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    Plenarprotokoll 10/5 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 5. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 Inhalt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Einberufung einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 8. Mai 1983 aus Anlaß des 38. Jahrestages des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges Reents GRÜNE 147 B Dr. Schäuble CDU/CSU 148 D Dr. Hauff SPD 149 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 150 B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung Dr. Althammer CDU/CSU 150 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 153 B Hoppe FDP 155D Kleinert (Marburg) GRÜNE . . . . 158C, 186D Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . . 161 C Dr. Apel SPD 167 A Börner, Ministerpräsident des Landes Hessen 173A Dr. Graf Lambsdorff FDP 176 C Roth SPD 181 D Dr. Stoltenberg CDU/CSU 187 A Hauser (Krefeld) CDU/CSU 187 B Reuschenbach SPD 190 B Dr. Haussmann FDP 193 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA . . . 195 B Frau Fuchs (Köln) SPD 201A Dr. George CDU/CSU 205B Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMBW 207 C Lutz SPD 210B Hoss GRÜNE 212B Cronenberg (Arnsberg) FDP 214D Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI 218C Dr. Schmude SPD 222 D Fischer (Frankfurt) GRÜNE 226 B Dr. Miltner CDU/CSU 228 C Dr. Hirsch FDP 231C Schäfer (Offenburg) SPD 233 D Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE 236 D Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 239A Dr. Emmerlich SPD 241 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 245C Frau Schoppe GRÜNE 248 A Kleinert (Hannover) FDP 250A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 252 D Seiters CDU/CSU 255A Vizepräsident Westphal 226 D Vizepräsident Wurbs 245 B Nächste Sitzung 255 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 257*A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 257* C Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 5. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Mai 1983 147 5. Sitzung Bonn, den 5. Mai 1983 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 6. 5. Berschkeit 6. 5. Böhm (Melsungen) * 6. 5. Büchner (Speyer) 6. 5. Dr. Enders * 6. 5. Dr. Engelsberger 6. 5. Hartmann 6. 5. Dr. Hornhues 6. 5. Kittelmann * 5. 5. Lahnstein 5. 5. Lemmrich * 5. 5. Dr. h. c. Lorenz 5. 5. Offergeld 5. 5. Poß 5. 5. Schmidt (Hamburg) 6. 5. Schmidt (Wattenscheid) 6. 5. Schreiber 6. 5. Schröer (Mülheim) 5. 5. Spilker 6. 5. Frau Steinhauer 6. 5. Vogt (Düren) 5. 5. * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Präsident des Bundesrates hat mit Schreiben vom 29. April 1983 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 29. April 1983 der vom Deutschen Bundestag am 29. März 1983 beschlossenen Weitergeltung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß nach Artikel 53 a des Grundgesetzes Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes zugestimmt hat. Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 2. Mai 1983 mitgeteilt, daß er seinen Antrag Veräußerung des bundeseigenen Geländes an der Schleißheimer Straße in München an die Landeshauptstadt München - Drucksache 10/22 - zurückzieht.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans Apel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist es gut, daß wir durch diesen Zwischentakt, den wir eben vernommen haben, wieder zu einer mehr gelassenen Aussprache zurückkehren können. Natürlich macht Ihnen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, niemand Vorschriften über den Stil, in dem Sie im Deutschen Bundestag reden. Das zu entscheiden gehört zur Freiheit eines jeden Abgeordneten. Nur, Sie sollten sich einmal selbstkritisch fragen, auch bei der Durchsicht des Protokolls, ob es sinnvoll und vernünftig ist, wenn Sie sich zum Zensor parlamentarischer Debatte aufwerfen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch ein sich anbiedernder Pharisäer!)

    Ich habe als junger Abgeordneter, Herr Präsident Dr. Barzel, einen Ordnungsruf für die Bemerkung bekommen, das sei eine dumme Unterstellung. Augenscheinlich wird es jetzt zugelassen — ich finde das sehr schlimm —, daß einem Abgeordneten der GRÜNEN gesagt wird, es handle sich um die dümmste Unterstellung, die man je gehört habe.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde das nicht in Ordnung.


    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Der Ton macht die Musik! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

    Wir sollten uns in der Tat bei all den Meinungsverschiedenheiten, die wir haben — und die sind beträchtlich —, auch gegenüber der Fraktion der GRÜNEN einen Ton und einen Stil zu pflegen versuchen, der in der parlamentarischen Debatte weiterführt.
    Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben gestern im „ZDF-Magazin", aber auch heute erneut von der Erblast geredet. Ich kann das verstehen. Sie sind in großen Schwierigkeiten. Sie wissen nicht, wie Sie mit Ihren Problemen fertig werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Ihre Probleme!)

    Der Bundeskanzler macht Ihnen keine Vorgaben. Er wartet ab, bis Sie sich mit Herrn Blüm geeinigt haben. Da ist es natürlich bequem und naheliegend, auf „Erblast" auszuweichen.
    Nur sollten wir, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, die Debatte, glaube ich, anders führen. Wir sollten zugeben, daß keine der Fraktionen der letzten Bundestage in einem Zustand finanzpolitischer Unschuld lebt. Wir haben 13 Jahre lang die Finanzminister gestellt. Wir haben natürlich auch Fehler gemacht.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Viele!)

    Aber wir sind davon überzeugt, daß diese Finanzpolitik rundherum ein großer Erfolg war; die internationalen Kennzahlen beweisen das doch. Sie können sich doch nicht hinstellen und unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik in Grund und Boden verdammen und all die Kennzeichen und Kennzahlen, die nun besser geworden sind — wie mehr Preisstabilität, Leistungsbilanzausgleich, Zinssenkung, Verbesserung des Außenwerts der DM, Verbesserung der „terms of trade" —, sich selber zuschreiben. Nehmen sie doch bitte zur Kenntnis: Dies ist vor allem bzw. auch die Arbeit der sozialliberalen Koalition gewesen.

    (Beifall bei der SPD)

    Entweder gibt es hier eine Erblast; dann müssen Sie diese Kennzahlen vergessen. Oder Sie bekennen sich zu diesen positiven Kennzahlen, die unsere Volkswirtschaft und sicherlich auch der neuen Koalition guttun; aber dann muß das Gerede von der Erblast relativiert werden.
    Hinzu kommt ein weiteres. So ist es ja nicht gewesen, daß die Unionsparteien in diesen 13 Jahren quasi in einem parlamentarischen Beiboot mitgefahren sind. Sie haben über den Bundesrat, dieses von Ihnen stets brutal eingesetzte Blockadeinstrument, und über den Vermittlungsausschuß in der Größenordnung von mehreren Milliarden draufgesattelt.

    (Beifall bei der SPD) Wir haben Ihnen das hier vorgeführt.

