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ID1001908800

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    Plenarprotokoll 10/19 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 19. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion die GRÜNEN betr. Änderung der Auslieferungspraxis der Bundesregierung und Staatenbeschwerde gegen die Türkei — Drucksache 10/357 — Burgmann GRÜNE 1243 B Dr. Schäuble CDU/CSU 1244A Porzner SPD 1244 B Burgmann GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 1245 C Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1984 (Haushaltsgesetz 1984) — Drucksache 10/280 — in Verbindung mit Beratung des Finanzplans des Bundes 1983 bis 1987 — Drucksache 10/281 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) — Drucksachen 10/335, 10/347 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und zur Einschränkung von steuerlichen Vorteilen (Steuerentlastungsgesetz 1984) — Drucksachen 10/336, 10/345, 10/348 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligungen (Vermögensbeteiligungsgesetz) — Drucksachen 10/337, 10/349 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Investitionszulage für Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie (Stahlinvestitionszulagen-Änderungsgesetz) — Drucksachen 10/338, 10/346, 10/350 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion die GRÜNEN Entlassung der Bundesminister des Innern und der Justiz — Drucksache 10/333 (neu) — in Verbindung mit II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Entlassung des Bundesministers der Justiz und des Bundesministers des Innern — Drucksache 10/342 — Roth SPD 1245C Dr. Althammer CDU/CSU 1253 A Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister BMWi 1257A, 1307 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 1263 B Mischnick FDP 1268 D Dr. Kohl, Bundeskanzler 1273 C Dr. Vogel SPD 1282 D Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 1295 B Koschnick, Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1298 B Metz CDU/CSU 1303 B Dr. Emmerlich SPD 1310 C Fischer (Frankfurt) GRÜNE 1313 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU 1317 D Kleinert (Hannover) FDP 1322 C Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU (Erklärung nach § 30 GO) 1325 C Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 1328 B Kuhlwein SPD 1330 D Neuhausen FDP 1334 B Dr. Jannsen GRÜNE 1335A Namentliche Abstimmung 1326 C Nächste Sitzung 1335 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1337* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 1337* A Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 1243 19. Sitzung Bonn, den 8. September 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode —19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 1337* Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 9. 9. Dr. Enders * 9. 9. Handlos 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 8. 9. Kretkowski 9. 9. Dr. Lenz (Bergstraße) 9. 9. Lenzer * 9. 9. Dr. Müller * 9. 9. Schmidt (Hamburg) 9. 9. Schmidt (Wattenscheid) 9. 9. Voigt (Frankfurt) 9. 9. Frau Dr. Wex 9. 9. Wilz 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident hat gemäß § 80 Abs. 3 der Geschäftsordnung die nachstehenden Vorlagen überwiesen: Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Möglichkeiten für eine Gemeinschaftsbeihilfe zur Finanzierung einer festen Ärmelkanalverbindung (Drucksache 10/207) zuständig: Ausschuß für Verkehr Entschließung des Europäischen Parlaments zur Höhe der Einkommen in der Landwirtschaft (Drucksache 10/208) zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Raumordnungsbericht 1982 (Drucksache 10/210) zuständig: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend) Innenausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Bericht der Bundesregierung zur Förderung der Drittmittelforschung im Rahmen der Grundlagenforschung (Drucksachen 10/225, 10/332) zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1981/1982 sowie über Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet (§ 50 GWB) (Drucksache 10/243) zuständig: Ausschuß für Wirtschaft Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den ersten Teil der 29. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 6. bis 8. Juni 1983 (Drucksache 10/246) zuständig: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Einwilligung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe bei Kap. 1502 Tit. 642 07 des Haushaltsjahres 1983 (Ausgaben nach § 8 Abs. 2 des Unterhaltsvorschußgesetzes) (Drucksache 10/316 [neu]) zuständig: Haushaltsausschuß Anlagen zum Stenographischen Bericht Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 2. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1983 (Drucksache 10/292) zuständig: Haushaltsausschuß Fünfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) (Drucksache 9/2386) zuständig: Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie Entschließung des Europäischen Parlaments zur Diskriminierung von unverheirateten Müttern gegenüber verheirateten Frauen im Bereich des Eltern- bzw. Kindesverhältnisses in bestimmten Mitgliedstaaten (Drucksache 9/2417) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Rechtsausschuß Entschließung des Europäischen Parlaments zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Drucksache 9/2421) zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit (federführend) Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Entschließung des Europäischen Parlaments zu den türkischen Auslieferungsersuchen (Drucksache 9/2413) zuständig: Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Der Präsident hat gemäß § 92 der Geschäftsordnung die nachstehende Vorlage überwiesen: Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs (Nr. 9/83 — Erhöhung des Zollkontingents 1983 für Bananen) (Drucksache 10/315) Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte, den Bericht dem Plenum möglichst bis zum 8. Dezember 1983 vorzulegen Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 24. August 1983 mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung über die nachstehende Vorlage absieht: Bericht der Bundesregierung zu dem Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Pockenschutzimpfung (Drucksache 9/2423) Die in Drucksache 10/92 unter Nummer 73 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag für eine Europäische Strategie auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Technik Rahmenprogramm 1984 bis 1987 ist als Drucksache 10/217 verteilt. Die in Drucksache 10/133 unter Nummer 12 aufgeführte EG-Vorlage Mitteilung der Kommission an den Rat über die Strukturen und Verfahren der Gemeinsamen Politik auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technologie ist als Drucksache 10/221 verteilt. Die in Drucksache 10/92 unter Nummer 26 aufgeführte EG-Vorlage 1338* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1983 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament betreffend eine bessere Nutzung der Ergebnisse Gemeinschaftsgeförderter F&E-Aktivitäten ist als Drucksache 10/222 verteilt. Die in Drucksache 10/168 unter Nummer 3 aufgeführte EG-Vorlage Vorschlag eines Beschlusses des Rates über das Rahmenprogramm der wissenschaftlichen und technischen Tätigkeiten der Gemeinschaft 1984-1987ist als Drucksache 10/295 verteilt. Die in Drucksache 10/133 unter Nummer 11 aufgeführte EG-Vorlage Die künftige Finanzierung der Gemeinschaft Vorschlag für einen Beschluß über die eigenen Mittel ist als Drucksache 10/329 verteilt.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Emmerlich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Punkt 2 der Tagesordnung sprechen und mich wegen der besonderen Bedeutung dieses Tagesordnungspunktes auch darauf beschränken.
    Am 30. August 1983 während einer Gerichtsverhandlung über seinen Asylantrag stürzte sich der 23jährige Kemal Altun aus dem Fenster des sechsten Stocks des Gerichtsgebäudes zu Tode.
    Kemal Altun war nach dem Militärputsch vom September 1980 aus Angst vor politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen und hatte bei seiner in West-Berlin verheirateten Schwester Zuflucht gefunden. Als er im September 1981 einen Asylantrag stellte, verlangte die Türkei kurz darauf, veranlaßt durch eine Rückfrage deutscher Behörden in Ankara, seine Auslieferung. Seit dem 5. Juli 1982 bis zu seinem Tode saß er ununterbrochen in Auslieferungshaft, fast 14 Monate lang.

