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ID1000503600

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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
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    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich in meinem Beitrag zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers auf drei Fragen beschränken: Was werden Sie, Herr Bundeskanzler, konkret gegen die Arbeitslosigkeit tun?

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wann treten Sie zurück?)

    Wie sichern Sie die Ausbildungs- und Lebenschancen der jungen Generation? Was tun Sie, um das Vertrauen der älteren Generation in unseren Sozialstaat zu erhalten? Diese drei Fragen bewegen Millionen Menschen in unserem Lande, und Sie, Herr Bundeskanzler, müssen konkrete Antworten darauf geben.
    Meine Damen und Herren, im Zentrum unserer Politik stand stets die Überwindung der Arbeitslosigkeit,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir gemerkt!)

    und zwar aus sozialen und humanitären Gründen, aus Gründen der inneren Stabilität der zweiten deutschen Demokratie und aus dem Grunde, daß ohne leistungsfähige Staatsfinanzen Politik auf Dauer unmöglich ist.
    Vor einem Jahr habe ich mich auf unserem Münchener Parteitag zum Sprecher derer gemacht, die auch an die wirtschaftspolitische Verantwortung des Staates appellieren. Wir wollen alle wirtschaftspolitischen Instrumente nutzen, um Menschen Arbeit und Brot zu geben, und wollen keines dieser Instrumente aus kurzsichtigen Gründen — auch nicht aus ideologischen Gründen — ausklammern.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Beschlüsse unseres Münchener Parteitages waren damals in Teilen dieses Hauses auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die FDP bezeichnete unsere Vorschläge wörtlich als Folterwerkzeuge aus der Mottenkiste des Sozialismus und sprach mir die
    Koalitionswürdigkeit ab. Seit dem Wahltag im vergangenen Herbst verfolgt sie nun die Debatten im Hessischen Landtag von der Zuschauertribüne.

    (Beifall bei der SPD)

    Seit dem Wechsel in Bonn vertritt die gleiche FDP mit Ihnen die damals von mir geforderte Ergänzungsabgabe, die Sie ein bißchen anders getauft haben. Ich beginne also, Herr Bundeskanzler, mit einem halben Lob, denn ich kann Sie für Ihre Lernfähigkeit in dieser Frage nicht tadeln. Unsere Lösung wäre allerdings sachlich und politisch sauberer gewesen, und unser Maßnahmenkatalog ging und geht weiter als die Ergänzungsabgabe für Investitionen.
    Meine Damen und Herren, ich war und bin gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund für die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung durch ein Investitionsprogramm zur Modernisierung der Volkswirtschaft. Wir brauchen ein langfristig angelegtes Programm mit den Schwerpunkten Wohnungsbau, Umweltschutz, Energieeinsparung und Ausbau des öffentlichen Verkehrs, ein Programm, das von Bund und Ländern gemeinsam zu tragen ist.
    Die konservativen Wirtschaftsberater der Bundesregierung scheinen dies für überflüssig zu halten. Ihnen reicht ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von einem halben Prozent, um vom Aufschwung zu reden. In Wahrheit bedeutet das doch nichts anderes als die Fortsetzung der wirtschaftlichen Stagnation.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn ich Ihre Vorschläge richtig analysiere, so laufen sie auf eines hinaus: auf den weiteren Abbau des Sozialstaats.

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Der Anstieg der Arbeitslosenzahl auf mehr als 2,8 Millionen im kommenden Winter soll offenbar tatenlos hingenommen werden. Ich kann die Bundesregierung nur dringend davor warnen, ihre Wirtschaftspolitik daran auszurichten. Eine solche Wirtschaftspolitik wäre eine Gefahr für den sozialen Frieden und eine Provokation der Gewerkschaften und aller Arbeitnehmer unseres Landes.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Sie sollten, Herr Bundeskanzler, auch keine Arbeitsplätze bei fremden Unternehmen versprechen, wenn Sie auf die Gewinnstrategie dieser Unternehmen keinen Einfluß haben. Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern in Ihrer Rede den Eindruck erweckt, als ob die hunderttausend Ausbildungsplätze, die in diesem Jahr zusätzlich benötigt werden, heute schon gesichert seien. Dabei wissen Sie doch, daß die von den Verbänden versprochenen Lehrstellen nur von den einzelnen Ausbildungsbetrieben geschaffen werden können. Wie kommen Sie dazu, eine Garantie für Ausbildungsplätze zu verkünden, über die Sie gar nicht verfügen?