    Lassen Sie uns doch gemeinsam diese Vergangenheit annehmen! Daß Sie diese Vergangenheit in die Zukunft weiterentwickeln wollen, finde ich gut; nur kann Vergangenheitsbewältigung nicht Zukunftsplanung ersetzen. Ausreden, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, können keine Antworten für finanzpolitische Entscheidungen ersetzen, die wir von Ihnen erwarten.
    Ein paar Sätze zu Herrn Hoppe. Herr Hoppe, ich denke, Sie sollten unsere gemeinsame Vergangenheit, auch wenn Sie sie gern verdrängen wollen — ich verstehe das —, auch hier etwas anders bewerten. Sie haben von Beschäftigungsprogrammen gesprochen, die heute keinen Sinn mehr hätten. Ich sehe das anders. Das Zukunftsinvestitionsprogramm, das wir beide gewollt haben, hat doch über viele Jahre die Bauwirtschaft stabilisiert, Arbeitsplätze geschaffen, Nützliches im Umweltschutz und bei der Erhaltung unserer Denkmäler und unserer Bausubstanz geleistet.
    Herr Kollege Hoppe, wir haben doch auch die steuerlichen Rahmenbedingungen, insbesondere des Mittelstandes — durch Verlustrücktrag, durch Abschreibungsverbesserungen —, erleichtert. Das war doch allen positiv. Das hat sicherlich dazu geführt, daß über viele Jahre die Arbeitslosigkeit in unserem Land geringer als anderswo war. Wir sollten das nicht abwerten. Sie haben gar keinen Grund dazu. Es wäre gut, wenn in der jetzigen Koalition hier angeknüpft werden könnte.
    Nun wird von Ihnen gesagt, Herr Hoppe — und das hören wir auch aus der Unionsfraktion, das hören wir auch von Herrn Stoltenberg —, nur die Rückbesinnung auf die Marktwirtschaft würde die Probleme regeln. Mein Fraktionsvorsitzender hat



    Dr. Apel
    1 dazu Bemerkungen gemacht. Ich will nur auf zwei Fakten hinweisen.
    Das sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit: Selbst wenn wir in den nächsten Jahren ein reales Wachstum des Bruttosozialprodukts um 3 bis 3,5 % haben werden — ich halte das für sehr optimistisch —, können wir die Zahl der im Arbeitsprozeß Beschäftigten gerade halten. Da ist nicht von Abbau der Arbeitslosigkeit die Rede. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, weil — auf Grund der Demographie — die jungen Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen. Da muß schon ein bißchen mehr getan werden. Da werden Sie gar nicht umhinkönnen, neben den Steuererleichterungen, die Sie vorhaben, im Bereich staatlicher Investitionen und Beschäftigungsprogramme etwas zu tun. Und wenn Sie sagen, Herr Hoppe, das sei auch Ihre Meinung, dann stimmt mich das durchaus hoffnungsvoll.
    Herr Stoltenberg, Sie sagen: Nun wartet mal ab; die Antworten, wie wir Haushaltskonsolidierung betreiben, werdet Ihr schon bekommen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Natürlich!)

    Ich gehe davon aus; denn Sie sind j a dazu gezwungen. Sie können j a den Streit mit Herrn Blüm nicht ad infinitum fortsetzen. Sie müssen sich dann ja entscheiden, und das wird für Herrn Blüm hart werden. Aber davon mal ganz abgesehen, ist es doch eigentlich — und nun bin ich ganz vorsichtig — parlamentarisch merkwürdig — eigentlich müßte ich
    sagen: ein parlamentarischer Skandal —,

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie sind ja ein Zensor!)

    daß am Beginn der Legislaturperiode, wo uns für vier Jahre vorgetragen wird, wie die neue Koalition die Wirtschafts- und Finanzpolitik gestalten will, wie sie Haushaltskonsolidierung betreiben will, wo hier ein Schwerpunkt von Herrn Bundeskanzler Dr. Kohl gesetzt worden ist, in den Einzelheiten Fehlanzeige erfolgt. Ich sage Ihnen: Ich halte das für eine Mißachtung des Parlaments. Es ist auch eine Mißachtung der veröffentlichten und der öffentlichen Meinung; und die hat sich j a heute morgen in vielen Zeitungen dazu hinlänglich deutlich geäußert. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

    (Beifall bei der SPD)

    Herr Dr. Stoltenberg, Sie legten Wert darauf — und ich kann das sehr gut verstehen —, daß Finanzpolitik besonders eine Frage der Glaubwürdigkeit ist. Sie haben uns Sozialdemokraten daran erinnert — und auch darin haben Sie recht —, daß natürlich keiner aus seiner politischen Vergangenheit aussteigt. Aber das gilt natürlich auch für Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg.
    Und nun müssen wir Ihnen einige Meßlatten, die Sie für finanzpolitische Solidität aufgestellt haben — im übrigen waren es, wie wir festgestellt haben, doch nur Schlagstöcke —, noch mal vortragen und Sie um Kommentierung bitten.
    Ich beginne mit der Meßlatte Nr. 1. Herr Häfele sagte am 1. Juli 1982: Die Neuverschuldung wird 1983 40 bis 45 Milliarden DM betragen. Da hat er in etwa recht. Denn trotz aller Dementis, die wir aus der Regierungsfraktion der CDU/CSU hören, ist natürlich ein Nachtragshaushalt fällig. Das wissen wir ja alle. Herr Häfele sagte dann mit Stentorstimme, dies sei zum dritten Mal ein Verfassungsbruch. Wie ist das, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, mit dem Verfassungsbruch?

    (Beifall bei der SPD)

    Ist diese Nettokreditaufnahme von 40 Milliarden DM — und es werden noch mehr werden — ein Verfassungsbruch? Ja oder nein? Ich bitte um eine klare Antwort, damit wir wissen, wie Sie zu Nettokreditaufnahmen in dieser Größenordnung stehen.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie, Herr Stoltenberg, haben an demselben 1. Juli 1982 im Süddeutschen Rundfunk gesagt: „Die Finanzgrundlagen der Rentenversicherung werden in unverantwortlicher Weise getroffen; hier wird die Sozialversicherung getroffen, um den Bundeshaushalt zu entlasten." — Herr Kollege Dr. Stoltenberg, haben Sie nicht genau dasselbe gemacht, indem Sie die Überweisungen von der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung massiv gekürzt haben, um dann Ihren Zuschußbedarf an die Bundesanstalt für Arbeit kürzen zu können? Wie ist das mit diesem Vorwurf? War er damals richtig an unsere Adresse gerichtet? Wie ist das mit dieser Meßlatte, die Sie aufgestellt haben? Wie messen Sie sich selbst an dieser Meßlatte? Das würde ich ganz gerne von Ihnen hören.

    (Beifall bei der SPD)

    Eine dritte Meßlatte. Sie sagen auch in dieser Julizeit im Westdeutschen Rundfunk: „Jede direkte oder indirekte Form der Steuer- und Abgabenerhöhungen wird abgelehnt." — Nun muß ich gar nicht auf Einzelheiten eingehen; jeder Mensch kennt sie: die Abgabenerhöhung bei der Arbeitslosenversicherung, bei der Rentenversicherung, die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wie stehen Sie heute zu dieser Meßlatte? War sie damals nur ein Schlagstock, um Sozialliberale zu treffen, oder verfahren Sie auch in diesem Punkt nach der Melodie „Was schert mich das Geschwätz von gestern"?

    (Beifall bei der SPD)

    Nun komme ich zu einem Punkt, den auch Herr Kollege Dr. Althammer heute morgen angesprochen hat.

    (Walther [SPD]: Hat der etwas angesprochen?)

    — Ja, er hat hier eine Viertelstunde geredet.

