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ID1000507700

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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dorothee Wilms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Bildungspolitik kann nicht unberührt bleiben von den Problemen auf dem Arbeits- und Beschäftigungssektor. Die für die jungen Menschen verhängnisvollen Spannungen zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystemen, das Wechselbad von Geburtenberg und Geburtental, aber auch die allgemeine Wirtschaftslage und Finanznot erzwingen eine neue bildungspolitische Grundsatzdiskussion in einem nüchternen Realismus. Hierbei sind auch die geistigen Grundlagen neu zu überdenken. Wir werden sicher noch vielfach Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Ich möchte hier heute nur zwei Aspekte dieses umfassenden Themas ansprechen, und zwar im Zusammenhang mit den Fragen der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungschancen junger Menschen.
    Erziehung und Bildung sind für den jungen Menschen immer Vorbereitung auf das Leben. Sie dienen dem Ziel, ihn in seinen unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Fähigkeiten so zu fordern und zu fördern, daß er seine Chance zur Selbstentfaltung in Familie, Staat und Gesellschaft, Arbeit und Beruf wahrnehmen kann. Zum Erreichen dieses Ziels tragen Elternhaus, Bildungssystem und das Umfeld junger Menschen in unterschiedlicher Weise bei. Gemeinsam stehen sie in der Verantwortung und im Dienst für junge Menschen. In den Familien — das möchte ich gerade als Bildungspolitiker sehr deutlich sagen — werden die Fundamente auch für das Lernen der jungen Menschen gelegt. Eine Kompensation familiärer Bildungsdefizite ist, wie wir heute wissen, in Schule und Ausbildung nur bedingt und schwer möglich. Deshalb ist die Bildungspolitik auf die Mitarbeit der Familien angewiesen. Eine aktive Familienpolitik liegt daher auch im Interesse der Bildung unserer Kinder und Jugendlichen. Deshalb kommt auch der Steuerung des Bildungswesens durch die Erziehungs- und Bildungsentscheidungen der mündigen Eltern und der jungen Erwachsenen selber für die Zukunft eine wachsende Bedeutung zu.
    Neben einer Neubewertung des Ausgangspunkts der Bildungspolitik ist eine ihrer Zielsetzungen angesichts vielfältiger Spannungen auf dem Arbeitsmarkt erneut zu überdenken: Arbeit und Beruf gehören immer und gehören auch in Zukunft zu den



    Bundesminister Frau Dr. Wilms
    wesentlichen und zentralen Lebensbereichen des Menschen. Arbeit und Beruf sind mehr als Erwerbstätigkeit und Geldverdienst. Sie sind Teile der menschlichen Würde. Sie bieten dem einzelnen die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Persönlichkeit. Allgemeine und berufliche Bildung dienen dem Ziel, den jungen Menschen auf seine personalen Entwicklungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt vorzubereiten. Angesichts der qualitativen Anforderungen an die Berufsausübung ist die Ausbildung heute für den einzelnen noch lebensentscheidender als früher. Deshalb will die Bundesregierung Ausbildung für jeden jungen Menschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Entscheidend ist, daß junge Menschen Lebensziele vor sich sehen. Deshalb ist auch unter pädagogischen Aspekten die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit ein hohes und vorrangiges Ziel, dem die Bundesregierung sich verschrieben hat.

    (Zurufe von der SPD)

