Westen einseitig verzichten und welche Vorleistungen er erbringen sollte. Meine Damen und Herren, worauf wir aber verzichtet haben, darüber wird niemand mit uns verhandeln. Und wie soll denn die Bedrohung durch den Warschauer Pakt abgebaut werden, wenn wir vorher bereits alles, was möglich ist in den Verhandlungen, hingegeben haben?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Sicherheit, der Schutz unserer Freiheit gebieten nunmehr, daß wir mit der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen beginnen.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Nein!)

    Wir tun dies im Bewußtsein der Solidarität im Bündnis, dessen Partner sich gemeinsam mit uns dazu verpflichtet haben. Die NATO hat den Umfang der Stationierung von Anfang an qualitativ und quantitativ begrenzt. Damit wird deutlich, daß wir keine Bedrohung für die Sowjetunion schaffen wollen, sondern daß wir die notwendigen Maßnahmen auf ein Minimum dessen beschränken, was für unsere Sicherheit erforderlich ist. Für jede Rakete, die
    jetzt aufgestellt wird, wird eine andere Nuklearwaffe aus Europa abgezogen — und die Sowjetunion weiß das. Sie weiß auch, daß Ende des Jahres, wenn die ersten Einheiten einsatzbereit werden, immer noch fünf Jahre Zeit bleiben, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, das die Aufstellung dieser Raketen begrenzt oder rückgängig macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Beginn der Stationierung schlägt die Tür zu Verhandlungen nicht zu. Der Westen ist bereit, so lange weiterzuverhandeln, bis ein für beide Seiten annehmbarer Kompromiß gefunden ist. Die Sowjetunion hat wenige Tage vor dieser Aussprache in Genf zu erkennen gegeben, daß sie unter Aufgabe ihrer bisherigen Position bereit sein könnte, über die britischen und französischen Systeme mit den betroffenen Staaten in einem anderen Forum zu verhandeln. Ich bin sicher, daß sich Ausdauer, zähes und konstruktives Verhandeln sowie die Bewahrung der eigenen Sicherheitsinteressen bei gleichzeitiger Anerkennung der legitimen Sicherheitsbedürfnisse der anderen Seite auszahlen werden.
    Die Sowjetunion verfolgt weiterhin das Ziel, die Stationierung amerikanischer Mittelstreckensysteme in Europa grundsätzlich zu verhindern und gleichzeitig ihr Raketenmonopol zu bewahren. Dies bleibt für uns unannehmbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die jüngsten Vorgänge zeigen aber: Auch die Sowjetunion erkennt, daß die Anrechnung der britischen und französischen Systeme bei INF ein von ihr selbst künstlich geschaffenes Problem darstellt.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Wenn die Sowjetunion tatsächlich Kompromißbereitschaft zeigen würde, sollte es möglich sein, ein Gleichgewicht zwischen den nach Reduzierungen verbleibenden sowjetischen Systemen und den zu stationierenden amerikanischen Systemen zu vereinbaren, so daß unser Anspruch auf ein möglichst niedriges, aber für die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gleiches Niveau gewahrt wird.
    Ich wiederhole: Es gibt keine Veranlassung für die Sowjetunion, vom Verhandlungstisch aufzustehen. Wenn sie wirklich ein Ergebnis will, kann sie ein Ergebnis haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daß weiter verhandelt wird, liegt auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Sowjetunion. Ich appelliere heute von dieser Stelle erneut an die sowjetische Führung, nicht auf starren Prinzipien zu beharren, sondern ein Ergebnis möglich zu machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Sowjetunion behauptet, der Stationierungsbeginn zwinge sie zu Gegenmaßnahmen. Diese Behauptung beweist einmal mehr, daß die Sowjetunion bereit ist, mit Nuklearwaffen politischen Druck auszuüben. Darüber hinaus wissen wir, daß dieses als „Gegenmaßnahme" bezeichnete Rüstungsprogramm für nukleare Kurzstreckenwaffen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    seit Jahren vorbereitet wird. Die Entwicklungszeit für diese Waffensysteme beträgt acht bis zehn Jahre. Sie wurden völlig unabhängig vom NATO-Doppelbeschluß produziert und sollen jetzt auf diese Weise nachträglich vor der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Pershing!)

