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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Ehmke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und



    Dr. Ehmke (Ettlingen)

    Freunde! Ursprünglich hatte ich die Absicht, in meiner Erwiderung auf den umweltpolitischen Teil der Regierungserklärung zunächst die verbalen Ähnlichkeiten zu erwähnen, die es zwischen Ihnen und uns bei den ganz allgemeinen Zielen der Erhaltung unserer Umwelt gibt. Ich hatte, wie gesagt, diese Absicht.
    Die Regierungserklärung hat diese Ähnlichkeiten nicht deutlich gemacht. Alle, die die zunehmende Umweltbelastung in unserem Land ernst nehmen, müssen erschüttert und empört sein über den geringen Stellenwert und die Mißachtung, die Sie den unübersehbaren ökologischen Problemen zukommen lassen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es ist nicht nur so, daß für die Umweltbelange noch weniger als ein klägliches Vierzigstel der Redezeit des Herrn Bundeskanzlers, der jetzt nicht anwesend ist, übrigblieb, sondern man muß obendrein feststellen, daß das Grün in seiner Regierungserklärung nicht mehr ist als Petersilie im Schweinskopf.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nach wie vor betrachten Sie den Umweltschutz als Reparaturbetrieb für die ökologischen Folgen, die bedauerlicherweise in einem expansiven Wirtschaftssystem nicht zu vermeiden seien; ich spreche im Konjunktiv. Ich zitiere die Regierungserklärung: Nur der Einsatz von Technik kann die Folgen moderner Technik beseitigen.
    Unser Verständnis von einer ökologischen und sozialen Politik, die von der Verantwortung gegenüber der Nachwelt gekennzeichnet sein muß, unterscheidet sich jedoch ganz grundlegend von Ihrem Natur- und Umweltverständnis,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Zurück zum Neandertaler!)

    weil Sie entweder nur einen konservativen Naturschutz propagieren oder ein bloß technisches Verständnis von Umweltschutz haben.
    Wir meinen, eine Umweltvorsorge ohne Wenn und Aber ist nur möglich, wenn wir auf die vorhin erwähnte Wirtschaftsform ökologischer Art hinarbeiten, mit der der Kollege Stoltenberg offensichtlich gewissen Probleme hat

    (Zuruf von der CDU/CSU: Den Pflug wieder selber ziehen, j a?)

    und in der ökologisch verträgliche Produktionsverfahren zur Herstellung sinnvoller Produkte an menschlichen und menschengemäßen Arbeitsplätzen die Norm darstellen. Erst dann befinden sich Wirtschaft und Umwelt im Einklang. Davon war in der Regierungserklärung allerdings nichts zu hören.
    Die Beschränktheit und auch Doppelzüngigkeit Ihrer Umweltpolitik zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Waldsterbens. Eigentlich verniedlicht der Begriff Waldsterben das Problem sogar noch, weil nach langjährigen gesicherten Erkenntnissen nicht nur Waldbäume, sondern weitere Wild- und Kulturpflanzen, Tiere und nicht zuletzt der Mensch selber in vielfältiger Weise durch Luftschadstoffe in ihrer Gesundheit bedroht werden. Unsere Forstleute sind nur die ersten, die die Negativfolgen der etablierten Katastrophenpolitik besonders schmerzlich zu spüren bekommen, und ich muß Sie fragen, Herr Landwirtschaftsminister Kiechle, ob Sie, wenn Sie von Landsberg nach Kempten zu Ihrem Hof fahren, jetzt nicht auch links und rechts die Fichten sterben sehen.
    Nun überbieten sich die etablierten Parteien gegenseitig beim Vorschlagen von Sofortmaßnahmen, wobei auch die SPD eine inkonsequente Haltung an dieser Stelle einnimmt, wenn ich die Äußerungen von Herrn Ministerpräsident Rau im Bundesrat am letzten Freitag mit dem vergleiche, was Sie mit Ihrem Notprogramm vorgeschlagen haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Natürlich sind Sofortmaßnahmen nötig, um das Waldsterben zu stoppen. Da sind wir einer Meinung. Dafür reichen aber die bisher bekannten Regelungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft bei weitem nicht aus — trotz allem Zweckoptimismus des Bundesministers.
    Ich kann hier nur zwei Kritikpunkte aus unserem Programm gegen das Waldsterben herausgreifen. Zum einen ist es die völlig sinnentstellte Definition der Altanlagen, die noch viele Jahre lang ihren Dreck in die Umgebung blasen können. Besonders kraß ist das Beispiel des Kraftwerks Buschhaus bei Helmstedt, das gerade erst in Bau ging, wo man also durchaus die technischen Möglichkeiten hätte, die modernste Filtertechnik einzubauen, das aber als Altanlage gilt, weil schon ein Bescheid vorlag, und deshalb nach Inbetriebnahme bis zu 18 t Schwefeldioxyd pro Stunde — das entspricht ca. 150 000 t im Jahr — in die Umgebung blasen kann. Und da reden Sie hier von vorsorgeorientierter Luftreinhaltepolitik! Das ist doch der helle Wahnsinn.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zum andern enthält die neue TA Luft neben zahlreichen weiteren Schwachstellen, die ich jetzt wegen der Kürze der Zeit nicht aufführen kann, Immissionswerte u. a. bezüglich Schwefeldioxyd, die mindestens das Fünffache dessen betragen, was eine der wichtigsten süddeutschen Baumarten, nämlich die Tanne, überhaupt auf Dauer ertragen kann. Wir halten deshalb diese TA Luft für einen ganz klaren Verstoß gegen Geist und Buchstaben des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Und wer trotz des Vorliegens entsprechender im-missionsökologischer Erkenntnisse eine solche Vorschrift erläßt, handelt wissentlich und muß den Vorwurf akzeptieren, daß er den Wald vorsätzlich sterben läßt.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ich kann auch den Kollegen Waigel an dieser Stelle nicht verstehen, wenn er von politischem Humor spricht, wenn jemand hier verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Immissionsschutzrecht allgemein äußert.



