Rede:
ID1000514800

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. die: 1
    5. Kollegin: 1
    6. Frau: 1
    7. Schoppe.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Benno Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Regierungserklärung eine ganze Reihe von Konkretisierungen zu Fragen der Rechtspolitik gehört. Wir stimmen diesen voll zu.
    Herr Bundesminister Engelhard, ich möchte mich ausdrücklich für Ihren Redebeitrag bedanken. Aber nicht nur dafür, sondern auch dafür, daß aus ihm deutlich wurde, in welch hohem Maß zwischen uns auf dem Gebiete der Rechtspolitik eine faire Zusammenarbeit zustande gekommen ist. Dafür herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Kollege Emmerlich, wir beide kennen uns seit langem. Ich habe den Eindruck, daß Sie auf Grund der Wahlen und der Vorgänge um die Wahlen in Ihrer eigenen Fraktion nunmehr Alibifunktionen glauben erfüllen zu müssen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Wenn das, was Sie gesagt haben, wirklich Ihre Meinung wäre — die Meinung eines Mannes, der aus der Justiz kommt und als Richter tätig gewesen ist —, täte es mir um die Richter leid.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Sie wissen ganz genau, daß von uns niemand die Verfassungsrechte auf dem Gebiete der Meinungsfreiheit beschränken oder einengen will.

    (Zuruf von der SPD: Welche denn?)

    — Wir wollen überhaupt keine Verfassungsrechte einschränken. Das wissen Sie ganz genau. —

    (Zuruf von der SPD: Sie vielleicht nicht, aber andere!)

    Der Unterschied wird nur deutlich, wenn man die Frage stellt, ob Sie ein Recht haben wollen, das den Rechtsbrecher schützt, das es nicht möglich macht, ihn festzunehmen oder gar einer Strafe zuzuführen, und dadurch die Rechtstreuen gefährdet. Da unterscheiden wir uns.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Timm [SPD]: Das ist doch gar nicht wahr!)

    Ein Wort noch zu Herrn Schäfer, zu den Umweltproblemen. Herr Schäfer, ich hatte gedacht, Sie halten uns eine Philippika wegen zehnjährigem Regierungsversagen. Ich bin mir aber durchaus bewußt, daß wir erst seit dem 1. Oktober 1982 überhaupt die Regierung stellen,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das reicht schon!)

    am 6. März 1983 die Wahlen gewonnen und gestern erst die Regierungserklärung gehört haben. Wir können es nicht schaffen — keine Regierung kann das, nicht einmal mit dem gesamten Apparat der SPD-Leute innerhalb der Ministerien —, Dinge, die 13 Jahre verschludert worden sind, jetzt sofort in Ordnung zu bringen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wenn Sie uns aber diese Herkulesarbeit zutrauen
    — ich mußte fast den Eindruck gewinnen, Sie tun es —, dann allerdings muß ich sagen, dieses Zu-



    Erhard (Bad Schwalbach)

    trauen ist zuviel des Guten. Aber bleiben Sie ruhig dabei; wir werden es schaffen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Fragt sich nur, was!)

    Meine Damen und Herren, wir sind bei der Rechtspolitik. Wir leben in einem modernen Verfassungsstaat. Der moderne Verfassungsstaat zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß er den Rechtsfrieden unter seinen Bürgern garantiert und dafür das sogenannte Gewaltmonopol hat. Der Rechtsfriede ist das höchste Gut, wenn es um das friedliche Zusammenleben der Bürger geht. Der Schwache wird geschützt, der Mächige in seinen Rechten begrenzt.

    (Burgmann [GRÜNE]: So sollte es sein!)

    Und von wem wird alles geschützt, und wer garantiert das? Nur der Staat.