    (Krizsan [GRÜNE]: Einzelhaft!)

    Die Bundesregierung bewilligte am 21. Februar 1983 die Auslieferung. Seit dieser Zeit mußte Altun täglich mit dem Vollzug der Auslieferung rechnen.
    Gewiß hat sich Kemal Altun schon durch die über ein Jahr andauernde Haft in einem fremden Land in einem Zustand ständig steigender Zermürbung und Verzweiflung befunden. Zermürbt hat Altun gewiß zusätzlich auch, daß alle seine Anstrengungen und die Bemühungen anderer zur Verhinderung der Auslieferung zu einer Kette von Enttäuschungen wurden, zu einer Kette, in der zwischendurch aufkeimende Hoffnungen immer wieder jäh zerstört wurden.
    Das Kammergericht erklärte die Auslieferung für zulässig, bezeichnenderweise ohne Altun anzuhören.
    Klagen beim Bundesverfassungsgericht wurden nicht angenommen. Eine Beschwerde bei der Europäischen Menschenrechtskommission wurde zwar für zulässig erklärt; über sie ist aber bis zum Tode Altuns nicht entschieden worden.
    Trifft es also zu, was Justizminister Engelhard und Innenminister Zimmermann nach dem Tode



    Dr. Emmerlich
    von Kemal Altun behauptet haben, daß nach Recht, Gesetz und Grundgesetz verfahren worden sei und daß alles, was vertraglich und gesetzlich möglich sei, geschehen sei? Kann akzeptiert werden, was der Bundesinnenminister vorträgt, nämlich der Freitod von Kemal Altun resultiere aus einer persönlichen Ausnahmesituation, einer Ausnahmesituation, die täglich vorkommen und gegen die unmöglich Vorsorge getroffen werden könne?
    Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion handelt es sich bei diesen Einlassungen der Bundesminister Engelhard und Zimmermann um bloße Schutzbehauptungen, mit denen das eigene Versagen verschleiert werden soll.

    (Beifall bei der SPD)

    Wahr ist, daß den vertraglichen und gesetzlichen Regelungen allenfalls formal entsprochen worden ist, daß aber Grundprinzipien unserer Verfassung in grober Weise mißachtet worden sind.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Da seien Sie mal vorsichtig!)

    Die Verantwortlichen haben, um die Auslieferung durchzusetzen, vorhandene Bestimmungen bewußt bürokratisch, Seelen- und gnadenlos angewendet und gehandhabt.

