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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
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    Rede von Peter W. Reuschenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Kollegen Hauser muß ich wirklich sagen: Mein Gott, Herr Hauser, wohin haben Sie sich da am Schluß verstiegen, als Sie sich gegenüber der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über angebliche uralte marxistische Parolen beklagten? Das kann man sicherlich da und dort anbringen, aber doch nicht hier in diesem Hause. Im übrigen finde ich, daß Ihr Hinweis darauf, daß fromme Sprüche nicht ausreichen, richtig ist. Aber Sie müssen sich die Adresse überlegen.
    Es würde mich schon sehr reizen, mich etwas umfangreicher mit Ihnen darüber auseinanderzusetzen, was die Politik für Mittelschichten in den letzten Jahren war und auf welche Weise den kleinen und mittleren Unternehmen in diesem Lande in den letzten sechs, sieben, acht Jahren Hilfe und Unterstützung zuteil geworden ist. Ich kann das deshalb nicht so umfangreich tun, weil ich Ihnen nicht ersparen möchte, mit drei wichtigen Krisenbranchen konfrontiert zu werden, für die Ihre Politik keine Aussagen macht.
    Aber ein paar Bemerkungen: Es hat keine fünf Jahre seit 1948/49 gegeben, in denen die selbständig beruflich Tätigen, die kleinen und mittleren Unternehmen eine solche steuerliche Entlastung erfahren haben wie in diesen letzten fünf Jahren. Es hat kein halbes Jahrzehnt gegeben, in dem in einem solchen Umfange speziell und insbesondere die Freibeträge bei der Gewerbesteuer heraufgesetzt worden sind mit der Folge — die Sie doch kennen, Herr Hauser, Sie sind doch Kommunalpolitiker und können doch nicht mit frommen Sprüchen andere, die das nicht so genau wissen, darüber hinwegtäuschen —, daß in den meisten Städten heute 70 bis 75 % der eigentlich Gewerbesteuerpflichtigen keine Gewerbesteuer mehr zahlen und daß noch 5 oder 6 % der gewerbesteuerpflichtigen Unternehmen 50 bis 60 % des gesamten Gewerbesteueraufkommens zusammenbringen.
    Wenn das kein Beitrag zu einer Begünstigung — die ich für richtig halte — der kleinen und mittleren Unternehmen, der kleinen und mittleren selbständig beruflich Tätigen ist, was ist es dann? Und das sind keine frommen Sprüche. Hinzu kommen beträchtliche Zuwendungen bei der allgemeinen Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen, die wir für richtig gehalten haben und die in den letzten Jahren eingeführt worden sind.
    Wenn Sie dann noch nach Parteicouleur unterscheiden wollen, dann würde ich Ihnen wirklich dringend raten, einmal die Hebesätze der Gewerbesteuer in vielen unionsregierten Städten Süddeutschlands mit denen von sozialdemokratisch regierten Städten im Ruhrgebiet zu vergleichen. Sie unterscheiden sich zu Lasten der Gewerbesteuerpflichtigen im Süden um 50 %. Ich würde Ihnen wirklich dringend empfehlen, über die kommunalpolitische Vereinigung in Ihrem eigenen Hause zu helfen, daß in München und in Stuttgart nicht solche Gewerbesteuersätze angewandt werden.
    Wenn jetzt in dieser Zeit jemand in den Städten den mittleren und kleineren Unternehmen, den selbständig beruflich Tätigen ernsthaft helfen will, dann kann er das am besten damit tun, daß er die Leistungsfähigkeit und die Investitionskraft der Gemeinden stärkt.

    (Beifall bei der SPD)

    Denn eine große Zahl, eine Masse dieser Unternehmen und Betriebe hängt davon ab, ob die Stadt in der Lage ist, den Auftrag zur Renovierung von Schulen und Kindergärten, den Auftrag zur Erneuerung einer Straßendecke oder den Auftrag zum Bau irgendeines Hauses zu vergeben. Wer die Gemeinden stranguliert, wie das zur Zeit mit der Sozialgesetzgebung und der Steuergesetzgebung der Fall ist, der trifft diesen Gewerbezweig im Kern.

    (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wer hat denn die Gemeindefinanzen so verkommen lassen, Herr Reuschenbach?)