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Herr Stoltenberg, Städte, Kommunen und Länder, sagen Sie am 4. Juli 1982, müssen in den Stand versetzt werden, mehr zu investieren. Der Bundeskanzler sagt gestern: „Keine Konsolidierung des Bundeshaushalts zu Lasten der Länder und Gemeinden"; „die Gemeinden brauchen Handlungsspielraum." — Aber wie sieht es denn mit der Realität aus? Da wird die Gewerbesteuer gekürzt und wird am 1. Januar 1984 erneut gekürzt. Da führen



    Dr. Apel
    die massiven Einschnitte in die sozialen Besitzstände beim Wohngeld, bei den Renten, vielleicht demnächst auch bei der Arbeitslosenversicherung, zu massiven Belastungen der Gemeinden bei Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Und was sagen Sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung? Da laden wir doch einmal die Gemeinden ein, Vorschläge zu machen, wie das BSHG verändert werden soll, um die Lasten zu verringern. — Ist das die Führungsrolle, Herr Dr. Stoltenberg, die Sie sich selber in dieser schwierigen Zeit verordnen?

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das ist Partnerschaft!)

    — Partnerschaft ist nach Ihren Meinungen dann also folgendes: Erst einmal nehme ich den Gebietskörperschaften Geld weg, und zwar massiv, und dann sollen sie mir sagen, wie sie mit der erschwerten Situation fertig werden, damit ich gnädig überlege, ob ich diese Situation im Sinne der Gemeinde regele. Das ist keine Partnerschaft, tut mir leid.

    (Beifall bei der SPD)

    Dann wollen Sie ab 1. Januar 1984 die Vermögensteuer senken. Wie bequem! Das ist nämlich eine Ländersteuer. Die Kommunen sind über den kommunalen Finanzverbund erneut betroffen, indem sie etwa 20 % weniger einnehmen werden; sie dürfen dafür bei der Mehrwertsteuer mehr bezahlen. Das heißt, Herr Kollege Stoltenberg: Sie wälzen Lasten auf die Kommunen ab, Sie schwächen die Finanzkraft der Kommunen. Deswegen stimmt es doch, was die kommunalen Spitzenverbände, aber auch die Experten in Ihrem eigenen Hause sagen: Die Bauinvestitionen im kommunalen Sektor werden im Jahre 1983 um nominal 5% — real ist das mehr — zurückgehen. Deshalb sagt auch die Bauwirtschaft, daß es fraglich sei, ob der Bauaufschwung trage, denn hier gebe es ein tiefes kommunales Loch rückläufiger Investitionen.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Sie sind falsch gebrieft!)

    Herr Kollege Stoltenberg, ich will nicht auch noch die anderen Peinlichkeiten ansprechen, z. B. was Sie vorher zu den Bundesbankgewinnen gesagt haben, was Sie hinterher getan haben, wie Herr Häfele hier bei jeder Gelegenheit gesagt hat, daß die progressionsbedingten Mehreinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer gesenkt werden müssen; die lineare Kürzung von Subventionen ist angesprochen. Ich möchte Sie lieber, Herr Kollege Stoltenberg, mit Aussagen aus der letzten Zeit und dem Tun in diesen Tagen konfrontieren.
    Sie haben auf dem Deutschen Sparkassentag eine, wie ich finde, bemerkenswerte Rede gehalten. Das war so eine Art finanzpolitische Regierungserklärung, die sicherlich größte Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Da werden hehre Grundsätze aufgestellt. Ich will Ihnen einige vortragen und will Ihnen sagen, daß wir so weit gar nicht auseinander sind. Nur sind bei Ihnen hehrer Anspruch und Tat zwei verschiedene Paar Schuhe; so, als wenn Sie immer noch in der Opposition wären. Sie sind es nicht. Sie müssen sich zu Ihren Grundsätzen bekennen. Und nun bin ich bei Ihren Grundsätzen.

    (Beifall bei der SPD — Stratmann [GRÜNE]: Das war bei Ihnen aber auch schon so!)

    Der erste Grundsatz, Herr Stoltenberg: Die Staats- und Abgabenquote ist zu hoch. Sie verwendeten ein Zitat, das Sie sich aber zu eigen machten, indem Sie sagten: Wir sind auf dem Wege von der Marktwirtschaft zur Staatswirtschaft. Sie beklagen also die Abgaben- und Steuerquote. Zunächst einmal haben Sie sie in den letzten Monaten kräftig nach oben geführt. Das kann nicht bestritten werden. Die Mehrwertsteuererhöhung kommt erst noch. Sie wollen weitere Abgabenerhöhungen beschließen, hat der Herr Bundeskanzler gestern mitgeteilt, indem Sie die Sonderleistungen zu Gehalt und Lohn in die Sozialversicherungsabgaben einbeziehen wollen. Das wird im übrigen die jeweils Betroffenen sehr unterschiedlich treffen, die Geringerverdienenden stärker als die Gutverdienenden.
    Wie ist es denn eigentlich mit diesem Grundsatz? Wie, Herr Stoltenberg, ist es mit der Feststellung, die Sie dem Finanzplanungsrat vorgelegt haben, worin die Zahlen lauten: 1982 eine Steuerquote von 23,7 %, 1984 von fast 24 %, 1985 von 24,3 %, 1987 von 27,6 %? Herr Kollege Stoltenberg, selbst wenn Sie nichts täten — aber in dem Bereich der Abgaben tun Sie etwas —, würde einfach die Steuerprogression zu einer Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast führen. Deswegen, bitte schön, nicht hehre Grundsätze aufstellen und sich anders verhalten.
    Einen zweiten Punkt finde ich hochinteressant. Sie sagten in dieser Rede vor dem Sparkassentag:
    Der Bürger kann die Steuern, das Transfersystem nicht mehr erfassen. Für den Bürger ist das unkalkulierbar geworden.
    Und Sie sagten den interessanten Satz: Der Gerechtigkeitsgehalt des Systems — des Steuersystems —
    steht zur Debatte.
    Das finde ich gut.
    Aber was sagen Sie zu folgender Aussage von Herrn Häfele in diesen Tagen vor dem Steuerberaterkongreß? Ich zitiere auf Grund von Zeitungsmeldungen — darin war es in Anführungsstrichen —:
    Künftig dürfen künstliche Lösungen wie die Investitionshilfeabgabe nicht mehr stattfinden. Sie schafft neue Ungerechtigkeiten und kann von der Verwaltung nicht mehr verkraftet werden.
    Ich sage bravo! Bravo, das ist es. Diese Zwangsanleihe schafft neue Ungerechtigkeiten. Die Arbeitnehmer zahlen sie, die Unternehmer zahlen sie nicht. Deswegen ist sie verfassungswidrig, und Sie werden Probleme haben, mit diesem Homunkulus vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen zu können.

    (Beifall bei der SPD)




    Dr. Apel
    Daß die Steuerverwaltung unter diesem Problem stöhnt, daß sehr viel weniger einkommen wird, als erwartet wird, darauf hat Hajo Hoffmann hingewiesen — eben auch wegen Verwaltungspraktiken, aber auch wegen der Ungerechtigkeit. Und dann reden Sie hier, die Ergänzungsabgabe sei Teufelszeug, das ginge nicht. Ich erinnere mich auch noch an die Worte von Graf Lambsdorff. Nun will ich nicht auf die peinliche Situation abheben, die Sie in Ihrem Wahlkampf hatten. Das war schon ein starkes Stück. Das würde Herr Kohl mit entsprechenden Verbalinjurien belegen; ich lasse das.

    (Zuruf von der SPD: Das war unerträglich!)