    (Zuruf von den GRÜNEN)

    Es wurde davon gesprochen, daß Gewalt gegen Sachen in unserer Verfassungsordnung berechtigt sei. Man hat von Gegengewalt gegen den Staat gefaselt. Schließlich glaubte man, Notwehr einer Gruppe gegen strukturelle Gewalt des Staates propagieren und anwenden zu sollen. Es ist sogar von einem Widerstandsrecht gesprochen worden. Bei letzterem gruselt es mir geradezu; denn ich war beteiligt, als wir in Art. 20 des Grundgesetzes das Widerstandsrecht hineingeschrieben haben. Das ist noch gar nicht so furchtbar lange her. Wir haben es als die letzte und sicherste Garantie gegen die Verletzung der Verfassung hineingeschrieben. Dagegen — und nur dagegen — gibt es ein Widerstandsrecht. Aber es gibt durchaus kein Widerstandsrecht gegen die legitime Ausübung der staatlichen Funktionen und Aufgaben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN)

    Weil das so eng und so klar ist, geht man dann zum zivilen Ungehorsam oder zum gewaltfreien Widerstand über. Das ist nichts anderes als eine Formel für ein Widerstandsrecht zweiter Klasse. Es dient dazu, von den harten und offensichtlichen Grenzen des verfassungsrechtlich gewährten Widerstandsrechts abzulenken. Der zivile Ungehorsam bedeutet gar nichts anderes, als daß sich einzelne Gruppen die Ermächtigung anmaßen, aus eigener Zuständigkeit darüber zu entscheiden, was Rechtens und was nicht Rechtens ist. Das ist typisches Denken der Radikalen. Wehe, wenn solche Radikalen an die Schalthebel der Macht im Staat kommen!

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Ganze hat als Konsequenz, daß diejenigen, die ihren Willen den staatlichen Organen und der Mehrheit der Bürger aufzwingen wollen, den Rechtsfrieden brechen.

    (Frau Reetz [GRÜNE]: Gandhi!)

    Wenn man das zuläßt, ist die Folge Chaos. Dann ist
    der Staat schließlich nicht mehr derjenige, der den
    Rechtsfrieden garantieren kann, schon dann nicht
    mehr, wenn er diese Rechtsbrüche auch nur toleriert.
    Wir werden die Vorschriften über Landfriedensbruch verändern. Mehrfach wurde das angesprochen. Wir werden es tun, um das friedliche Demonstrieren zu gewährleisten.

    (Dr. Emmerlich [SPD]: Um Gottes willen!)

    Nur zu diesem Zweck! Wer unter der Überschrift „friedliche Demonstration" Unfrieden schafft — gegen Sachen oder Menschen —, der soll nicht untertauchen können, um dann durch die Hintertür, weil er nicht gefaßt wird, auch noch den „Marsch durch die Institutionen" anzutreten, was wir j a in der Zeit vom Ende der 60er Jahre leider feststellen mußten; sonst könnte sich nicht jemand Lehrer nennen, der mit solchen Vorstellungen, wie wir sie gehört haben, sogar hier in den Bundestag gekommen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: O Gott!)

    Bei uns hat der Bürger die Möglichkeit, sein Recht auch gegen den Staat durchzusetzen. Ein solches Recht gegen den Staat, gegen jegliche obrigkeitliche Herrschaft läßt sich aber nur in streng geordneten Verfahren erreichen. Unsere Bürger machen davon reichlich Gebrauch. Deshalb sind unsere Verwaltungsgerichte verstopft. Deshalb sind unsere Finanzgerichte verstopft. Deshalb dauern die Verfahren vor unseren Sozialgerichten so lange, weil die Bürger ihre Rechte gegen die öffentliche Hand in Anspruch nehmen. Das muß auch sein und bleiben und gewährleistet sein.
    Die Entscheidungen müssen zeitnäher sein, auch im Strafrecht. Deshalb wollen wir die Verfahren straffen, verkürzen, ohne die Qualität der Entscheidung zu beeinträchtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wie in der Regierungserklärung nachzulesen ist, sollen z. B. in bestimmten Verfahren auch Instanzen wegfallen. Unser demokratischer Staat darf nicht ein Rechtsmittelstaat sein, bei dem die ganze Entscheidungsgewalt in die dritte Gewalt ohne parlamentarische Kontrolle abwandert.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das Scheidungsrecht soll in seinen Grundprinzipien nicht angetastet werden. Das ist mehrfach gesagt worden. Aber es läßt sich nun einmal nicht leugnen, daß es zu Fehlern in der Einzelentscheidung führt, wenn man ein Prinzip überzieht. Das Zerrüttungsprinzip darf nicht dazu führen, daß der einzelne möglicherweise sogar das Scheidungsrecht benutzt, um eine Vorteilsnahme durchzusetzen. Es darf ihn auch nicht zur Vorteilsnahme ermuntern. Schon das Bundesverfassungsgericht hat dazu seine Meinung gesagt. Auch darf es nicht dazu führen, daß der eine oder andere lebenslange Vergeltung, j a sogar Rache durch dieses Recht nehmen kann. Verantwortliches Verhalten endet nicht mit der Scheidung und beginnt auch nicht mit der Scheidung.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)