    (Beifall bei der SPD)




    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    Was soll ich von solchen Zusagen halten, wenn gleichzeitig der Staatssekretär im Bundeskanzleramt die Lehrstellenbewerbungen von jungen Menschen beim Bundeskanzler pfundweise an die Länder, auch an meine Staatskanzlei, zurückreicht? Sollen wir jetzt Ihre Versprechungen einlösen?

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegensatz zu Ihnen haben wir in Hessen längst gehandelt. Wir haben in den letzten Wochen mit einem Sonderprogramm 2 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Bereich gefördert. Ich kann Ihnen nur raten, dasselbe zu tun. Sorgen Sie dafür, daß bei der Verwaltung des Bundes, bei den bundeseigenen Unternehmen und bei den öffentlichen Bundesbetrieben Bahn und Post zusätzliche Lehrstellen über das bisher zugesagte Maß geschaffen werden! Das wäre eine konkrete Antwort.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sollten auch nicht langfristig Arbeitsplätze versprechen und zugleich eine Wirtschaftspolitik betreiben, die tatsächlich nur Rationalisierungsinvestitionen auslöst. Sie alle wissen, daß uns jetzt auch in den Dienstleistungsberufen große Veränderungen bevorstehen. Ich kann gerade aus der Sicht des Landes Hessen sagen, daß ich große Sorge über das Vordringen des Mikroprozessors bei Banken, Versicherungen und anderen Dienstleistungsunternehmen habe. Ich sage hier ganz deutlich: Das Ziel einer Wirtschaftspolitik muß es sein, daß der technische Fortschritt nicht auf Kosten der arbeitenden Menschen durchgesetzt wird.
    Meine Anregungen an Sie gehen deshalb dahin, in erster Linie solche Investitionen zu fördern, die erstens nicht langfristig Arbeitsplätze kosten, sondern neue schaffen und für die es zweitens eine breite Mehrheit im Volk in öffentlicher Zustimmung gibt. Dies sind hier und heute vor allem neue Umwelttechnologien, also Investitionen in neue Kläranlagen, in Lärmschutzmaßnahmen und verbesserte Luftreinhaltung. Das Land Hessen wird auch weiterhin im Bundesrat dazu geistige und politische Vorarbeit leisten.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wenn es wieder eine mehrheitsfähige Regierung hat!)

    — Selbstverständlich wird diese Regierung handeln — das tut Ihnen weh —, sie wird sich dem Wähler stellen, und sie wird wieder ein neues Mandat erhalten.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Darüber reden wir noch!)

    Meine Damen und Herren, unser Schwefelabgabengesetz, das wir in den Bundesrat zum Schutz des Waldes eingebracht haben, ist marktwirtschaftlicher und effektiver als die neue Großfeuerungsanlagenverordnung, und wir werden demnächst auch entsprechende Vorschläge für bleifreies Benzin in den Bundesrat einbringen. Dann müssen Sie nicht nur den Mund spitzen, dann müssen Sie auch pfeifen.

    (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Pfeifen Sie einmal! — Zuruf von der CDU/CSU: Der pfeift doch aus dem letzten Loch!)

    Ich bin nach wie vor für Aktivierung und Weiterentwicklung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit. Es war nach meiner Auffassung ein politischer Fehler meiner eigenen Partei, daran mitzuwirken, die Fortbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt zu drosseln, wie das geschehen ist. Ich hatte angeregt und bleibe dabei, die für die Reaktivierung benötigten Mittel durch angemessene Solidarbeiträge zu beschaffen.
    Hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsstellen sind das zentrale innenpolitische Problem in der Bundesrepublik Deutschland. Eine weiter wachsende Massenarbeitslosigkeit ist für die politische und soziale Stabilität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine unerträgliche Belastung. Gerade, Herr Bundeskanzler, weil ich als junger Mann das Schicksal der Arbeitslosigkeit selbst erlitten habe, sage ich Ihnen: Diese Republik wird sich verändern, wenn die jungen Menschen von der Schulbank auf die Wartebänke der Arbeitsämter rutschen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wichtigste Aufgabe unserer Zeit ist deshalb eine energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus sozialen, wirtschaftlichen und auch aus moralischen Gründen. Die Gewerkschaften als Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft haben in der laufenden Tarifrunde bereits gezeigt, daß sie ihren Beitrag für mehr Stabilität zu leisten bereit sind.
    Das gilt auch für das Thema Arbeitszeitverkürzung. Ohne Arbeitszeitverkürzung wird sich bei weiterhin stagnierendem Wirtschaftswachstum die Zahl der Arbeitslosen immer weiter steigern. Die Gewerkschaften sehen dies und sind bereit, auch über die Verteilung der entstehenden Kosten zu reden. Warum, Herr Bundeskanzler, weisen Sie die ausgestreckte Hand der deutschen Gewerkschaften in dieser Diskussion zurück?

