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ID1000515600

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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
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    Rede von Detlef Kleinert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein.

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU — Frau Kelly [GRÜNE]: Das habe ich mir gedacht! — Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU und. der FDP)

    — Frau Kollegin Kelly, ich bin in der Lage, dieses Nein sehr ausführlich zu begründen. Es ist eigentlich nicht so sehr wichtig, an welchem speziellen Paragraphen oder beabsichtigtem Paragraphen man grundsätzlich Erwägungen über das Recht anstellt. Ich nehme deshalb gern Ihre Frage auf, um daran einiges darzustellen.
    Wenn Sie in absoluter Beweisnot sind, wenn Sie die Richter in eine noch viel größere Schwierigkeit bringen, herauszufinden, was sich wirklich abgespielt hat, eine Not, die in einer Vielzahl von Fällen gerade im Strafprozeß ohnehin besteht, und wenn Sie dann den intimsten aller Bereiche zum Anlaß für eine Strafvorschrift nehmen und wollen, daß ein Richter entscheidet, dann bringen Sie damit nicht nur den Richter in diesem Einzelfall, sondern bringen Sie das Rechtssystem in eine geradezu verzweifelte Lage.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Denn Sie werden nur erreichen, daß geraten wird, wie es gewesen ist, und zwar durch das Zeugnis des einen gegen den anderen als Angeklagten. Mehr als zwei Menschen sind nicht dabeigewesen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der CDU/CSU)

    Wenn Sie in dieser Weise Strafvorschriften machen, lediglich um durch die Existenz der Strafvorschrift Prophylaxe zu betreiben, wie sich das übrigens die christdemokratische Union in einem weiten Bereich von Strafvorschriften, die wir inzwischen abgeschafft oder geändert haben, auch immer vorgestellt hat,

    (Dr. Schöfberger [SPD] sowie weitere Abgeordnete der SPD: Sehr richtig!)

    wenn Sie also meinen, durch die Schaffung solcher Strafvorschriften prophylaktisch tätig werden zu können, dann verkennen Sie den Charakter des Rechts und dann verkennen Sie die dringende Notwendigkeit, dem Recht auch Anerkennung zu verschaffen, anstatt es ad absurdum zu führen, indem Sie eine Bestimmung machen, die in der Praxis nur zu Erpressung, zu Nötigung, zu Fehlurteilen so herum oder so herum führen muß. Das ist das Gegenteil von Recht!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Das ist das Gegenteil von Recht!

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das einfach so wegen eines — zweifellos wichtigen — Anliegens zu machen und damit das ganze Rechtssystem durcheinanderzubringen und unglaubwürdig zu machen,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das Thema erfordert ein gewisses Maß an Seriosität! Ein bißchen seriöser, Herr Kleinert!)

    das führt mich präzise auf das zurück, was ich schon vorhin Ihrer Frau Kollegin gesagt habe. Dann, wenn Sie nicht den Querschnitt solcher Probleme sehen, sondern sich immer eines herausnehmen und aus Gründen, die ich sehr wohl zu respektieren und einzusehen vermag, die Lösung fordern, ohne die seitlichen Bezüge zu sehen, ohne zu sehen, wie sie dabei das ganze System in Frage stellen, kommen Sie mit dieser punktuellen Arbeitsweise zur Ruinierung des Rechtsstaates, aber niemals zur Befriedung in dem Bereich, den Sie gerade befrieden wollen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist etwas, worüber wir uns schon seit einigen Jahren Gedanken machen und worum wir uns auch weiter ganz konsequent bemühen werden.
    Hier sind spektakuläre Dinge angesprochen worden; auch die Ehescheidung ist wieder angesprochen worden. Wir haben das Verschuldensprinzip