    Bildungspolitik — auch das sage ich sehr deutlich — kann den Mangel an Arbeit nicht von sich aus dadurch ausgleichen, daß sie Bildungszeiten beliebig ausweitet.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    So notwendig Qualifikation ist, sie ersetzt nicht Lebensperspektive und auch nicht Lebenserfüllung. Wir sollten darum auch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir auf mittlere Sicht die heute in der Tendenz vorhandene ständige Verlängerung der ersten Bildungsphase zugunsten einer soliden Ausbildung, einer dann folgenden beruflichen Bewährung und, darauf aufbauend, späteren Weiterbildung ablösen können.
    Dies gilt prinzipiell auch für das akademische Studium. Denn die Kreativität und Flexibilität der akademischen Jugend wachsen nicht unbedingt proportional zur Länge des Studiums.
    Eine Veränderung des Bildungsverhaltens wird aber nur dann zu erreichen sein, wenn in der Einstellungspraxis der Privatbetriebe und im Einstellungsrecht der öffentlichen Hand an die Stelle des Kriteriums formaler Abschlüsse wieder mehr das berufliche Können und die Chance des Aufstiegs durch Leistung und Bewährung tritt.
    Die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt haben für die Bildungspolitik noch andere weitreichende Konsequenzen. Wir wissen, daß der wirtschaftliche Strukturwandel heute noch keine Rückschlüsse auf die konkrete Gestalt des Arbeitsmarktes von morgen zuläßt. Niemand kann deshalb heute mehr aus einer bestimmten Ausbildung den Anspruch auf eine Beschäftigung in einem bestimmten Beruf ableiten. Der einzelne muß dieses Beschäftigungsrisiko bereits bei der Wahl seiner Ausbildung berücksichtigen. Niemand kann es ihm abnehmen.
    Aber dieses individuelle Risiko entläßt die Bildungspolitik nicht aus der Verantwortung, bei dem Angebot von Ausbildungsgängen die Arbeitsmarktchancen mehr als in der Vergangenheit mit zu berücksichtigen. Im Gegenteil, Bildungspolitik muß durch ein breites Angebot und eine differenzierte
    Gestaltung der Ausbildungswege für den einzelnen die Beschäftigungschancen erhöhen. Aus Verantwortung gegenüber der jungen Generation müssen wir daher die Lehr- und Lerninhalte und die Form der Ausbildungsgänge auf allen Qualifikationsebenen immer wieder überprüfen, und wir müssen neue Wege der Anpassung der Erstqualifikation des einzelnen an neue berufliche Chancen entwickeln.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Entscheidend dabei ist, daß personale Fähigkeiten wie Kreativität, Flexibilität, Eigenverantwortung, Lernwilligkeit und Lernfähigkeit wieder mehr Beachtung finden.
    Eine bildungspolitische Grundsatzdiskussion ist auch vor dem Hintergrund des demographischen Umschwungs notwendig. Der drastische Rückgang an Auszubildenden und Studenten im nächsten Jahrzehnt auf die Hälfte der heutigen Zahlen zwingt uns dazu, rechtzeitig über die zukünftige Struktur des Bildungswesens nachzudenken. Die Bundesregierung wird gerade dieser mittelfristigen Entwicklung ihre besondere Aufmerksamkeit widmen, um später keiner Versäumisse geziehen zu werden.
    Die Ausbildungsprobleme der jungen Leute heute sind groß. Das duale System der Ausbildung steht aktuell in einer besonderen Bewährungsprobe. Die Wirtschaft hat dem Bundeskanzler die Zusage gegeben, in diesem Jahr eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen, um allen ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen.

    (Dr. Spöri [SPD]: Na, na!)

    Diese Zusage ist mir gegenüber von den Spitzenorganisationen der Wirtschaft Ende April wiederholt worden. Wir zweifeln nicht an dieser Zusage, um das hier einmal klar und deutlich zu sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die von der Bundesanstalt für Arbeit zum Stichtag 31. März veröffentlichten Zahlen zur Ausbildungssituation werden von allen Sachkennern, auch von der Bundesanstalt selbst, als Zwischenstatistik in ihrer Aussagekraft relativiert. Sie sind aber auf jeden Fall als eine erneute Aufforderung an die Wirtschaft und an die öffentlichen Hände anzusehen, in ihren Ausbildungsanstrengungen nicht nachzulassen.

    (Dr. Hauff [SPD]: Was tut denn der Bund?)

    Entscheidend ist, daß im Herbst, dann, wenn das neue Ausbildungsjahr beginnt, das gemeinsam angestrebte Ziel erreicht ist.