    (Beifall bei der SPD)

    Wollen Sie es eigentlich hinnehmen, daß wir 1983 im Jahresdurchschnitt 2,35 Millionen Arbeitslose bekommen werden, wie Ihre Gutachter errechnet haben? Sie wissen doch, meine Damen und Herren, diese Arbeitslosen kosten 55 Milliarden DM im Jahr. Allein schon aus finanzpolitischen Erwägungen müßten Sie deshalb darauf drängen, aus diesen Arbeitslosen wieder steuer- und beitragszahlende Arbeitnehmer unseres Landes zu machen.
    Die hessische Landesregierung sieht ihre Aufgabe nicht darin, über Arbeitslosigkeit zu reden, sondern darin, energisch zu handeln. Wir haben Anfang dieses Jahres ein beschäftigungspolitisches Sofortprogramm aufgelegt, mit dem über 28 000 Arbeitsplätze in Hessen neu geschaffen und gesichert wurden und mit dem 2 000 Ausbildungsplätze für junge Menschen gefördert worden sind. Wir alle müssen zusammenwirken beim Bau einer Beschäftigungsbrücke für die junge Generation, um ihr trotz der demographischen Schwierigkeiten in den 80er Jahren den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu



    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    ermöglichen. Ich meine, unser Gemeinwesen wird erschüttert, wenn junge Menschen keine Arbeit finden, nur weil sie einem starken Jahrgang angehören.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich betrachte es als Gütetest für unser Wirtschaftssystem, ob wir ohne Zwangsmaßnahmen mit der Herausforderung der Jugendarbeitslosigkeit fertigwerden. Wir brauchen nämlich nicht nur Ausbildung auf Vorrat, sondern auch Beschäftigung der ausgebildeten jungen Arbeitnehmer auf Vorrat für die Zeit, wenn die Arbeitskräfte wieder knapper werden und unsere Wirtschaft qualifiziertes Personal braucht. Das wird, wie Sie wissen, doch in einigen Jahren der Fall sein. Wirtschaft und Staat müssen sich dieser Aufgabe stellen aus Gründen der menschlichen Solidarität mit der jungen Generation und auch aus Gründen der langfristigen Sicherung der Arbeitskraft unseres Volkes.
    Zur Finanzierung der benötigten Arbeitsplätze hatte ich im vergangenen Jahr neben Schwerpunktprogrammen für junge Arbeitnehmer in besonderen Problemregionen auch die Umverteilung von Arbeit und Einkommen bei gutverdienenden Gruppen vorgeschlagen, also etwa mehr Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst, um die vielen fertig ausgebildeten jungen Lehrer z. B. unterbringen zu können, außerdem die Einführung eines Vorruhestandsgeldes für freiwillig ausscheidende ältere Arbeitnehmer entsprechend den von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Modellen. Die hessische Landesregierung wird auch diesen Vorschlag in den Bundesrat einbringen. Ein entsprechender Kabinettsbeschluß ist gefaßt. Ich werde versuchen, im Kreise der Ministerpräsidenten für weitere abgestimmte Vorschläge aller Länder zu werben, die wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, präsentieren wollen. Diese Vorschläge sollen von Erleichterungen für Teilzeitbeschäftigung im Beamtenbereich bis zu Besoldungskonsequenzen reichen, um mit den gleichen staatlichen Mitteln mehr junge Menschen beschäftigen zu können.
    Natürlich ist bei solchen Fragen der Dialog mit den Gewerkschaften unumgänglich. Wir müssen uns schnell einigen, denn wir brauchen die Hilfe jetzt. Im nächsten Jahrzehnt schon geht die Nachfrage nach staatlichen Arbeitsplätzen aus demographischen Gründen zurück. Sollten wir — die Frage stelle ich Ihnen, meine Damen und Herren, und Ihnen, Herr Bundeskanzler —, nämlich eine der reichsten Gesellschaften der Erde, nicht die Kraft und den Willen haben, diese Durststrecke solidarisch zu überbrücken?