    Erhard (Bad Schwalbach)

    Insofern gibt es überschreitende Elemente, die trotz Beibehaltung des Zerrüttungsprinzips eine Veränderung im Folgenrecht erforderlich machen.
    Auch muß die praktisch weitgehende Entmündigung der Ehegatten im Scheidungsfolgenrecht sinnvoll korrigiert werden.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Na, na, na!)

    — Sinnvoll korrigiert werden!

    (Unruhe bei der SPD)

    Ich werde mich jedenfalls nicht dazu bequemen, es für richtig zu halten, daß Eheleute über ihre Vermögensangelegenheiten nur deshalb nicht mehr entscheiden können sollen, weil sie geschieden werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Wir haben gegenüber der SPD unterschiedliche Positionen schon in der Vergangenheit gehabt. Die sind nach wie vor vorhanden. Wir werden sicher das Recht zu einem brauchbaren, praktikablen und zu gerechten Entscheidungen führenden Recht entwickeln.
    Ein Unterschied in den Positionen zwischen uns und der FDP ist heute schon angedeutet worden. Ich bin nicht der Meinung von Herrn Vogel — und wie Sie, Herr Engelhard, wohl eben auch angedeutet haben —, daß man schon jetzt sagen kann, daß die Regelung des § 218 die Chancen des werdenden Lebens verbessert habe.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben in dem damaligen Gesetz — das ist mit unseren Stimmen geschehen, auf Vorlage der damaligen Regierung, die, Sie wissen es genau, die Regierung Brandt war, aufrechterhalten von Herrn Schmidt, vom Bundestag verabschiedet — einen Artikel 2 verabschiedet. Nach diesem gibt es eine Meldepflicht für alle Abtreibungen, die die Ärzte legal vornehmen. Sie sind anonymisiert, so daß niemand sagen kann, wer da der Betroffene ist. Diese Meldepflicht ist sogar mit einer Ordnungswidrigkeitsvorschrift bewehrt. Diese Pflicht sollte nach Meinung der damaligen Bundesregierung ein unentbehrliches Instrument sein, dazu geeignet, die zuständigen Behörden so instand zu setzen, die Praxis der Schwangerschaftsabbrüche zu erfahren und diese zu beobachten, um einer unrichtigen Handhabung der gesetzlichen Bestimmung mit den zusätzlichen angemessenen Mitteln entgegenzuwirken. So heißt es dort wörtlich. Außerdem soll die Statistik wissenschaftlichen Zwecken dienen und allgemeine rechts- und gesundheitspolitische Aufgaben erfüllbar machen.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Genau wie die Volkszählung!)

    Was ist damit geschehen? Es gibt inzwischen genauere Erkenntnisse — weil ja über die Krankenkassen abgerechnet wird —, die besagen, daß ein hoher Prozentsatz der tatsächlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche nicht gemeldet wird. Allein die gemeldeten sind kontinuierlich gestiegen. Wir haben im Jahr 1979 82 788 und 1982 über 91 000
    Abtreibungen gehabt, die gemeldet und statistisch erfaßt worden sind.