    (Zuruf von der SPD: Nehmen Sie den Mund nicht so voll!)

    Die Bundesbehörden selbst haben das Ausbildungsplatzangebot für dieses Jahr um 3,8 % erhöht. Wir sind dabei, nach weiteren Möglichkeiten Ausschau zu halten, und wir werden noch weitere Möglichkeiten finden.

    (Beifall bei der CDU/CSU)




    Bundesminister Frau Dr. Wilms
    Die Bundesregierung selbst ist bereits dabei, durch eine Fülle eigener werbender Maßnahmen, insbesondere auf regionaler Ebene — denn da muß die Lösung gefunden werden —, ihren Beitrag zur Sicherung der Ausbildung in diesem Jahr zu leisten und die Wirtschaft in ihren Ausbildungsbemühungen zu unterstützen. Daneben wird sie insbesondere für die benachteiligten Jugendlichen weiterhin besondere Hilfen bereitstellen. Gleichzeitig laufen Überlegungen, wie in extrem strukturschwachen Wirtschaftsregionen mit hoher, mit extrem hoher Arbeitslosigkeit der Ausbildungsmarkt im Bedarfsfall durch Sondermaßnahmen beeinflußt werden kann.
    Eines lassen Sie mich hier noch einmal betonen: Sondermaßnahmen wie etwa das Benachteiligtenprogramm, wie Programme für Arbeitslose oder auch der Ausbau überbetrieblicher Ausbildungsstätten haben im Verständnis der Bundesregierung immer den Charakter von Maßnahmen, die das duale System ergänzen. Alle Sondermaßnahmen müssen sobald als eben möglich in betriebliche Ausbildung und Beschäftigung münden; denn dies allein erhöht die Berufschancen der so Geförderten.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Den eigenständigen pädagogischen und deshalb auch eigenständigen bildungspolitischen Wert des dualen Systems gilt es zu erhalten und auszubauen, auch dann, wenn mittelfristig die geburtenschwachen Jahrgänge vor der Tür stehen. Ich bin überzeugt, daß ab Mitte der 80er Jahre die betrieblichschulische Ausbildung in einem besonderen Wettbewerb mit anderen Ausbildungsinstitutionen um die dann schwächer werdenden Geburtenjahrgänge stehen wird. Deshalb sind bereits heute ordnungs-
    und strukturpolitische Überlegungen notwendig, wie die Gleichrangigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung weiter gestärkt und die Qualität der dualen Ausbildung zukunftsorientiert noch weiter verbessert werden kann. Dies gilt beispielsweise auch für die bessere Verknüpfung von Ausbildung und Weiterbildung, auch im Sinne gestaffelter oder in Baukästen zusammengesetzter Bildungsgänge, die den jungen Menschen bessere Ausbildungs- und Bewährungschancen geben.
    Meine Damen und Herren, junge Menschen stehen vor den Türen der Hochschulen. Auch die Hochschulen stehen, ähnlich wie das duale System, zeitlich etwas versetzt, vor einer Zeit äußerster quantitativer Anspannung. Im Interesse der jungen Menschen von heute und von morgen, die in die Hochschulen wollen, müssen wir uns für das Offenhalten der Hochschulen einsetzen, so wie wir für das Offenhalten aller Bildungsgänge plädieren. Wir stehen vor der Aufgabe, auch den Abiturienten der geburtenstarken Jahrgänge den Weg in die Hochschule nicht zu versperren. Die Bundesregierung ist deshalb bemüht, daß der Numerus clausus nicht noch mehr ausgeweitet wird; denn in unserem Bildungswesen bieten sich derzeit für Abiturienten kaum weitere Ausbildungsalternativen — bis etwa Mitte der 80er Jahre die geburtenstarken Jahrgänge die berufliche Bildung verlassen. Dann aber müssen für die Abiturienten dort verstärkt Ausbildungen angeboten werden.
    Dort, wo heute an den Hochschulen der Numerus clausus besteht, wird er wohl bleiben müssen. Es ist auch nicht auszuschließen, daß in Einzelfällen zusätzliche Beschränkungen dort in Kauf genommen werden müssen, wo die Leistungsfähigkeit von Forschung und Lehre an den Hochschulen ausdrücklich gefährdet ist. Aber ich hoffe, daß wir diese Fälle auf ein Minimum beschränken können. Und deshalb wird die Bundesregierung, gerade auch um der Chancen der jungen Generation willen, ihren Verpflichtungen im Hochschulbereich weiter nachkommen. Wir werden darüber hinaus die Grundlagenforschung in den Hochschulen über die Sonderforschungsbereiche und die Deutsche Forschungsgemeinschaft weiterhin mit Beträgen in der Größenordnung von etwa einer halben Milliarde DM und mehr fördern.
    Auch um den wissenschaftlichen Nachwuchs werden wir uns intensiv bemühen. Dies ist auch ein Stück Chancenförderung für junge Menschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wo ist das Graduiertenförderungsgesetz?)