    Dr. Ehmke (Ettlingen)

    Aber auch wenn man die erforderlichen Sofortmaßnahmen konsequent ansetzen würde, wären damit die wahren Ursachen des Waldsterbens nicht nachhaltig genug beseitigt. Dazu ist eine grundsätzliche Änderung der Luftreinhalte-, der Verkehrs- und der Energiepolitik erforderlich. In diesem Zusammenhang ist ja in der Presse jetzt auch zu lesen, daß die Mittel für die Bundesbahn zusammengestrichen und um etwa eine Milliarde DM jährlich gekürzt werden sollen. Dies halten wir für den Todesschuß für das umweltfreundliche Verkehrsmittel Bahn.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dafür sind Sie bereit, Herr Minister Dollinger, den Straßenbau zu forcieren.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Das ist genau die falsche Maßnahme zur falschen Zeit.
    Die Schadstoffbelastung kann langfristig nur dadurch abgebaut werden, daß Energie gespart, umgewandelte Energie besser ausgenutzt oder erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Boden- und Wasserwärme, Wasser- und Windkraft sowie die Bioenergie eingesetzt werden. Nicht höherer Energieverbrauch, sondern bessere Energienutzung ist der billigste, sicherste, umweltfreundlichste und schnellste Weg, um Schadstoffe zu vermindern, aber auch um unsere Ressourcen zu schonen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Deshalb müssen wir gerade im Zeichen einer zukunftsorientierten Umweltpolitik ein grundsätzlich neues Energiekonzept verwirklichen. Daß allerdings Sie von der Koalition bzw. auch Teile der SPD — ich denke besonders an die Gewerkschaft IG Bergbau und Energie — dazu imstande wären, wage ich auf Grund Ihrer Interessenverfilzung mit Energiewirtschaft und Großindustrie mit Fug und Recht zu bezweifeln.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Auch die in diesem Zusammenhang von interessierten Kreisen als Heilmittel angepriesenen Atomkraftwerke stellen sich bei näherer Betrachtung als klare Scheinalternativen heraus. Abgesehen von den grundsätzlichen Ablehnungsgründen — ungeklärte Entsorgung, Unwirtschaftlichkeit, Zwang zum Sicherheitsstaat usw. — ist ein Ersatz der vorhandenen Kohle- und Ölkraftwerke durch Atomstrom weder finanziell machbar noch zeitlich so realisierbar, daß damit unser Wald überhaupt noch zu retten wäre. Außerdem würde es zu unübersehbaren Verschiebungen und Zusammenbrüchen auf dem Energie- und Arbeitsmarkt kommen, wenn konventionelle Kraftwerke in größerem Umfang durch Atomkraftwerke ersetzt würden. Ein verantwortungsbewußter Energiepolitiker schlägt nicht der Hydra den Kopf ab, aus dem sieben neue wachsen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, auch beim eigentlichen Naturschutz kann aufgezeigt werden, daß allein mit einem noch so guten Naturschutzgesetz, das hier eben so gelobt wurde, unsere bedrohten Pflanzen, Tiere, unsere Gewässer, Böden und unser Klima, also unsere ganze Heimat und unsere Umwelt, nicht gerettet werden können. Es gibt z. B. keinen Quadratkilometer in der Bundesrepublik, der frei von Umweltgiften wäre. Die Gehalte an PCB in Pflanzen und Wildtieren, um nur eine hochtoxische Substanz zu nennen, steigen weiter an.
    Das wahnwitzige Fernstraßenbauprogramm des Bundesverkehrsministers soll weitere Landschaften und Biotope zerschneiden und die Restflächen mit Schadstoffen und Lärm ökologisch abtöten. Dagegen kein Wort zur Abschaffung der Landwirtschaftsklausel, kein Wort zur Einführung der Verbandsklage, kein Wort zum weitergehenden Pflanzen- und Tierartensterben und kein Wort zur längst überfälligen Umweltverträglichkeitsprüfung und Technologiefolgenabschätzung!
    Dies zeigt, meine Damen und Herren, daß nicht nur die bisherigen Gesetzesinstrumente verbessert werden müssen, sondern daß darüber hinaus ein ganz anderer Umgang mit Natur, eine andere, sozial und ökologisch angepaßte weiche Technik, Industrie und Wissenschaft und auch eine andere Verwaltungsstruktur zu fördern sind, um eine gesamtheitliche Bewahrung der Natur und Umwelt zu gewährleisten.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Den ersten konkreten Schritt — das mag vielleicht unangenehm sein, aber es ist wahr —