    Kleinert
    abgeschafft. Auch die damalige Opposition hat sich ja schließlich in dem gewissen Kränzchen, das die Verfassung nicht vorgesehen hat, mit uns darauf verständigt, daß wir das im Grundsatz erst einmal gemeinsam machen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß dabei natürlich Fehler unterlaufen sind und daß natürlich nachgebessert werden muß. Außerdem hat — der Bundesjustizminister, Herr Engelhard, hat es vorhin schon gesagt — uns das Verfassungsgericht einiges aufgegeben, was wir zu berücksichtigen haben werden.
    Wir sollten aber darüber hinausgehen. Nach sorgfältiger Erwägung und in dem Bemühen, zu einem Einverständnis mit allen Teilen des Hauses zu kommen, wie wir auch damals bei der ursprünglichen Änderung zu einer Verständigung gekommen sind — ein Vorgang, der manchmal auch in breiterer Öffentlichkeit verdrängt wird —, sollten wir wieder zu einer Verständigung kommen und sollten versuchen, das, was uns am Anfang vorgeschwebt hat und was dann durch eine Reihe von sozialpolitischen Feinheiten etwas zurückgetreten ist, wieder mehr herauszubringen, nämlich daß nach dieser Trennung ohne Rücksicht auf Verschulden auch im Bereich des sogenannten Folgerechts eine Trennung gegeben sein soll, im Bereich nicht nur des Finanziellen, sondern auch der elterlichen Sorge, damit nicht das, was einmal nicht richtig gegangen ist, noch viele Jahrzehnte hindurch Fortwirkungen hat, obwohl man sich beiderseits entschieden hatte, zu sagen: Es ist nicht mehr gegangen.
    Meiner Ansicht nach sind wir — und die Rechtsprechung hat das jetzt noch etwas mehr nachgezeichnet — zu sehr von dem Ziel abgekommen, zu sagen, daß in aller Regel die Trennung auch im finanziellen Bereich erfolgen muß und daß Folgeregelungen in erster Linie zum Ziel haben müssen, die beiden Partner voneinander unabhängig zu machen, d. h. daß der stärkere Partner, in der Regel also der Mann, dabei helfen muß, den, der durch die Ehe Nachteile in seinem beruflichen Fortkommen erlitten hat, so viel stärker zu machen, daß er sich seinem weiteren Leben ganz selbständig stellen kann.
    Dies geht natürlich völlig unter, wenn ich die Ehe, wie sich das in einigen Urteilen abzuzeichnen scheint, als eine Art von Lotto betrachte: einmal richtig gezogen, immer richtig gezogen.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der FDP)

    Es geht nicht an, daß ich dann, wenn ich einmal aus Versehen den bekommen habe, der finanziell überdurchschnittlich gestellt ist, daran bis an mein Lebensende partizipiere, ganz gleich, wie lange oder wie kurz die sogenannte Lebensgemeinschaft gedauert hat, und völlig ungeachtet der Tatsache, daß sie schon längst nicht mehr besteht. Es kann nicht so sein, daß dies eine gewollte Folge des Ehescheidungsrechts ist.

    (Zustimmung des Abg. Lowack [CDU/ CSU])

    Das müssen wir, so meine ich, als Leitlinie nehmen, nicht so absolut, daß wir gleich alles herrlich in Ordnung bringen könnten. Das kann nämlich gar keiner; dazu sind die Verhältnisse zu kompliziert und zu differenziert. Aber das müssen wir als Leitlinie bei dem im Auge behalten, was hier zu reformieren sein wird.
    Im übrigen, Herr Emmerlich, waren Sie so liebenswürdig — der Wahlkampf war eigentlich zu Ende, aber wir können noch einmal anfangen —, zum Teil in einer Weise, die uns sonst nicht so sehr verbunden hat, auf die interessante Frage einzugehen, was die Liberalen als Beitrag zur Rechtspolitik in der neuen Koalition leisten werden. Wir werden versuchen — das ist das Interessante, Herr Emmerlich; Sie wissen genau, wovon ich rede —, uns so unabhängig unseren eigenen liberalen rechtspolitischen Vorstellungen zu widmen, wie wir das mit großem Verständnis auf ihrer Seite, wovon nichts zurückgeht, in der Vergangenheit getan haben.

    (Beifall bei der FDP — Frau Dr. DäublerGmelin [SPD]: Das wollen wir doch erst einmal sehen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wenn Sie sagen, es sei eine Unverschämtheit vom Bundesjustizminister, daß er Belobigung dafür verlangt, daß der § 218 nicht im rechtlichen Bereich, sondern nach Ihren Behauptungen nur im sozialrechtlichen Bereich angetastet werden soll, dann kann ich Ihnen nur erwidern: In dem letzten Wahlkampf haben Ihre Leute und Ihre Helfer aus den verschiedensten Gruppen präzise behauptet, eben der § 218 und das Demonstrationsstrafrecht auf weitester Basis und andere Dinge würden ab sofort geändert. Damit haben Sie versucht, gegen uns Meinung zu machen. Deshalb hat Herr Engelhard natürlich recht, wenn er sagt, es sei nicht so gekommen. Es wird auch weiterhin nicht so kommen. Das gilt bei dem, wovon wir soeben geredet haben, nicht nur im rechtlichen, sondern auch im sozialrechtlichen Bereich.