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, beschäftigt uns die Arbeitslosigkeit in erster Linie der Jugend wegen, so droht das Problem der Alterssicherung eine Zukunftsangst der über Vierzigjährigen vorzuprogrammieren. Eine Gesellschaft, die in fast allen Altersgruppen von Angst geprägt ist, ist in den Grundfesten weniger stabil, als wir uns alle das wünschen. Ich sage hier klar und deutlich: Unsere staatliche Alterssicherung hat sich im Prinzip bewährt. Sie geht davon aus, daß die alten Menschen durch ihre Lebensleistung die Grundlage für den Wohlstand von heute geschaffen haben. Dafür haben sie einen moralischen Anspruch auf einen finanziell gesicherten Lebensabend.
    Seit einem halben Jahrhundert spart keine Generation im klassischen Sinn mehr für ihr Alter. Sie verläßt sich vielmehr auf die Beitragszahlung der Generation ihrer Kinder. Es ist wirtschaftlich unmöglich, daß eine Generation sowohl für ihr eigenes Alter als auch für das Alter ihrer Eltern finanziell aufkommt. Alle Ideen in dieser Richtung sind wirtschaftlich und politisch nicht zu Ende gedacht.
    Dieser Generationsvertrag muß deshalb unverbrüchlich bleiben. Deshalb warne ich vor psychologischen Verunsicherungen durch die Manipulation von Anpassungsterminen der Rentenversicherung und durch weiteres kompliziertes Rangieren von Geldströmen zwischen den Sozialkassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, die einzigen vertrauensbildenden Maßnahmen in der Alterssicherung sind eine Beitragserhöhung für die Versicherten und ein Anpassungsmodus für die Renten, der einen ungefähren Gleichklang der Einkommen zwischen Aktiven und Rentnern vorsieht. Wenn der Bundesarbeitsminister in diese Richtung geht, hat er unsere politische Unterstützung. Lieber Herr Blüm, wenn Sie wieder einmal keine ausreichende Unterstützung für Ihre Vorschläge in der eigenen Partei haben, dann können Sie sich gern an Ihren hessischen Ministerpräsidenten wenden.

    (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Bitte nicht! Der hat keine Mehrheit!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kümmern uns um die Renten und wenden uns gegen sozialen Abbau auf dem Rücken der Rentner und der Kriegs- und Wehrdienstopfer. Sicher ist eine Eigenbeteiligung der Rentner an der Krankenversicherung erforderlich. Was ich verurteile, ist der drastische Anstieg der Eigenbeteiligungsquoten. Nimmt man die zeitliche Verschiebung der Rentenanpassung hinzu, so zeigt sich, daß die Rentner nach dem Willen von CDU/CSU und FDP einen großen Anteil an der sogenannten Sanierung des Bundeshaushalts übernehmen sollen.
    Meine Damen und Herren, was meinen Sie eigentlich, was die Leute draußen im Lande empfinden, wenn sie hören, daß Kriegsopfer, Rentner und Arbeitnehmer sinkende Einkommen zu erwarten haben, daß aber die Bezüge der Vorstände der deutschen Großbanken kräftig angehoben worden sind? Das ist eine „Gerechtigkeit", die von uns nicht geteilt werden kann, sondern wir bitten Sie, hier sehr deutlich Ihre Position noch einmal zu überdenken.
    Ich sage hier deutlich: Ich halte es für unverantwortlich, wenn etwa der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung zu einer Manövriermasse für die Haushaltssanierung wird.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie wollten doch kürzen!)




    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    Nach wie vor gilt, daß die Rente eine Lohnersatzfunktion hat. Nach einem vollen Arbeitsleben dürfen die Arbeitnehmer und ihre Familien nicht sozial absteigen. Das heißt, wir werden uns im Bundesrat massiv dagegen zur Wehr setzen, daß etwa die Lasten der Arbeitslosigkeit auf die Sozialhilfeetats der Gemeinden abgewälzt werden.

    (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Sie haben doch die Beihilfe in Hessen gekürzt!)