    Aber wenn es so ist, daß die Bürger nicht mehr durchschauen, daß der Gerechtigkeitsgehalt zur Debatte steht, warum lassen Sie dann nicht ab von dieser Investitionshilfeabgabe und beschließen mit uns zusammen eine saubere Ergänzungsabgabe, die alle trifft und die im übrigen etwas übrigläßt für staatliche Investitionsprogramme, die auch Sie wollen, und die etwas übrigläßt zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vielleicht sogar für die schwierige Aufgabe der Haushaltskonsolidierung, die Sie haben?

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn wir schon über Gerechtigkeit reden — und Sie sprechen von Gerechtigkeit auch im Transfersystem, Herr Kollege Dr. Stoltenberg —, frage ich Sie: Wie wollen Sie eigentlich den Gerechtigkeitsgehalt, von dem Sie sprechen und der, wie Sie sagen, zur Debatte stehe, aufrechterhalten, wenn Sie für die 6,5 Milliarden DM, die Sie einzusparen fordern, Rentner, Arbeitslose und Arbeitnehmer zur Kasse bitten wollen und von den 4 Milliarden DM, die von der Mehrwertsteuer noch verteilt werden können, 3,5 Milliarden DM in den Unternehmensbereich schieben wollen? Hier ist gestern vom Bundeskanzler von mehr Bescheidenheit geredet worden. Wie wäre es denn, wenn diese Koalition einmal die Unternehmensverbände zur Bescheidenheit aufforderte — bis hin zu den Gehältern der Bankvorstände!

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Frau Berger [Berlin]: [CDU/CSU]: Neue Heimat!)

    Damit bin ich bei einer weiteren Aussage, die ich ja gut finde. Sie sagten auf dem Sparkassentag: Berufliche Leistung und Kreativität müssen sich wieder lohnen. Herr Kohl hat das gestern in seiner Regierungserklärung aufgegriffen und gesagt: Leistung darf nicht länger steuerlich bestraft werden. Na schön. Ich bin davon überzeugt, daß die Senkung der Gewerbesteuer, die Senkung der Vermögensteuer sowie andere Maßnahmen, die Sie vorhaben, nur die Großbetriebe begünstigen werden.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!)

    Denn die Kleinbetriebe sind aus der Gewerbesteuerpflicht längst herausgewachsen.

    (Beifall bei der SPD) Auch die Senkung der Vermögensteuer wird Großbetriebe wie Bosch, Mercedes und andere überproportional begünstigen;


    (Sehr gut! bei der SPD)

    davon wird der Mittelstand wenig haben. Dann aber reden Sie auch nicht über Mittelstandspolitik, Herr Dr. Althammer, sondern sagen Sie, daß Sie die Großunternehmen begünstigen wollen, weil das die Wahrheit ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber wenn sich dann Leistung wieder lohnen soll, wenn Kreativität gefördert werden soll, gilt das dann nur für die Unternehmen oder auch für die 25 Millionen Berufstätigen? Wollen wir die so abspeisen, wie Sie, Herr Dr. Häfele, der Protagonist der Rückgabe von inflationsbedingten Mehreinnahmen bei der Lohn- und Einkommensteuer, das auf dem Steuerberaterkongreß getan haben, wo Sie meinten: Das könnte 1986 sein, das könnte 1987 sein, das könnte auch später sein? Ich finde es ein starkes Stück, daß Sie Ihre Position innerhalb von 10 Monaten in einer Art und Weise ändern, die mit intellektueller Redlichkeit — ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten — nun wirklich wenig zu tun hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Nun weiß ich j a, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, daß Sie in einer Zwangslage sind. Wenn man beim Lohn- und Einkommensteuertarif an eine Tarifreform heran will, dann darf man nicht kleckern, sondern muß klotzen. Das ist mir sehr wohl bewußt; ich war j a auch einmal auf Ihrem Stuhl.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Damals hat Sie das Pferd getreten!)

    Aber wenn das Ihr Problem ist, wenn das das zentrale Problem ist, wie wir Leistungsanreize auch für die schaffen, die abhängig beschäftigt sind, dann muß ich Sie fragen: Wieso können Sie es verantworten, dreieinhalb Milliarden DM für Steuersenkungen im Unternehmensbereich im letzten Jahr zu verkleckern? Wie können Sie uns einen Familienlastenausgleich durch Familiensplitting andienen, der entweder die soziale Gerechtigkeit — ich komme darauf noch zurück — in Stücke oder aber die öffentlichen Finanzen leck schlägt? Sie müssen hier wohl gebeten werden, noch einmal nachzudenken, ob es nicht geboten ist, anzusparen, damit insbesondere die Arbeitnehmer, die jetzt in die Progressionszone rücken, eine Chance sehen, auch einmal wieder weniger Steuern zu zahlen. Herr Kollege Stoltenberg, wenn dieses Problem, über das Sie gestern auch in der Sendung mit Herrn Löwenthal gesprochen haben — das ist ja eine Sendung, die weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit gesendet und sowieso nur von Ihren Parteifreunden gesehen wird

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf des Abg. Carstens [Emstek] [CDU/ CSU])




    Dr. Apel
    — ja, ich habe mir das gestern angeguckt; das ist mir aber schwergefallen, Herr Carstens, das muß ich zugeben;

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Aber richtig zugehört haben Sie nicht!)

    es war ein echtes Opfer —,

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    wirklich so drängend ist, dann schieben Sie dieses Thema nicht auf die Erblast — wir haben zum 1. Januar 1981 die Lohn- und Einkommensteuer beträchtlich gesenkt —, sondern treffen Sie Vorsorge, damit dieses Problem nicht über Sie kommt und Ihnen die Haushaltskonsolidierung, die Sie wollen und die wir wollen, zerstört.
    Dann haben Sie einen weiteren Grundsatz verkündet, den ich großartig finde. Sie sagen — ich zitiere wörtlich —:
    Eine ständige Aufgabe ist auch die Überprüfung von nicht mehr gerechtfertigten steuerlichen Vorteilen. Ich bin der Meinung, daß es schon aus Gründen der Steuergerechtigkeit nicht mehr zugelassen werden sollte,
    — im Konjunktiv! —
    daß sich Bürger durch Verlustzuweisungsgesellschaften ihrer Steuerpflicht ganz oder überwiegend entziehen.
    Herr Stoltenberg, Sie reden doch auf dem Sparkassentag nicht als Privatmann, Sie reden dort als Bundesminister der Finanzen. Warum handeln Sie denn nicht?

    (Beifall bei der SPD — Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was haben Sie denn 13 Jahre getan?)

    — Lieber Herr Kollege, immer wieder sind wir bei diesem Thema tätig gewesen. Da gibt es eine Koalition.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Nichts haben Sie gemacht! Geschwätzt haben Sie!)

    — Nun wollen wir doch einmal wieder ruhig bleiben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben 13 Jahre geredet!)

    Ich will Ihnen nur folgendes in Erinnerung rufen: Das Land Nordrhein-Westfalen hat gerade zu diesem Thema einen detaillierten, zupackenden und richtungsweisenden Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht. Und was haben Sie gemacht?

    (Dr. Spöri [SPD]: Gebremst! Blockiert!)

    Sie haben — sicherlich in Abstimmung mit Herrn Stoltenberg — diese Initiative Ende 1982, genau gesagt am 28. November 1982 beerdigt, Sie haben sie sterben lassen.