    (Zurufe von der SPD)

    Seien Sie im übrigen vorsichtig; sonst machen Sie uns das Geschäft zu leicht! Ich warne Sie, hier gegen eigene Interessen zu handeln. Sie machen uns das Geschäft zu leicht, wenn Sie dauernd solche schrecklichen Greuel an die Wand zeichnen, so daß wir es dann, weil das alles so schrecklich hingemalt ist, sehr leicht haben, hinterher zu beweisen, daß es nicht so kommen wird, weil wir weiter liberale Rechtspolitik machen werden.

    (Beifall bei der FDP)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Kollegin Frau Vollmer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Antje Vollmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich rede hier zur Agrarpolitik. Ich sage Ihnen ein offenes Geheimnis, wenn ich darauf hinweise, daß ein Großteil der Bauern, die bisher CDU gewählt haben, immer noch CDU gewählt hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch vernünftig!)

    Ich denke, daß es für diese Bauern äußerst bemerkenswert ist, daß die Regierungserklärung des



    Frau Dr. Vollmer
    Herrn Bundeskanzlers für die Situation der Bauern, von der wir wissen, daß sie sehr dramatisch ist, nur ein gutes halbes Prozent ihres Umfangs übrig hatte und daß die Situation der Bauern Ihnen nicht einmal eine Diskussion im Rahmen dieser Generalaussprache wert ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich denke, die Bauern werden es sich merken, daß sie damit das Schlußlicht, was die hier offensichtlich erörterungswürdigen Probleme angeht, bilden und daß sie dieses Schicksal nur noch mit der Situation der Frauen teilen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nicht nur aus diesem Grunde sind wir uns wohl bewußt, in welcher Lage wir uns in diesem nun halbleeren Haus befinden, wenn wir von dieser Stelle zum erstenmal die agrarpolitischen Alternativen der GRÜNEN vortragen. Wir sehen uns dabei einer einheitlichen Front gegenüber. Dazu zählen wir nicht nur die hochkarätigen Agrarier der Koalition, sondern ebenso die Wachstumspolitiker der SPD sowie natürlich in erster Linie die durch ihren Präsidenten seit neuestem in diesem Hohen Hause erheblich verstärkte Spitze des Deutschen Bauernverbandes. Auch wissen wir, daß die Hoffnungen vieler Bauern auf eine den Bauern freundliche Politik der CDU durch die Tatsache verstärkt wurde, daß ein Mann wie Ignaz Kiechle gerade zu einer Zeit zum Minister gemacht wurde, in der die Milchbauern um die Preise zittern.

    (Gansel [SPD]: Das ist die fünfte Fruchtfolge!)

    Unser Teil in diesem Haus kann nur die Ankündigung einer grundlegenden und umfassenden agrarpolitischen Opposition sein, und dies aus dem einzigen Grund, weil immer mehr Bäuerinnen und Bauern eine radikale Änderung der gesamten Agrarpolitik fordern.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal, was Sie wollen!)

    Deren Forderungen und praktische Alternativen, die Sie kennen — z. B. Jochen Borchert kennt sie sehr gut —, wie etwa die Thesen der Landjugend oder die Position des „Bauernblattes", haben wir nur aufzunehmen, und ihnen fühlen wir uns verpflichtet.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Die Situation ist dramatisch eindeutig. 100 000 Betriebe stehen akut vor dem Ruin. Das sind, wenn man endlich auch einmal die Bäuerinnen dazurechnet, 200 000 bedrohte bäuerliche Arbeitsplätze. Tag für Tag gehen 45 von diesen Betrieben kaputt. Das ist die Wirklichkeit der bäuerlichen Familienbetriebe, von der der Herr Bundeskanzler sprach und von der Herr Genscher schwärmte.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Alle bisher im Bundestag vertretenen Parteien haben in der bäuerlichen Landwirtschaft voll auf Wachstum und auf Rationalisierung gesetzt. Die Kleinbetriebe wurden einem mörderischen und sehr ungleichen Konkurrenzkampf ausgesetzt, egal unter welcher Regierung. Die EG-Agrarpolitik hat daran einen ganz erheblichen Anteil. Herr Vogel, Sie hätten in Ihrer Oppositionsrede zumindest erwähnen müssen, daß von den ganzen EG-Agrarmilliarden keine Mark bei den Kleinbauern ankommt,

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    sondern daß diese Milliarden gerade eingesetzt wurden, um die Kleinbauern in ganz Europa zu vernichten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Hätten wir nur ein Zehntel dieser Milliarden, wir könnten die bäuerlichen Kleinbetriebe in unserem Lande retten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das gewollte Höfesterben hat seit der Mitte der 50er Jahre — damals war immerhin die CDU an der Regierung — bis heute mehr bäuerliche Existenzen gekostet als das Bauernlegen in Preußen bei der sogenannten Bauernbefreiung.