    Die Verhandlungen über Mittelstreckenwaffen sind ein wichtiger Teil des sicherheitspolitischen Gesprächs zwischen Ost und West.

    (Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Sie sind ein Teil unseres Bemühens, das Ost-West-Gleichgewicht insgesamt zu stabilisieren und den Frieden in Europa zu festigen.
    Die Bundesregierung hat ein dichtes Netz von Gesprächen und Verhandlungen mit der Sowjetunion und der DDR geschaffen. Hierbei gelingt es uns auch immer wieder, konkrete Fortschritte zu erreichen, wie gerade die Postvereinbarungen in der vergangenen Woche zeigen. Die Ost-West-Beziehungen dürfen nicht auf die Raketenfrage verengt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

    Mein Angebot in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 gilt: Uns liegt daran, eine neue und bessere Qualität der Beziehungen zur Sowjetunion und zu den Staaten des Warschauer Paktes zu erreichen. Unsere Politik ist eine Politik des guten Willens und der besten Absichten.
    Wie ich vor kurzem Generalsekretär Honecker schrieb, müssen nach meiner Überzeugung die beiden Staaten in Deutschland gerade dann, wenn die internationale Lage schwieriger wird, alle Kraft daransetzen, das Geflecht der Beziehungen und der Zusammenarbeit weiterzuentwickeln und auszubauen. Gerade unsere historische Erfahrung und Verantwortung für die Erhaltung des Friedens gebieten eine solche Politik.
    Wir sind nach wie vor bereit, auf der Grundlage der mit der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei und der DDR geschlossenen Verträge den Dialog und die Zusammenarbeit auf allen Gebieten fortzusetzen. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit diesen Verträgen den Gewaltverzicht zum zentralen Bestandteil ihrer Friedenspolitik gemacht. Die Völker in Ost und West, meine Damen und Herren, würden kein Verständnis dafür haben, wenn dieser Weg, den wir gemeinsam beschritten haben, verschüttet wird. Dies gilt ganz besonders für die Menschen in unserem geteilten Vaterland.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung steht uneingeschränkt zu beiden Elementen des Harmel-Berichts. Danach hat die Atlantische Allianz zwei Hauptfunktionen. Die eine besteht darin, eine ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität aufrechtzuerhalten. Die andere Funktion besteht in der weiteren Suche nach Fortschritten in
    Richtung auf dauerhafte Beziehungen zwischen Ost und West, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können.
    Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar.
    Es war der damalige Außenminister Willy Brandt, der im Dezember 1967 für die Bundesregierung dem Harmel-Bericht zugestimmt hat, in dessen Kontinuität auch der Doppelbeschluß des Bündnisses steht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dieser Beschluß repräsentiert im Kern die Philosophie des Bündnisses, daß Verteidigungsfähigkeit und Rüstungskontrolle gleichwertige Aufgaben sind. Wer nein sagt zum Doppelbeschluß, wendet sich also gegen die Sicherheitspolitik, die alle NATO-Staaten gemeinsam vertreten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer den innerem Zusammenhang zwischen militärischer Sicherheit und Politik der Entspannung auflöst, löst auch die politische Konzeption des Bündnisses auf, ohne dafür eine Alternative zu besitzen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer je nach Bedarf das eine oder das andere aus den beiden Teilen des Harmel-Berichts verfolgt, dessen Politik wird für die Freunde im Bündnis ebenso wie für die Staaten des Warschauer Paktes unberechenbar.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer den Doppelbeschluß und damit den inneren Zusammenhang zwischen Verteidigung und Rüstungskontrolle auflöst, stellt letztlich das Bündnis selbst und seine Entscheidungs- und Lebensfähigkeit in Frage.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Angesichts dieser Lage und nach dem Ergebnis des Parteitages muß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gegenüber der deutschen und der Weltöffentlichkeit folgende Fragen beantworten:
    Warum will sie offenbar die sowjetische Aufrüstung und die sich daraus ergebende Bedrohung nicht zur Kenntnis nehmen?
    Warum will sie dem Bündnis den notwendigen militärischen Schutz verweigern?
    Warum übernimmt sie wieder und wieder die sowjetische Argumentation, obwohl sie damit im Westen wie auch gegenüber der Mehrzahl ihrer sozialistischen Schwesterparteien isoliert ist?

