Rede:
ID1002004200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Herr: 1
    6. Abgeordnete: 1
    7. Reents.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/20 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 20. Sitzung Bonn, Freitag, den 9. September 1983 Inhalt: Begrüßung einer Delegation des Schwedischen Reichstages 1370 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — Dr. Dregger CDU/CSU 1339 B Glombig SPD 1348 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 1354 D Reents GRÜNE 1357 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 1361 D Frau Huber SPD 1370 C Dr. Geißler, Bundesminister BMJFG . 1376 C Frau Potthast GRÜNE 1380 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP . . . 1382 B Nächste Sitzung 1386 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 1386 A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 20. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. September 1983 1339 20. Sitzung Bonn, den 9. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Antretter * 9. 9. Dr. Czaja 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Haungs 9. 9. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 9. 9. Hoffie 9. 9. Junghans 9. 9. Kretkowski 9. 9. Kroll-Schlüter 9. 9. Dr.-Ing. Laermann 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Link (Diepholz) 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Müller (Remscheid) 9. 9. Offergeld 9. 9. Reschke 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Rohde (Hannover) 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Schröer (Mülheim) 9. 9. Frau Verhülsdonk 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Voigt (Sonthofen) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. Frau Dr. Wisniewski 9. 9. Wissmann 9. 9. Wurbs 9. 9 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dieter-Julius Cronenberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Noch nicht. Wenn ich mit der Zeit hinkomme, gern. — Ich möchte dem Haus in aller Eindringlichkeit noch einmal klarmachen, daß Vorstellungen, die 35-Stunden-Woche so-



    Cronenberg (Arnsberg)

    fort und bei möglichst vollem Lohnausgleich einzuführen, unrealistisch und gefährlich sind.

    (Beifall bei der FDP)

    Einige Gewerkschaftsfunktionäre haben hier wirklich den Kontakt zur Basis verloren. Sie müßten sich das einmal klarmachen: Der allergrößte Teil der Beschäftigten arbeitet in mittleren und kleinen Betrieben. Diese kleinen Betriebe sind weitestgehend lohnintensiv. Wer die Möglichkeiten für Arbeit in diesen Betrieben verschlechtert, ihre Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert, vernichtet sehenden Auges Arbeitsplätze. Ich glaube, man nennt so etwas grobfahrlässig.
    Meine Damen und Herren, schauen Sie sich einmal eine Region wie Remscheid an. In Remscheid wurden vor 15 Jahren noch en masse Qualitätswerkzeuge gefertigt, und diese Qualitätswerkzeuge wurden in alle Welt exportiert. Inzwischen sind auf Grund der Kostensituation in diesem Raum aus fabrizierenden, produktiv arbeitenden Betrieben Importeure geworden. Sie haben sich umstellen müssen. Sie exportieren nicht mehr, sie fabrizieren nicht mehr; sie importieren. Warum? Weil die Kosten in den Betrieben — und in diesen lohnintensiven Betrieben sind nun einmal Lohn- und Lohnnebenkosten entscheidende Kosten — zu hoch sind.
    Denken Sie einmal an die vielen Betriebe der Stahlverformung. Ich rede jetzt nicht von der Stahlindustrie, wo Konzernleitungen und Gewerkschaften gemeinsam nach Subventionen schreien; ich meine die Kunden der Stahlindustrie, die Stahlverformung. Niemand kommt auf die Idee, für diese Betriebe Hilfe — etwa Subventionen — zu verlangen. Wenn diese Betriebe keine ausreichende Erlöse mehr erzielen, sagt man ihnen schlicht und ergreifend: Geh zum Amtsgericht, mach pleite, mach die Bude zu. — Das wird — meine Damen und Herren, dies werfe ich Ihnen vor — in der Diskussion um eine pauschale Arbeitszeitverkürzung nicht im entferntesten berücksichtigt.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deswegen sagen wir, wir wollen nicht die Zweiklassenwirtschaft: auf der einen Seite Großbetriebe, die subventioniert werden, auf der anderen Seite die kleineren und mittleren Betriebe, die die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, um die sich aber kein Teufel kümmert. Meine Damen und Herren, ich glaube, auch hier im Hause müssen einige lernen, daß 1 x 20 000 nicht mehr ist als 1 000 x 20, 1 000 Betriebe mit je 20 Beschäftigten. Deswegen bitte ich Sie allen Ernstes und sehr eindringlich, bei all Ihren Überlegungen, die objektiv zu diskutieren ich j a gern bereit bin, diesen Gesichtspunkten die gebührende und notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.
    Wenn die IG Metall sagt, das ist für uns eine Machtfrage, und außer pauschaler Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich kommt nichts in
    Frage, dann werden sehenden Auges die Arbeitsplätze gefährdet.