    (Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

    Keine Enteignung — und die Bauern fürchten Enteignungen — ist so reibungslos und so umfassend verlaufen wie die millionenfache Enteignung kleinbäuerlichen Eigentums durch den Zwang in die moderne hochrationalisierte Landwirtschaft, die die Agrarpolitik unterstützt hat und der der Bauernverband nicht widerstanden hat.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Vier Millionen Arbeitsplätze wurden dabei wegrationalisiert. Die Landwirtschaft erlitt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine historische Niederlage.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich will auch die Gewinner nennen. Es waren die Landmaschinenindustrie, die chemische Industrie — diese ganz besonders —, die Banken, die zunehmend bauernfeindlichen Großgenossenschaften, die Nahrungsmittelindustrie und auch die wenigen geförderten Wachstumsbauern.
    Diese Agrarpolitik ist verdammt teuer bezahlt. Den Preis dieser Entwicklung zahlen wir alle. Die Produkte des Bauern wurden unter dem ständigen Rationalisierungsdruck immer mehr zu bloßen toten Rohstoffen, zu Produktionsfaktoren, an denen nur ihre vielseitige Brauchbarkeit für die industrielle Verarbeitung und ihre Billigkeit interessierten.
    Ich kreide es besonders Ihnen von der SPD und vor allem den Vertretern des Bauernverbandes an, daß nicht einmal Sie die Arbeiterinnen und Verbraucherinnen darüber aufgeklärt haben, welchen Preis ein so auf Kosten der Bauern billig gemachtes Nahrungsmittel kostet. Es kostet nämlich außer dem Ruin der Kleinbauern, der teuer genug ist, die zunehmende Verschlechterung der Qualität der Nahrungsmittel, es kostet die Verödung und Versteppung von Kulturlandschaften, die einmal von großer Harmonie und Schönheit waren,

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)




    Frau Dr. Vollmer
    es kostet die zunehmende Abhängigkeit von fremder Energie. Die Landwirtschaft, von Haus aus ein Energieerzeuger, wird zunehmend zum Energiefresser. Es kostet — was tödlich ist — die Futtermittel, nein: die Lebensmittel der Menschen in der Dritten Welt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es kostet den unwiderbringlichen Verlust kostbarer Tier- und Pflanzenarten; es kostet die Belastung des Grundwassers. Es kostet auch die Lebenskraft der Dörfer, wozu, Herr Genscher, noch viel mehr an in Jahrhunderten gewachsener Kultur gehört als die Ihnen so liebe freiwillige Feuerwehr.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nicht einmal diese Feuerwehr wird in der Selbstbestimmung der Dörfer belassen, sondern den städtischen Zentren unterstellt. Wir fragen uns, was Sie mit dieser Feuerwehr noch vorhaben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir hören: Jetzt soll sich alles ändern. Sie, Herr Minister Kiechle, sollen in Brüssel nächtelang erbittert gekämpft haben. Um was ging es? Um 2 % oder um 1 %? Um den Grenzausgleich? Um eine Senkung des Milch- und Getreidepreises? In bezug auf unsere nationale Agrarpolitik soll es jetzt tatsächlich die Möglichkeit geben, daß Betriebe mit Baulandverkäufen in den Wohnungsbau einsteigen können, und zwar steuerbegünstigt. Was für ein Fortschritt! Was für eine Rettung für die bäuerlichen Kleinbetriebe! Nein, was für ein Hohn!
    Ihr eigener Agrarbericht beschreibt die Situation der bäuerlichen Landwirtschaft deutlicher, als es die kühnsten Oppositionellen tun könnten: In den letzten Jahren waren 100 000 Betriebe praktisch ohne Einkommen. Laut Agrarbericht leben bereits 40 % aller Betriebe von der Substanz. Um es mit den Worten eines Bauern aus dem Kreis des „Bauernblatts" zu sagen: Wenn ich das von mir geerntete Getreide lagern und für mich behalten könnte, so könnte ich davon mit meiner Familie 30 Jahre lang essen; wenn ich damit unter heutigen Bedingungen nur ein Jahr wirtschafte, kann ich damit kein Jahr existieren.
    Was schlagen Sie dagegen vor?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was schlagen Sie denn vor?)