    (Zurufe von der SPD)

    Warum unterstellt sie den Vereinigten Staaten ohne Unterlaß ungeachtet der gegenteiligen Fakten mangelnden Verhandlungswillen in Genf?
    Und warum, meine Damen und Herren, erkennt sie nicht die Bemühungen der Bundesregierung an, alle Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen?

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Professor Karl Kaiser, ein international angesehenes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Der hatte ja Redeverbot in Köln!)

    hat am 2. Oktober 1983 vor dem Seeheimer Kreis der SPD gesagt — ich zitiere —:
    Im Doppelbeschluß geht es im Kern um die Frage, ob sich die Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen mit ihren Verbündeten einem sich abzeichnenden Vormachtanspruch der Sowjetunion über Westeuropa entgegenstemmt oder nicht. Das sowjetische Ziel ist ein neues politisches System in Europa, das durch die Erosion der amerikanisch-europäischen Kooperation und wachsende Abhängigkeit von der Sowjetunion entsteht. Dies ist eine entscheidende Frage nationalen Interesses, nämlich der Selbstbestimmung der Bundesrepublik Deutschland, bei der man nicht kampflos sowjetische Positionen übernehmen oder dagegen gerichtete Bemühungen innenpolitisch untergraben darf. Dies ist von der sozialdemokratischen Regierung unter Helmut Schmidt so erkannt worden; sie betrieb deshalb den Doppelbeschluß, der von der Partei gebilligt wurde.
    In einem mehrjährigen Prozeß wurde jedoch die Ablehnung aus der SPD stärker und entwickelte sich zu einer Wende. Die Position Helmut Schmidts wurde faktisch ins Gegenteil verkehrt.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Gott sei Dank!)

    Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich fasse die Prinzipien zusammen, die die Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung bestimmen.
    Wir gehören zum Westen. Das Bündnis für Frieden und Freiheit ist elementarer Bestandteil deutscher Politik. Hier verbinden sich unsere Grundwerte, unsere Lebensformen und unsere Sicherheit. Nur ein wehrhaftes und einiges Bündnis kann den Frieden in Freiheit sichern.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Amen!)

    Das Bündnis dient dem Frieden Europas und der Welt. Es bleibt Grundlage einer Politik der Verständigung mit dem Osten. Die Bundesregierung steht fest zur Sicherheitspolitik der Allianz. Diese Politik verbindet Abschreckung und Verteidigung mit Rüstungskontrolle und Abrüstung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    An der historischen Wegscheide zwischen Erfolg in der Abrüstung und weiterer Nuklearrüstung und im Angesicht der Entscheidung, neue nukleare Mittelstreckenwaffen zu stationieren oder eine ganze Kategorie von Nuklearwaffen von dieser Erde zu verbannen oder sie wenigstens gleichwertig zu begrenzen, stehen Ost und West in der Bewährung. Ein Erfolg verlangt, daß beide Seiten ihre jeweiligen Sicherheitsbedürfnisse respektieren.
    Die Bundesregierung steht fest zum NATO-Doppelbeschluß. Wenn die Verhandlungen zunächst ohne Ergebnis bleiben, wird das Bündnis bis zum Jahresende die Einsatzbereitschaft der ersten Pershing-Raketen und Cruise Missiles herstellen. Die Bundesrepublik Deutschland trägt hierbei ihren Anteil.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auch danach in Genf nichts unversucht lassen werden, einen Verhandlungserfolg zu erzielen.
    Standfestigkeit zum NATO-Doppelbeschluß steht heute für das Überleben des demokratischen Europas, die Bewahrung des Atlantischen Bündnisses und die Fortsetzung gleichberechtigter Beziehungen mit der Sowjetunion.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bundesregierung bleibt bei der klaren Orientierung in der Sicherheitspolitik, die unser Volk braucht.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Mißbraucht!)