    — Es kommt.
    Der Gesetzentwurf zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses — früher Graduiertenförderungsgesetz genannt —, der j a bereits vom Kabinett beschlossen worden ist — nach Beratungen mit den Ländern werden wir ihn in die parlamentarische Beratung einbringen —, ist ein Zeichen dafür, wie wir jungem wissenschaftlichem Nachwuchs Chancen eröffnen wollen. Auch unterstützen wir die Begabtenförderungswerke mit ca. 60 Millionen DM pro Jahr.
    Die Bundesregierung wird das ihr Mögliche tun, um das System der Hochschulfinanzierung im Interesse eines leistungssteigernden Wettbewerbs auch der Wissenschaft zu verbessern. Mit der Einführung von Studiengebühren beschäftigen wir uns nicht. Wir dürfen aber über all diese aktuellen Probleme hinaus nicht vergessen, daß auch in den Hochschulen und für die Hochschulen schon jetzt die Weichen für die Phase gestellt werden müssen, die für die Hochschulen in den 90er Jahren beginnt, dann nämlich, wenn auch hier die Zahl der Studienbewerber zurückgeht. Gerade unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Erfahrungen mit dem Hochschulrahmengesetz nüchtern gewertet werden. Wir haben dafür eine Expertenkommission eingesetzt.
    In diesem Zusammenhang ist auch zu überdenken, wie wir eine stärkere Differenzierung der Hochschullandschaft erreichen können, zu der — gleichberechtigt — auch die Fachhochschulen gehören. Denn nur durch eine stärkere Differenzierung werden wir den Anforderungen von Lehre und Forschung und damit den Chancen der jungen Generation auf diesem Gebiet besser gerecht werden können.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Alle diese Probleme wird der Bund nur gemeinsam mit den Ländern



    Bundesminister Frau Dr. Wilms
    lösen können. Die Bundesregierung hat sich von jeher zu der im Grundgesetz verankerten kulturföderalistischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland bekannt; wir bekennen uns auch weiter dazu. Denn dieser Kultur- und Bildungsföderalismus bedeutet Reichtum und kulturelle Vielfalt, die wir uns erhalten müssen.
    Die' Diskussion um die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist in den letzten Tagen wieder neu belebt worden.

    (Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Von der CDU!)

    — Völlig richtig: von der CDU. — Die Bund-LänderKommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung — kurz die BLK genannt — sollte zu einem wirkungsvollen Instrument zielgerichteter Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern umgestaltet werden und nicht länger — wie in der Vergangenheit — an lehrbuchartigen, langfristigen Gesamtplänen arbeiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kuhlwein [SPD]: Konkret!)