    Reuschenbach
    — Der Bundesrat hat allen ausgabeträchtigen Steuergesetzen zugestimmt. Also, das mit der Erblast ist heute morgen j a schon einmal behandelt worden.
    Ich will übergehen zu drei wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik, die in der Regierungserklärung ausweichend bis nichtssagend behandelt worden sind. Ich meine den dramatischen Strukturwandel der Stahlindustrie in der Welt und in Europa mit seinen Auswirkungen auf die heimische Steinkohle und die Krise der Werftindustrie, die nicht mit der Parole „mehr Markt" und der Hoffnung allein auf „Selbstheilungskräfte der Wirtschaft" beantwortet werden können.
    Das ist kein Gegensatz zu Ihrer und zu meiner Feststellung, daß Marktwirtschaft ein wichtiges Prinzip eines demokratischen pluralistischen Staates ist. Aber das schließt überhaupt nicht aus, sondern schließt ein, daß der Staat in bestimmten Sektoren regulierend mitwirken muß. Dafür gibt es eine Fülle von Beispielen.
    Ich weiß nicht, ob Sie heute die Äußerungen Ihres Ministerpräsidenten Späth gelesen haben, der nach diesen Meldungen offensichtlich Einsichten gewinnt. Er sagt, Aufschwung reicht nicht; kein noch so qualifizierter Aufschwung beseitigt die Arbeitslosigkeit; das Strukturelement in der Wirtschaftspolitik hat gegenüber dem Konjunkturelement immer größere Bedeutung erlangt; Wirtschaftswachstum ist nicht Allheilmittel; er sprach sich für neue Ansätze aus usw. Vielleicht setzt sich das bei Ihnen auch noch durch.
    Natürlich müssen auch in der Stahlindustrie und im Bergbau und bei den Werften die betroffenen Unternehmen und Branchen ihren Teil zur Umstrukturierung beitragen und, wo es unumgänglich ist, auch Anpassungen der Kapazitäten vornehmen. Ich stehe auch nicht an zu sagen, daß manche Unternehmensleitung taktisches Zuwarten, verbunden mit der Hoffnung darauf, das Erbe des ausgeschiedenen Konkurrenten antreten zu können, an den Tag gelegt hat. Aber gerade in einer solchen Situation ist es Pflicht des Staates, diese Entwicklungen auf Grund eigener Vorstellungen mitzugestalten und zu begleiten. Da müssen Sie zugeben, daß die neue Bundesregierung für keine der von Strukturkrisen betroffenen Branchen eigene Vorstellungen über die künftige Entwicklung hat. Die Regierungserklärung ist insbesondere in diesem Zusammenhang wirklich nur als Offenbarungseid zu betrachten.
    Nicht erst seit dem Regierungswechsel, aber erst recht danach schiebt das Bundeswirtschaftsministerium notwendige eigene Entscheidungen über Neuordnungspläne der Stahlindustrie vor sich her. Die Appelle, neue Gutachten vorzulegen, neue Pläne vorzulegen, reichen j a wohl nicht aus. Diese Verschleppung arbeitet gegen die deutsche Stahlwirtschaft, erhöht die Gefährdung der noch verbliebenen und verbleibenden Arbeitsplätze. Die Verhältnisse wären heute schon sozial explosiv, hätte die SPD-Fraktion nicht zusammen mit der früheren Bundesregierung die soziale Flankierung für die betroffenen Arbeitnehmer durchgesetzt.
    Heute fordern wir die Bundesregierung auf, sich folgende Punkte zueigen zu machen:
    Erstens ist erneut und verstärkt bei der EG-Kommission auf die Beseitigung wettbewerbsverzerrender Situationen hinzuwirken und dieses auch mit Gegenmaßnahmen zu begleiten. Als letztes Mittel ist meiner Ansicht nach ein Grenzausgleich nicht von vornherein auszuschließen, wenn andere Methoden und Maßnahmen nicht mehr wirken.
    Die Preis- und Mengenabsprachen sind unabdingbar. Die Bundesregierung muß erklären, welche Stahlerzeugungskapazität sie in der Bundesrepublik in Zukunft für möglich und für nötig hält. Wir stimmen mit den Stahlmoderatoren darin überein, daß die wesentlichen Stahlstandorte im Kern erhalten bleiben müssen, „selbst wenn dadurch Abstriche an maximaler Wirtschaftlichkeit erforderlich sind". Die Stahlmoderatoren selbst werden allerdings diesem eigenen Anspruch nicht gerecht. Sollten Hilfen über die im Investitionszulagengesetz vorgesehenen Maßnahmen hinaus erforderlich sein, sind diese grundsätzlich in Form von Kapitalbeteiligungen von Bund und Ländern zu gewähren.
    Schließlich ist wohl die Aufforderung gerechtfertigt, daß die Bundesregierung zusammen mit den Betriebsräten, den Arbeitsdirektoren und den Gewerkschaften ihre Schulaufgaben macht und die Montan-Mitbestimmung dabei zu sichern ist, und zwar auf Dauer. So könnten Regierung und Koalition unter Beweis stellen, ob sie es mit der Mitbestimmung ernst meinen oder ob sie es, wie Herr Kohl das ja in einer Passage getan hat, eher als Alibi mißbrauchen will, um die eigene Untätigkeit in der Stahlindustrie zu kaschieren.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Krise in der deutschen Stahlindustrie ist eine Krise der Industriepolitik, der europäischen und der nationalen. Am gefährlichsten aber ist der Verzicht auf Politik, ein Laufenlassen der Entwicklung, die in diesem Fall im Abgrund enden muß.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich getan?)