    (Zuruf von der SPD: Unseriös!)

    Ich möchte mich mit aller Deutlichkeit gegen eine solche Politik aussprechen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Was macht denn eigentlich das Aufsichtsratsmitglied der IG Metall, in der Automobilindustrie, wenn der Einkäufer aus der Automobilindustrie mit einem Betrieb der deutschen Stahlverformung spricht? Da sagt der Einkäufer im Ausland würden diese Artikel billiger erzeugt. In ausländischen Betrieben wird 40 Stunden gearbeitet, die Lohnkosten sind niedriger, die Lohnnebenkosten sind niedriger, die Energiepreise sind wesentlich niedriger, und den Stahl bekommen diese Betriebe auch noch billiger geliefert.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Wer sich einbildet, daß tüchtige deutsche Arbeitnehmer, tüchtige Techniker und tüchtige Manager — die durchaus in der Lage sind, erhebliche Wettbewerbsnachteile auszugleichen — gegen einen solchen Wettbewerb ankommen können, der ist arrogant und dumm obendrein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist der Grund, aus dem wir uns in diesem Zusammenhang so nachhaltig gegen solche pauschale Betrachtungen aussprechen müssen.

    (Zurufe von der SPD)

    Das ist der Grund, aus dem wir sagen: Wir möchten gerne differenzierte Lösungen; bei der individuellen Gestaltung der Arbeitszeit müssen Lösungen auch unter Berücksichtigung der Kosten im Rentenbereich gefunden werden.
    Die Substanz der sozialen Sicherheit und die Eigenständigkeit der verschiedenen Systeme müssen gewahrt bleiben. Die soziale Selbstverwaltung muß gestärkt werden. Es geht um Spielraum für mehr Eigenverantwortung und mehr Eigenvorsorge. „Der alles durchdringende Staat ist ein Rezept für unverantwortliches Handeln" — darauf hat Ralf Dahrendorf hingewiesen — „denn nur Verantwortung macht verantwortlich".
    Sie, meine Damen und Herren, haben die Chance, in den Ausschüssen unsere ernst und seriös gemeinten Vorschläge verantwortlich mit uns zu diskutieren. Dafür bedanke ich mich im voraus.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reents.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jürgen Reents


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich platze jetzt bewußt mit einem Beitrag zum Verteidigungshaushalt und zur Friedenspolitik in diese Debatte über Sozialpolitik, damit auch wirklich niemand übersehen kann, daß zwi-



    Reents
    schen Rüstungs- und Sozialpolitik ein Zusammenhang besteht.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Gott sei Dank, daß es Sie gibt!)

    Ich tue das nicht etwa deshalb, weil uns sonst nichts einfiele.
    Die Bundesregierung hat in ihrer Unterrichtung über den Finanzplan des Bundes 1983 bis 1987 erklärt, „daß 1984 die Ausgaben für die Verteidigung fast 20% der Gesamtausgaben des Bundes ausmachen und damit wie bisher den zweitgrößten Block hinter den Sozialausgaben bilden". Weiter heißt es: „Die Ausgaben für die militärische Verteidigung wachsen in den Jahren 1984, 1985 und 1986 mit 3,6 %, 3,7 % und 3,5% deutlich stärker als die Gesamtausgaben des Bundes."
    Es ist uns unbegreiflich, wie man so etwas mit Genugtuung und gar mit Stolz erklären kann.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Aber es verdeutlicht erneut, daß es sich bei dem Dauerlutscher von Bundeskanzler Kohl, er wolle Frieden mit immer weniger Waffen schaffen, um etwas handelt