    Fundamente unserer Außenpolitik bleiben das Atlantische Bündnis und die Europäische Gemeinschaft.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sagen Sie jetzt zum zehntenmal!)

    Die Entscheidung für das Atlantische Bündnis, für die Partnerschaft mit den USA und Kanada wird uns auch in Zukunft Frieden und Freiheit sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wer von ganzem Herzen für den Frieden eintritt, wer Freiheit und Menschenwürde als höchstes Gut betrachtet, wer unsere nationalen Interessen auf Dauer gesichert sehen will, der muß das westliche Bündnis stark und gesund erhalten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Atlantische Allianz, deren Kernstück die festverwurzelte Freundschaft der alten Staaten des Kontinents mit der Neuen Welt jenseits des Atlantik bleibt, sichert unseren Frieden. Ich stehe dafür, daß dieser Weg, den FDP, CSU und CDU unter Konrad Adenauer eingeschlagen haben, nicht verlassen wird. Wir sind keine Wanderer zwischen Ost und West.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜNE])

    Zwischen Demokratie und Diktatur gibt es keinen Mittelweg. Wir stehen auf der Seite der Freiheit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Freiheit, das ist die freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verantwortung auch für den Nächsten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sieht man an der Polizeiorgie, die Sie da draußen veranstalten!)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Und weil wir für den Nächsten miteinzustehen haben, dürfen wir gerade auch als Christen die Gefahr von Gewaltherrschaft — und demnach von Krieg — für unsere Mitmenschen nicht erhöhen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ohne Freiheit kann der Friede nicht bestehen. Wo die Grundwerte Freiheit und Gerechtigkeit mißachtet, wo Menschenrechte verletzt werden, da ist immer auch der Friede in Gefahr.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sehr hohl, Herr Kohl!)

    Jenseits der Freiheit gibt es keinen Frieden, der diesen Namen verdient. Freiheitssicherung ist immer auch Friedenspolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Krieg darf kein Mittel der Politik sein.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie das mal in den USA!)

    Dies gehört zum Selbstverständnis demokratischer Staaten und demokratischer Politiker. Wer im Inneren Gewalt ausschließt

    (Zuruf von den GRÜNEN: Polizeistaat!)

    und den staatspolitischen Willen durch friedlichen Mehrheitsentscheid der Bürger bildet, der scheut auch nach außen das Mittel der Gewalt.
    Ebenso, meine Damen und Herren, gilt aber auch: Im Ringen um den äußeren Frieden darf der innere Frieden nicht in Gefahr geraten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Schauen Sie doch mal nach draußen! Ziehen Sie doch Ihre Polizeihunde zurück!)

    Ich habe großen Respekt vor der persönlichen Gewissensentscheidung eines jeden, die in der Friedensdiskussion zum Ausdruck kommt.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Jetzt kommt er ins Stottern! Das kann ich mir vorstellen! — Abgeordnete der GRÜNEN erheben sich und halten Abbildungen hoch)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, ich bitte, diese Transparente zu entfernen. Wir kämpfen hier mit Argumenten und Worten. Ich bitte, das Zeigen von Transparenten zu unterlassen und sie zu entfernen.

(Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich denke, er hat Respekt! — Zurufe von der CDU/ CSU: Raus! — Unruhe)

— Ruhe! Meine Damen und Herren, ich bitte auf allen Seiten des Deutschen Bundestages um Mäßigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Den Anblick können Sie nicht ertragen! Das ist richtig! — Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wichtigtuerei ist das!)