    — Die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion haben gegen Ihren erbitterten Widerstand bis in die letzten Monate des vorigen Jahres hinein ein optimales Maß, eine große Anstrengung unternommen, um das, was wir nach wie vor für nötig halten, auf den Weg zu bringen. Wir haben das Investitionszulagengesetz über die Hürde gebracht, wir haben das Stahlstandortprogramm über die Hürden gebracht, wir haben die soziale Flankierung herbeigeführt, wir haben das Bundeswirtschaftsministerium gezwungen, wenigstens eine — wenn auch noch nicht befriedigenden — Regelung in Europa bei der EG-Kommission durchzusetzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Dieses ist jetzt zu vollenden, und jetzt richtet sich
    die Frage an Sie, was Sie mit Ihrer Mehrheit und



    Reuschenbach
    mit der von Ihnen gestellten Regierung tun. Diese Antwort ist in den nächsten Monaten zu geben.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Nicht nur bei der Stahlindustrie, sondern auch bei der Sicherung und bei der Umstrukturierung der deutschen Werftindustrie bietet die Bundesregierung ein konfuses Bild. Noch im November des vorigen Jahres hat der frühere und heutige Wirtschaftsminister gesagt, von einer kritischen Lage der deutschen Werftindustrie könne überhaupt nicht die Rede sein. Aber schon im Jahre 1982 sind die Aufträge für Schiffsbauten um 30 % zurückgegangen, und das geht offensichtlich 1983 und 1984 so weiter.
    Deshalb ist das richtig, was von verschiedenen Seiten — auch en detail — gefordert und aufgeschrieben worden ist: daß die Bundesregierung die Sicherung einer wettbewerbsfähigen Schiffbauindustrie zur nationalen Aufgabe erklären muß und entsprechend zu handeln hat. Ein Schiff ist ein „Warenkorb" des Angebots der ganzen Palette deutscher industrieller Leistungsfähigkeit. Auch deshalb ist es gerechtfertigt und notwendig, die Aufrechterhaltung des deutschen Schiffbaus zu gewährleisten.
    Der Bundeskanzler hatte im Wahlkampf vor Betriebsräten Bremer Werften versichert:
    Es gibt für eine Industrienation Wirtschaftsbereiche, die unverzichtbar sind. Dazu gehört Kohle, Stahl, Landwirtschaft und Schiffbau. Wir werden der Schiffbauindustrie an der deutschen Küste helfen.
    Zwei Wochen nach der Wahl wurde der Sanierungsplan der bundeseigenen HDW bekanntgegeben: 4 000 Entlassungen.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Auch in der Regierungserklärung ist nichts zu finden, was diesem gegebenen Versprechen entsprechen würde. Im Gegenteil, manches spricht dafür, daß weitere Entlassungen an der Küste bevorstehen, wenn nicht schnell gehandelt wird, und daß dieser Verlust von 10 000 Arbeitsplätzen — von einem Drittel ist ja die Rede — 300 Millionen DM kosten und auf den Bundeshaushalt durchschlagen wird. Dieses Geld ist doch eigentlich gar nicht vorhanden. Für die Hälfte dieses Geldes können die Werften in die Lage versetzt werden, konkurrenzfähig zu sein.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal die Hamburger SPD!)