    (Dr. Spöri [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

    Wir werden Sie an Ihren Worten messen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg. Hier wird nicht mehr geprüft, hier wird gehandelt, und zwar nicht nur deshalb, weil hier ökonomische Ressourcen fehlgeleitet werden, sondern auch, weil dies ein wichtiger Beitrag
    zur Sanierung der Staatsfinanzen und zu einem Mehr an sozialer Gerechtigkeit ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Lassen Sie mich einen Punkt aufgreifen, der gestern in dem finanzpolitischen Teil der Ausführungen von Bundeskanzler Dr. Kohl vorkam. Ich zitiere Bundeskanzler Dr. Kohl wörtlich:
    Wir müssen wieder ein kinderfreundliches Land werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

    Wie schön! Aber wenn man dann nachliest, was anschließend kommt, dann wird das Familiensplitting als Vehikel zur Erreichung des „kinderfreundlichen Landes" Bundesrepublik Deutschland angedient.

    (Zuruf von der CDU/CSU)

    — Nun lesen Sie doch die Regierungserklärung zu diesem Punkte nach! Da mag ja noch alles andere dazukommen, auch z. B. die beabsichtigte Veränderung des § 218, aber im Bereiche des Steuerrechts reden Sie nur darüber.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wer Kinder hat, soll weniger Steuern zahlen!)

    — Ja, nun mal langsam. Da muß ich einmal den Bundeskanzler und Sie fragen, ob Sie sich über die Konsequenzen dieses Plans im klaren sind: Sie müssen entweder massive Breschen in den Bundeshaushalt schlagen oder aber massiv das Kindergeld zusammenknüppeln.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Beides, was Sie sagen, ist falsch!)

    Wollen Sie denn bestreiten — das sagen ja auch die Experten —, daß beim Familiensplitting der Spitzenverdiener 16mal soviel Steuervorteil bekommt wie der Geringverdiener?

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Auch falsch!)

    Wollen Sie bestreiten, daß uns die Experten schlüssig nachweisen, daß man um so weniger aus dem Familiensplitting erzielt, je mehr Kinder man hat? Dies ist eine unmögliche und wirklich massive Ungleichbehandlung von Kindern.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Herr Apel, es ist wirklich falsch, was Sie sagen!)

    Dies führt nicht zu mehr Kinderfreundlichkeit in
    der Bundesrepublik, sondern genau zum Gegenteil.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich sage Ihnen: Diejenigen, die ihre Kinder notfalls auch ohne staatliche Hilfe und Alimentation erziehen können, werden massiv begünstigt, und die anderen werden zur Ader gelassen. Damit geben Sie, Herr Kollege Stoltenberg, und auch Sie von der CDU/CSU und der FDP, einen Durchbruch in der Steuerpolitik auf, den wir gemeinsam erzielt haben. Am 1. Januar 1975 haben wir die Kinderfreibeträge abgeschafft; wir sind zum einkommensunabhängigen, an der Zahl der Kinder orientierten Kindergeld gekommen. Ihre Pläne heute sind eine eindeutige Wende rückwärts, eine Wende, die unge-



    Dr. Apel
    recht ist und die nach meiner Überzeugung nur vor dem Bundesverfassungsgericht landen kann.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das Kindergeld ist einkommensabhängig gekürzt worden! Haben Sie das nicht bemerkt? Das wissen Sie doch! — Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Lassen Sie sich nicht mit dem Friedmann ein, Herr Apel! Das ist gefährlich!)

    Ich komme zu einem weiteren Punkt, Herr Stoltenberg. Das soll dann auch der letzte Punkt sein.

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist gut so, denn es reicht!)

    Herr Stoltenberg, Sie sagten — wiederum vor dem Sparkassentag —, die Probleme unserer Wirtschaft seien im Kern struktureller Natur. Sie sagen, auch die Arbeitslosigkeit sei vorrangig strukturell. Sie lehnen deswegen die expansive Finanzpolitik ab. Darüber sind wir teilweise anderer Meinung. Aber wenn das so ist, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dann frage ich: Wann erhalten eigentlich die vier norddeutschen Küstenländer eine Antwort auf das Werftenkonzept, das vier norddeutsche Küstenländer — zwei von der CDU regiert, zwei von den Sozialdemokraten — vorgelegt haben?

    (Beifall bei der SPD)

    Wann wird ihnen gesagt, ob der Bund bereit ist, die Mehrlasten, die diese vier Länderchefs einheitlich fordern und die ich für geboten halte, auch zu tragen? Jetzt sagen Sie: im Juni. Sind Sie in der Tat der Meinung, daß die Werftindustrie, die in äußersten Schwierigkeiten ist, so lange warten darf? Muß nicht von Ihnen vorher wie bei der Stahlindustrie eine Vorgabe gemacht werden?
    Ich sage Ihnen: Wir können uns nicht einverstanden erklären mit dem, was Herr Kohl zu diesem Thema gesagt hat. Er hat gestern zur Werftindustrie gesagt: „Mut zu mehr Markt ist auch hier der richtige Weg." Und dann hat er gesagt: „Wir werden befristet helfen zur Anpassung an den Markt."
    Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie sind lange genug Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein gewesen. Wehren Sie sich gegen dieses Konzept Ihres Bundeskanzlers. Es wird die deutsche Werftindustrie ruinieren. Es wird uns die Chance nehmen, an der Küste durch Schiffbau und Schiffsreparatur einen wichtigen Beitrag auch zum Außenhandel zu leisten. Geben Sie eine Zusage, ehe Resignation, ehe Arbeitslosigkeit und mangelnde Aufträge die Situation dramatisch verschlechtern!

    (Beifall bei der SPD)

    Ich bitte darum, daß hier Aussagen gemacht werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit folgendem möchte ich abschließen. Erstens. Herr Kollege Stoltenberg, vor uns liegen vier Jahre Finanzpolitik. Sie werden schwierig, schwierig für Sie und schwierig für uns; denn wir werden den Stil
    der Konfrontation, den Sie hier heute morgen eingeführt haben, nicht wollen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wer hat ihn denn eingeführt?)

    Aber eines werden wir natürlich tun, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Wir werden die Regierung an ihren Taten messen. Und wir müssen von Ihnen klare Vorgaben verlangen, damit wir wissen, woran wir sind und wie wir uns politisch einstellen müssen. Diese Debatte hat diese klaren Vorgaben nicht geliefert. Die sind Sie uns schuldig. Sie haben durch Ihr Verhalten heute der politischen Debatte einen Teil ihres Wertes, einen Teil ihres Reizes genommen und dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, des deutschen Volkes, nicht entsprochen, wie das am Beginn einer vierjährigen Legislaturperiode geboten wäre.