    (Beifall bei der SPD)

    Belegt wird das vor allem durch das Schreiben des Bundesinnenministers Zimmermann an den Bundesjustizminister Engelhard vom 21. Juli 1983. In diesem Schreiben forderte der Bundesinnenminister im Interesse einer guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet die Auslieferungsbewilligung der Bundesregierung für vollziehbar zu erklären, damit die Auslieferung unverzüglich durchgeführt werden könne. Für den Bundesinnenminister steht bei Auslieferungsverfahren also die Sicherung einer guten Zusammenarbeit auf polizeilichem Gebiet im Vordergrund, selbst dann, wenn es sich um die Zusammenarbeit mit der Polizei einer Militärdiktatur handelt. Innenminister Zimmermann ist bereit, das persönliche Schicksal des von einer Auslieferung Betroffenen und seine unabdingbaren Grundrechte, also seine Freiheit, seinen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, frei von Manipulation und Folter, der guten Zusammenarbeit mit einer solchen Militärdiktatur unterzuordnen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Und als Kemal Altun in seiner hoffnungslosen Verzweiflung keinen anderen Ausweg mehr sah als den Freitod, da fand dieser Minister kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Betroffenheit, der Anteilnahme. Kaltschnäuzig und herzlos erklärte er, der Tod Altuns sei dessen Privatsache, nach dem Motto: Schuld ist das Opfer selbst.

    (Pfui-Rufe bei der SPD — Zuruf von der SPD: Unglaublich! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Die Rede ist unglaublich!)

    Die Einstellung des Innenministers ist geprägt von einer nicht erträglichen Mißachtung der Menschenrechte

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    und von einer bedenkenlosen Mißachtung des einzelnen Menschen und seines Schicksals.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wer wie Herr Zimmermann den einzelnen und seine Rechte vermeintlichen Staatsinteressen unterwirft, zeigt einen menschenverachtenden Zynismus, der ihn für politische Führungsaufgaben disqualifiziert.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Dieser Zynismus hat die Politik von Herrn Zimmermann stets bestimmt. Er kennzeichnet nicht nur seine Ausländerpolitik. Zunehmend bestimmt er auch die Innen- und Rechtspolitik.
    Wenn Herr Zimmermann Bundesinnenminister bleibt, dann ist eine andere Republik wahrscheinlich.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP — Kittelmann [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)

    Wir Sozialdemokraten halten aber auch die Entlassung des Bundesjustizministers für erforderlich. Der Bundesjustizminister hat das Ansinnen des Bundesinnenministers, ein Menschenschicksal und die Grundrechte der Pflege guter Beziehungen zu einer Militärdiktatur unterzuordnen, bis heute nicht zurückgewiesen. Im Gegenteil, er hat, entsprechend dem Verlangen des Bundesinnenministers, den Bundesminister des Auswärtigen förmlich ersucht, nunmehr dem Vollzug der Auslieferung zuzustimmen.
    Bemerkenswert ist, wie kritiklos der Bundesjustizminister die Annahme des Kammergerichts übernommen hat, bei der Altun vorgeworfenen Straftat handele es sich weder um eine politische Tat noch um eine solche, die mit einer politischen Tat im Zusammenhang stehe. Täter und Teilnehmer der Erschießung des Vizepräsidenten der Nationalen Bewegungspartei sind durch ein türkisches Militärgericht bereits am 6. April 1983 in Ankara abgeurteilt worden. Auf dieses Urteil ist von der deutschen Botschaft in Ankara ausdrücklich mit der Bemerkung hingewiesen worden, es sei nunmehr zu befürchten, daß die türkischen Gerichte Schwierigkeiten bei der Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes bekommen würden.
    Der Bundesjustizminister hätte an Hand dieses Urteils die Möglichkeit gehabt, festzustellen, ob die Verurteilung wegen der Begehung von Staatsschutzdelikten erfolgt ist, ob also die Altun vorgeworfene Strafvereitelung mindestens im Zusammenhang mit einer politischen Straftat stand. In diesem Fall wäre eine Auslieferung unzulässig gewesen. Außerdem hätte der Justizminister aus der Anklage und aus dem Urteil zusätzlich Aufschluß darüber gewinnen können, ob der Vorwurf gegen Altun manipuliert war. Es gibt Hinweise, daß das Militärgericht einen anderen als Täter für die Tat