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    in dieser Richtung könnte der Bundestag schon bald vollziehen, indem er einen fächerübergreifenden Umweltausschuß konstituiert, der mit entsprechender Kompetenz bezüglich der Fachministerien ausgestattet sein muß und andere bestehende Ausschüsse teilweise ersetzen könnte. Auch die Vorbereitungen für die Einrichtung eines Ministeriums für Umweltvorsorge und Raumordnung mit weitreichenden Zuständigkeiten sollten sofort beginnen. Es gibt einige Herren hier im Saal — ich denke an den Kollegen Riesenhuber —, die das schon vor einigen Jahren mal probiert haben, aber seitdem sie in der Regierungsverantwortung stehen, sehr schnell davon wieder Abstand genommen haben.
    Insgesamt hat die Regierungserklärung gezeigt, daß die Umweltbelange wieder einmal von kurzsichtigen Profitinteressen und der unbegründeten Angst vor Arbeitsplatzverlusten an die Wand gedrückt werden. Wachstum um jeden Preis ist der Regierung wichtiger als die Frage, ob denn überhaupt ein Bedarf an diesem Wachstum besteht.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Deshalb, meine Damen und Herren, muß ich hier für meine Fraktion klar und eindeutig feststellen: Der von der Bundesregierung vorgezeichnete Weg wird uns weiter in den ökologischen Niedergang führen. Wir Grünen halten die Gleichgültigkeit der Bundesregierung gegenüber ökologischen Problemen, vor allem wenn die Bundesregierung noch vorgibt, daß die Grundlinien ihrer Politik von christlicher, konservativer, also bewahrender Gesinnung



    Dr. Ehmke (Ettlingen)

    bestimmt würden, für zutiefst unethisch, unmoralisch und heuchlerisch. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Richard Wurbs
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans A. Engelhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, daß die Politik der Regierung der Mitte im Zeichen der Kontinuität und der Konsolidierung steht. Damit werden für die Rechtspolitik wieder einmal Stichworte aufgegriffen, die immer wiederkehren, weil sich das Gebiet der Rechtspolitik — darüber sollte eigentlich Einmütigkeit bei allen Fraktionen bestehen — nicht für Experimente und für kurzatmige Tagespolitik eignet.

    (Zustimmung des Abg. Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU])