    In der Regierungserklärung ja sehr wenig. Sonst hören wir folgende Vorschläge. Sie schlagen ein allgemeines Agrarkreditprogramm vor. Das taugt nichts und nutzt wiederum nur den Wachstumsbetrieben. Wer kein Einkommen hat, kann nämlich nicht einmal die 3 % Zinsen bezahlen. Sie fordern mit großem Aufwand wenigstens eine Erhöhung der Agrarpreise um 1 % für die deutschen Bauern.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zurück in die Steinzeit!)

    Das rettet die Kleinen nicht und zwingt nur zu weiteren Rationalisierungen. Weitere Rationalisierungen in der Landwirtschaft bedeuten mehr Abhängigkeit vom Kapitalmarkt, mehr Energievergeudung, mehr Chemie und mehr Bauernsterben. Es ist
    dies — ich zitiere den Bund für Umwelt und Naturschutz — „unter umweltpolitischen Gesichtspunkten ein Selbstmordprogramm auf Raten". Ich ergänze: Es ist auch ein Selbstmordprogramm der bäuerlichen Landwirtschaft selbst.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Unsere Alternative — danach haben Sie ja gefragt —: Sämtliche agrarpolitischen Maßnahmen müssen an zwei Kriterien gemessen werden. Sie müssen erstens bäuerliche Arbeitsplätze sichern oder neu schaffen, und sie müssen zweitens die ökologische Produktion naturnaher Lebensmittel garantieren.
    Ganz konkret: Der Kleinbauer aus Ihrer Heimat, Herr Minister Kiechle, braucht für seine Milch nicht 2 %, sondern 20 % bis 30 % mehr, wenn er existieren und naturnah produzieren will.

    (Frau Dr. Adam-Schwaetzer [FDP]: Was zahlt dann der Verbraucher?)

    Dafür fordern wir bei den, Großproduzenten deutliche und spürbare Preisabschläge, um jeden Anreiz zum Wachstum zu nehmen. Wir fordern also gestaffelte Preise zugunsten der Kleinen — endlich einmal umgekehrt, wie es die Genossenschaften sonst gegenüber den Großen zu handhaben pflegen.

    (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Ein tolles Programm, bei dem jedes Weizenkorn ausgezeichnet wird! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Wer kriegt dann die billige Milch?)

    Kommen Sie jetzt nicht mit dem Argument, daß der Arbeiter das nicht bezahlen kann.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kann er das?)

    Wenn diese Milch wieder dezentral vermarktet wird, wenn die Verpackungs- und Verarbeitungsindustrie dabei nicht mehr — im wahrsten Sinne des Wortes — den Rahm abschöpft —,

    (Beifall bei den GRÜNEN) dann wird diese Milch nicht einmal teurer.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Jedem Berliner seine Kuh!)

    Wir fordern weiterhin im Interesse der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der Verbraucher ein Verbot der Massentierhaltung.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir fordern die sofortige Auszahlung der Gelder aus dem Bergbauernprogramm, die bei der EG bereitliegen. Wir fordern die Staffelung der Sozialbeiträge nach Betriebseinkommen, damit es endlich nicht mehr so ist, daß ein Kleinbauer zwischen 30 und 40 % von seinem Einkommen für seine Sozialabgaben bezahlen muß.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir fordern die Abschaffung des einzelbetrieblichen Förderprogramms. Diese Gelder sollen ausschließlich zur Rettung der Kleinbetriebe und für Umstellungsmaßnahmen in Richtung auf ökologischen Landbau verwendet werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Dr. Vollmer
    Ich komme zum Schluß. Meine Damen und Herren, nur noch knapp 6 % unserer Bevölkerung sind Bäuerinnen und Bauern. Diese 6 % ernähren mit ihren Produkten unsere gesamte Bevölkerung. Aber immer weniger von ihnen können allein vom Erlös ihrer Produkte existieren. Diesen offensichtlichen Widersinn, diese absolute Unvernunft muß eine Agrarpolitik beseitigen, die sich wirklich der bäuerlichen Landwirtschaft verpflichtet weiß. Das ist unser Programm.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Die Landwirtschaft braucht Wachstum!)