    — Lieber Herr Wissmann, das ist doch keine sozialdemokratische Polemik oder Meckerei!

    (Wissmann [CDU/CSU]: Schon!)

    Vier Regierungschefs norddeutscher Küstenländer, zwei Sozialdemokraten und zwei christliche Demokraten, haben das ungefähr so, wie ich es hier skizziert habe, aufgeschrieben und haben die Bundesregierung aufgefordert, diese Vorschläge zu verwirklichen.

    (Beifall bei der SPD)

    Das möchten wir nachdrücklich unterstreichen.
    An dieser Stelle will ich allerdings auf eine seltsame Gegensätzlichkeit hinweisen. Während hier heute morgen Herr Stoltenberg Subventionen im allgemeinen und auch im einzelnen für übel erklärt hat und die sozialdemokratische Forderung, auf bestimmten Teilgebieten müsse der Staat mitwirken, als gefährlich und systemwidrig bezeichnet hat, gibt es unter diesen vier Regierungschefs der norddeutschen Küstenländer einen Parteifreund von ihm, der mit den anderen zu Recht erhebliche staatliche Hilfe und staatliche Unterstützung fordert. Sind schwarze Subventionen anders als rote Subventionen zu behandeln und zu charakterisieren? Ich bitte Sie herzlich, sich das zu Herzen zu nehmen und gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.
    Auch und gerade nach der gestrigen Regierungserklärung müssen wir feststellen, daß die neue Bundesregierung die Wende auch in der Kohlepolitik eingeleitet hat. In seiner Regierungserklärung hat sich der Bundeskanzler — das können Sie nachlesen — auf Selbstverständlichkeiten beschränkt und ansonsten dem Steinkohlebergbau mitgeteilt, er müsse sich selbst helfen. Es sind doch geradezu Plattheiten, die er zur Kohle gesagt hat. Er sagte „Natürlich wird die Kohle gebraucht", aber kein Wort davon, wie lange und wieviel. Daß die Unterstützung der Stahlindustrie auch der Kohle nützt — so hat er es gesagt —,

    (Zuruf des Abg. Gerstein [CDU/CSU])

    das wäre, lieber Herr Gerstein, natürlich richtig, wenn es eine aussichtsreiche Stahlpolitik der Bundesregierung gäbe. Die Feststellung, daß der Jahrhundertvertrag gilt, ist nun wahrhaftig auch keine Überraschung, denn Verträge gelten im allgemeinen.

    (Gerstein [CDU/CSU]: Dieser Vertrag ist aber sehr wertvoll!)

    Das ersetzt doch aber nicht die Festlegung, mit welcher Förderkapazität der heimische Bergbau am Ende dieses Jahrzehnts oder in den 90er Jahren seinen Versorgungsbeitrag zu leisten hat.
    Es ist offensichtlich, daß die Bundesregierung nicht mehr hinter dem Kernsatz der dritten Fortschreibung des Energieprogramms steht, wonach der deutsche Steinkohlebergbau auch für den Rest dieses Jahrhunderts seinen Versorgungsbeitrag halten soll.

    (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

    Bekennen Sie sich dazu, sagen Sie es offen, aber führen Sie hier nicht einen Salometanz mit mehr oder weniger verdeckenden Schleiern auf.
    Wenn jetzt die Aussage gilt, der Steinkohlebergbau habe seine Kapazität dem Absatz anzupassen, heißt das eben: über „Erin" hinaus weitere Zechenstillegungen mit dem Verlust von Tausenden von