    Dr. Emmerlich
    verurteilt hat, die Altun im Auslieferungsverfahren zu Last gelegt wurde. Trotz des warnenden Hinweises des deutschen Botschafters hat der Bundesjustizminister entweder das Urteil des türkischen Militärgerichts nicht beigezogen oder aber er hat es ignoriert. In beiden Fällen hat er in unentschuldbarer Weise gegen seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verstoßen.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Bundesjustizminister hat ferner der Tatsache nicht die nötige Beachtung geschenkt, daß Al-tun durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 6. Juni 1983 Asyl gewährt worden ist. Dabei ging der Bundesjustizminister zusätzlich davon aus, daß das Verwaltungsgericht Berlin diese Anerkennung bestätigen werde. Gleichwohl hat er sich geweigert, den Vollzug der Auslieferung bis zum Abschluß des Asylverfahrens, zumindest bis zur Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts, auszusetzen. Dazu bestand aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Veranlassung. Nach dieser Rechtsprechung muß die Anerkennung als politischer Flüchtlinge als Beweisanzeichen für eine tatsächlich zu befürchtende politische Verfolgung angesehen werden. Der Bundesjustizminister hat es nicht nur unterlassen, die Asylgewährung durch das Bundesamt ausreichend zu berücksichtigen, er hat darüber hinaus versucht, wie seinem Schreiben an den Außenminister zu entnehmen ist, dem von ihm erwarteten positiven Abschluß des Asylverfahrens durch Vollzug der Auslieferung zuvorzukommen und ihn damit zu durchkreuzen.
    Gerade bei Auslieferungen in die Türkei ist besondere Vorsicht geboten. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 1983 genügt — ich zitiere wörtlich — „nach den jüngsten Erfahrungen die Zusicherung der Spezialität" (also der Beschränkung der Strafverfolgung auf die im Auslieferungsverfahren bezeichnete Straftat) „nicht, um derzeit im Auslieferungsverkehr mit der Türkei die Gefahr politischer Verfolgung auszuschließen".

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Auch das Europäische Parlament hat in seiner einstimmigen — ich betone ausdrücklich: einstimmigen — Entschließung vom Februar 1983 zu türkischen Auslieferungsersuchen gefordert, daß diese mit besonderer Sorgfalt geprüft werden müßten, daß keine abschließende Entscheidung über die Auslieferung ergehen dürfe, bevor die Gefahr einer menschenrechtswidrigen politischen Verfolgung ausgeschlossen — ich wiederhole: ausgeschlossen — werden könne, daß insbesondere über die formale Anwendung des Auslieferungsrechts hinaus berücksichtigt werden müsse, wie das Auslieferungsersuchen zustande gekommen sei, ob politische Implikationen eine Rolle spielten und welche Folgen die Auslieferung für den Betroffenen voraussichtlich haben werde. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Bundesjustizminister diese Maßstäbe des Europäischen Parlaments seinen Entscheidungen nicht zugrunde gelegt hat, obwohl er dazu nach der Rechtslage durchaus in der Lage
    gewesen wäre. Es kann auch nicht bezweifelt werden, daß sich der Bundesjustizminister statt dessen begierig auf eine formale Anwendung des Auslieferungsrechts zurückgezogen hat, um sein eigentliches Ziel, die Durchsetzung der Auslieferung, zu erreichen.
    Nun einige Bemerkungen zu dem Plädoyer des Bundeskanzlers für den Innenminister und den Justizminister. Der Bundeskanzler hat „Freispruch" beantragt, ohne die Begründung für unseren Antrag zu kennen und Gelegenheit gehabt zu haben,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    unsere Begründung zu würdigen. Das macht deutlich, welches Verhältnis dieser Bundeskanzler zum Parlament, insbesondere zur parlamentarischen Opposition hat.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Er war länger in der Opposition, als Sie da sind!)

    Die „Freispruchs"-Begründung des Bundeskanzlers nimmt auf das Verhalten des Bundesinnenministers Zimmermann nicht mit einem einzigen Wort Bezug.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/ CSU])

    Ich entnehme daraus, daß der Bundeskanzler zur Verteidigung des Bundesinnenministers kein Wort gefunden hat. Es gibt auch keine Verteidigungsmöglichkeit für dieses unglaubliche, skandalöse Schreiben.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Rossmanith [CDU/CSU])

    Der Bundeskanzler hat auf ein Schreiben des Staatssekretärs Erkel an den Bundesjustizminister Bezug genommen, das zuvor im Entwurf dem früheren Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel zur Kenntnisnahme und zur Zeichnung vorgelegt war. Hans-Jochen Vogel hat deutlich gemacht, daß aus diesem Schreiben keine Vorwürfe der Art, wie sie gegen den Bundesinnenminister und gegen den Bundesjustizminister zu erheben sind, hergeleitet werden können. Darüber hinaus füge ich aber hinzu: Die Gleichstellung des Auslieferungsverfahrens Altun mit dem damaligen Auslieferungsverfahren, das auf ein Ersuchen der jugoslawischen Regierung an die deutsche Bundesregierung zurückging, ist unzulässig, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Erstens. Dem von dem damaligen Auslieferungsverfahren Betroffenen war vom Bundesamt in Zirndorf Asyl nicht gewährt worden. Zweitens. Zwischen der derzeitigen Militärregierung in der Türkei und den damaligen und heutigen Verhältnissen in Jugoslawien gibt es keine Vergleichsmöglichkeit.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ihre Auffassung spricht für sich!)