    Gerade bei der Rechtspolitik kommt es j a wie sonst wohl nirgends in diesem Maße auf Solidität und auf Augenmaß an. Das Recht darf nicht ersticken in einem Dickicht der Reglementierungen. Überschaubarkeit und Bürgernähe muß vor Normenflut und vor bürokratischem Perfektionismus rangieren. Nicht lähmende Regelungen für alles und für jedes, sondern Besinnung und Beschränkung auf das Wesentliche werden die Leitlinien der Rechtspolitik sein, nach denen diese Regierung unseren freiheitlichen Rechtsstaat weiter ausbauen und festigen wird.
    Recht baut überwiegend auf dem Konsens auf. Und ein solcher Konsens ist eben mehr als die momentane Zustimmung. Wer das Recht nämlich nur als Hebel benutzen möchte, um gesellschaftliche Entwicklungen und gesellschaftspolitische Veränderungen durchzusetzen, und auf gewachsene Wertvorstellungen keine Rücksicht nimmt, der macht das mit einem erheblichen Risiko, und er wird meist sehr bald genötigt sein, einen Teil seines Übereifers wieder zurückzunehmen.
    Herr Dr. Vogel hat gestern in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers gemeint, gerade im Bereich der Rechtspolitik bleibe das meiste eben doch sehr im Nebel. Das ist schlicht unzutreffend; denn wendet man sich einmal dem Umfange zu, den Rechtspolitik in dieser Regierungserklärung gefunden hat, so wird man, wenn man vergangene Regierungserklärungen durchblättert, die von 1980 und die von 1976, die beide noch von sozialdemokratischen Kanzlern vor diesem Hause abgegeben worden sind, feststellen, daß damals Rechtspolitik in der Regierungserklärung einen so hohen Stellenwert nicht gehabt hat. Oder würde Herr Dr. Vogel, der beide Erklärungen damals mit konzipiert hat, etwa sagen, daß seine Einflußmöglichkeit nicht ausgereicht habe, das breiter darzustellen, oder daß man gar seine damaligen Überlegungen im Nebel gelassen habe? Ich denke, er würde sich zu Recht sehr deutlich gegen eine derartige Vermutung wenden.
    Meine Damen und Herren von der Opposition, wir haben bis vor wenigen Monaten noch in demselben Regierungsboot gesessen. Und wir alle haben voll und ganz gegenwärtig, daß es bei Koalitionsvereinbarungen zu Verhandlungen kommt und bei diesen Verhandlungen im Wege des gegenseitigen Aufeinanderzugehens Ergebnisse gefunden werden müssen. Ich sage deswegen mit aller Offenheit: Natürlich, ich hätte mir hier und da auch manches anders vorstellen können. Nur weiß ich aus der Vergangenheit, daß Verhandlungen eben wechselseitiges Nachgeben erfordern. Und wenn ich die Koalitionsvereinbarungen noch einmal Revue passieren lasse, so muß ich feststellen, daß jedenfalls ich und meine politischen Freunde recht zufrieden sind und auch recht zufrieden sein können mit dem, was wir an liberalen Vorstellungen in der Rechtspolitik in die Vereinbarungen haben einbringen können.

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das ist ja geradezu idyllisch!)

    Einer der wichtigsten Kompromisse, die hier geschlossen werden mußten, betrifft das Demonstrationsstrafrecht. Der ins Auge gefaßten Neuregelung wird vorgeworfen, sie stelle eine Rückkehr zum Rechtszustand vor 1970 dar.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das sagt Herr Zimmermann!)

    Das ist eine Vereinfachung. Es kommt auf die Tatsachen an, Frau Kollegin. Und deswegen bleibt es eine Vereinfachung,

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sagt Herr Zimmermann!)

    die mit den Tatsachen nicht in Übereinstimmung steht. Jeder, der die Materie kennt, weiß, daß in diesem Bereich in der Koalitionsvereinbarung nur der Kernpunkt enthalten ist und die Formulierungen, die wir dazu vorzulegen haben werden, sich mit den Einzelheiten werden beschäftigen müssen. Dann wird manches konkretisiert und verdeutlicht werden. Dazu gehört z. B., daß man nach Wegen suchen muß, den Tatbestand so zu fassen, daß er zwar einerseits präzis ist, andererseits aber der Polizei eine flexible Reaktion ermöglicht. Es geht z. B. nicht an, eine Großdemonstration auflösen zu wollen, weil in irgendeinem, räumlich abgrenzbaren Teil der Menschenmenge Gewalttätigkeiten ausgebrochen sind. Ein solcher Vorgang wäre für den Demonstrationsteilnehmer am anderen Ende, der die Geschehnisse oft gar nicht überblicken kann, nicht einsehbar. Ich glaube, wir wären schlecht beraten, wenn wir strafrechtliche Regelungen schaffen würden, die selbst bei Gutwilligen Unverständnis hervorrufen werden.
    Deswegen werden wir alles das, was wir vorlegen werden, bei den Beratungen sehr genau zu überdenken haben; da können Sie ganz sicher sein. Es geht darum, Gewalttäter künftig besser fassen zu können, ohne friedliche Demonstranten in irgendeiner Weise einschüchtern zu wollen. Nur dort, wo schwere Gewalttätigkeiten begangen werden, wo die Fetzen fliegen, ist es für den friedlichen Bürger, der Augen- und Ohrenzeuge dieser Taten wird, zumutbar, sich auf Aufforderung hin vom Tatort zu



    Bundesminister Engelhard
    entfernen, um die Polizei in den Stand zu setzen, ihres Amtes und Auftrags zu walten.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)