    (Beifall bei der SPD)

    Zweitens. Wir sind auch deswegen der Meinung, daß uns totale Konfrontation nicht weiterführen kann, weil das nicht Sinn parlamentarischer Arbeit ist. Mein Fraktionsvorsitzender hat darauf hingewiesen, daß wir die Sonthofener Strategie nicht zu unserer eigenen machen können — das widerspricht im übrigen auch sozialdemokratischem Selbstverständnis. Wir werden im Sinne des kooperativen Föderalismus — wir tragen j a in einer Reihe von Ländern Verantwortung —

    (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Noch! Nicht mehr lange, wenn Sie so weitermachen!)

    mit Ihnen zusammenarbeiten wollen. In einem Punkt, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, müssen wir von Ihnen Klarheit verlangen. Es kann nicht bei dem Bekenntnis bleiben, die Finanzautonomie der Gemeinden, die Finanzkraft der Gemeinden müsse gestärkt werden. Hier müssen Taten folgen. Hier müssen Sie Ihre Steuersenkungspläne bei der Vermögensteuer — eine reine Ländersteuer — noch einmal sehr gründlich überprüfen.
    Und schließlich drittens, damit Sie nicht meinen, wir wären in jedem Punkte Ihre Gefolgsleute

    (Dr. Stoltenberg [CDU/CSU]: Das habe ich nicht erwartet!)

    — das haben Sie nicht erwartet, das freut mich —: Wenn Sie es nicht schaffen, die Konjunkturbelebung zu ermöglichen — und hier fehlt jeder Ansatz in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, jeder —, dann werden Sie die Nettokreditaufnahme von 40 Milliarden DM wie eine heilige Monstranz vor sich hertragen, und anschließend werden Sie Milliarden nachbessern, aber auf der falschen Seite. Wir wollen keine Kürzung der Arbeitslosenunterstützung. Sie muß so bleiben, wie sie ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wollen aber Menschen in Arbeit bringen. Dies ist der richtige Weg, und dies verlangen wir von Ihnen.



    Dr. Apel
    Wenn zum anderen eintritt, was die Auguren sagen

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Und Sie gerne hören!)

    und was die Koalitionsvereinbarung hergibt, daß nämlich erneut gegen das Prinzip der Gerechtigkeit verstoßen wird, daß Sie Lasten der Haushaltskonsolidierung einseitig den sozial Schwächeren aufbürden, daß Sie an die Stelle der Demokratie der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Gleichheit die Demokratie der Rabiaten setzen, dann werden Sie unseren entscheidenden Widerspruch finden. — Schönen Dank.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD — Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Hessen, Herr Börner.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Noch ein Bankrotteur!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich in meinem Beitrag zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers auf drei Fragen beschränken: Was werden Sie, Herr Bundeskanzler, konkret gegen die Arbeitslosigkeit tun?

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wann treten Sie zurück?)

    Wie sichern Sie die Ausbildungs- und Lebenschancen der jungen Generation? Was tun Sie, um das Vertrauen der älteren Generation in unseren Sozialstaat zu erhalten? Diese drei Fragen bewegen Millionen Menschen in unserem Lande, und Sie, Herr Bundeskanzler, müssen konkrete Antworten darauf geben.
    Meine Damen und Herren, im Zentrum unserer Politik stand stets die Überwindung der Arbeitslosigkeit,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir gemerkt!)

    und zwar aus sozialen und humanitären Gründen, aus Gründen der inneren Stabilität der zweiten deutschen Demokratie und aus dem Grunde, daß ohne leistungsfähige Staatsfinanzen Politik auf Dauer unmöglich ist.
    Vor einem Jahr habe ich mich auf unserem Münchener Parteitag zum Sprecher derer gemacht, die auch an die wirtschaftspolitische Verantwortung des Staates appellieren. Wir wollen alle wirtschaftspolitischen Instrumente nutzen, um Menschen Arbeit und Brot zu geben, und wollen keines dieser Instrumente aus kurzsichtigen Gründen — auch nicht aus ideologischen Gründen — ausklammern.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Die Beschlüsse unseres Münchener Parteitages waren damals in Teilen dieses Hauses auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die FDP bezeichnete unsere Vorschläge wörtlich als Folterwerkzeuge aus der Mottenkiste des Sozialismus und sprach mir die
    Koalitionswürdigkeit ab. Seit dem Wahltag im vergangenen Herbst verfolgt sie nun die Debatten im Hessischen Landtag von der Zuschauertribüne.

    (Beifall bei der SPD)

    Seit dem Wechsel in Bonn vertritt die gleiche FDP mit Ihnen die damals von mir geforderte Ergänzungsabgabe, die Sie ein bißchen anders getauft haben. Ich beginne also, Herr Bundeskanzler, mit einem halben Lob, denn ich kann Sie für Ihre Lernfähigkeit in dieser Frage nicht tadeln. Unsere Lösung wäre allerdings sachlich und politisch sauberer gewesen, und unser Maßnahmenkatalog ging und geht weiter als die Ergänzungsabgabe für Investitionen.
    Meine Damen und Herren, ich war und bin gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund für die Rückgewinnung der Vollbeschäftigung durch ein Investitionsprogramm zur Modernisierung der Volkswirtschaft. Wir brauchen ein langfristig angelegtes Programm mit den Schwerpunkten Wohnungsbau, Umweltschutz, Energieeinsparung und Ausbau des öffentlichen Verkehrs, ein Programm, das von Bund und Ländern gemeinsam zu tragen ist.
    Die konservativen Wirtschaftsberater der Bundesregierung scheinen dies für überflüssig zu halten. Ihnen reicht ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von einem halben Prozent, um vom Aufschwung zu reden. In Wahrheit bedeutet das doch nichts anderes als die Fortsetzung der wirtschaftlichen Stagnation.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn ich Ihre Vorschläge richtig analysiere, so laufen sie auf eines hinaus: auf den weiteren Abbau des Sozialstaats.

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Der Anstieg der Arbeitslosenzahl auf mehr als 2,8 Millionen im kommenden Winter soll offenbar tatenlos hingenommen werden. Ich kann die Bundesregierung nur dringend davor warnen, ihre Wirtschaftspolitik daran auszurichten. Eine solche Wirtschaftspolitik wäre eine Gefahr für den sozialen Frieden und eine Provokation der Gewerkschaften und aller Arbeitnehmer unseres Landes.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

    Sie sollten, Herr Bundeskanzler, auch keine Arbeitsplätze bei fremden Unternehmen versprechen, wenn Sie auf die Gewinnstrategie dieser Unternehmen keinen Einfluß haben. Herr Bundeskanzler, Sie haben gestern in Ihrer Rede den Eindruck erweckt, als ob die hunderttausend Ausbildungsplätze, die in diesem Jahr zusätzlich benötigt werden, heute schon gesichert seien. Dabei wissen Sie doch, daß die von den Verbänden versprochenen Lehrstellen nur von den einzelnen Ausbildungsbetrieben geschaffen werden können. Wie kommen Sie dazu, eine Garantie für Ausbildungsplätze zu verkünden, über die Sie gar nicht verfügen?

    (Beifall bei der SPD)




    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    Was soll ich von solchen Zusagen halten, wenn gleichzeitig der Staatssekretär im Bundeskanzleramt die Lehrstellenbewerbungen von jungen Menschen beim Bundeskanzler pfundweise an die Länder, auch an meine Staatskanzlei, zurückreicht? Sollen wir jetzt Ihre Versprechungen einlösen?