    In der Türkei ist politische Verfolgung an der Tagesordnung. Mehr als 20 000 Personen befinden sich in der Türkei aus politischen Gründen in Haft, und in der Türkei wird täglich Folterung gegenüber



    Dr. Emmerlich
    den politischen Gefangenen angewandt. In der Türkei ist bei jedem politischen Gefangenen mit einer schwerwiegenden Verletzung elementarer Menschenrechte zu rechnen.
    Letzte Bemerkung zum Plädoyer des Bundeskanzlers. Der Bundeskanzler hat den Eindruck erweckt, als ob andere europäische Staaten auch bei behaupteter und naheliegender oder erwiesener politischer Verfolgung den Auslieferungsverkehr mit der Türkei fortsetzen. Ich habe in meinen Händen, Herr Bundeskanzler — er ist leider nicht da —, ein Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesjustizministerium, Klein, vom 6. September 1983, aus dem sich ergibt, daß der Bundesregierung derartige Fälle einer Auslieferung an die Türkei trotz behaupteter politischer Verfolgung nicht bekannt sind.

    (Schily [GRÜNE]: Hört! Hört!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibt also trotz der Verteidigungsrede des Bundeskanzlers dabei, daß der Bundesjustizminister im Gegensatz zu seiner Einlassung nicht alles getan hat, was möglich war. Er hat vielmehr bedenkenlos das unterlassen, wozu er verpflichtet war, nämlich den Menschenrechten und den Grundrechten im Auslieferungsverfahren Geltung zu verschaffen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kittelmann [CDU/CSU]: Sie wissen ja selbst, daß das gar nicht stimmt!)

    Dieser Bundesjustizminister hat nicht die politische und nicht die moralische Kraft, gegen kalte Machtinteressen und den gnadenlosen Schematismus bürokratischer Routine die Menschenrechte zu verteidigen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Er ist der besonderen Verantwortung, die sein Amt ihm auferlegt, nicht gewachsen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns Sozialdemokraten ist das Verhalten der Bundesregierung in Auslieferungsverfahren von ganz besonderer Bedeutung. Wir haben nicht vergessen und wir werden nie vergessen, wie viele Menschen in Europa nach 1933 aus dem Machtbereich Hitlers fliehen mußten, um sich politischer Verfolgung zu entziehen. Wir wissen, was diejenigen von ihnen zusätzlich erlitten haben, die von Auslieferung bedroht waren, und was denen widerfahren ist, die an die Nazis ausgeliefert worden sind. Das Verhalten der Staaten, die den Nazi-Verfolgten damals Zuflucht gewährt und Auslieferungsverlangen der Nazis abgelehnt haben, ist für uns eine bleibende Verpflichtung.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich möchte gerade heute daran erinnern, daß die Türkei Kemal Atatürks für viele Nazi-Verfolgte — z. B. Ernst Reuter — eine Zufluchtsstätte war, in der sie vor einer Auslieferung sicher sein konnten.
    Diese sich aus unserer Geschichte ergebende Verpflichtung bestimmt unsere Maßstäbe für das Verhalten deutscher Regierungen bei Auslieferungen. Wir können es nicht zulassen, daß Verfolgte und ihre Menschenrechte vermeintlichen Staatsinteressen in einem herzlosen und unmenschlichen Verfahren geopfert werden.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Deshalb fordern wir vom Bundeskanzler die Entlassung der Bundesminister Engelhard und Zimmermann.
    Für die SPD-Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer (Frankfurt).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Joseph Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 43 Jahren, am 27. September 1940, starb der Philosoph und deutsche Jude Walter Benjamin an der spanisch-französischen Grenze durch die eigene Hand. Benjamin, einer der herausragendsten Denker der Frankfurter Schule, nahm Gift, da er die Auslieferung an Hitlers Gestapo und Folter, Verstümmelung und qualvollen Tod im Konzentrationslager mehr fürchtete als den Selbstmord. Nach seinem Tod durften seine Gefährten — alles politische Flüchtlinge vor der Nazi-Diktatur — in Spanien bleiben. Sie wurden nicht ausgeliefert. Man muß hinzufügen, daß es sich dabei um das faschistische Spanien ein Jahr nach dem Ende des Bürgerkrieges gehandelt hat.
    Am 30. August dieses Jahres hat sich der politische Emigrant und Asylsuchende Kemal Altun aus dem sechsten Stockwerk des Berliner Verwaltungsgerichts gestürzt. Sein Tod bezeichnet den traurigen Höhepunkt einer seit Jahren — und das heißt: auch schon unter der sozialliberalen Regierung begonnenen — vollzogenen Aushöhlung und Verfälschung des Asylrechts in ein Asylverweigerungsrecht.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