    (Glocke des Präsidenten)

    — ich habe es schon erwartet —, für dessen genaue Charakterisierung der Bundestagspräsident vermutlich einen Ordnungsruf erteilen würde.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich sagte: für dessen genaue Charakterisierung.
    „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen", aber im Rüstungshaushalt weiter zubuttern und neue Atomraketen ins Land holen, das ist, als wenn ein passionierter Raucher erzählt, er sei eigentlich Nichtraucher, und bei den 40 Zigaretten, die er am Tag qualme, ginge es nur ums Abgewöhnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zumindest dem Menschen würde doch jeder antworten: Der verkohlt uns doch.
    Die GRÜNEN werden in dieser Haushaltsdebatte einen detaillierten Abrüstungsvorschlag einbringen, einen Vorschlag, der zusammen mit den anderen von uns vorgeschlagenen Maßnahmen viel Geld dafür freisetzen kann, worüber sich die Minister Blüm, Stoltenberg und Lambsdorff angeblich so sehr den Kopf zerbrechen: zur Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, zur Sanierung der Renten, zur Sicherung der sozialen Versorgung und
    — wie wir meinen — für ein soziales und ökologisches Sofortprogramm.
    Es ist ja kein Naturgesetz, sondern nur die Verfahrensweise — oder besser: die verfahrene Weise
    — dieser Bundesregierung und ihrer Vorgänger, daß die Rüstungsausgaben ein Fünftel der Staatsausgaben verschlingen, in Wahrheit sogar mehr. Länder wie Österreich oder Finnland leben mit einem geringeren Anteil ihrer Rüstungsausgaben am
    Staatshaushalt j a nicht unsicherer, sondern eher sicherer als die Bundesrepublik.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Erzählen Sie auch einmal etwas von der Sowjetunion)

    — Das mit der Sowjetunion habe ich erwartet. Warten Sie ab! Dazu kommt noch etwas.
    Unsere Vorschläge betreffen folgende Abrüstungsmaßnahmen:
    Erstens. Einfrieren der vorhandenen Waffensysteme und militärischen Anlagen.
    Zweitens. Personalstopp in der Bundeswehr.
    Drittens. Drastische Einschränkung der Wehrforschung.
    Viertens. Rückzug der Bundeswehr aus anderen Ländern und Senkung der NATO-Kosten.
    Fünftens. Aktivitäts- und Manövereinschränkung der Bundeswehr.
    Sechstens. Stopp der Vorbereitungsmaßnahmen für einen Atomkrieg und der Maßnahmen für psychologische Kriegsvorbereitung und Kriegsführung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir verraten Ihnen ja kein Geheimnis, wenn wir sagen, daß wir überhaupt gegen Rüstung und Rüstungsausgaben sind,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Nur bei uns!)

    aber hier geht es momentan ja nur darum, diese Regierung auf einem verhängnisvollen Weg zu stoppen, und nicht darum, von ihr einen Amtseid auf unser Programm zu verlangen.
    Mit den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen lassen sich mühelos über 9 Milliarden DM freisetzen. Das sind 19 % des geplanten Verteidigungshaushaltes. Darüber hinaus lassen sich unter den gleichen Gesichtspunkten 7,4 Milliarden DM Verpflichtungsermächtigungen auffinden, die in den vergangenen Jahren erteilt worden sind und im kommenden Jahr 1984 fällig werden. Wenn daran etwas rückgängig zu machen ist — das streben wir an —, wäre eine Senkung des Verteidigungshaushalts um bis zu einem Drittel möglich.

    (Zuruf von der CDU/CSU: In welcher politischen Gruppierung waren Sie denn früher?)