    (Beifall bei der SPD)

    Im Gegensatz zu Ihnen haben wir in Hessen längst gehandelt. Wir haben in den letzten Wochen mit einem Sonderprogramm 2 000 zusätzliche Ausbildungsplätze in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Bereich gefördert. Ich kann Ihnen nur raten, dasselbe zu tun. Sorgen Sie dafür, daß bei der Verwaltung des Bundes, bei den bundeseigenen Unternehmen und bei den öffentlichen Bundesbetrieben Bahn und Post zusätzliche Lehrstellen über das bisher zugesagte Maß geschaffen werden! Das wäre eine konkrete Antwort.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sollten auch nicht langfristig Arbeitsplätze versprechen und zugleich eine Wirtschaftspolitik betreiben, die tatsächlich nur Rationalisierungsinvestitionen auslöst. Sie alle wissen, daß uns jetzt auch in den Dienstleistungsberufen große Veränderungen bevorstehen. Ich kann gerade aus der Sicht des Landes Hessen sagen, daß ich große Sorge über das Vordringen des Mikroprozessors bei Banken, Versicherungen und anderen Dienstleistungsunternehmen habe. Ich sage hier ganz deutlich: Das Ziel einer Wirtschaftspolitik muß es sein, daß der technische Fortschritt nicht auf Kosten der arbeitenden Menschen durchgesetzt wird.
    Meine Anregungen an Sie gehen deshalb dahin, in erster Linie solche Investitionen zu fördern, die erstens nicht langfristig Arbeitsplätze kosten, sondern neue schaffen und für die es zweitens eine breite Mehrheit im Volk in öffentlicher Zustimmung gibt. Dies sind hier und heute vor allem neue Umwelttechnologien, also Investitionen in neue Kläranlagen, in Lärmschutzmaßnahmen und verbesserte Luftreinhaltung. Das Land Hessen wird auch weiterhin im Bundesrat dazu geistige und politische Vorarbeit leisten.

    (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wenn es wieder eine mehrheitsfähige Regierung hat!)

    — Selbstverständlich wird diese Regierung handeln — das tut Ihnen weh —, sie wird sich dem Wähler stellen, und sie wird wieder ein neues Mandat erhalten.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Darüber reden wir noch!)

    Meine Damen und Herren, unser Schwefelabgabengesetz, das wir in den Bundesrat zum Schutz des Waldes eingebracht haben, ist marktwirtschaftlicher und effektiver als die neue Großfeuerungsanlagenverordnung, und wir werden demnächst auch entsprechende Vorschläge für bleifreies Benzin in den Bundesrat einbringen. Dann müssen Sie nicht nur den Mund spitzen, dann müssen Sie auch pfeifen.

    (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Pfeifen Sie einmal! — Zuruf von der CDU/CSU: Der pfeift doch aus dem letzten Loch!)

    Ich bin nach wie vor für Aktivierung und Weiterentwicklung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit. Es war nach meiner Auffassung ein politischer Fehler meiner eigenen Partei, daran mitzuwirken, die Fortbildungsmaßnahmen der Bundesanstalt zu drosseln, wie das geschehen ist. Ich hatte angeregt und bleibe dabei, die für die Reaktivierung benötigten Mittel durch angemessene Solidarbeiträge zu beschaffen.
    Hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsstellen sind das zentrale innenpolitische Problem in der Bundesrepublik Deutschland. Eine weiter wachsende Massenarbeitslosigkeit ist für die politische und soziale Stabilität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine unerträgliche Belastung. Gerade, Herr Bundeskanzler, weil ich als junger Mann das Schicksal der Arbeitslosigkeit selbst erlitten habe, sage ich Ihnen: Diese Republik wird sich verändern, wenn die jungen Menschen von der Schulbank auf die Wartebänke der Arbeitsämter rutschen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wichtigste Aufgabe unserer Zeit ist deshalb eine energische Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus sozialen, wirtschaftlichen und auch aus moralischen Gründen. Die Gewerkschaften als Repräsentanten der Arbeitnehmerschaft haben in der laufenden Tarifrunde bereits gezeigt, daß sie ihren Beitrag für mehr Stabilität zu leisten bereit sind.
    Das gilt auch für das Thema Arbeitszeitverkürzung. Ohne Arbeitszeitverkürzung wird sich bei weiterhin stagnierendem Wirtschaftswachstum die Zahl der Arbeitslosen immer weiter steigern. Die Gewerkschaften sehen dies und sind bereit, auch über die Verteilung der entstehenden Kosten zu reden. Warum, Herr Bundeskanzler, weisen Sie die ausgestreckte Hand der deutschen Gewerkschaften in dieser Diskussion zurück?

    (Beifall bei der SPD)

    Wollen Sie es eigentlich hinnehmen, daß wir 1983 im Jahresdurchschnitt 2,35 Millionen Arbeitslose bekommen werden, wie Ihre Gutachter errechnet haben? Sie wissen doch, meine Damen und Herren, diese Arbeitslosen kosten 55 Milliarden DM im Jahr. Allein schon aus finanzpolitischen Erwägungen müßten Sie deshalb darauf drängen, aus diesen Arbeitslosen wieder steuer- und beitragszahlende Arbeitnehmer unseres Landes zu machen.
    Die hessische Landesregierung sieht ihre Aufgabe nicht darin, über Arbeitslosigkeit zu reden, sondern darin, energisch zu handeln. Wir haben Anfang dieses Jahres ein beschäftigungspolitisches Sofortprogramm aufgelegt, mit dem über 28 000 Arbeitsplätze in Hessen neu geschaffen und gesichert wurden und mit dem 2 000 Ausbildungsplätze für junge Menschen gefördert worden sind. Wir alle müssen zusammenwirken beim Bau einer Beschäftigungsbrücke für die junge Generation, um ihr trotz der demographischen Schwierigkeiten in den 80er Jahren den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu



    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    ermöglichen. Ich meine, unser Gemeinwesen wird erschüttert, wenn junge Menschen keine Arbeit finden, nur weil sie einem starken Jahrgang angehören.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich betrachte es als Gütetest für unser Wirtschaftssystem, ob wir ohne Zwangsmaßnahmen mit der Herausforderung der Jugendarbeitslosigkeit fertigwerden. Wir brauchen nämlich nicht nur Ausbildung auf Vorrat, sondern auch Beschäftigung der ausgebildeten jungen Arbeitnehmer auf Vorrat für die Zeit, wenn die Arbeitskräfte wieder knapper werden und unsere Wirtschaft qualifiziertes Personal braucht. Das wird, wie Sie wissen, doch in einigen Jahren der Fall sein. Wirtschaft und Staat müssen sich dieser Aufgabe stellen aus Gründen der menschlichen Solidarität mit der jungen Generation und auch aus Gründen der langfristigen Sicherung der Arbeitskraft unseres Volkes.
    Zur Finanzierung der benötigten Arbeitsplätze hatte ich im vergangenen Jahr neben Schwerpunktprogrammen für junge Arbeitnehmer in besonderen Problemregionen auch die Umverteilung von Arbeit und Einkommen bei gutverdienenden Gruppen vorgeschlagen, also etwa mehr Teilzeitarbeit im öffentlichen Dienst, um die vielen fertig ausgebildeten jungen Lehrer z. B. unterbringen zu können, außerdem die Einführung eines Vorruhestandsgeldes für freiwillig ausscheidende ältere Arbeitnehmer entsprechend den von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Modellen. Die hessische Landesregierung wird auch diesen Vorschlag in den Bundesrat einbringen. Ein entsprechender Kabinettsbeschluß ist gefaßt. Ich werde versuchen, im Kreise der Ministerpräsidenten für weitere abgestimmte Vorschläge aller Länder zu werben, die wir Ihnen, Herr Bundeskanzler, präsentieren wollen. Diese Vorschläge sollen von Erleichterungen für Teilzeitbeschäftigung im Beamtenbereich bis zu Besoldungskonsequenzen reichen, um mit den gleichen staatlichen Mitteln mehr junge Menschen beschäftigen zu können.
    Natürlich ist bei solchen Fragen der Dialog mit den Gewerkschaften unumgänglich. Wir müssen uns schnell einigen, denn wir brauchen die Hilfe jetzt. Im nächsten Jahrzehnt schon geht die Nachfrage nach staatlichen Arbeitsplätzen aus demographischen Gründen zurück. Sollten wir — die Frage stelle ich Ihnen, meine Damen und Herren, und Ihnen, Herr Bundeskanzler —, nämlich eine der reichsten Gesellschaften der Erde, nicht die Kraft und den Willen haben, diese Durststrecke solidarisch zu überbrücken?