    Die Verfasser des Grundgesetzes der Bundesrepublik, diese in feiertäglichen Ansprachen so sehr bemühten Väter unserer freiheitlichen Grundordnung, hatten aus guten und bisweilen am eigenen Leib erfahrenen Gründen ein die Menschenwürde achtendes Asylrecht in die Verfassung hineingeschrieben. Die Not, die Angst und die Qual der politischen Flüchtlinge aus dem Deutschland der Nationalsozialisten waren ihnen noch gegenwärtig gewesen und sind einzelnen Mitgliedern dieses Hauses lebensgeschichtlich wohl noch vor Augen. Willy Brandt hätte keine Chance gehabt, jemals Bundeskanzler zu werden, wenn man ihn damals nach denselben Regularien behandelt hätte, wie sie heute leider in der Bundesrepublik für politische Flüchtlinge gelten.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Man empfand damals zu Recht die Dankesschuld von Überlebenden. Sollten andere ein ähnliches Schicksal erleiden, so hat diese Republik ihnen



    Fischer (Frankfurt)

    Schutz und Obdach zu gewähren. Das war für die Verfassungsväter selbstverständlich.
    Nunmehr, im Jahre 1983, enden auch in diesem Land Asylverfahren mit Selbstmord, enden mit Verzweiflungstaten von politischen Flüchtlingen, die den Freitod der Auslieferung an blutige Militärdiktaturen und deren Folterknechte vorziehen. Der Leidensweg Kemal Altuns durch die Gefängnisse, Gerichte und politischen Interessen der westdeutschen Demokratie, der dreizehnmonatige Leidensweg eines „Asylanten" — wie die abfällige und rohe Bezeichnung von Behörden und Stammtischen für politische Flüchtlinge hierzulande lautet, Herr Althammer — zeigt beispielhaft, wohin es mit dieser Dankesschuld, wohin dieses Land und wohin diese Demokratie gekommen ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Mit euch!)

    Wer hier und heute Parteiengezänk befürchtet, der sei beruhigt. Hier wird vielmehr von der Scham und Schande zu sprechen sein, die man in Deutschland zu empfinden hat, wenn gewählte Regierungen und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Gerichte
    — Kammergerichte! — mehr oder weniger offen mit blutigen Militärdiktaturen paktieren

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)

    und ihnen politische Oppositionelle willfährig ans Messer liefern.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das geht zu weit!)