    Das, was wir — dies möchte ich sehr deutlich sagen — angesichts der schwerwiegenden Probleme des Bildungs- und Beschäftigungssystems und des zunehmenden internationalen Wettbewerbs brauchen, ist eine konkrete, handlungsorientierte und wirkungsvolle Zusammenarbeit, Koordination und Abstimmung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Bildungspolitik und der Forschungsförderung auf Ministerebene. Dabei ist für mich auch ein enges Zusammenwirken der Bildungspolitik mit den anderen Politikbereichen unerläßlich.
    In diesem Sinne werde ich mit den Ländern über die künftige Arbeitsweise und Struktur unserer Zusammenarbeit verhandeln. Ich bin überzeugt, daß wir zu positiven und effektiven Lösungen kommen, die die Zukunftschancen unserer jungen Generation verbessern. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz von der sozialdemokratischen Fraktion.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Egon Lutz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die überraschende Intervention der Frau Minister zu diesem Augenblick war sicher nicht der Versuch, die soeben begonnene beschäftigungspolitische Debatte abzuwürgen. Das hat wohl mehr mit dem Terminkalender der Frau Minister oder mit der Fernsehzeit zu tun gehabt.

    (Daweke [CDU/CSU]: Das sind Unterstellungen!)

    Gleichwohl: Wir greifen das auf, was Herr George gesagt hat. Ich versuche jetzt auch mit sanfter Stimme, um Herrn George zu entsprechen, an Sie zu appellieren, mit uns gemeinsam einmal zu überlegen, welche Barrieren Sie einem gemeinsamen Überdenken einer aktiven Beschäftigungspolitik entgegenstellen. Herr George — ich sehe Sie zwar gerade nicht, aber Sie sind bestimmt im Saal —, ich
    finde es z. B. schlecht, wenn man einerseits das hohe Lied der Tarifautonomie singt, andererseits in der Praxis aber, gerade im öffentlichen Dienst, jeglichen Respekt vor der Tarifautonomie vermissen läßt und somit in Wirklichkeit ein häßliches Bild abgibt.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich würde sagen: Wenn man das, wenn man die Theorie sorgfältiger beachtete in der aktiven Politik, wäre schon eine Verständigungsbarriere weggefallen.
    Ein anderes Beispiel: Ich kann mit großer und erhabener Gelassenheit, wenn ich beispielsweise Repräsentant des Wirtschaftsrats bin, an andere appellieren, das Besitzstandsdenken aufzugeben. Denn mir soll ja nichts weggenommen werden. Der Kanzler hat ja gesagt: Leistung muß belohnt werden. Ich soll ja etwas kriegen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Da kann ich sehr ruhig anderen, denen etwas genommen werden soll, den Rentnern, den Arbeitslosen, den Sozialhilfeempfängern, anempfehlen, aus der „Wagenburg ihres Besitzstandsdenkens" herauszukommen. Auf dieser Basis ist eine Verständigung wirklich nicht möglich.

    (Beifall bei der SPD)

    Ein drittes, und das wird uns wohl in der Beschäftigungspolitik immer trennen, zum Schaden der Gesellschaft, hoffentlich nicht allzu lange: Sie beginnen einzusehen, daß es sich nicht um eine konjunkturelle Krise handelt, sondern um eine strukturelle Krise. Aber was Sie dagegen tun, ist, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu setzen, also ein konjunkturell belebendes Programm anzuleiern, nicht aber, die strukturellen Defizite aktiv zu bekämpfen, und darum geht es.
    Wenn man nun die 42 Seiten Regierungserklärung einmal daraufhin abklopft, welche Hoffnungen denn ein Arbeitsloser daraus schöpfen könnte, dann lautet die Antwort wie folgt:
    Erstens liest und hört er die vollmundige Behauptung, der Aufschwung habe begonnen. Zweitens kann der Arbeitslose vernehmen, daß der Kanzler sich zur sinnerfüllten Arbeit und zur Sozialen Marktwirtschaft bekennt. — Wie löblich! — Er vernimmt das Versprechen, eine Politik zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu betreiben. — Wie hinreißend! — Und noch ein Bekenntnis hört er, nämlich diesmal zur „verantwortungsbewußten Leistungselite" — man muß das alles lesen, schöne Worte! — und zu dem Grundsatz, wer mehr wage — das hat meine Kollegin Fuchs schon ausgeführt — und wer sich mehr plage, der habe auch mehr Anspruch auf Erfolg und Gewinn.
    Er vernimmt ferner eine Kundmachung über den Nutzen von Teilzeitarbeit. Die ist dann vom Arbeitsminister noch ein bißchen unterfüttert worden. Der hat gesagt, Teilzeitarbeit müsse sein. Er hat nur nicht gesagt, welchen Arbeitsplatz ich denn teilen kann. Wo ist denn die materielle Basis bei Millionen