    Meine Damen und Herren, ich warne die Koalition ausdrücklich vor der Kürzung des Arbeitslosengelds.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß an dieser Stelle noch ein drängendes soziales Problem ansprechen, das überwiegend die älteren Mitbürger betrifft, nämlich die Soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Immer mehr pflegebedürftige Menschen sind nicht mehr in der Lage, die finanziellen Belastungen aus eigenen Mitteln zu tragen. Ich halte es für unzumutbar, wenn Bürger, die 30 bis 40 Jahre hart gearbeitet haben, im sogenannten Herbst ihres Lebens zu Taschengeldempfängern in Heimen werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Pflegebedürftigkeit, meine Damen und Herren, ist ein allgemeines Lebensrisiko, dessen Folgen in der Regel über die finanziellen Möglichkeiten des einzelnen hinausgehen. Ich setze mich deshalb an dieser Stelle für die Schaffung einer bundesweiten Pflegeversicherung ein. Ihre Koalitionsvereinbarung, Herr Bundeskanzler, enthält den Satz, daß die Finanzierung der Kosten der Pflegefälle neu geregelt werden müsse. Ich werte das als positiven Hinweis auf gemeinsames Handeln zur Lösung dieses sozialen Problems und erwarte von Ihnen eine Konkretisierung.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erwarte nicht, daß die neue Bundesregierung die gleichen gesellschaftlichen und sozialen Interessen wie die alte vertritt. Aber eines bitte ich zu bedenken: Zur Unsicherheit der Jugend und zu den Ungewißheiten der Älteren darf nicht auch noch die Ängstlichkeit und Verkrampfung der Regierung treten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wünschen uns eine Bundesregierung mit mehr innerer Gelassenheit, als bisher zu spüren war, eine Regierung, die keine Berührungsängste hat, auf Andersdenkende einzugehen und mit ihnen zu reden, eine Regierung, die sich weder in die eigene Wagenburg zurückzieht noch sich an fremden Kreuzzügen beteiligt.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Beherzigen Sie das auch in Hessen?)

    Wir werden darauf achten, wie Sie handeln, wie Sie die unvermeidlichen Belastungen verteilen und ob Sie soziale Gerechtigkeit als Wertmaßstab gelten lassen.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie halten eine schlechte Wahlkampfrede!)

    Sozialer Konsens war lange Jahre ein Fundament unserer freiheitlichen Ordnung. Er darf nicht konservativer Ideologie geopfert werden.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Neben vielen anderen entscheidenden Auswirkungen scheint mir die Bedeutung des Wahlergebnisses vom 6. März 1983 über diesen Tag hinaus auch in zwei Punkten zu liegen. Erstens. Die Mehrheit der deutschen Wähler hat sich für eine Koalition, für eine Regierung, für die sie tragenden Parteien entschieden, die ihnen nicht Wahlversprechen, die ihnen nicht das leichte Leben, nicht das Land, in dem Milch und Honig fließen, angeboten haben, sondern die von Einschränkungen, Beschränkungen, Anstrengung und Leistung gesprochen haben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Es stellt dem deutschen Wähler und seiner politischen Urteilskraft ein gutes Zeugnis aus, daß er nicht hereingefallen ist auf die Sprüche der Umverteilung von unten nach oben und auf die Ellenbogengesellschaft, die in diesem Wahlkampf behauptet worden ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Zweitens. Dieses Wahlergebnis ist ein eindrucksvoller Sieg der Idee und der Wirklichkeit der Sozialen Marktwirtschaft, unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung, ihrer politischen, ihrer wirtschaftlichen und ihrer moralischen Qualität.
    Alle Analysen haben bestätigt — Herr Stoltenberg hat mit Recht darauf hingewiesen —, daß die Sozialdemokraten diese Wahl wegen ihres Mangels an wirtschaftspolitischer Kompetenz verloren haben. Übrigens: Nicht viele Wähler — ich ganz gewiß nicht — haben diese wirtschaftspolitische Kompetenz dem Amtsvorgänger des jetzigen Bundeskanzlers abgesprochen, wohl aber, Herr Vogel — und das zu Recht —, einer Sozialdemokratischen Partei und Fraktion, die dessen unbequemen Ratschlägen schon längst nicht mehr folgen wollte.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das, was Sie, Herr Kollege Vogel, gestern — übrigens in bemerkenswerter Kürze angesichts der Bedeutung des Problems; das zeigt j a auch unsere Aussprache — zur Wirtschaftspolitik und zur Arbeitsmarktpolitik gesagt haben, hat in der Tat gezeigt, daß aus dieser Wahlniederlage bei Ihnen bisher keinerlei Konsequenzen gezogen worden sind, daß das Hin und Her der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik, das wir im Wahlkampf erlebt haben, weitergehen wird. Ich erinnere nur an die Stichworte Quellensteuer, Devisenkontrolle, zins-



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    günstige Notenbankkredite, Zinssubvention, denen gestern nun auch noch der fabelhafte Vorschlag hinzugefügt worden ist, mit einer Mineralölsteuererhöhung die Probleme der Bundesbahn zu finanzieren. Immer nur der Griff in die Tasche des Steuerzahlers! Anderes geht nicht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Deswegen sage ich, meine Damen und Herren von der SPD, Herr Kollege Vogel: Es bleibt dabei, daß die Slalomkünste, die Sie auf wirtschaftspolitischem Gebiet im Wahlkampf angeboten haben, die Künste des schwedischen Wunderläufers Ingemar Stenmark um ein Vielfaches übertreffen.