    — Auch über die Willfährigkeit wird noch einiges zu sagen sein.
    Kemal Altun kam 1981 nach dem Militärputsch in der Türkei nach West-Berlin und stellte dort im September einen Asylantrag. Auf Grund der sogenannten „verfestigten Zusammenarbeit" zwischen deutschen und türkischen Geheim- und Polizeidiensten kam es zu der bei Asylanträgen üblichen Regelanfrage des Bundeskriminalamtes in Ankara. Prompt überreichten die türkischen Militärs einen Haftbefehl nebst Auslieferungsantrag wegen Verdachts der Anstiftung zum Mord an dem früheren türkischen Zoll- und Monopolminister Gün Sazak. Dieser Haftbefehl war zwei Jahre nach der Tat und erst nach der Anfrage des Bundeskriminalamtes erlassen worden. Kemal Altun kam daraufhin in West-Berlin in Auslieferungshaft.
    Da Kemal Altun auf Grund des ersten Auslieferungsantrages wegen Anstiftung zum Mord in der Türkei die Todesstrafe gedroht hätte und damit eine Auslieferung nur mit zusätzlichen Garantien möglich gewesen wäre, übergaben die türkischen Militärs den deutschen Behörden einen zweiten Auslieferungsantrag. Nunmehr hatten sich aber Inhalt, Daten und Aktenzeichen geändert. Man sprach fortan von Strafvereitelung, da Altun Waffen und am Attentat Beteiligte versteckt haben sollte, was Kemal Altun ebenso wie den ersten Vorwurf jedoch bestritten hat.
    Daraufhin erklärte der IV. Senat des Kammergerichts Berlin im Auslieferungsverfahren am 16. Dezember 1982 die Auslieferung durch Beschluß für rechtens, ohne Altun überhaupt einmal persönlich gehört zu haben oder gar ein später hinzukommendes Urteil eines türkischen Gerichts gegen einige Angeklagte im Mordfall Gün Sazak im weiteren Verlauf zu berücksichtigen, in welchem Aussagen, die Altun bislang belastet hatten, als Schutzbehauptungen der anderen Angeklagten eingestuft wurden. Zudem wurde in diesem Urteil der Fall Sazak als — ich zitiere wörtlich — „gewaltsamer Versuch, die Verfassung der Republik Türkei im gesamten zu verändern oder zu beseitigen" dargestellt. Dies ist das klassische politische Delikt. Auch deshalb hätte Kemal Altun niemals ausgeliefert werden dürfen.
    Ganz anders handelte jedoch die Bundesregierung. Sie bewilligte die Auslieferung mit Verbalnoten vom 21. Februar 1983. Ganze zwei Tage später entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem ähnlich gelagerten Fall eines politischen Emigranten aus der Türkei, daß
    nach den jüngsten Erfahrungen die allgemeine Zusicherung der Spezialität nach Artikel 14 des Europäischen Auslieferungsabkommens allein nicht (genügt), um derzeit im Auslieferungsverkehr mit der Türkei die Gefahr politischer Verfolgung hinreichend auszuschließen. Es bedarf daher zusätzlich einer Prüfung der Umstände des Einzelfalles.
    Eine solche Prüfung hat im Fall Kemal Altun weder durch das Kammergericht, gegen dessen Entscheidung wegen des Berlin-Status die Rechtsmittel zum Bundesverfassungsgericht nicht möglich sind, noch durch die Bundesregierung stattgefunden.
    In dem entlarvenden Brief des Justizministers vom 21. Juli 1983, von dem noch zu sprechen sein wird, werden im wesentlichen türkische Polizei- und Standgerichtsakten zitiert.
    Lassen Sie mich noch einiges aus der Begründung der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde in einem ähnlichen Falle verlesen; denn dadurch wird das ganze Ausmaß jener kaltschnäuzigen Umgehung von Verfassung und Verfassungsgericht ersichtlich werden. Man wird jenen Verfassungsbruch erkennen, dessen sich die Bundesminister der Justiz und des Innern schuldig gemacht haben. Das war, wie gesagt, etwa zwei Tage nach der Entscheidung der Bundesregierung:
    Es ist in der Vergangenheit anscheinend vorgekommen, daß türkische Behörden mit manipulierten strafrechtlichen Vorwürfen versucht haben, im Wege des Auslieferungsverfahrens politischer Gegner habhaft zu werden ... Auch ein manipuliertes Strafurteil kann aber ein Instrument politischer Verfolgung sein ... Sollten sich irreführende Manipulationen bei den Tatvorwürfen feststellen lassen, so könnte der Schutz des Spezialitätsgrundsatzes kaum als ausreichend angesehen werden. Er würde jedenfalls bei der Auslieferung zur Vollstreckung eines politisch manipulierten Urteils versagen. In diesem Falle bestünde die politische Verfolgung gerade darin, den Verfolgten die unberechtigte Freiheitsstrafe verbüßen zu lassen,



    Fischer (Frankfurt)

    wobei selbst ordnungsgemäße Haftverhältnisse nichts am Tatbestand der politischen Verfolgung ändern könnten.
    Soweit also diese Begründung des Verfassungsgerichts. Diese Urteilsbegründung wäre es wert, hier als Ganzes verlesen zu werden. Allein, es fehlt die Zeit dazu. Sie wollen sie offensichtlich auch nicht zur Kenntnis nehmen.
    Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich im weiteren auf „amnesty international", dessen Appelle an die Bundesregierung im Falle Altun ungehört verhallt sind, spricht von der Folter unter dem Regime der Generäle in der Türkei, weist darauf hin, daß die Bundesregierung über keine völlig sicheren Informationen über die Menschenrechtslage in der Türkei verfügt, und bezieht sich auf verschiedene Entschließungen des Europaparlaments aus den Jahren 1981 bis 1983 über die Folter in der Türkei und einen notwendigen Verzicht auf die Auslieferung politisch Verfolgter. Schließlich wird auch noch die in Straßburg anhängige Staatenklage von Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und Schweden bezüglich der Menschenrechtsverletzungen der türkischen Regierung herangezogen.
    Es war also alles bekannt. Jeder, der wissen will, weiß auch, was in der Türkei der Generäle seit September 1980 geschieht:

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

    21000 politische Gefangene in den Kerkern; ein Gedicht schon wird mit mehrjähriger Haft bestraft; der Gebrauch der kurdischen Sprache ist verboten; Gefangene sterben unter der Folter, werden hingerichtet oder sind wie der politische Flüchtling und asylsuchende Levent Begen einfach verschollen.
    Levent Begen wurde noch unter der Regierung Schmidt am 30. Juni 1980 mit der Lufthansa in die Türkei ausgeflogen, wurde dort entgegen allen Zusicherungen gefoltert und zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt und gilt seitdem als verschollen. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich in der oben angeführten Entscheidung ausdrücklich auf diesen Fall.
    Der Justizminister war jedoch noch am 21. Juli 1983 der Ansicht, daß — ich zitiere — „kein begründeter Anlaß für die Befürchtung besteht, Kemal Altun könnte nach seiner Auslieferung einer unmenschlichen Behandlung unterworfen werden". Man wußte also — und die Regierung und vor allem der Justizminister mußten wissen —, was die politisch Verfolgten in der Türkei erwartet. Spätestens seit der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde von Ibrahim Sen im Februar 1983 hätte Kemal Altun als freier Mann die Auslieferungshaft verlassen müssen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    All die Appelle und Petitionen von Menschenrechtsorganisationen, vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, von Gewerkschaften und zahlreichen Persönlichkeiten und Politikern verhallten ungehört. Der Justizminister wollte nichts hören, wollte nichts zur Kenntnis nehmen, denn sein Bestreben war offensichtlich ein anderes: Entgegen dem Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, welcher jedermann das Recht auf Asyl gewährt, und entgegen dessen konkreter Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Regime in der Türkei, sollte die gute Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich mit den Generälen erhalten bleiben. Die Verfassung sollte umgangen werden, und sie wurde auch umgangen; ja, ein entscheidender Menschenrechtsartikel wurde dabei außer Kraft gesetzt.
    Man nennt dies, Herr Engelhard, gemeinhin Verfassungsbruch, Verfassungsbruch auf kaltem Wege, begangen von einem liberalen Justizminister und unterstützt von einem entschlossenen Helfer, auf den wir hier auch noch zu sprechen kommen. Wir halten diesen Justizminister für untragbar!

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Gefragt nach seiner Reaktion auf den Selbstmord Altuns, antwortete Herr Engelhard in einem Interview:
    Ich bin tief getroffen. Der Tod ist besonders tragisch, weil wir alles Menschenmögliche unternommen haben.
    Hören wir dagegen den Justizminister in seinem Brief vom 21. Juli 1983, einen Monat vorher:
    Ferner ist aus der bekannten Einstellung der 19. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin ... nicht zu erwarten, daß das Verfahren mit der am 25. August 1983 zu erwartenden Entscheidung ... beendet werden könnte. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Kammer die Klage des Bundesbeauftragten abweist. Dieser hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache bereits angekündigt, dagegen Rechtsmittel einzulegen. Eine Entscheidung, den rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens abzuwarten, würde aber praktisch zur Unmöglichkeit der Auslieferung führen. (Es) besteht (dann) keine Sicherheit mehr, die Auslieferung auch vollziehen zu können.

    (Hört! Hört! bei der SPD) Gefordert wird dann schnelles Handeln.


    (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Er hat das Menschenmögliche getan!)

    Ins reine gesprochen heißt dies doch, Herr Engelhard: Wir müssen uns mit der Auslieferung beeilen, bevor Altun sein Recht bekommt und als politischer Flüchtling anerkannt wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

    Die „Süddeutsche Zeitung" überkam angesichts dieses Briefes das kalte Grauen. Es ist das kalte Grauen, welches die unbarmherzige Logik von Schreibtischtätern hinterläßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Fischer (Frankfurt)

    Es wurde also alles Menschenmögliche unternommen, Herr Justizminister? Wir meinen: alles Menschenmögliche, um Altun an seine Henker auszuliefern oder in den Freitod zu treiben; das hätten Sie der Ehrlichkeit wegen noch hinzufügen müssen.
    Sprechen wir nun von jenem entschlossenen Helfer des Justizministers im Kabinett. Sprechen wir von Innenminister Zimmermann, der sich die Vertreibung der in der Bundesrepublik lebenden Türken — gerade auch der unpolitischen — zu einer Herzensangelegenheit gemacht hat.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit! — Unglaublich! — Was glauben Sie denn? — Dr. Waigel [CDU/CSU]: Urböse, was Sie sagen! — Pfui-Rufe und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ihm war der Justizminister noch zu zögerlich. Verfassung, Menschenrechte und Menschlichkeit kommen in seinen Erwägungen nicht mehr vor.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Noch am Tage seiner Rückkehr aus der Türkei — er konnte keine 24 Stunden warten — verfaßte er einen Brief an den Justizminister, in welchem er persönlich darüber Klage führt — ich zitiere wörtlich —:
    ... entgegen der Ankündigung von Staatssekretär Dr. Kinkel ... das Kabinett mit dem Fall Altun zu befassen, mit dem Ziel, der Auslieferung zuzustimmen, eine Beratung im Kabinett am 20. Juli
    — Herr Zimmermann, am 20. Juli, an dem sich das Attentat auf Hitler zum 39. Male jährte! —
    nicht stattgefunden (hat).

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Der Innenminister fährt in seinem Schreiben fort
    — ich zitiere —:

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Aufhören!)

    Im Interesse der Fortführung einer nach wie vor guten Zusammenarbeit

    (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

    — Daß Sie das nicht hören und nicht zur Kenntnis nehmen wollen, ist mir klar. Sie werden es sich trotzdem anhören müssen.