    Reuschenbach
    Arbeitsplätzen direkt und von weiteren Tausenden im Umfeld des Steinkohlebergbaus. Auch wenn Herr Worms — kaum war das Wort dem Mund entfahren, möcht er's im Busen gern bewahren — sich dann von seiner Äußerung abgesetzt hat, man müsse Mut zu weiteren Zechenstillegungen haben, so hat er in Wirklichkeit doch die Katze aus dem Sack gelassen. Das ist die Konsequenz der neuen Kohlepolitik dieser Bundesregierung. Schon früher hat Herr Biedenkopf ausgerechnet für das Ruhrgebiet, für das Kohleland seine Absicht ausgesprochen, daraus müsse eine Kernkraftschmiede werden. Herr Späth hat noch vor ein paar Tagen einer für das Ruhrgebiet notwendigen Institution das Wasser abgegraben und ist außerdem der gemeinsamen Forschungspolitik in den Rücken gefallen. Ich sage das, weil ich verdeutlichen will: Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch, in der Regierungserklärung zu hören, daß dem Revier geholfen werden soll, seine Leistungskraft zu verbessern. Das Gegenteil ist der Fall.

    (Wissmann [CDU/CSU]: Mit der Rau-Regierung ist das auch kaum möglich!)

    Mit der Inkaufnahme von Zechenstillegungen, mit dem Verzicht auf eine eigene Stahlpolitik, mit der Schwächung der Finanzkraft der Gemeinden wird dem Revier schwerster Schaden zugefügt. Diese Folgen können weder die Landesregierung noch die Gemeinden und die betroffenen Städte ausgleichen und auffangen, die bisher ohnehin schon einen überproportionalen Teil für nationale Aufgaben wie Kohle und Stahl leisten. Ich muß Ihnen offen sagen: Hier liegt der Verdacht nahe, daß auch Wahltaktik im Spiel ist. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Haussmann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Dr. Helmut Haussmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Roth und Herr Reuschenbach haben zur Stahlkrise einige sehr polemische Behauptungen im Blick auf Graf Lambsdorff aufgestellt. Ich stelle folgendes fest. Erstens. Es ist eine Tatsache, daß es den intensiven Bemühungen von Graf Lambsdorff in Brüssel zu verdanken ist, daß es überhaupt Ansätze zur Lösung der Stahlkrise gibt, Herr Reuschenbach.

    (Beifall bei der FDP)

    Das ist nicht zu bestreiten. Eine Tatsache ist es auch, daß dort, wo die SPD noch Regierungsverantwortung trägt,

    (Wissmann [CDU/CSU]: Noch!)

    nämlich an Rhein und Ruhr, absolute Konzeptionslosigkeit herrscht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU)

    Wirtschaftsminister Jochimsen verfolgt mit der Zusammenarbeit zwischen Krupp und Hoesch einen Plan, der nach Ansicht von Branchenkennern längst zu den Akten gehört. Ministerpräsident Rau beschwichtigt zwar nach allen Seiten und hofft, mit
    dieser Hängepartie noch über die Landtagswahlen 1985 zu kommen.
    Zweitens. Graf Lambsdorff hat in Brüssel durchgesetzt, daß das von uns sicher nicht geliebte Produktionsquotensystem für den Stahl verlängert wird. Nur dadurch haben wir die Sanktion, den Subventionskodex durchzusetzen, d. h. überhaupt eine geringe Chance, daß 1985 viele Subventionen im internationalen europäischen Bereich auslaufen.
    Drittens. Gerade in einer Debatte über die Regierungserklärung muß man einmal sagen dürfen, daß Graf Lambsdorff mit gutem Grund zunächst von den Unternehmen die Vorlage von Umstrukturierungsplänen verlangt hat, bevor der Staat und damit alle Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Das waren drei knappe Bemerkungen zur Stahlpolitik.
    Lassen Sie mich aus der Sicht der Fraktion der Freien Demokraten zu den zentralen Fragen der allgemeinen Wirtschaftspolitik ganz kurz folgendes sagen.

    (Reuschenbach [SPD]: Herr Haussmann, das war Vergangenheit!)

    Für die Freien Demokraten, Herr Reuschenbach, ist die innenpolitische Herausforderung, j a wie die EKD sagt, die Gefährdung des inneren Friedens durch die Arbeitslosigkeit gegeben, d. h. die Freien Demokraten werden in dieser Legislaturperiode ihre finanz-, haushalts-, steuerpolitischen Teilziele dem Hauptziel der Schaffung von mehr Arbeitsplätzen konsequent unterordnen.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir sehen hier drei wesentliche Strategien. Erstens. Wir müssen mehr Markt, besser noch: eine Revitalisierung, eine Erneuerung der marktwirtschaftlichen Ordnung einleiten. Zweitens. Es muß zu einer Renaissance des Mittelstands kommen, der mit Abstand der größte Arbeitgeber in unserem Lande ist.