    Wir wissen um die haushaltstechnische Problematik dieses letzten Punktes. Aber der Verweis allein darauf kann nicht die Notwendigkeit verdrängen, über eine Umkehr nachzudenken, die gleichermaßen für den Frieden in Mitteleuropa und für die soziale und ökologische Lebensqualität in unserem Lande nützlich ist. Eine präzise Liste unserer Kürzungsvorschläge werden wir Ihnen bei den Beratungen im Haushaltsausschuß vorlegen.
    Die Aufrüstungspolitik, die die Bundesregierung betreibt, ist gefährlich und eine der Ursachen der sozialen Demontage. Wer 50 Milliarden DM in die Rüstung steckt, muß eben Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe kürzen, die Rentenzuschüsse senken



    Reents
    und auf jedem erdenklichen Weg der Bevölkerung das Geld aus der Tasche ziehen.
    Die antisoziale Politik dieser Bundesregierung wird übrigens im Verteidigungshaushalt selbst genauso streng eingehalten. Die Ausgaben für Bekleidung, Verpflegung und Bildungswesen werden nämlich auch im Verteidigungshaushalt gekürzt, damit die Ausgaben für Wehrforschung und Beschaffung um so steiler ansteigen können.

    (Zuruf des Abg. Dr. Riedl [München] [CDU/ CSU])

    Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen bestätigt, daß Sachausgaben und Investitionskäufe im militärischen Bereich im Schnitt um ein Drittel geringere Arbeitsplatzeffekte haben als in anderen Bereichen. Lesen Sie einmal nach, was das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits 1977 über die Bedeutung der Staatsausgaben für die Beschäftigung herausgegeben hat. Ihre Rüstungspolitik macht Ihr eigenes Gerede über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zur Makulatur.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Diese Regierung ist eine Regierung des Rüstungskapitals, so wie sie überhaupt eine Regierung des großen Geldes und nicht der kleinen Leute ist, auch wenn Herr Dregger das eben bestritten und gemeint hat, daß sich die Grenzen zwischen Kapital und Arbeit längst verwischt hätten.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lattmann [CDU/CSU]: Erzählen Sie ruhig weiter! Sie haben sowieso Persilschein!)

    Wenn dem so ist, dann soll uns Herr Dregger doch einmal den pensionierten Bankier oder den kinderreichen Grundstücksspekulanten zeigen, der auf das Sozialamt gehen muß.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dort schicken Sie mit Ihrer Politik doch lediglich diejenigen hin, deren Wählerstimmen Ihnen zwar ein paar Schmeicheleien, aber nicht eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen wert sind.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie haben die Logik eines Maulwurfs!)

    — „Maulwurf" klingt immerhin freundlicher als „Ratten". Aber das, was Sie da sagen, hat bestimmte Vorbilder.

    (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Schwerhörig sind Sie auch noch!)

    Ich will zur Friedenspolitik zurückkehren. Der Bundeskanzler hat gestern noch einmal den NATO-Doppelbeschluß bekräftigt und gesagt, wer für die Zusammenlegung der START- und der INF-Verhandlungen sei, der spekuliere auf die Verschiebung des Stationierungstermins. Das muß ja ein wahres Grausen für diese Regierung sein. Die Raketen können offenbar nicht früh genug ins Land kommen. Dann beschweren Sie sich aber nicht, wenn man Ihnen Atomfanatismus und Raketengeilheit vorwirft.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

    Von der Sache her ist die Forderung nach Zusammenlegung der Verhandlungen über strategische und euronukleare Rüstung sehr begründet. Sie zählen jeden Panzer der Sowjetunion aus dem Zweiten Weltkrieg mit, aber verlangen von der Sowjetunion, daß sie die britischen und französischen Atomraketen, die nicht gegen Washington, sondern gegen Moskau gerichtet sind, doch freundlichst ignorieren solle.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Welche Interessen vertreten Sie hier eigentlich? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der Kommunistische Bund wird hier vertreten!)

    Das ist aber nur das eine an Ihrer unernsthaften Position.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Sie brauche hier nicht „TASS" zu zitieren!)

    — Warten Sie es doch einmal ab. Sie brauchen nicht ständig mit dem Zwischenruf „Sowjetunion" zu kommen. Wir brauchen gar keine Belehrung. Das lesen Sie mal bei uns im Programm nach.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Das ist unangenehm! Das wissen wir!)