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Leere Phrasen hat der Bundeskanzler!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Helmut Kohl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich wiederhole: Ich habe Respekt vor der persönlichen Gewissensüberzeugung eines jeden, die in der Friedensdiskussion zum Ausdruck kommt. Aber nach unserer demokratischen Verfassung liegt die Entscheidung bei der Mehrheit des frei gewählten Parlaments.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Gerade in sogenannten Überlebensfragen gibt es nicht die geringste Legitimation für den Anspruch einer Minderheit, ihren Willen gegen eine Mehrheit durchzusetzen.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Gegen demokratische Mehrheitsentscheidungen unserer frei gewählten Volksvertretung hat niemand das Recht zum Widerstand.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    So will es unsere demokratische Freiheits- und Friedensordnung.
    Diese Ordnung ist es wert, im Inneren bewahrt und nach außen verteidigt zu werden. Das schulden wir uns selbst und unseren Bündnispartnern. Das sind wir auch den Menschen in Mittel- und Osteuropa schuldig.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Selten zuvor, meine Damen und Herren, ist der Wille, vor Herrschaftsstreben nicht zurückzuweichen, sondern die eigene Freiheit standhaft zu bewahren, eindringlicher formuliert worden als von Manès Sperber in seiner Dankrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels:
    Da ich — wie so viele andere — stets dazu geneigt war, unsere Zivilisation mit unerbittlicher Strenge zu kritisieren, will ich heute um so lauter darauf bestehen, daß Europa sich trotz allem selbst retten kann, wenn es sich nicht dazu verführen läßt, sich gerade in einer Zeit aufzugeben, in welcher der Mut zur Menschlichkeit und zur Wahrheit den Mut zur Selbstbehauptung voraussetzt.
    Meine Damen und Herren, dazu sind wir heute alle aufgerufen.

    (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Weiterlesen!)

    Weil ich Verantwortung für unsere Mitbürger trage, empfinde ich hier eine ganz persönliche Verpflichtung.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Als Christ, der sich auch in einem hohen Staatsamt an christliche Ethik gebunden weiß, wende ich
    mich deshalb gegen jeden Versuch, die Bergpredigt



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    in einer Weise in die Politik einzuführen, die jedenfalls für mich so nicht akzeptabel ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Bergpredigt zu leben heißt demütig anzuerkenen, daß es göttliche Vollkommenheit hier auf Erden nicht gibt. Die Verwechselung paradiesischer Verheißung mit irdischer Realität wird der Bergpredigt gerade nicht gerecht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Christ weiß um die Widersprüchlichkeit der Natur des Menschen, die auch die Geschichte prägt und den Frieden immer wieder gefährdet. Diese Bedingung menschlicher Existenz kann von uns allein nicht aufgehoben werden.
    Wenn unsere menschliche Natur durch unser Christsein aufgehoben würde, brauchten wir keine Politik mehr. Die Bergpredigt ist keine Aufforderung, die Wirklichkeit zu verleugnen, sondern sie verpflichtet uns zu einem ethisch verantwortlichen Handeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, der schon lange anhaltende Zustand erfolgreicher Kriegsverhütung in Europa ist ein Ergebnis verantwortlichen Handelns, eine Leistung der Vernunft, ja, ein Werk der Staatskunst, das es fortzuführen und zu stärken gilt. Dem dient unsere Verteidigungsbereitschaft, unser Bemühen um ein Gleichgewicht der Kräfte und damit um die Sicherung von Frieden und Freiheit.
    Wer vor dem Druck einer Diktatur weichen muß, weil er ihrer Macht nicht standhält, verleitet sie zu immer neuer Erpressung und zur Anwendung von Gewalt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Kein demokratischer Politiker darf sich in die Lage bringen, nicht mehr frei entscheiden zu können. Wir sollten nicht jene bittere Erkenntnis des britischen Premierministers Neville Chamberlain vergessen, der nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommens die englische Ohnmacht gegenüber dem nationalsozialistischen Regime im Unterhaus beschrieb. Er sagte:
    Die Erfahrung der letzten Tage hat uns nur zu deutlich gezeigt, daß militärische Schwäche diplomatische Schwäche bedeutet.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP — Zurufe von den GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Geschichte lehrt: Wer schwach ist, ermutigt hegemoniale Ansprüche und fordert Bedrohung geradezu heraus. Er macht sich erpreßbar und setzt seine Freiheit und damit in letzter Konsequenz auch den Frieden aufs Spiel.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Allein die Standfestigkeit der freien Völker kann totalitären Staaten ihre Grenzen zeigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Niemals dürfen wir zulassen, daß Friede und Freiheit gegeneinander ausgespielt werden.
    Nur ein Volk, das in Frieden und Freiheit lebt, kann auch wirklich einen Beitrag für den Frieden in der Welt leisten. Wir Deutsche, wir alle wollen diesen Frieden in Freiheit. Wir wollen ihn mit allen Völkern, und wir wollen ihn ganz besonders mit unseren Nachbarn in West und Ost.
    Wir wissen um das Schreckliche, das in deutschem Namen geschehen ist. Wir vergessen niemals das unsagbare Leid, das die Völker Europas und auf anderen Kontinenten in zwei Weltkriegen erfahren haben. Und in unserem eigenen Volke, in unseren eigenen Familien, in uns selbst lebt die Erinnerung an die Wunden, die Gewaltherrschaft und Krieg geschlagen haben, fort.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sagen Sie das einmal Herrn Geißler! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