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, beschäftigt uns die Arbeitslosigkeit in erster Linie der Jugend wegen, so droht das Problem der Alterssicherung eine Zukunftsangst der über Vierzigjährigen vorzuprogrammieren. Eine Gesellschaft, die in fast allen Altersgruppen von Angst geprägt ist, ist in den Grundfesten weniger stabil, als wir uns alle das wünschen. Ich sage hier klar und deutlich: Unsere staatliche Alterssicherung hat sich im Prinzip bewährt. Sie geht davon aus, daß die alten Menschen durch ihre Lebensleistung die Grundlage für den Wohlstand von heute geschaffen haben. Dafür haben sie einen moralischen Anspruch auf einen finanziell gesicherten Lebensabend.
    Seit einem halben Jahrhundert spart keine Generation im klassischen Sinn mehr für ihr Alter. Sie verläßt sich vielmehr auf die Beitragszahlung der Generation ihrer Kinder. Es ist wirtschaftlich unmöglich, daß eine Generation sowohl für ihr eigenes Alter als auch für das Alter ihrer Eltern finanziell aufkommt. Alle Ideen in dieser Richtung sind wirtschaftlich und politisch nicht zu Ende gedacht.
    Dieser Generationsvertrag muß deshalb unverbrüchlich bleiben. Deshalb warne ich vor psychologischen Verunsicherungen durch die Manipulation von Anpassungsterminen der Rentenversicherung und durch weiteres kompliziertes Rangieren von Geldströmen zwischen den Sozialkassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, die einzigen vertrauensbildenden Maßnahmen in der Alterssicherung sind eine Beitragserhöhung für die Versicherten und ein Anpassungsmodus für die Renten, der einen ungefähren Gleichklang der Einkommen zwischen Aktiven und Rentnern vorsieht. Wenn der Bundesarbeitsminister in diese Richtung geht, hat er unsere politische Unterstützung. Lieber Herr Blüm, wenn Sie wieder einmal keine ausreichende Unterstützung für Ihre Vorschläge in der eigenen Partei haben, dann können Sie sich gern an Ihren hessischen Ministerpräsidenten wenden.

    (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Bitte nicht! Der hat keine Mehrheit!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir kümmern uns um die Renten und wenden uns gegen sozialen Abbau auf dem Rücken der Rentner und der Kriegs- und Wehrdienstopfer. Sicher ist eine Eigenbeteiligung der Rentner an der Krankenversicherung erforderlich. Was ich verurteile, ist der drastische Anstieg der Eigenbeteiligungsquoten. Nimmt man die zeitliche Verschiebung der Rentenanpassung hinzu, so zeigt sich, daß die Rentner nach dem Willen von CDU/CSU und FDP einen großen Anteil an der sogenannten Sanierung des Bundeshaushalts übernehmen sollen.
    Meine Damen und Herren, was meinen Sie eigentlich, was die Leute draußen im Lande empfinden, wenn sie hören, daß Kriegsopfer, Rentner und Arbeitnehmer sinkende Einkommen zu erwarten haben, daß aber die Bezüge der Vorstände der deutschen Großbanken kräftig angehoben worden sind? Das ist eine „Gerechtigkeit", die von uns nicht geteilt werden kann, sondern wir bitten Sie, hier sehr deutlich Ihre Position noch einmal zu überdenken.
    Ich sage hier deutlich: Ich halte es für unverantwortlich, wenn etwa der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung zu einer Manövriermasse für die Haushaltssanierung wird.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie wollten doch kürzen!)




    Ministerpräsident Börner (Hessen)

    Nach wie vor gilt, daß die Rente eine Lohnersatzfunktion hat. Nach einem vollen Arbeitsleben dürfen die Arbeitnehmer und ihre Familien nicht sozial absteigen. Das heißt, wir werden uns im Bundesrat massiv dagegen zur Wehr setzen, daß etwa die Lasten der Arbeitslosigkeit auf die Sozialhilfeetats der Gemeinden abgewälzt werden.

    (Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Sie haben doch die Beihilfe in Hessen gekürzt!)

    Meine Damen und Herren, ich warne die Koalition ausdrücklich vor der Kürzung des Arbeitslosengelds.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß an dieser Stelle noch ein drängendes soziales Problem ansprechen, das überwiegend die älteren Mitbürger betrifft, nämlich die Soziale Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Immer mehr pflegebedürftige Menschen sind nicht mehr in der Lage, die finanziellen Belastungen aus eigenen Mitteln zu tragen. Ich halte es für unzumutbar, wenn Bürger, die 30 bis 40 Jahre hart gearbeitet haben, im sogenannten Herbst ihres Lebens zu Taschengeldempfängern in Heimen werden.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Pflegebedürftigkeit, meine Damen und Herren, ist ein allgemeines Lebensrisiko, dessen Folgen in der Regel über die finanziellen Möglichkeiten des einzelnen hinausgehen. Ich setze mich deshalb an dieser Stelle für die Schaffung einer bundesweiten Pflegeversicherung ein. Ihre Koalitionsvereinbarung, Herr Bundeskanzler, enthält den Satz, daß die Finanzierung der Kosten der Pflegefälle neu geregelt werden müsse. Ich werte das als positiven Hinweis auf gemeinsames Handeln zur Lösung dieses sozialen Problems und erwarte von Ihnen eine Konkretisierung.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erwarte nicht, daß die neue Bundesregierung die gleichen gesellschaftlichen und sozialen Interessen wie die alte vertritt. Aber eines bitte ich zu bedenken: Zur Unsicherheit der Jugend und zu den Ungewißheiten der Älteren darf nicht auch noch die Ängstlichkeit und Verkrampfung der Regierung treten.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir wünschen uns eine Bundesregierung mit mehr innerer Gelassenheit, als bisher zu spüren war, eine Regierung, die keine Berührungsängste hat, auf Andersdenkende einzugehen und mit ihnen zu reden, eine Regierung, die sich weder in die eigene Wagenburg zurückzieht noch sich an fremden Kreuzzügen beteiligt.

    (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Beherzigen Sie das auch in Hessen?)

    Wir werden darauf achten, wie Sie handeln, wie Sie die unvermeidlichen Belastungen verteilen und ob Sie soziale Gerechtigkeit als Wertmaßstab gelten lassen.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie halten eine schlechte Wahlkampfrede!)

    Sozialer Konsens war lange Jahre ein Fundament unserer freiheitlichen Ordnung. Er darf nicht konservativer Ideologie geopfert werden.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)