    (Beifall bei der FDP)

    Drittens müssen wir die Kreativität des einzelnen und die technologischen Möglichkeiten einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft dazu nutzen, mehr Beschäftigung' zu schaffen und ökologischen Fortschritt zu erreichen. Wir nennen das — in Anlehnung auch an Ralf Dahrendorf, Herr Roth; das ist kein Schritt in die 50er Jahre; Sie sollten einmal Ihren volkswirtschaftlichen Stand fortschreiben — die offene, ökologisch ausgerichtete Marktgesellschaft.

    (Lachen bei der SPD und bei den GRÜNEN)

    Erstens zur Revitalisierung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Wir glauben — es ist interessant, daß das hier von großen Teilen des Parlaments inzwischen belächelt wird —, daß die größten Chancen für Mehrbeschäftigung nach wie vor in einer Erneuerung der Wettbewerbsordnung bei uns liegen.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)




    Dr. Haussmann
    Nicht mehr Staat, sondern die Rückgewinnung von Wettbewerbsfähigkeit, das Schaffen von offenen Möglichkeiten bietet die Chance.

    (Erneuter Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Alles andere sind defensive Umverteilungsstrategien. Was Herr Späth in diesem Zusammenhang wünscht, ist mir bisher unklar geblieben. Aber man weiß j a, daß er für modische Tendenzen in verschiedenen politischen Bereichen sehr anfällig ist.
    Wenn Sozialdemokraten geringschätzig von den schwachen Selbstheilungskräften unserer Ordnung sprechen, so wissen wir zwar, daß eine marktwirtschaftliche Ordnung Schwächen hat; sie ist für uns aber das Dominante und Vitale in unserem Wirtschaftssystem. Sozialdemokraten entscheiden sich eher für staatliche Interventionen. Wir könnten von Herrn Vogel über Herrn Roth bis hin zu Herrn Reuschenbach jetzt 15 Punkte aufzählen. Das ist die sozialdemokratische Antwort für mehr Beschäftigung: mehr Staat bei leeren Kassen. Das ist das, was der unvergessene Karl-Hermann Flach einmal so trefflich als den institutionellen Aberglauben der Sozialdemokratie bezeichnet hat.
    Das heißt aber auch — wir sagen dies sehr offen --: Marktteilnehmer in einer Marktwirtschaft sind auch Unternehmer, und auch Unternehmer müssen in dieser kritischen Beschäftigungslage wieder verstärkt ihre Funktion ausfüllen, mit mehr Phantasie und Risikobereitschaft etwas unternehmen, nämlich mehr Beschäftigung schaffen, ohne auf weitere staatliche Segnungen zu warten oder zu schielen.
    Wie steht es nun faktisch um diese Erneuerung der Marktwirtschaft? Es wird uns allen guttun, wenn wir alle etwas gründlicher das Frühjahrsgutachten lesen, auch diese Koalition. Denn dort steht etwas kritisch, daß es nach wie vor an langfristiger Klarheit und Konsequenz für Bedingungen für eine nachhaltige Besserung unserer Wirtschaft fehlt und daß die Voraussetzungen für einen nicht nur leichten konjunkturellen Aufschwung, sondern für strukturelle Besserung unserer Wirtschaft noch nicht gegeben sind.
    Auch angesichts der Stahl- und Schiffsdebatte sage ich hier sehr deutlich: Es kann auf Dauer nicht gutgehen, wenn wir Großunternehmen und schwach strukturierten Regionen mit über 60 Milliarden Subventionen Unterstützung gewähren, die letztlich von den noch gesunden Regionen wie Baden-Württemberg und anderen sowie den vielen — teilweise noch gesunden — kleinen und mittleren Betrieben aufgebracht werden müssen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Fazit bleibt in diesem Bereich: Wenn wir nicht mehr Konsequenz zu mehr Markt, zu weniger Bürokratie, zu mehr Eigenverantwortung und zur finanziellen Sanierung zeigen, wird auch diese neue Koalition Enttäuschung und Resignation ernten und letztlich eine Verschärfung unserer Beschäftigungsprobleme nicht verhindern können.