    Lutz
    von Arbeitsplätzen noch gegeben, wenn sie geteilt worden sind?

    (Beifall bei der SPD)

    Ferner vernimmt der Arbeitslose in der Regierungserklärung, daß die Lebensarbeitszeit vernünftigerweise gekürzt werden solle, daß das aber weder die Wirtschaft noch den Staat etwas kosten dürfe. Und schon erhebt sich die Frage: Wenn es nichts kosten darf, wer soll es denn dann bezahlen? Dann kostet es den, der das vorgezogene Altersruhegeld bekommt, den versicherungsmathematischen Abschlag. Spätestens seine Witwe wird unter die Sozialhilfeschwelle sinken. So geht es also nicht.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wer soll es denn bezahlen?)

    Ferner liest und hört man die Versicherung, daß man sich der Probleme des Ruhrgebiets, des Bergbaus, der Stahlindustrie, der Werften und der Bundesbahn bewußt sei. — Wie eindrucksvoll!

    (Bohl [CDU/CSU]: Wie hätten Sie es denn gern?)

    Dann war die Rede des Herrn Bundeskanzlers, soweit es den beschäftigungspolitischen Teil betraf, vorüber, und der Arbeitslose konnte sich frei nach Tucholsky einen Vers darauf machen, etwa den:
    Wenn ich die so höre und denke, die bilden sich nur ein, große politische Welt zu sein, dann sag' ich mir: Ach die, du lieber Gott! Lauter saure Gurken und kein Kompott.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auch die Debatte seither hat dem Arbeitslosen keine Erleuchtung gebracht — Hoffnungen und Versprechungen gewiß, aber keine Gewißheiten. Wenn man bedenkt, daß Sie seit März Zeit und Geld und Ressourcen genug haben einsetzen können, um eine vernünftige Konzeption in der Regierungserklärung zu entwickeln, muß ich konstatieren: Die Berge, die da kreißten, haben noch nicht einmal eine Maus geboren, sondern allenfalls, auf beschäftigungspolitischem Feld, den Schattenriß von einem Mäuslein hervorgebracht. Ich frage mich, was Sie machen werden, wenn Ihr Gerede vom Aufschwung nicht mehr zieht, wenn die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des Marktes eitler Wahn bleibt. Was machen Sie bei 2,8 und mehr Millionen Arbeitslosen im Winter? Tritt dann der Wirtschaftsminister zurück, oder tritt der Arbeitsminister zurück?

    (Zurufe von der SPD: Beide!)

    Oder treten sie beide zurück? Oder werden sie dann endlich aufgeschlossener für unsere Vorschläge einer aktiven Beschäftigungspolitik sein?

    (Bohl [CDU/CSU]: Sprechblase!)

    Werden Sie dann für ein Arbeitszeitgesetz eintreten, das für die Tarifvertragsparteien letzter Anstoß sein könnte, den Schritt zur 35-Stunden-Woche zu wagen, und das für uns alle die Möglichkeit böte, Überstundenschieberei zu Zeiten der Massenarbeitslosigkeit auf das unbedingt Notwendige zurückzudrängen?

    (Kolb [CDU/CSU]: Warum nicht gleich 30?)