    (Dr. Vogel [SPD]: Heiterkeit! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ja, „Heiterkeit", Herr Kollege Vogel. Beschweren Sie sich doch nicht! Wir würden auf diesem Gebiet gern einmal eine klare Analyse aus Ihren Reihen zu den Ursachen des Wahlergebnisses hören. Bisher haben Sie das Herrn Kreisky überlassen. Dessen Urteil ist allerdings vernichtend genug ausgefallen, sowohl für Ihre Politik wie für die handelnden Personen.
    Heute taucht zu meinem natürlich großen Vergnügen wieder der hessische Ministerpräsident auf — „aus der Ackerfurche" —

    (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ CSU)

    und begibt sich hier in unsere Wagenburg. Herr Börner, wir sind uns ganz darüber einig, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das zentrale Thema deutscher Innen- und Wirtschaftspolitik ist. Darüber hat es jedenfalls zwischen den Sozialdemokraten und uns nie Meinungsverschiedenheiten gegeben.
    Was heute aus den Reihen der GRÜNEN an die Adresse der Bundesregierung gesagt worden ist — Herr Apel, Sie haben beklagt, daß Herr Stoltenberg es eine dumme Unterstellung genannt habe —, wir nähmen die Arbeitslosigkeit nicht ernst, uns gehe es um die Gewinne der Unternehmen, das war eine niederträchtige Unterstellung; ich will das hier noch dreimal unterstreichen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN: Das ist die Wahrheit!)

    Ich habe niemals in Frage gestellt, Herr Kollege Apel — darüber waren wir uns immer einig und sind es hoffentlich noch —, daß wir alle die Probleme der Arbeitslosigkeit in gleicher Weise ernst nehmen. Wir streiten — das ist richtig und gut so — um die Frage, wie man dem Problem beikommen kann.
    Hierzu haben Sie, Herr Börner, nun wahrlich nichts Neues angeboten, sondern genau dieselbe Leier vorgetragen, genau dasselbe Lied gesungen, das durch die zutreffende Antwort des Wählers am 6. März in den Grundzügen entschieden worden ist. Aber ich will dazu noch etwas sagen. Wenn Sie einen Zuwachs des Bruttosozialprodukts um ein halbes Prozent eine Fortsetzung der Stagnation nennen, dann sage ich Ihnen: Das ist zwar kein befriedigendes Ergebnis, aber wenn man aus dem Keller kommt, nämlich aus dem Minuswachstum, dann ist das im Verlauf eine deutliche Aufbesserung. Ich komme darauf nachher noch zurück.
    Herr Börner, Sie haben weiter gesagt, Hessen habe ein Beschäftigungsprogramm vorgelegt. In Wahrheit sind Sie, weil Sie keine regierungsfähige Mehrheit haben, nicht in der Lage, die Finanzierung der beschäftigungswirksamen Titel sicherzustellen, die bei Ihnen im ordentlichen Haushalt stehen. Wenn Sie der Arbeitsmarktpolitik in Hessen einen Gefallen hätten tun wollen, dann hätten Sie längst zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben müssen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich wünsche niemandem in diesem Land Arbeitslosigkeit. Aber ich wünsche Ihnen als Ministerpräsidenten des Landes Hessen Arbeitslosigkeit, Herr Börner. Und ich sage Ihnen: Sie werden auf den Oppositionsbänken sitzen, und die Freien Demokraten, die damals in der Verratskampagne in Hessen gescheitert sind, werden wieder im hessischen Landtag sitzen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, das gibt mir ohnehin Gelegenheit, in meiner Eigenschaft als Mitglied der Freien Demokratischen Partei ein weiteres Wort zu sagen. Von Sommer 1982 bis zum 6. März 1983 haben meine Freunde und ich die politisch wohl schwerste Zeit durchgemacht, die wir jemals gemeinsam in der Partei durchstehen mußten.