    (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

    Davon ist eine steigende Zahl wegen Notlage vorgenommen worden, also nach der Notlagenindikation, die die Auswegindikation sein sollte und ist. Wenn aber inzwischen fast 77 % der Abtreibungen wegen dieser Indikation vorgenommen werden und wir einige 10 000 Fälle nicht wissen, wird die öffentliche Hand dafür zu sorgen haben, daß hier Klarheit entsteht. Da braucht man keine Gesetzesänderung, sondern man muß Klarheit schaffen, wie das zusammenhängt, woher das kommt, welche Hintergründe hier vorliegen.

    (Frau Potthast [GRÜNE]: Sozialabbau!)

    — Nein, das hat mit sozialen Fragen nur in den allerwenigsten Fällen etwas zu tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Woher wissen Sie das?)

    Man sollte sich die Dinge genauer anschauen. Ich bin der Meinung, daß die Notlagen sehr häufig tatsächlich vorhanden sind. Aber das sind in den allermeisten Fällen keine Geldfragen.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber andere Notlagen!)

    Wenn im letzten Jahr jede achte Frau, bei der eine Abtreibung gemeldet wurde, drei und mehr Kinder hatte,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist das!)

    dann ist damit schon signalisiert, daß das nicht eine Frage nur des Geldes sein kann. Diesen Fragen muß aber nachgegangen werden. Das Problem ist nicht damit vom Tisch, daß wir — die SPD oder die Regierung durch den Herrn Justizminister — sagen, das alles habe sich bewährt. Das wissen wir nicht. Das muß geklärt werden.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Lesen Sie es doch mal nach!)

    Deshalb wollen wir, daß sich die Regierung und alle Behörden den Aufgaben des Gesetzes und seiner richtigen Durchführung entsprechend verhalten und darauf drängen, daß das auch passiert.
    Ich meine, wir müssen den Rechtsfrieden und das Leben so hoch halten, daß wir nie und nimmer hinnehmen dürfen, wenn jährlich mehr als hunderttausend noch nicht geborene Kinder bei uns getötet werden, ohne daß wir der Sache wirklich nachgehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ganz sicher sind die Emotionen gegen das Totschlagen von Robben nicht unberechtigt; aber keine Emotionen, wenn mehr als hunderttausend Kinder in Deutschland nicht geboren, sondern vorher getö-



    Erhard (Bad Schwalbach)

    tet werden, das sollte eigentlich nicht selbstverständlich sein.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU — Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat die Kollegin Frau Schoppe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Waltraud Schoppe


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Ich möchte kurz etwas zu gestern abend sagen, verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde. Gestern abend ist hier in unqualifizierter Weise gepöbelt worden. Sie müssen noch an sich arbeiten, meine Herren, damit die Würde dieses Hauses nicht ganz auf den Hund kommt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Die Diskussion um den § 218 ist neu aufgebrochen. Dieser Paragraph, der unter bestimmten Voraussetzungen der Frau den Abbruch einer Schwangerschaft ermöglicht, hat das Leiden, das der Abbruch mit sich bringt, nicht verringern können. Dieser Paragraph hat Frauen, die in Not geraten sind, gedemütigt und hat sie der Willkür männlicher Fachleute ausgesetzt. Gerade Frauen aus ökonomisch schlechten Verhältnissen — wenn sie z. B. schon drei Kinder haben, das Geld knapp ist und sie deswegen das vierte Kind nicht mehr kriegen können —, Frauen, die durch Schwangerschaft und Geburt eines Kindes also in noch größere Schwierigkeiten gelangen würden, war es durch die Kostenregelung immerhin möglich, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Frauen in ökonomisch guten Verhältnissen oder solche, die an einen Mann geraten sind, der sich manches einiges kosten läßt, haben ja schon immer Schwangerschaftsabbrüche bei ausreichender ärztlicher Versorgung vornehmen lassen.
    Wenn jetzt, wie es in der Diskussion ist, die Kosten bei sozialer Indikation nicht mehr übernommen werden sollen, so bedeutet dies eine enorme Verschärfung des § 218 und die Festschreibung sozialer Ungerechtigkeiten.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Es ist anzunehmen, daß die Aufhebung der Straffreiheit bei sozialer Indikation der nächste Schritt sein wird und sukzessive die Möglichkeiten des legalen Abbruchs überhaupt verschwinden.
    Ein Schwangerschaftsabbruch ist für eine Frau ein schwerer Konflikt und nicht eine Art der Empfängnisverhütung.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