    — Im Arbeitszeitgesetz gehen wir übrigens von der 40-Stunden-Woche aus. Das wissen Sie sehr wohl.
    Werden Sie unseren Vorschlag eines Vorruhestandsgesetzes mittragen, der darauf hinausläuft, daß die Kosten dieser Form von Lebensarbeitszeitverkürzung von den Tarifpartnern und vom Staat gemeinsam getragen werden, falls für jeden ausscheidenden älteren Arbeitnehmer ein jüngerer Arbeitsloser eingestellt wird? Werden Sie wenigstens dann begreifen, daß nicht das Gerede über Ausbildungsplätze, sondern daß nur die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze den jungen Menschen weiterhilft? Werden Sie begreifen, daß wir ein sehr viel ausgefeilteres arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium benötigen, um Arbeitslosigkeit nicht zum Dauerzustand werden zu lassen? Wir brauchen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, um der Hoffnungslosigkeit der älteren und jüngeren Arbeitslosen aktiv in einem sehr viel größeren Umfang als bisher begegnen zu können.

    (Kolb [CDU/CSU]: Wer ist der Kunde, wer zahlt es?)

    Wir brauchen Bildungs-, Fortbildungs- und Umschulungsbeihilfen, mit denen der gering oder gar nicht qualifizierte Arbeitslose seine Position verbessern kann.

    (Müller [Remscheid] [CDU/CSU]: Wer hat denn die gekürzt?)

    — Da brauchen Sie mir nichts vorzuwerfen, das haben wir hier schon wiederholt diskutiert. Sie haben da auch gesagt, der Weg sei falsch, und sind ihn dann um so entschlossener weitergegangen.
    Wir müssen umsteuern, wir müssen aus dem Arbeitsförderungsgesetz wieder ein operatives Instrument machen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das kostet Geld. In das Arbeitsförderungsgesetz müssen auch Bestimmungen hinein, mit denen man die Selbsthilfegruppen von Arbeitslosen unterstützen kann, mit denen man die Gründung und die Existenz von Arbeitslosenkooperativen und was sich da entwickelt, endlich fördern kann. Wird Ihnen denn klarzumachen sein — Sie werden sagen, das kostet alles Geld —, daß es ein barer ökonomischer Unsinn ist — Sie selbst sagen das auch —, Jahr für Jahr 55 Milliarden und bald noch mehr für das Finanzieren von Arbeitslosigkeit auszugeben und nicht für das Bekämpfen von Arbeitslosigkeit?

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich will Ihnen etwas sagen: Solange Sie einen Kostenanstieg dadurch verhindern wollen, daß Sie die Leistungen für Arbeitslose zurückschneiden, und im übrigen auch noch, wie ich fürchte, mit ortholiberaler Kaltschnäuzigkeit auf Gott und den Markt und sonstwen hoffen, so lange wird sich nichts ändern, und Sie werden jedes Jahr teurere Runden



    Lutz
    drehen müssen, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zur Schattenwirtschaft, Herr Kollege!)

    Verlassen Sie sich nicht auf den Wirtschaftsminister, der in diesem Jahr wieder den Aufschwung geortet hat. Darauf haben wir uns auch in der sozialliberalen Koalition allzulange verlassen. Ich darf daran erinnern: Im Februar 1978 hielt Graf Lambsdorff Fortschritte auf dem Weg zu mehr Wirtschaftswachstum für „absehbar". Im Januar 1979 äußerte er Zuversicht, daß 1979 ein „Jahr des wirtschaftlichen Fortschritts für uns alle" werde. Im April 1980 dünkten ihn die wirtschaftlichen Perspektiven für das gleiche Jahr „nicht schlecht". 1981 sah er gar „erste deutliche Anzeichen für eine Besserung der wirtschaftlichen Entwicklung". Das war im April. Im April 1982 hat dann der Graf prognostiziert, die Wirtschaft befinde sich in einer Situation, in der der Anstieg aus der Talsohle sichtbar werde. Jetzt hat der Graf wieder den „Aufschwung" am Wickel, wie jedes Jahr im Frühjahr. Passen Sie auf, daß Sie nicht alle ein Opfer gräflichen Optimismusses und damit zu einer falschen Politik verleitet werden.

    (Beifall bei der SPD)