    (Sehr wahr! bei der FDP)

    Wir haben sie durchgemacht, weil wir eine politische Entscheidung getroffen haben, die wir aus unserer Verantwortung gegenüber dem Wähler und für unser Land für notwendig hielten. Wir haben gefährliche Risiken auf uns genommen.
    Ich erinnere mich sehr wohl, meine Damen und Herren, an die Zwischenrufer aus Ihrer Fraktion, als ich am 1. Oktober an diesem Rednerpult gestanden habe. „Abschiedsrede" hieß es mehrfach. Und das einzige Mal in seiner parlamentarischen Laufbahn — wahrscheinlich beruht das auf Gegenseitigkeit — hat mir der Kollege Gansel Vergnügen bereitet, weil er den ergänzenden Zwischenruf gemacht hat: „Ihre Abschiedsrede wäre mir eine Sondersitzung wert!" — Er muß noch etwas darauf warten, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der FDP — Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

    Heute steht fest: Der Generalangriff auf den organisierten politischen Liberalismus ist abgewehrt worden, und unsere politische Entscheidung ist von unseren Wählern bestätigt worden.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wissen Sie, wer Ihre Wähler waren?)




    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    Und ich verhehle nicht, daß mich dieses Ergebnis auch persönlich mit großer, mit tiefer Genugtuung erfüllt hat.

    (Stratmann [GRÜNE]: Flick auch!)

    Aber wichtiger ist, daß der Wähler die politische Entscheidungsfreiheit der Liberalen bestätigt hat. Koalition: ja. Historisches Bündnis: nein.

    (Beifall bei der FDP)

    Um jedes Mißverständnis auszuschließen: Wir, Herr Bundeskanzler, wollen diese Koalition. Wir wollen den Erfolg Ihrer Regierung und dieser Koalition für unser Land. Sie werden einen manchmal unbequemen, Sie werden einen selbstbewußten, aber der gemeinsamen Politik verpflichteten Koalitionspartner in den nächsten vier Jahren haben.

    (Zuruf von der SPD: Das kennen wir! — Heiterkeit bei der SPD)

    Nun ein Wort an die Sozialdemokratische Partei. Eine Rechnung, Herr Vogel und meine Damen und Herren von der SPD, bleibt offen. Ich will nicht auf das „Wegharken" des früheren Bundeskanzlers zurückkommen. Aber ich will wohl darauf zurückkommen, Herr Kollege Vogel, daß Sie es für nötig gehalten haben, vor der Wahl zu äußern, es sei ein Gebot politischer Hygiene, daß die FDP aus dem Bundestag verschwinde. Wer heute noch dieses Beispiel aus dem Gebiet der Unkrautvernichtung und -vertilgung für richtig hält, hätte besser Kammerjäger werden sollen und nicht Politiker.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Und Herr Glotz hat nach der Wahl als erstes vor den Fernsehkameras sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die FDP nicht verschwunden sei.

    (Unruhe bei der SPD)

    — Ja, ja. Ich sage Ihnen, bringen Sie das in Ordnung! Nutzen Sie schnell die Gelegenheit dazu! Die Freie Demokratische Partei hat dem früheren Bundeskanzler Kiesinger seinen Spruch vom „Herauskatapultieren" so lange nicht vergessen, bis er nach zwölf Jahren selbst gesagt hat, es sei eine politische Dummheit gewesen. Wenn Sie so lange warten wollen, dann tun Sie das, Herr Vogel.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

    Vergessen werden wir es nicht. Erinnern werden wir Sie.
    Ich möchte ausdrücklich dankbar die Art und Weise anerkennen, wie der Kollege Apel — ganz im Gegensatz zum Oktober, Herr Apel — heute diese Debatte bestritten hat. Wir brauchen ja nicht in der Sache einig zu sein; das sind wir auch nicht. Aber es sind Fragen gestellt worden, und es ist ein Debattenbeitrag geleistet worden, der es ganz sicher notwendig macht, darauf einzugehen. Das wird noch ausführlicher geschehen, als es jetzt in einer kurzen Erwiderung der Fall sein kann.
    Wir haben selber, Herr Apel, bei der Vorbereitung von Regierungserklärungen immer wieder vor der Frage gestanden: Wie konkret oder, genauer gesagt,
    wie komprimiert aufs Grundsätzliche kann eine Regierungserklärung sein, soll eine Regierungserklärung sein, und wie weit muß man gehen, um die vielen Bereiche derer, die im Land Erwartungen an die Regierungserklärung haben, nicht zu enttäuschen und anzusprechen?
    Das war auch diesmal der Fall. Und die, die draußen kritisieren, die Regierungserklärung sei in einigen Punkten — Sie haben sie erwähnt —, z. B. in der Wirtschafts- und Steuerpolitik, nicht konkret genug, sind dieselben, die gleichzeitig schreiben, sie sei viel zu sehr ins einzelne gegangen, sie sei viel zu breit gewesen, sie hätte eigentlich kürzer ausfallen müssen.