    Gleichwohl gibt es Situationen, in denen die Frau den Abbruch als einzigen Ausweg sieht. Bei der Politik des Sozialabbaus werden diese Notsituationen zunehmen. Da nützt es nichts, ein großspuriges Programm zum Schutze des ungeborenen Lebens zu propagieren, wenn ein großer Teil der jetzt Lebenden schon heute nicht ausreichend versorgt ist.
    Am besten schützt man die Ungeborenen, indem man die Lebenden schützt.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

    Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, die Lebenverhältnisse normiert, auf Einheitsmoden, Einheitswohnungen, Einheitsmeinungen, auch auf eine Einheitsmoral, was dazu geführt hat, daß sich Menschen abends hinlegen und vor dem Einschlafen eine Einheitsübung vollführen, wobei der Mann meist eine fahrlässige Penetration durchführt,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist das denn?)

    fahrlässig, weil die meisten Männer keine Maßnahmen zur Schwangerschaftsverhütung ergreifen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Woher wissen Sie das denn?)

    Die Männer sind gleichwertig an der Entstehung einer Schwangerschaft beteiligt. Dennoch entziehen sie sich ihrer Verantwortung. Mit Strafe bedroht sind bei einem Abbruch nur die Frauen. Erst später greifen Männer als Hüter der Moral wieder ein, indem sie Strafgesetze aufstellen, indem sie als Kirchenfürsten gegen den Abbruch wettern, indem sie als Ärzte, je nach moralischer und politischer Überzeugung, den Frauen helfen oder sie demütigen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

    Am Ende einer Schwangerschaft steht die Geburt. Und das bedeutet eine Verantwortung und Sorge für einen Menschen für die nächsten 18 bis 20 Jahre.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das bedeutet Leben und Wachsen!)

    Die Wahrscheinlichkeit, geschieden zu werden, liegt heute bei 25 bis 30 vom Hundert. Nach einer Trennung bleiben die Kinder meist bei den Müttern. Aber auch, wenn die Ehe bestehenbleibt, die Erziehungsarbeit wird auf Grund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von den Frauen geleistet. Das bedeutet die Zurücknahme von vielen anderen Wünschen und Möglichkeiten für die Frau wie z. B. Berufsarbeit, Weiterbildung, freie Zeit für sich selbst, Mitwirkung an politischer Arbeit. So ist die biologische Fähigkeit, ein Kind zu gebären, für die Frau immer noch zu einem sozialen Schicksal geworden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird geändert!)

    Die Unterdrückung der Frau kann nur aufgehoben werden, wenn die geschlechtsspezifische Arbeit aufgehoben wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

    Es gibt bei den GRÜNEN eine Mehrheit, zu der auch ich gehöre, die die ersatzlose Streichung des § 218 fordert und sich damit hinter die Forderung der Frauenbewegung stellt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)




    Frau Schoppe
    Wenn eine Frau ungewollt schwanger wird, muß sie selbst entscheiden können, ob sie ein Kind möchte oder nicht. Die Schwangerschaftsunterbrechung kann als eine Frage der moralischen Einstellung und der persönlichen Lebensumstände nicht Gegenstand juristischer Verfolgung sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wie stehen Sie zur Euthanasie?)