    Im übrigen habe ich Sie darauf hingewiesen, daß ich dazu noch etwas sagen werde. Sie werden sich vermutlich noch wundern.

    (Lattmann [CDU/CSU]: Wir wissen doch, wo Sie Mitglied sind!)

    Das ist aber nur das eine an Ihrer unernsthaften Position. Das zweite ist: Im SALT-Vertrag sind die strategischen Raketen dadurch definiert, daß sie eine Reichweite von mindestens 5 500 km haben, weil dies die kürzeste Luftentfernung zwischen der Sowjetunion und den USA ist. Der SALT-Vertrag zählt aber auch die U-Boot-gestützten Raketen zur strategischen Rüstung, obwohl diese häufig eine geringere Reichweite haben, die US-amerikanischen Polaris und Poseidon z. B. ca. 4 600 km. Strategische Rüstung zwischen den Supermächten meint also offenbar die Erreichbarkeit des gegnerischen Territoriums zwischen USA und Sowjetunion. Ist das denn bei den Pershing II und Cruise Missiles, wenn sie in der Bundesrepublik stehen, etwa nicht der Fall? Die USA haben hier mit ihrer Unterscheidung von strategischer und euronuklearer Rüstung einen plumpen Trick hingelegt, um sich eine Legitimation für ihren Rüstungswahn und ihre neue Strategie des „gewinnbaren Atomkrieges" zu schaffen, für die Reagan in einer Rede am 18. Mai 1981 als Ziel angab — ich zitiere das nach der „Neuen Zürcher Zeitung" —:
    Wir werden (den Kommunismus) abschließen als ein trauriges, bizarres Kapitel der Geschichte, dessen letzte Seiten eben geschrieben werden. Wir werden uns nicht damit abgeben, ihn



    Reents
    anzuprangern, wir werden uns seiner entledigen ...

    (Schily [GRÜNE]: Hört! Hört!)

    auf das künftige Generationen diese amerikanische Nation und ihre großen Ideale ehren können.
    Die großen Ideale mit den Orden von Hiroshima und Nagasaki, von Vietnam, Guatemala und Chile und morgen vielleicht von Nicaragua — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und Afghanistan und Polen!)

    — Ich zähle hier die Dinge auf, die Sie immer vergessen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sie halten eine Rede für das Politbüro!)

    Von Ihnen bekommt man doch nie ein einziges Wort über die Verantwortung der USA zu hören,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Weil Sie nicht zuhören!)

    sei es im Vietnam-Krieg, sei es für den Putsch in Chile, sei es für den seinerzeitigen Putsch in Guatemala oder sei es für Hiroshima und Nagasaki. Darüber reden Sie doch überhaupt nicht. Das wollen Sie doch vergessen machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Wie sieht es denn heute in Vietnam aus? — Wir brauchen nichts zu vergessen!)

    Begreifen Sie doch, warum wir und mit uns Millionen in unserem Land diese Raketen nicht wollen: weil wir nicht die Todgeweihten eines Dritten Weltkrieges sein wollen und ebensowenig wollen, daß andere Völker dies sind.
    Lesen Sie einmal das beunruhigende Buch des amerikanischen Publizisten Robert Scheer über seine Gespräche mit hohen Verantwortlichen der Reagan-Administration „Und brennend stürzen Vögel vom Himmel" und versuchen Sie, den Satz zu verstehen, den er darin auf Seite 30 schreibt und den ich gern zitieren will:
    Die Frage nach dem universalen Tod wird schal, weil die Argumentationen oft unnötig komplex sind, auf einem Fachchinesisch beruhen und Begriffe benutzen, die gezielt das verschweigen, was diese Bomben anrichten können —, daß sie nämlich die Menschen töten, die man liebt, und fast alle anderen auch.
    Die Militärs und Regierungen entdecken ständig neue Waffenlücken: die Raketenlücke, die Panzerlücke und jetzt auch die Lücke bei den chemischen Waffen, obwohl bereits 2 000 bis 4 000 t US-amerikanisches Giftgas in unserem Lande lagern. Die Bundesrepublik ist bekanntlich das einzige Land, das den USA die Lagerung solcher Giftgase erlaubt. Wann — das ist unsere Frage — wird endlich einmal die Lücke entdeckt, die mit solcher Aufrüstung in den Frieden hineingerissen wird?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Koalitionsparteien behaupten, daß ihre Haltung zum NATO-Doppelbeschluß von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt werde, denn schließlich hätten sie j a 56% der Wählerstimmen erhalten. Mehrere Meinungsumfragen aus jüngster Zeit sagen aber etwas anderes. Wir meinen, daß diese Frage geklärt werden muß. Beides kann nicht stimmen. Das Mittel, dies zu klären, kann eine Volksbefragung sein, wie sie bereits von vielen gefordert wird: ja oder nein zur Raketenstationierung.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt auf einmal!)