    Unzählige Deutsche haben Schlimmes erlebt, am eigenen Leibe, in ihrer Familie, in ihrem Freundeskreis.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Na also!)

    Nie werden wir genau wissen, wie viele damals ihr Leben verloren — in den Kerkern des Unrechtsregimes, in den Schlachten des Krieges, in den Bombennächten in der Heimat, in der Gefangenschaft oder bei Flucht und Vertreibung aus der Heimat.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Viele von denen, die Krieg und Diktatur überlebten, blieben gezeichnet von den Spuren schrecklicher Erfahrungen.
    Wir haben die Lektion der Geschichte gelernt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Offensichtlich nicht!)

    Jene schlimmen Erfahrungen haben sich tief in das Gedächtnis und das Bewußtsein unseres Volkes eingegraben.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: In Ihres aber nicht! — Gegenruf Dr. Waigel [CDU/ CSU]: Eine Unverschämtheit!)

    Waffen und militärische Stärke haben für uns keinerlei Faszinationskraft. Wir sind nicht raketensüchtig!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Raketenkanzler!)

    Aber in einer friedlosen Welt müssen wir bereit sein, für die Sicherung unseres Friedens in Freiheit das Notwendige zu tun.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Kriegsbereit!)

    Wir, die Deutschen, können nicht beiseite treten, um in einer Nische der Geschichte darauf zu hoffen, daß es anderen gelingen möge, den Frieden und unsere Freiheit zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Dazu müssen wir auch selbst und persönlich unseren Beitrag leisten.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Deswegen stellen Sie neue Massenvernichtungsmittel auf!)

    ,,... dem Frieden der Welt zu dienen", wie es unser Grundgesetz, unsere Verfassung, vorschreibt dies war und bleibt für uns stets politische Notwendigkeit und sittliche Pflicht.
    Aber dieser Frieden in Freiheit hat seinen Preis.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Unser Leben!)

    Wir müssen bereit sein, dafür Opfer zu bringen. Wir müssen unsere Pflicht tun, jeder an seinem Platz, alle Bürger unseres Landes, ihre frei gewählten Abgeordneten, ihre demokratisch legitimierte Bundesregierung und auch ich ganz persönlich.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Im Bewußtsein der schweren Verantwortung, die ich in meinem Amt trage, bleibe ich bei meiner Überzeugung:

    (Zuruf des Abg. Reents [GRÜNE])

    Nur wenn wir jetzt das Gleichgewicht wiederherstellen und damit zugleich unser Bekenntnis zum Bündnis bekräftigen, sichern wir für unser Land den Frieden in Freiheit und damit die Zukunft unseres Vaterlandes.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Die Abgeordneten der CDU/CSU erheben sich — Zurufe und Pfiffe von den Grünen)