    (Dr. Apel [SPD]: Weniger Schmonzes, mehr Mut!)

    Herr Kollege Apel, ich frage mich, gerade nach den Erfahrungen, die wir gemeinsam gemacht haben, ob es ratsam ist, in einer Regierungserklärung schlecht vorbereitet, unter zeitlicher Pression, mit heißer Nadel genäht, so weit ins einzelne zu gehen, daß man nachher bei genauer Betrachtung und genauer Bearbeitung doch feststellen muß: So geht's nicht.
    Zu den Meßlatten, die Sie angelegt haben: Der Artikel 115 ist schon zu Ihrer Zeit immer eine schwierige Meßlatte gewesen. Jede Regierung wird sich darum bemühen, hat sich darum zu bemühen, dem Verfassungsgebot Genüge zu tun. Das wird auch diese Regierung tun.
    Sie sagen, wir kürzen Gewerbesteuer und wir kürzen Vermögensteuer — Herr Börner hat diesen Hinweis, diesen Vorwurf wiederholt —, ohne den Gebietskörperschaften den notwendigen Ausgleich zu geben.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Das ist nicht der Fall. Das ist weder bei der Dauerschuld- und Dauerschuldzinsenregelung der Gewerbesteuer geschehen noch wird es bei der Frage der Vermögensteuer geschehen. Sie können sich auch ganz darauf verlassen, Herr Apel: Es wird keine Regelung geben, die etwa nur Großbetriebe begünstigt, wenn wir bei der Vermögensteuer ansetzen, sondern es wird klar und deutlich eine mittelständische Komponente, die auch Wirkung zeigt, eingebaut werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Ich bin ganz mit Ihnen einig, daß das Ansteigen der Steuerlastquote, das sich aus Progression und Preissteigerung weiter ergeben wird, dahin führen muß, daß wir möglichst bald — aber nur ein Schelm verspricht mehr als er hat und als er zur Zeit zusagen kann — zu einer Tarifreform kommen. Aber wäre es richtig, nun Ansparvorgänge dahin zu machen? Sie wissen doch selber, wie schwierig es für einen Finanzminister ist, anzusparen und das Angesparte auch zu behalten und nicht doch auszugeben.
    Eigentlich am wichtigsten war Ihr Ruf nach Gerechtigkeit. Meine Damen und Herren, hier wird wohl niemand bestreiten wollen, daß das Bemühen um Gerechtigkeit — steuerpolitisch, aber auch auf



    Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
    anderen Gebieten — ein Leitfaden all unserer politischen Entscheidungen sein muß.

    (Zurufe von der SPD)

    — Muß!
    Gerade im steuerpolitischen Bereich haben wir festgestellt, daß der Widerspruch zwischen Einfachheit und Gerechtigkeit dazu führt, daß ein immer größeres Maß an Gerechtigkeit zu einer immer größeren Kompliziertheit unseres Steuersystems führt, die schon dadurch, durch ihre Unübersichtlichkeit, durch ihre Nichtmehrhandhabbarkeit, ein gehöriges Maß an Ungerechtigkeit mit sich bringt. Hier den mittleren Weg zu finden, ist schwierig.
    Noch schwieriger ist wohl die Überlegung, Herr Apel, über Gerechtigkeit beim Verteilen der Belastungen, aber auch der Guttaten. Kann das Streben nach nahezu absoluter Gerechtigkeit nicht dazu führen, daß man dann nur noch den Mangel verteilen kann und nicht mehr die Möglichkeiten offenläßt — auch durch ein Maß an Ungleichheit und gewiß auch Ungerechtigkeit —, das zu erwirtschaften, was man nachher steuer-, wirtschafts- und sozialpolitisch verteilen will?
    Wenn 1949 in unserem Land der Wiederaufbau unter dem Gesichtspunkt steuerpolitisch absoluter Gerechtigkeit angefangen und betrieben worden wäre, hätte es keine 7-b-Abschreibung, keine Schiffsfinanzierung und ich weiß nicht, was alles, geben dürfen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Damals ist klar gesagt worden: Es muß zunächst einmal produziert, erarbeitet, Sozialprodukt geschaffen werden, und dann muß es verteilt werden. Ich glaube, diese letztendliche Gerechtigkeit, nämlich mehr zu geben, mehr zur Verfügung zu stellen und mehr zu erwirtschaften, das ist der eigentlich entscheidende Punkt, auf den wir uns zubewegen müssen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)