    Wir hätten keine Angst davor, aber vielleicht die Regierung. Es ist auf jeden Fall ein kaum zu überbietender Ausdruck von einer Arroganz der Macht, wenn Unionspolitiker heute darauf hinweisen, daß Adenauer sich j a auch nicht danach gerichtet habe, was ein Großteil der Bevölkerung meint. In bezug auf Adenauer haben Ihre Politiker damit sicherlich recht. Täuschen Sie sich aber nicht, daß die Friedensbewegung in unserem Land ein zweites Mal so mit sich umspringen läßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Denn heute geht es noch mehr als damals um unsere Existenz, und das wissen zum Glück bereits sehr viele Menschen in unserem Land.
    Wir sagen von hier aus auch eindeutig: Unsere Hoffnung richtet sich insbesondere darauf, daß es nicht bei dem vom DGB-Vorstand für den 5. Oktober angekündigten 5-Minuten-Streik bleibt, sondern in den Betrieben und Gewerkschaften diejenigen mehr Gehör finden, die bereits über einen Generalstreik nachzudenken gewagt haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Der Schriftsteller Rolf Hochhuth hat kürzlich in der „Zeit" eigentlich Ausreichendes dazu gesagt, nämlich daß ein Generalstreik zwar dazu führen würde, daß vorübergehend der Postbote nicht mehr käme und auch keine Milch zu kaufen sei und daß dies unangenehm sei; aber immerhin werde es dies nach dem Generalstreik wieder geben, nach einem Atomkrieg aber nicht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich muß bei dieser Gelegenheit — ich wende mich jetzt zur anderen Seite hin — etwas aus einem Interview zitieren. Eine Zeitschrift hat vor längerer Zeit ihrem Interviewpartner folgende Frage gestellt — ich zitiere —:
    Nun sind zum erstenmal auch zwei Stichworte gefallen: Volksbefragung und Generalstreik. Halten Sie die Anwendung beider Kampfmittel für legitim?
    Die Antwort darauf war:
    Die Frage möchte ich uneingeschränkt mit Ja beantworten.
    Das Interview wurde 1958 geführt. Damals ging es um die Frage der atomaren Bewaffung der Bundeswehr. Die Zeitschrift hieß „konkret" und der Interviewpartner Helmut Schmidt,

    (Schily [GRÜNE]: Hört! Hört!)




    Reents
    damals wie heute Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneter und dazwischen Bundeskanzler und als Bundeskanzler u. a. für den NATO-Doppelbeschluß wesentlich mitverantwortlich. Man kann der SPD nur raten, dieses Wort ihres Exkanzlers zu beherzigen, und man muß ihr raten, nicht nach der Methode „Haltet den Dieb!" jetzt Spuren zu verwischen. Eine Loslösung vom NATO-Doppelbeschluß liegt bei der SPD nicht vor. Da schießt die CDU/ CSU mit ihren Vorwürfen weit übers Ziel hinaus. Aber hier und da versucht die SPD draußen wirklich diesen Eindruck zu erwecken, wenn es denn nützt. Wir wissen natürlich auch, daß in der SPD mal wieder ganz hart innerparteilich gekämpft wird. Aber wir vermuten auch schon zu wissen, wer die Siegerschärpe davontragen wird. Das ist gerade das Bedauerliche.
    So bleibt, wenn Willy Brandt in einem von der „Süddeutschen Zeitung" Anfang letzten Monats veröffentlichen Brief an die Friedensbewegung von den „Neo-Reaktionären" in den USA spricht, doch die Erinnerung daran, daß es justament eineinviertel Jahre her ist, daß der SPD-Parteivorstand seinen eigenen Mitgliedern die Teilnahme an einer Protestdemonstration gegen den führenden Vertreter dieser „Neo-Reaktionäre" untersagte.
    Herr Vogel, Sie haben gestern in der Debatte vehement auch z. B. die Produktion und Lagerung von Giftgasen angeklagt. Dem stimmen wir voll zu. Aber sind Sie denn auch bereit, die frühere SPD-FDP-Regierung deswegen anzuklagen? Denn sie hat auch nichts dagegen unternommen, sondern hat in ihrer Antwort auf die Anfrage eines Abgeordneten vom 12. Juni 1981 erklärt — ich zitiere —:

    (Die Bundesregierung) setzt sich ... in besonderer Weise seit Jahren für ein umfassendes C-Waffen-Verbot in den internationalen Gremien für Rüstungskontrolle und Abrüstung ein. Diese ständigen Bemühungen werden in keiner Weise dadurch beeinträchtigt, daß eine beschränkte Menge von US-C-Kampfstoffen in Übereinstimmung mit dem NATO-Truppenstatut und dem Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland gelagert wird.

    Wenn jemand auf die Vergeßlichkeit der Menschen spekuliert, dann ist das keine gute Visitenkarte.
    Ich will zum Schluß aber noch etwas anderes ansprechen, und damit kommen auch Sie mit Ihren Zwischenrufen zur Sowjetunion zum Zug.
    Die GRÜNEN haben zu dem Abschuß eines Zivilflugzeuges durch sowjetische Abfangjäger eine Erklärung abgegeben, die keinerlei Unklarheit läßt, daß wir das für ein Verbrechen halten. Wir haben darüber hinaus deutlich gemacht, daß diese sowjetische Rakete nicht nur 269 Menschen getroffen und in den Tod geschickt hat, sondern daß diese Rakete die internationale Friedensbewegung getroffen hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir brauchen da nicht den geringsten Nachhilfeunterricht.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wo waren denn Ihre Demonstrationen auf der Straße?)

    Aber wir haben unsererseits etwas hinzuzufügen:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo haben Sie denn da auf der Straße demonstriert?)

    Die Reagan-Regierung hat jetzt Sanktionen gegen die Sowjetunion verhängt, und die westlichen Regierungen insgesamt beraten jetzt — gestern auf der KSZE-Konferenz — über gemeinsame Aktionen, vor allem einen 14tägigen Boykott sowjetischer Flughäfen durch die westlichen Fluglinien. So etwas kann man nur aus tief wurzelndem Vergeltungsdenken erwägen.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Es heizt den Kalten Krieg weiter an und hat vor allem mit der Sache nichts zu tun. Werden dadurch etwa solche Militäraktionen in Zukunft verhindert, die der Zündfunke für noch viel Schrecklicheres sein können?
    Wir schlagen Ihnen etwas anderes vor: Soll sich doch der Herr Bundeskanzler vor die Weltöffentlichkeit stellen und alle Staaten auffordern, in erster Linie die Sowjetunion und die USA, ein halbes Jahr lang den Luftraum von jeglicher militärischer Fliegerei und Nutzung freizuhalten!

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Erklären Sie die Bereitschaft der Bundesrepublik, damit sofort anzufangen und in der UNO mit allen Staaten zu diskutieren, ob man daraus nicht einen Dauerzustand machen sollte! Damit würden Sie einen wirklichen Beitrag leisten, daß es zu solchen Anschlägen auf die Zivilflugfahrt gar nicht wieder kommen kann. Sie hätten mal das erste Handfeste für ihre bislang leere Floskel „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" auf den Tisch gelegt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich bin ziemlich sicher, daß bei vernünftigem Nachdenken unser Vorschlag mit Ihrer Sanktions-
    und Vergeltungspolitik um eine Mehrheit in der Bevölkerung konkurrieren könnte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)