    Auch bei der Legalisierung der Abtreibung bleiben ein ethischer Konflikt und eine moralische Frage, die ausgetragen werden müssen.
    Unsere durch und durch patriarchalisch strukturierte Gesellschaft ist in der Krise. In Krisenzeiten geben die Patriarchen ihr Wohlwollen auf und weisen die Unterdrückten auf ihre Plätze. Die ideologische Aufwertung der Kleinfamilie soll die Frauen mit sanfter Macht in die Familie zurückdrängen. Die Änderung des Scheidungsrechts soll sie dort belassen. Dort sollen sie Haus- und Erziehungsarbeit leisten, die keiner Qualifizierung bedarf, nützlich ist und unbezahlt bleibt. Damit reduziert sich der Lebensinhalt von Frauen wieder auf die drei K's: Kinder, Küche, Kabelfernsehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Arbeitsplätze sind rar, und bei Erwerbslosigkeit ist die Ehe für die Frauen der einzige Garant für ökonomische und soziale Sicherheit. Frauen tauschen damit Autonomie gegen Abhängigkeit vom Mann, dessen Interessen und Wünschen sie sich unterordnen müssen. Das ist es, was Herr Kohl — er ist nicht da — meint, wenn er Familie anpreist. Zurück in die Familie, das ist der patriarchalischreaktionäre Versuch zur Überwindung der Erwerbslosigkeit.
    Es geht nicht darum, diejenigen zu denunzieren, die mit großer Anstrengung versuchen, ein Stück Glück auch in der Ehe zu finden. Nur, die Voraussetzungen dafür sind gleichberechtigte Partner, die sich beide an sinnvoller Arbeit in der Politik und bei der Kindererziehung beteiligen können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU]: Das kann doch jeder machen, wie er will!)

    In einer Gesellschaft in der Menschen ausgebeutet werden, in der eine Politik betrieben wird, die Kriege ins Kalkül zieht, in der Abschreckung die Fähigkeit ist, Menschen vernichten zu können, hat Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung auch in die engsten menschlichen Beziehungen Eingang gehalten:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen rhetorisch abrüsten!)

    Dort werden Kinder drangsaliert und gequält, dort
    wird Sexualität zu einem Akt von Herrschaft —
    häufig mit dem Resultat einer Schwangerschaft.
    Eine Politik, die diese Verhältnisse fortschreibt, lehnen wir mit Empörung und Ekel ab.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

    In dieser von Konsumgütern überschwemmten Gesellschaft fordern wir ökonomische Sicherheit für alle Frauen, unabhängig von der Versorgung in der Ehe. Wir fordern eine ausreichende Rente gerade für Frauen, auch wenn sie keine Lohnarbeit geleistet haben, weil es keine Lohnarbeit für sie gab.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir fordern die Bestrafung bei Vergewaltigung in der Ehe. Wir fordern Sie auf, endlich zur Kenntnis zu nehmen, daß auch die Frauen ein Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper und ihr Leben haben. Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Das Liebesparlament! — Bastian-Kelly! — Weitere Zurufe und anhaltendes Lachen)

    — Ich merke, daß ich das Richtige gesagt habe; Sie sind getroffen. —

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Mit der Ausgrenzung der Frauen aus dem Bereich Arbeit, Politik und Kultur beraubt sich die Gesellschaft eines Moments von Kreativität. Wir, Herr Kanzler, betrachten Ihre Politik der Erneuerung mit Grausen. Wir fordern Maßnahmen, die es Frauen ermöglichen, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange lesen Sie noch vor?)

    Dazu gehört auch die Entscheidung der Frau, ob sie ein Kind möchte oder nicht.
    Anstatt die Frauen mit der Verschärfung des § 218 unter Druck zu setzen, sollte einmal darüber nachgedacht werden, wie Schwangerschaftsverhütung betrieben werden könnte. Eine wirkliche Wende wäre es, wenn hier oben z. B. ein Kanzler stehen und die Menschen darauf hinweisen würde, daß es Formen des Liebesspieles gibt, die lustvoll sind und die die Möglichkeit einer Schwangerschaft gänzlich ausschließen.

    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber man kann natürlich nur über das reden, wovon man wenigstens ein bißchen versteht.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/ CSU)




    Frau Schoppe
    Im Ernst würde ich mit dem Kanzler nie darüber reden wollen.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Seiters [CDU/CSU]: Werden Sie mal konkret!)

    Wer durch seine Politik Umwelt zerstört und Menschenfeindliches initiiert, hat die Chance verspielt, in das Gespräch über Sinnlichkeit einbezogen zu werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)